Udaipur, Rajasthan, Indien, Titel
James Bond, Prinz Khurram und die Eleganz einer Stadt

Udaipur und der Wille zur Dekadenz


17. Oktober 2020
Indien
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Elegante Herren in weißen Anzügen, koloniales Ambiente, schwere Möbel, eine schöne Blondine, gezinkte Würfel, dazu Roger Moore in geheimer Mission. Easy come, easy go. Die Palastinsel auf dem Pichola See in Udaipur ist nicht erst seit Octopussy eine beliebte Filmkulisse. Noch bevor ein schnöseliger James Bond hier Backgammon spielt, drehen die Studios aus Hollywood und Bollywood regelmäßig in Udaipur. Selbst deutsche Kinoproduzenten scheuen den weiten Weg nach Rajasthan nicht.

Auch in der Literatur taucht die Stadt auf. Rudyard Kipling lässt den schwarzen Panther Bagheera im Königspalast in Udaipur in einem Käfig aufwachsen, bevor er in den Dschungel flieht und dort Balu und später Mowgli begegnet.

Udaipur inspiriert. Schön ist es hier zwischen den getünchten herrschaftlichen Gebäuden. Paläste und Havelis säumen die Straßen. Die sanft geschwungenen Hügel des Aravalligebirges umgeben die Stadt im Süden Rajasthans, die sich um das Ufer des Pichola Sees schmiegt. Mit seiner Eleganz ist Udaipur ein Besuchermagnet. Aus allen Ecken der Welt strömen sie hierher. Kaum eine Stadt in Indien wird so oft besucht. Ganz besonders Hochzeitspaare verfallen dem Charme Udaipurs und verbringen hier scharenweise die Flitterwochen.

Im Jahr 2018 heiratet Isha Ambani, die Tochter des reichsten Industriellen Indiens, Mukesh Ambani. Die im Hinduismus typische Vor-Hochzeit findet in Udaipur statt. Die Gästeliste ist exklusiv: Hillary Clinton, John Kerry, Shah Rukh Khan und die Bollywood-Elite sind anwesend. Beyoncé tritt für 5000 Gäste auf, die an jedem der sechs Feiertage eingeladen sind. Über einhundert Charterflüge landen für die Hochzeit in Udaipur, die geschätzt einhundert Millionen US-Dollar kostet.

Vor der Kulisse der Stadt wird obszöner Reichtum zelebriert. Selbst die Einladungen zur Hochzeit sind dekadent, bestehen sie doch aus einem mit Edelsteinen gefüllten Präsentschächtelchen im Wert von mehreren Tausend US-Dollar.

Udaipur, Rajasthan, Indien
Udaipur, Rajasthan, Indien
Pichola See, Udaipur, Rajasthan

Udaipur und das Reich Mewar

Udaipur bietet Raum für derartigen Luxus. Vom Gangaur Ghat führt eine Promenade am Pichola See entlang. Auf der einen Seite gluckst das Wasser in leichten Bewegungen ans Ufer. Auf der anderen Seite erheben sich die Herrschaftsgebäude der Vergangenheit mit ihren Balkonen, Kuppeln und Steinmetzverzierungen. Malerisch ist es; mit viel Platz zum Atmen. Tauben flattern über den See. Zwei Inselpaläste ragen aus dem Wasser. Es sind die ehemaligen Sommerresidenzen der Fürsten.

Seit dem sechzehnten Jahrhundert ist Udaipur die Hauptstadt des Reiches Mewar. Die Herrscher amüsieren sich auf dem See, denn hier sind sie unter sich. Royales Blut, abgetrennt vom Elend ihrer Untertanen durch idyllisches Plätschern. Auch die Briten genießen Jahrhunderte später ihre Zeit in Udaipur, wo sie sich als Protektoratsmacht koloniale Vorteile zusichern lassen.

Die größere der beiden Inseln wird von steinernen Elefanten bewacht, die grüßend ihre Rüssel heben. Hier befindet sich der Jag Mandir, ein luftiger, erhabener Palast, umgeben von einem hübschen Garten, sattem Grün und hohen Palmen. Es ist leicht, sich den Adel von Mewar vorzustellen, der hier in eleganten Roben flanierte. Der zukünftige Mogulkaiser Shah Jahan lebt im frühen siebzehnten Jahrhundert im Exil auf dem See. Noch ist er unter seinem Geburtsnamen Prinz Khurram bekannt.

