Jaipur, Rajasthan, Titel
Die Rosa Stadt: Wohlstand ohne Geschichte

Jaipur in Rajasthan


13. Dezember 2020
Indien
Schreibe etwas

In Jaipur, der Hauptstadt Rajasthans, spazieren wir durch die schattigen Arkaden der Altstadt. Dreihundert Kilometer südwestlich von Delhi gehört Jaipur zum goldenen Dreck Indiens: Delhi, Agra, Jaipur – wer durch den Norden Indiens reist, kommt nur schwer an diesen drei Städten vorbei. Doch während Delhi und Agra mit viel Charme und jahrhundertealter Geschichte völlig zu Recht Touristenmagneten wurden, ist Jaipur in unseren Augen wenig inspirierend. Daran ändert auch die UNESCO nichts, die die Altstadt Jaipurs 2019 zum Weltkulturerbe erklärt.

Hier, zwischen den historischen Stadtmauern, liegt Indiens erste Planstadt. Sauber gezogene Quadranten, netzartig angeordnete Straßen und dazu ein architektonischer Stil, der muslimische und hinduistische Elemente miteinander kombiniert. Jaipurs Altstadt ist hübsch, aber ihr fehlt das indische Durcheinander, fehlt die wilde, treibende Energie, die so typisch ist für den Subkontinent. Es fehlt die faszinierende Enge der Masse, die viele Individuen zu einem lebendigen Organismus zusammenfügt.

Handwerk und Handel sind in den auffällig sauberen Gassen ansässig. Werkstätten und Ausstellungsräume reihen sich aneinander. Doch es ist kaum möglich einen Blick hinein zu wagen, ohne von gewieften Händlern in ein Verkaufsgespräch gezogen zu werden.

Textilhändler in Jaipur, Rajasthan, Indien
Textilhändler in Jaipur, Rajasthan, Indien
Textilhändler in Jaipur, Rajasthan, Indien

Die Aufdringlichkeit, so scheint es, ist in Jaipur auf eine besonders hohe Stufe geklettert. Das ist erst mal nicht dramatisch, denn Jaipur ist eine touristische Hochburg. Hier gehören Nepper und Scharlatane wie überall auf der Welt ganz natürlich zu den Ahnungslosen und Leichtgläubigen. Es ist die Ambivalenz der Dinge, die sie zusammenbringt. Möglichkeiten werden genutzt und Unbedarftheiten ausgenutzt. Auch wir sind nicht davor gefeit.

Doch anders als in Delhi oder Mumbai, wo jeder gierige Versuch, uns übers Ohr zu hauen, an anderer Stelle mit Herzlichkeit und Güte relativiert wird, erleben wir Jaipur wie einen Kopfsprung ins Haifischbecken. Dieser Eindruck ist rein subjektiv und ganz uns selbst geschuldet. Mal ziehen wir das Chaos an und an anderen Tagen etwas gänzlich anderes.

Schmuckhändler in Jaipur, Rajasthan, Indien
Schmuckhändler in Jaipur, Rajasthan, Indien
Schmuckhändler in Jaipur, Rajasthan, Indien

Jaipur, die rosafarbene Stadt

Jaipur ist seit dem ersten Tag seiner vergleichsweise jungen Geschichte eine Handelsstadt. Im Clangebiet der Rajputen und mit relativer Nähe zu Delhi wächst sie schnell zum Wirtschaftszentrum der Region. Ihr Gründer und Namensgeber Jai Singh II. zieht 1727 aus seiner Felsenfestung Amber, nur wenige Kilometer nördlich gelegen, in die Ebene. Hier lässt er nicht nur Werkstätten und Lagerhäuser errichten, sondern fördert auch Kunst, Kultur und Handwerk.

Besonders Juwelen haben es ihm angetan, für deren Verarbeitung Jaipur bis heute berühmt ist. Wie bereits Generationen vor ihm, so ist auch Jai Singh II. mit den Moguln aus Delhi verbündet. Er steht in ihrer Abhängigkeit und fördert mit der Großmacht im Rücken zugleich den Wohlstand in seiner Stadt. Doch dabei bleibt es nicht. Obwohl Jaipur immer wieder in Querelen mit anderen Rajputen-Clans verwickelt ist, steigt die Stadt bald zum Machtzentrum der Region auf.

