Rajputana ist das Land der Rajputen, das Land der Fürsten und der Krieger. Westlich des Aravalligebirges gelegen, reicht es weit hinein in die Wüste Thar, bis nach Madhya Pradesh und Gujarat in Indien und Sindh in Pakistan. Damals, im 16. Jahrhundert, grenzt Rajputana an die Ganges-Ebene und das Hochland von Dekkan.
Es ist eine stolze Region entlang der Seidenstraße. Karawanen kreuzen die Wüste, die mit unvorstellbaren Reichtümern beladen sind und neben Wohlstand auch Krieg in die Region bringen. Rajputana ist kein geeintes Land. Etwa zwanzig Fürstentümer geraten hier immer wieder in gewalttätige Auseinandersetzungen. Es geht um Macht und Einfluss. Dabei kämpfen die Fürstentümer nicht nur untereinander. Auch Feinde von außen bedrohen ihre Sicherheit. Da sind erst die Sultane und dann die Moguln aus Delhi, das Königreich Gujarat, die Maharaten aus Zentralindien und schließlich die Briten.
Und so tobt die Wüste. Ein immer wieder aufflammender Kriegszustand verlangt den Bau starker Verteidigungsanlagen, die meist hoch oben auf Hügelkuppen und Felsen errichtet werden. Die Burgpaläste dienen den Fürsten als luxuriöse Residenz und sind zugleich wehrhafte Zeichen ihrer Macht. Mit einer starken militärischen Präsenz ausgestattet, gelten sie als uneinnehmbar.
Die Rajputen – Herrscher der Wüste
Die Paläste sind Statussymbole ihrer Herrscher. Detailreich verzierte Privatgemächer und Audienzhallen gehören ebenso dazu wie Schatzkammern, Pavillons und Gärten mit eleganten Springbrunnen. Im Schutz gewaltiger Mauern führen die Maharadschas mit ihren Haupt- und Nebenfrauen ein dekadentes Leben. Haremsdamen schmücken sich mit Edelsteinen, Juwelen und kostbaren Kleidern, sie flanieren vorbei an herrlichen Wandgemälden und vergoldetem Mobiliar, schreiten über wertvolle Teppiche und bewundern sich in italienischen Spiegeln. Die Rajputen entwickeln eine höfische Kultur, für die sie selbst von ihren Feinden hoch angesehen werden.
Aber auch Ställe und Werkstätten befinden sich in den Festungen und natürlich die Basare und der komplette Hofstaat von Ministern bis zu Küchenmägden. Händler mit safranfarbenen Turbanen durchstreifen mit ihren Dromedaren die Wüste. Hunderte Karawanen sind unterwegs. Sie ziehen zu den bedeutendsten Fürstentümern, um ihre Waren anzubieten.
Doch um die eleganten Festungen wird mit blutiger Hand gerungen. Die Geschichten Rajputanas erzählen von wilden Schlachten, Raubzügen, Belagerungen, Intrigen und Hinrichtungen. Die Machtansprüche der konkurrierenden Fürstentümer entstehen bereits im sechsten Jahrhundert. Die Oberhäupter der Clans sehen sich als Gesandte von Sonne und Mond. Ihre Herrschaft ist von den Gestirnen legitimiert.
Streitigkeiten zwischen den Fürstentümern wachsen zu immer größeren Auseinandersetzungen heran. Familienfehden verschwenden viel Blut und lassen eine kriegerische Tradition entstehen, die den Rajputen bis heute anhängt.
Mit Gewalt und Geschick agieren sie auch gegen Feinde von außen. Die Rajputen militärisch zu besiegen, erscheint selbst für die Moguln und später für die Briten unmöglich. Stattdessen entstehen Bündnisse, die den Fürstentümern bis zur Unabhängigkeit Indiens relative Selbstständigkeit garantieren.
