Wir verlassen Kerman in Richtung Osten. Unser Ziel ist die Oasenstadt Bam. Lediglich 190 Kilometer trennen die beiden Städte und so lassen wir es gemütlich angehen. Wir haben Zeit. Erst am frühen Nachmittag stehen wir an der Straße hinter Kerman.
Wenig später sitzen wir bereits neben einem kleinen, verschwitzten Mann mit wildem Haar und hervorstehenden Augen. Entlang der Wüste Lut fahren wir in einem der wenigen PKWs, die sich über den Asphalt quälen. Im Auto ist es stickig und heiß. Nur langsam kommen wir voran.
Am frühen Abend erreichen wir Bam und weil wir hier keinen Gastgeber über die Plattform Couchsurfing finden konnten, schlagen wir unser Zelt im Stadtpark Bisto-do Bahman auf. Pfade führen an gepflegten Beeten und Rasenflächen vorbei, vereinzelte Baumgruppen ragen in den Himmel. Jetzt, in den Abendstunden spazieren nur wenige Menschen durch die Anlage. Ein paar Jugendliche streunen feixend in unserer Nähe herum.
Iraner sind die Weltmeister im Campen und Picknicken. In den Stadtparks, am Strand, auf Wiesen oder an Flussläufen, überall schlagen sie ihre Zelte auf oder strecken sich auf ausladenden Decken. Unser Lager erregt deshalb auch keinerlei Aufsehen.
Die Zitadelle von Bam
Bam ist berühmt für seine süßen Datteln, die hier in den Oasen der Umgebung an tausenden Palmen wachsen, und für seine historische Stadt mit der Zitadelle Arg-e Bam. Es heißt, Bam sei von den Sassaniden gegründet, die im 3. Jahrhundert über Persien herrschten. Doch archäologische Funde lassen eine viel ältere Siedlungsgeschichte vermuten.
Bam, ähnlich wie Kerman, spielt seit jeher eine bedeutende Rolle entlang der Handelsrouten zwischen dem indischen Subkontinent und dem Persischen Golf und Europa. Die Stadt ist eine der wichtigsten Stationen auf der Seidenstraße und für die eigene Textilproduktion bekannt. Im 10. Jahrhundert wird die Festung Arg-e Bam erbaut, die sich auf einem Felsen hoch über der Stadt erhebt.
In den folgenden Jahrhunderten bauen verschiedene Herrscherdynastien Bam immer weiter aus. Ihr größtes Ausmaß erreicht die Stadt zur Zeit der Safawiden zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert. Im typischen Stil persischer Wüstenarchitektur errichtet, sind die Gebäude ausschließlich aus Lehmziegeln gefertigt. Ihre sandfarbenen Wände erinnern an die Altstadt von Yazd. Doch die Ausmaße des historischen Bams sind viel gewaltiger. Rund 180.000 Quadratmeter, etwa 25 Fußballfelder, umschließt die Anlage. Zusammen mit der erhabenen Zitadelle gilt sie bis heute als die größte Lehmziegelstadt der Welt.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts reichen die alten Mauern ihren Bewohnern jedoch nicht mehr aus. Bam wird verlassen und zwei Kilometer entfernt neu gegründet. Die alte Stadt bleibt allerdings nicht lange verwaist. Stattdessen schwingt sie sich zu einem der schönsten und wertvollsten touristischen Sehenswürdigkeiten des Landes auf. Besucher aus aller Welt zieht es hierher.
Dann erschüttert im Dezember 2003 ein Erdbeben der Stärke 6,6 Bam und die Welt. Die Zitadelle und die Lehmziegelstadt werden völlig zerstört. Selbst das moderne Bam ist nach dem Beben zu etwa 70 Prozent verwüstet. Quelle berichten von 30.000 bis 43.000 Toten und genauso vielen Verletzten. Bam steht unter Schock und die internationale Gemeinschaft schaut erschüttert auf die kleine Stadt.