Bis heute ist Jaipur die wohlhabendste Stadt in Rajasthan und eine der am schnellsten wachsenden Städte der Welt. Zugleich gehört Jaipur zu den zwanzig indischen Großstädten, die akut um ihre Grundwasserreserven bangen. Ein Rückbau ist nicht in Sicht. Indien hat einen eigenen Weg, mit derartigen Problemen umzugehen: „If you can`t fix it, romanticise it“, lernen wir in Kolkata von unserem Freund Rahul. Und so ist die Altstadt Jaipurs ein lebendiges Museum. Herausgeputzt mit Farben und Formen und dem Charme einer verblassenden Grandeur. Hoch aufragenden Mauern und Tore umschließen den historischen Stadtkern, der gemeinhin als „Pink City“ bekannt ist, jedoch eher nach Terrakotta aussieht. Alle Gebäude sind hier Ton in Ton. Geschäfte und Werkstätten, Tempel, Villen und Paläste zieren die traditionelle Farbe der Gastfreundschaft.

Jaipur, Rajasthan, Indien
Jaipur, Rajasthan, Indien
Jaipur, Rajasthan, Indien

Hawa Mahal, der Palast der Winde

Der Hawa Mahal, der Palast der Winde, ist eine der wenigen tatsächlichen Sehenswürdigkeiten Jaipurs. Er gehört in seiner luxuriösen Verschwendung zum Stadtpalast der einst herrschenden Maharajas. In diesem nur wenige Meter tiefen und fünf Stockwerke hohen Gebäude konnten die Haremsdamen an Festtagen Paraden und Umzüge beobachten. Hunderte vergitterte und kunstfertig verzierte Fenster und Balkone ermöglichten es ihnen zu sehen, ohne gesehen zu werden. Die Fassade des Hawa Mahal ragt noch immer hoch über die Dächer der Altstadt empor.

Um ihn herum verlaufen breite Straßen und Plätze. Sie bieten Platz für die Touristen, die hier in den Schätzen des Subkontinents stöbern. Edler Schmuck und feine Stoffe sind bis heute die wichtigsten Handelsgüter der Stadt. Jaipur ist ein globales Zentrum für die Verarbeitung von Edelsteinen und Halbedelsteinen. In den Werkstätten schleifen und polieren Arbeiter wertvolle Steine, setzen sie in goldene Fassungen, formen Ringe, Ketten und Anhänger. In den Marktstraßen fliegen farbenprächtige Stoffe umher. Seide wird ebenso angepriesen wie Teppiche und Tischdecken, die den weiten Weg aus Afghanistan und angeblich sogar aus Pakistan gekommen sind. Baumwolle und Leinen, zu prächtigen Kleidern und Tüchern vernäht, stapeln sich bis unter die Decke der Geschäfte.

Draußen trottet eine Kuh aus dem Schatten heraus, kaut mit ausdruckslosem Blick auf einem Stück Pappe. Mopeds knattern vorbei. Die Straßen füllen sich irgendwann, doch selbst dann bleibt Indiens eigene urbane Hektik außerhalb der Stadtmauern.

Jaipur wirkt auf uns ein bisschen aufgesetzt. Ein Laientheater. Der Stadt fehlt das Ambiente. Wäre das stolze, traditionsbewusste Rajasthan die Bundesliga, dann wäre Jaipur ein Fußballverein aus Leipzig. Erfolgreich, aber ohne Geschichte. Als Stadt hat Jaipur nicht viel zu erzählen. In der jahrtausendealten Kulturgeschichte Indiens spielt sie keine Rolle.

Hawa Mahal in Jaipur, Rajasthan, Indien
Hawa Mahal in Jaipur, Rajasthan, Indien

Amber Fort

Gut zehn Kilometer außerhalb der Stadt thront das Amber Fort auf einem Felsen; so wie alle Festungen in Rajasthan auf Felsen thronen. Es ist ein gewaltiges Ding. Erhaben ragt sie über den Maota See. Gepflasterte Wege führen vom Wasser den Hang hinauf. Tore versperrten einst den Zugang zur Festung, die uns nun, wie allen anderen Besuchern offen stehen.

Ein paar Herrschergenerationen werkelten an diesem Machtbeweis. Bis heute ist der Komplex mit all seinen Innenhöfen, Hallen und Gemächern fantastisch anzusehen. Hier ist es, wo wir ein wenig Ruhe finden. Ruhe inmitten einer wuseligen Besucherschar. Doch ist im Amber Fort jeder mit sich selbst und dem alten Gemäuer beschäftigt. Niemand versucht uns etwas aufzuschwatzen, niemand eilt uns eifrig hinterher, niemand verlangt unaufgefordert irgendetwas von uns.

Im Amber Fort atmen wir endlich etwas durch. Doch die Mauern um uns herum sind nur eine Kulisse, ein Zerrspiegel der Vergangenheit. Jaipur ist Wirklichkeit und dorthin kehren wir bald schon wieder zurück.

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Amber Fort, Jaipur, Rajasthan
Amber Fort, Diwan i Khas, Jaipur, Rajasthan
Diwan i Khas, die Halle der Privataudienzen im Amber Fort

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