Als Mitgliedern der hinduistischen Kriegerkaste gelten die Rajputen als stolz, mutig und treu. Die Fürsten folgen einem Ehrenkodex, ziehen den Freitod der Gefangenschaft vor. In aussichtsloser Lage opfern sie Frauen und Kinder im Feuer, um anschließend mit ihren Männern auf dem Schlachtfeld in den Tod zu gehen.
Rajasthan im Wandel
Doch Rajputanas Glanz verblasst. Die Eröffnung des Suezkanals bedeutet das Ende für die Wüstenkarawanen. Der Fernhandel erfolgt nun auf dem Seeweg. Auch die Unabhängigkeit und die damit verbundene Grenzziehung zwischen Indien und Pakistan mitten durch die Wüste Thar leitet eine weitere Epoche des Niedergangs ein. Rajputanas Kernland heißt nun Rajasthan und hat mit dem Abbruch der Karawanenstraßen und der Unabhängigkeit Indiens die wirtschaftliche Grundlage verloren.
Die Fürstentümer sind bedeutungslos; der entmachtete Adel praktisch tot. Im neu geschaffenen Staat Indien gehört Rajasthan zu den ärmsten und konservativsten Regionen des Landes. Das Leben in der Thar, der am dichtesten besiedelten Wüste der Welt, bleibt beschwerlich.
Politisch sind die Fürstentümer Vergangenheit. Aber sie wirken nach. Wer heute durch Rajasthan reist, erreicht alle paar Stunden eine ehemalige Hauptstadt: Jaipur, Jodhpur, Jaisalmer, Bundi, Udaipur. Auf eine stolze Geschichte gestützt, rappelt sich Rajasthan auf. Es ist noch immer ein Land märchenhafter Träume, das Menschen und Götter gleichermaßen geformt haben. Alte Heiligtümer und Legenden prägen die Region. Im gleißenden Sonnenlicht glitzern prunkvolle Paläste. Gewaltige Festungen wachsen aus dem felsigen Untergrund. Bunte bemalte Elefanten prozessieren vor kunstvoll verzierten Tempeln. Schaulustige in farbenfrohen Stoffen und luftigen Saris jubeln ihnen zu. Rauschende Feste werden gefeiert. Schwere goldene Ohrringe hängen an ausgeweiteten Ohrläppchen.
Rajasthan gehört zu den abwechslungsreichsten Bundesstaaten Indiens und bietet viel mehr als nur Historie. Etwa zweihundert Dialekte werden hier gesprochen. Heilige Ratten und seltene Tiger leben im Land, das auch für seine faszinierenden Turbane bekannt ist. In kräftig leuchtenden Farben sitzen sie auf den Köpfen der einheimischen Männer. So bunt wie kaum eine andere Region werden in Rajasthan selbst die Städte nach Farben benannt.
Doch die Region kämpft mit neuen Problemen. Der Tourismus, Rajasthans wirtschaftliches Standbein, wuchert über die Leistungsfähigkeit der Infrastruktur hinaus. In der Wüste droht gleich mehreren Städten der Verlust des Grundwassers. Zu viele Besucher drängen in die historischen Stätten und verbrauchen die begrenzten Ressourcen.
Die alten Festungen sind mal wieder bedroht. Diesmal reicht die Kampfkunst der Rajputen allein nicht aus. Die Nachfahren der stolzen Fürsten stehen neuen Herausforderungen gegenüber. Ob sie die passenden Antworten finden, wird die Zukunft zeigen.
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Aus dem hohen Norden Deutschlands hinaus in die Welt: 2011 zieht es Morten und Rochssare für zwei Jahre per Anhalter und mit Couchsurfing auf den südamerikanischen Kontinent. Genauso geht es nun weiter. Jetzt jedoch in die andere Richtung. Seit 2014 trampen die beiden auf dem Landweg von Deutschland nach Indien und weiter nach Südostasien. Es gibt noch viel zu entdecken.
Von ihren Abenteuern und Begegnungen erzählen sie in ihren Büchern „Per Anhalter durch Südamerika“ und „Per Anhalter nach Indien“, jeweils erschienen in der National Geographic Reihe bei Malik.