Die UNESCO reagiert wenige Monate später: Sie erklärt Bam zunächst zum Weltkulturerbe und stuft sie gleichzeitig als gefährdete Stätte ein. So sollen Fördermittel den Wiederaufbau der Festungsanlage unterstützen. Auch das Auswärtige Amt engagiert sich. Seitdem restaurieren 150 Archäologen, Ingenieure und Arbeiter einige der eingestürzten Gebäude.
Noch heute rekonstruieren sie Häuser und Festungsmauern, bewahren Lehmwände mit Stützpfählen vor dem Kollaps. Doch noch immer prägt Verwüstung die Anlage. Beinahe 15 Jahre liegt das Erdbeben nun zurück und noch immer gleicht die Anlage einer schäbigen Baustelle. Den Komplex wieder vollständig aufzubauen erscheint momentan unmöglich.
Ein Spaziergang durch die Gassen des alten Bam ist daher etwas trübsinnig. Überall bröckeln zusammengefallene Mauern vor sich hin. Allein die Größe des Komplexes lässt noch immer die einstige Pracht erahnen. Dennoch sind wir enttäuscht. Der einstige Höhepunkt jeder Iranreise; er ist Geschichte.
Wenigstens ist das moderne Bam wieder hergestellt. Dazu gehören auch ein erdbebensicherer Basar, ein neues Stadion, Eigenheime und Regierungsgebäude. Nicht wenige sagen, das wiederaufgebaute Bam sei besser als das Bam vor 2003.
Hinter der Stadt nähern wir uns immer weiter den Grenzgebieten zu Afghanistan und Pakistan. Die Region Belutschistan, die nun vor uns liegt und weit über die Landesgrenzen des Iran hinaus reicht, geriet in der Vergangenheit immer wieder durch Touristenentführungen in die Schlagzeilen. Zuletzt wurde ein Japaner 2007 hier in Bam entführt und mehrere Monate festgehalten.
Derlei Nachrichten, obwohl bereits zehn Jahre alt, erzeugen noch immer eine diffuse Nervosität. Ein langer Weg liegt vor uns. 333 Kilometer sind es bis nach Zahedan, der letzten iranischen Stadt vor der Grenze zu Pakistan.
Mit der iranischen Polizei nach Zahedan
Es ist zehn Uhr morgens, die Sonne scheint. An der Straße nach Zahedan überqueren wir einen Kreisverkehr mit den üblichen Taxifahrern. „Hello Mister“ und „Where are you going?“ rufen sie uns hinterher, als wir weiter zu einer Tankstelle laufen und wenige Meter danach unser Schild mit der Aufschrift „Zahedan“ den Autofahrern entgegenhalten.
Es dauert keine fünf Minuten, da stehen zwei junge Soldaten neben uns. Die beiden sind höchsten 20 Jahre alt. Ihnen ist offensichtlich langweilig, denn sie machen es sich zur Aufgabe mit uns zu warten.
Doch irgendwann verschwinden sie. Das Letzte, was wir von ihnen sehen, ist die Staubwolke des Motorrads auf dem sie Platz genommen haben. Dann, wir warten bereits zwei Stunden, hält Hossein, ein älterer Herr in Hemd und Jackett. Mit ihm wollen wir ins 40 Kilometer entfernte Narmashir, wo die Straße nach Norden in Richtung Zahedan abbiegt.
Doch gleich hinter Hossein bremst die Polizei, die bereits bestens über uns und unser Ziel informiert ist. Erstaunlich, woher die Beamten so viel über unsere Reise wissen. Hossein ist der Leidtragende. Seine Daten werden aufgenommen, überprüft und erst dann, dürfen wir einsteigen.
Nun folgen wir dem Polizeiwagen, in dem bereits ein Soldat mit Maschinengewehr sitzt. Wir schleichen geradezu über die Straße. Mehr als 40 Stundenkilometer sind nicht drin. Wir wollen uns bei Hossein für die Unannehmlichkeiten entschuldigen, doch dieser winkt lächelnd ab. Er stört sich überhaupt nicht an der Eskorte. Stattdessen ist er sogar stolz, dass die iranische Polizei die Bürger und ihre Gäste so gut beschütze.
Auf gerade einmal zwanzig Kilometern wird unsere Eskorte drei Mal abgelöst. Kurz vor Narmashir verabschieden wir uns von Hossein an einem Militärposten. Ein viertes Polizeifahrzeug rollt vor, in das wir nun einsteigen sollen. Der obligatorische Soldat mit seinem halbautomatischen Gewehr sitzt auf dem Beifahrersitz vor uns. Der Wagen biegt auf die Straße nach Zahedan. Draußen zieht die Wüste Lut vorbei.
Beinahe viertelstündlich wechseln wir das Fahrzeug. Mal hocken zwei Soldaten auf der offenen Ladefläche eines Pickups neben unserem Gepäck, mal bewachen sie dort auch uns. Unsere Begleiter sind streng. Sie verbieten sich jegliche Fotografie. Stattdessen dokumentieren sie unsere Fahrt bis ins Detail. Immer wieder müssen wir unsere Daten auf ein Papier kritzeln, die dann von mehreren Beamter per Unterschrift beglaubigt werden. Wir sind eine Hochsicherheitsware.
Mitten in der Wüste findet, szenisch perfekt inszeniert, ein Touristenaustausch statt. Unsere neue Mitfahrgelegenheit übergibt eine Chinesin an unsere alte Mitfahrgelegenheit, die nun zurück in Richtung Bam reist.
Wenig später kauern wir auf der Ladefläche eines weiteren Militär-Pickups neben zwei jungen Soldaten und rasen durch die Wüste. Stürmisch zerrt der Wind an unseren Haaren, peitscht Sand und Staub gegen unsere Körper. Mittlerweile haben wir jedes Gefühl für Zeit und Entfernungen verloren. Fahren wir schon zwanzig oder dreißig oder noch mehr Kilometer?
Immer weiter brettern wir durch die Wüste, als uns ein weiteres Militärfahrzeug verfolgt. Auf seiner Ladefläche sitzen vier schwer bewaffnete Soldaten. Mit der Kufiya, dem Palästinensertuch, schützen sie sich vor Sonne, Wind und Staub. Lediglich dunkle Augen blinzeln grimmig daraus hervor. Etwa eine Stunde geben sie uns Begleitschutz bis wir die Siedlung Nosrat Abad hinter uns lassen.
Noch sind es etwa 100 Kilometer bis nach Zahedan und über uns ziehen dunkle Wolken auf. Wenig später beginnt es zu regnen. Wir wechseln noch etliche Male das Fahrzeug und erreichen erst bei Einbruch der Dunkelheit eine Polizeistation in Zahedan.
Hier treffen wir unseren Gastgeber Hessam. Hinter dicken Brillengläsern wandert ein schüchterner, angespannter Blick hin und her. Lieber hätte es Hessam gesehen, wenn wir Zahedan allein erreicht hätten. Überhaupt sei man im Iran immer besser dran, wenn man die Polizei meiden könne. In der Wache erledigen wir Papierkram. Hessam verpflichtet sich für uns bürgen, solange wir in der Stadt sind. Mittlerweile ist es Nacht geworden.
Zahedan, die Hauptstadt der zusammengeschlossenen Provinzen Sistan und Belutschistan, ist die wichtigste Bastion der iranischen Sunniten. Nur etwa 40 Kilometer vom Dreiländereck Iran-Afghanistan-Pakistan entfernt, befindet sich die Stadt fest in die Hand terroristischer Splittergruppen. Immer wieder kommt es hier zu Angriffen auf das iranische Militär und die schiitische Zivilbevölkerung.
Obwohl die Anschläge seit 2010 spürbar zurückgegangen sind, gilt Zahedan noch immer als latent unsicher. Trotzdem halten Reisende auf dem Weg nach Osten, nach Pakistan und Indien, immer wieder hier an. Ausländer sind hier nicht das Ziel der Terroristen. Dafür ist die Stadt zu wichtig. Die große Aufmerksamkeit der Weltpresse passt ihnen nicht ins Geschäft.
Couchsurfen in Zahedan
In Hessams Zweizimmerwohnung lernen wir seine Frau Azadeh und die gemeinsame kleine Tochter Somi kennen. Somi ist ein Einzelkind – verwöhnt, quengelnd und sich stets der Aufmerksamkeit ihrer Mutter sicher. Die Wohnung im ersten Stock eines Mehrparteienhauses gehört eigentlich Hessams Eltern. Zur Miete hätte er sie sich trotz mehrerer Jobs nicht leisten können.
Azadeh werkelt in der offenen Küche, die an das geräumige, mit dicken Teppichen ausgelegte Wohnzimmer grenzt. Hier serviert sie uns kleine, gebratene, pinke Würstchen, Pommes und Fladenbrot. Es ist die günstige Variante zu Reis und Kebab, der üblichen iranischen Esskultur. Hessams Familie leidet wie viele andere im Iran an der wirtschaftlichen Schieflage des Landes.
Für fast alles fehlt das notwendige Geld, sei es für gutes Essen oder neue Kleidung. Alltägliches wird durch finanzielle Not zum Besonderen. Zusammen sitzen wir auf dem gepolsterten Wohnzimmerboden. Hessam und Azadeh essen gemeinsam von einem Teller und wir bemerken plötzlich, wie nah wir bereits der Kultur des indischen Subkontinents sind. Zwar langt man überall im Iran gemeinsam in einen Topf, doch bisher aßen unsere Gastgeber immer von einem eigenen Teller.
Denn Rest des Abends verbringen wir gemütlich schwatzend und Wasserpfeife rauchend. Wir sind körperlich und mental erschöpft von der anstrengenden Reise. Unsere Gegenüber sind neugierig. Sie wollen all unsere Erfahrungen und Erlebnisse der letzten zwei Monate im Iran erfahren. Besonders Azadeh ist überzeugt, dass wir den Iran für das beste Land der Welt halten müssen – sie tut es jedenfalls. Aus ihrem Mund klingt ein blinder Jubel auf die herrschenden Zustände.
Im Gegensatz zu ihr hegen wir Zweifel. Gewiss, die Gastfreundschaft der Iraner ist überwältigend, das Essen lecker, die Kultur alt und faszinierend, die Wüsten endlos. Aber wo stehen die gesellschaftlichen Grundrechte? Meinungs- und Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, unabhängige Rechtsprechung – all das sucht man im Iran der Gegenwart vergebens.
Wir schlafen früh auf bequemen, ausgerollten Matratzen und dicken Wolldecken im Wohnzimmer. Durch eine Fensterfront schimmert der Schein einer Straßenlaterne herein. Kein Geräusch dringt von der Straße herauf. Nebenan teilen sich Hessam, Azadeh und Somi ein Schlafzimmer.
Wenn ihr unsere Abenteuer und Geschichten gerne auf Papier lesen wollt, dann schaut doch mal hier:
In unserem Buch Per Anhalter nach Indien erzählen wir von unserem packenden Roadtrip durch die Türkei, den Iran und Pakistan. Wir berichten von überwältigender Gastfreundschaft und Herzlichkeit, feiern illegale Partys im Iran, werden von Sandstürmen heimgesucht, treffen die Mafia, Studenten, Soldaten und Prediger. Per Anhalter erkunden wir den Nahen Osten bis zum indischen Subkontinent und lassen dabei keine Mitfahrgelegenheit aus. Unvoreingenommen und wissbegierig lassen wir uns durch teils kaum bereiste Gegenden in Richtung Asien treiben.
2018 Malik, Taschenbuch, 320 Seiten
Der Markt und die Dealer von Zahedan
Erst am frühen Morgen bricht das Quieken, Brummen und Poltern des Berufsverkehrs die Stille. Von Hessam lassen wir uns wenig später durch die Stadt führen. Zahedan ist ein riesiger Markt. Die Stadt pulsiert. Von überall strömen Menschen herbei, quetschen sich durch enge Gassen und über schmale Fußwege, die auch noch von mobilen Verkaufsständen eingenommen werden
Hier auf dem Bürgersteig werden tragbare Gasöfen und Stoffbaren, aber auch Taschen und Schuhe angeboten. Ein vielleicht Vierzehnjähriger verkauft von einer vollbeladenen Holzkarre Pistazien, Cashews, Mandeln und Trockenfrüchte.
Viele Männer auf den Straßen tragen ihr Shalwar Kamiz, die traditionelle Kleidung der Belutschen. Sie besteht aus einem weiten, langärmligen, einfarbigen Oberteil, das bis zu den Knien reicht, und einer luftigen Pumphose in der gleichen Farbe. Manche von ihnen schützen sich zusätzlich mit dicken Jacken gegen die winterliche Kälte. Das Gedränge in den Gassen nimmt noch weiter zu, als wir in das Basargebäude treten.
Unter hohen Deckenkuppeln aus Backstein schiebt uns eine undurchdringliche Menschenmasse vorwärts. Kleidungsgeschäfte, Haushaltsutensilien, Obst- und Gemüsestände ziehen an uns vorbei. Stoffe hängen an den umliegenden Wänden, Säcke voller Nüsse und Trockenfrüchte, Gewürze und Reis verengen die Gänge.
In der Menge drängeln sich Kinder zwischen den Beinen der Erwachsenen hindurch. Mit geheimnisvollen Blicken bieten uns die Knirpse in merkwürdiger Häufigkeit Kartenspiele an. Im Iran, so erklärt Hessam, ist Glücksspiel verboten. Spielkarten sind nicht einfach zu bekommen.
Doch hier in Zahedan stehen die Karten als Synonym für alles Illegale. Wer Spielkarten anpreist, meint eigentlich Alkohol, Opium und vermutlich noch das eine oder andere mehr. Ganz nah an der Grenze zu Pakistan und Afghanistan floriert das Geschäft mit Schmuggelware. Zahedan, 1.600 Kilometer von Teheran entfernt, ist isoliert vom Rest des Landes. Weit weg von den Autoritäten des Iran, aber nah an den Rückzugsgebieten islamistischer Terrorgruppen in der Grenzregion zu Afghanistan und Pakistan. Auch deshalb prägen religiöse Spannungen die Stadt.
Zahedan und die Terrorgruppen
Obwohl die Bevölkerung im Iran überwiegend schiitisch ist, leben in Zahedan und der dazugehörigen Provinz Belutschistan vor allem Sunniten. Ihr wichtigstes Zentrum ist die Makki Moschee mitten in der Stadt. Im Jahr 2010 erweitert und mit vier hohen, freistehenden Minaretten versehen, bietet sie auf 50.000 Quadratmetern tausenden Gläubigen Platz. Ihre Mullahs nehmen auf die gesamte sunnitische Gemeinschaft in der Region Einfluss.
Auch viele Afghanen leben und beten hier, die nach dem Einmarsch der Sowjetunion in den 1980er Jahren in den Iran flohen. Doch sie sind nicht die einzigen. Die Kleriker der Makki Moschee halten Verbindungen zu verschiedenen Terrorgruppen, von denen die Taliban und Al Qaida die bekanntesten sind.
Die sogenannte Sauerland-Gruppe, die 2007 in Deutschland festgenommen wurde, soll sich hier aufgehalten haben, bevor sie ihren Weg nach Pakistan fortsetzte, um dort an einem islamistischen Ausbildungslager teilzunehmen.
Abendessen mit der Familie
Lediglich zwei Stunden dauert die Stadtbesichtigung mit unserem Gastgeber. Zahedan hat kaum Sehenswertes zu bieten. Am Abend besuchen wir Hessams Familie, seine Onkel, Tanten und Cousins. Wir sind zum Essen bei Hassan eingeladen. Hessams Onkel ist ein dicker, lustiger Mann, der genauso gerne lacht, wie er isst. Von unserer Idee nach Pakistan zu reisen ist er aber ebenso wenig überzeugt, wie alle anderen Anwesenden.
Da seien doch so viele Terroristen und sicher ist es dort auf gar keinen Fall. Es sind dieselben Bedenken, die wir zuvor in anderen Teilen des Iran über Zahedan gehört haben. Es sind dieselben Bedenken, die in der Türkei über den Iran geäußert wurden. Bestätigt haben sie sich nie. Auch Hessams Familie hat noch keinen Fuß ins Nachbarland gesetzt und ihr gesamtes Wissen über Pakistan beruht auf Hörensagen.
Kurz vor dem Abendessen trudelt der letzte Ankömmling ein. Es ist Farzad, Hessams Cousin und Hassans Sohn. Er studiert an der Universität in Zahedan und ist das, was wir als Muttersöhnchen bezeichnen würden. Selbstständigkeit kennt der junge Mann nicht. Alles in seinem Leben lässt er seine Mutter erledigen – Wäsche waschen, kochen, einkaufen, Behördengänge. Und seine Mutter? – Sie ist stolz auf ihren Sohn und auf sich selbst.
Natürlich wisse Farzad nicht, wie man ein Spiegelei zubereite, erklärt sie, schließlich würde sie das immer für ihn übernehmen. Aus ihrer Sicht wäre ein selbstständiger Sohn ein Beleg für ihre eigene Untauglichkeit. Wir verbringen den Abend mit der Familie, entspannen bei starkem, heißem Chai und bevor wir gehen, packt man uns zum Abschied reichlich übriggebliebenes Essen ein.
Zurück bei Hessam stopfen wir eine letzte Wasserpfeife und am nächsten Morgen bringt uns unser Gastgeber in aller Frühe zu einer Polizeistation am Stadtrand. So war es bereits bei unserer Ankunft mit den Autoritäten vereinbart.
Zwischen Sandsturm und Gewehrsalven
Doch einmal angekommen stellen wir fest, dass gar keine Eskorte für die Weiterfahrt an die pakistanische Grenze bereit steht. Der Polizist, dem wir unsere Situation erklären, weist uns mürrisch zurück. Wir sollen draußen an der Straße warten. Es ist gerade erst sieben Uhr dreißig, als wir uns auf den staubigen Boden neben der geschlossenen Einfahrt setzen. Hessam ist bereits verschwunden. Wir lehnen an der Wand der Wache.
Wind fegt Sand und Schmutz in Böen über eine von Rissen und Schlaglöchern gezeichnete Asphaltstraße. Trostlos führt sie in die Wüste. Ein staubiger, beigefarbenen Schleier lässt alle Formen in der Entfernung verschwimmen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ragt eine mit Stacheldraht bewehrte Mauer empor. Plastiktüten, vom Wind hierher getrieben, hängen zu dutzenden im Drahtgeflecht.
Anderthalb Stunden warten wir, bis ein Polizist in Zivil in unsere Nähe tritt. Der Mann sieht aus wie ein heruntergekommener Privatdetektiv aus einem Budget-Krimi. Alles an ihm ist nachlässig, die Kleidung, die Rasur, das Gesicht. Natürlich steckt seine Dienstwaffe auch nicht im Halfter, sondern im Hosenbund.
Mit gefühlt 150 Stundenkilometern jagen wir durch die Wüste. Der Motor jault laut über der holprigen Straße. Nach ungefähr dreißig Kilometern, einem knappen Drittel der Strecke bis zur pakistanischen Grenze, biegen wir von der Straße ab und parken vor dem Tor eines Militärpostens.
Ein Sandsturm zieht auf und während der heruntergekommene Privatdetektiv seinen Wagen wendet und zurück nach Zahedan braust, kauern wir uns hinter einer gelben Betonsperre und versuchen dem harschen Wetter zu trotzen. Als der raue Wind immer unbarmherziger tobt, werden wir vom diensthabenden Wachpersonal schüchtern in die Eingangsschleuse gebeten. Geschützt vor Wind und Staub beobachten wir, wie sich draußen ein paar Soldaten in Mauernischen verstecken und dennoch vom umherwirbelnden Sand gepeitscht werden.
Im Innenhof des Militärpostens stehen ein paar Baracken umzäunt von hohen Mauern und Stacheldraht. Einige Zeit sitzen wir mit zwei jungen Soldaten herum, ohne so recht zu wissen, was nun passieren wird. Als der befehlshabende Kommandant eintritt, stehen die beiden Soldaten zackig gerade.
Zu uns ist der Ranghöhere ausgesprochen freundlich. Doch seine Laune verdunkelt sich bereits nach wenigen Augenblicken. In knappen, scharfen Worten bellt er den Rekruten entgegen, warum uns Gästen noch nichts angeboten wurde. Nur wenige Minuten später serviert man uns Spiegelei und Tee zum Frühstück.
Auf einer offenen Ladefläche geht es weiter in Richtung Pakistan. Um uns herum tobt der Sturm immer heftiger durch die Wüste. Feine Sandkörner dringen in jede Öffnung unserer Kleidung, knirschen zwischen den Zähnen. In regelmäßigen Abständen wechseln wir das Fahrzeug, begrüßen neue Soldaten, die uns freundlich, aber auch streng durch die Wüste befördert.
Wir passieren Militärposten vor denen junge Rekruten Gewehrsalven durch den Sturm krachen lassen – Schießübungen in der Wüste und wir sitzen wie selbstverständlich daneben.
Dann werden wir auf die Rückbank eines maroden Geländewagens gebeten. Doch noch während wir die Tür öffnen, fallen uns vier oder fünf Gewehre entgegen und landen dumpf auf dem sandigen Boden. Mit mürrischem Blick befördert einer der uns begleitenden Soldaten die Waffen zurück in die Mitte der Rückbank.
Dort liegen sie lose zwischen einem uralten Feldtelefon und den Lehnen der vorderen Sitzreihe. Vor uns quetschen sich drei Soldaten auf den Beifahrersitz. Vier weitere Soldaten kauern auf der Ladefläche hinter uns im Sturm. Mit rauen Wolldecken schützen sie sich vor dem wirbelnden Sand.
Ein letztes Mal wechseln wir das Fahrzeug. Ungefähr zwanzig Kilometer vor der Grenze warten wir auf ein paar alten Autoreifen sitzend in der Mittagssonne. Der Sturm hat nachgelassen und wirbelt den Sand nur noch bis in Kniehöhe auf. Unser letzter Transport auf iranischem Boden wird nur noch von einem einzigen Soldaten eskortiert.
An der iranisch-pakistanischen Grenze, abgeschieden in der Wüste, befindet sich ein überraschend großes Migrationsgebäude. In seinem Inneren bietet uns ein weitläufiger, gefliester Saal Schutz vor der Hitze.
Wir sind die einzigen Reisenden hier und kommen uns ziemlich verloren vor. Die Grenzbeamten haben sich gerade erst in ihre Mittagspause verabschiedet. Wir sind erschöpft, verschwitzt, durstig und überall am Körper mit feinen Sandkörner verklebt. Zahedan liegt nur 100 Kilometer hinter uns, aber es erscheint wie eine Ewigkeit, dass wir uns von Hessam verabschiedeten.
Auf einer Bank im Wartesaal lassen wir uns nieder. Knapp anderthalb Stunden passiert nichts, bevor unsere Dokumente geprüft und wir letztendlich mit einem freundlichen Lächeln aus dem Iran entlassen werden. Draußen heult der Sturm erneut über die Ebene, als wir von iranischen Soldaten an ihre Kollegen im Nachbarland übergeben werden.
Auf der pakistanischen Seite betreten wir eine kleine Hütte, lassen uns auf einer Holzbank nieder, auf der sich bereits ein schmaler Käfig mit einer gefangenen Wachtel befindet. Wuchtig saust der Einreisestempel auf unsere Visa. Jetzt sind wir da, im vielleicht gefährlichsten Land dieser Reise – Pakistan.
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Aus dem hohen Norden Deutschlands hinaus in die Welt: 2011 zieht es Morten und Rochssare für zwei Jahre per Anhalter und mit Couchsurfing auf den südamerikanischen Kontinent. Genauso geht es nun weiter. Jetzt jedoch in die andere Richtung. Seit 2014 trampen die beiden auf dem Landweg von Deutschland nach Indien und weiter nach Südostasien. Es gibt noch viel zu entdecken.
Von ihren Abenteuern und Begegnungen erzählen sie in ihren Büchern „Per Anhalter durch Südamerika“ und „Per Anhalter nach Indien“, jeweils erschienen in der National Geographic Reihe bei Malik.
Vielen Dank für die ausführliche Beschreibung. Hilft echt weiter, wenn man weiß, was einen erwartet.