Als erklärter Lieblingsenkel des legendären Großmoguls Akbar, fordert Khurram den Thron des Mogulreiches. Doch da sitzt Jahangir, Khurrams Vater. Jahangir ist ein Kneipenkumpel, aber als Herrscher nicht zu gebrauchen. Opium, Wein und Frauen interessieren ihn mehr als Regierungsgeschäfte.

Prinz Khurram rebelliert 1623 gegen seinen Vater und versaut es im ersten Anlauf. Er flieht nach Mewar. Das Fürstentum ist ihm zugewandt, denn Khurrams Mutter ist eine Rajputen-Prinzessin aus Jodhpur. Der Fürst von Udaipur gewährt dem Prinzen Asyl und Khurram lebt mit seiner Frau Mumtaz Mahal, zu deren Ehren er später das Taj Mahal erbauen wird, und seinen Söhnen Dara und Aurangzeb ein Jahr prächtig auf dem Pichola See.

Damals ist Udaipur gerade erst ein paar Jahrzehnte alt. Die Stadt ist jung, für indische Verhältnisse sehr jung. Gegründet vom Rajputen-Clan der Sisodias besteht die Dynastie bis heute ununterbrochen fort. Die Nachfahren der Mewar-Fürsten leben mittlerweile in der 76. Generation. Auch wenn ihr Titel keine politische Relevanz mehr besitzt, ist das Fürstengeschlecht aus Udaipur möglicherweise die älteste bestehende Dynastie der Welt. Sie haben die Moguln überlebt und die Marathen, die Mewar beinahe zerstörten, bevor sich Udaipur im frühen neunzehnten Jahrhundert mit den Briten verbündete.

Jag Mandir, Udaipur, Rajasthan
im Jag Mandir verbrachte Prinz Khurram sein fürstliches Exil
Jag Mandir, Udaipur, Rajasthan
Jag Mandir, Udaipur, Rajasthan

In der Altstadt von Udaipur

Vom Ufer des Pichola Sees am Gangaur Ghat spazieren wir durch ein prächtiges Tor hinein in die schmalen Gassen der Altstadt. Die gewundenen Wege verlieren sich im Schatten der mehrstöckigen Gebäude. Unzählige hübsche Tempel mit spitz zulaufenden Türmen säumen die Gassen. Menschen und Motorräder drängen sich aneinander vorbei. Gelegentlich verstellt eine Kuh mit ihrem massigen Körper den Weg.

Hier ist es weit weniger herrschaftlich und doch fühlen wir uns in der Zeit zurückversetzt. Udaipurs Altstadt wirkt, als hätte sie auf abenteuerliche Weise den Sprung in die Moderne verpasst. Wahrscheinlich ist James Bond hier noch immer in eine hektische Verfolgungsjagd verwickelt.

Es könnte romantisch sein, doch dann schrillt die Kakofonie des indischen Verkehrschaos durch die überfüllten Gassen, der Blick fällt auf die unsensiblen Hotelbauten, die klobig in der Gegend herum stehen. Udaipur ist schon lange nicht mehr unberührt. Wir entkommen der Hektik auf den Flachdächern. Cafés und Restaurants befinden sich in den obersten Etagen. Über den Dächern schweift der Blick hinüber zum See und den dahinterliegenden Bergen, die sich im Dunst verlieren.

Gangaur Ghat, Udaipur, Rajasthan
das prächtige Gangaur Ghat erhebt sich am Ufer des Pichola Sees
Wandbild, Udaipur, Rajasthan
kolossale Wandbilder sind charakteristisch für die Fürstentümer Rajasthans
Marktgasse in Udaipur, Rajasthan
geschäftige Marktgasse in Udaipur
Pichola See und Stadtpalast, Udaipur, Rajasthan
der Stadtpalast erhebt sich am Ufer des Pichola Sees

Der Stadtpalast der Maharanas

Auch der gewaltige Palast am Ufer des Sees ragt über alle anderen Gebäude empor. Für mehr als dreihundert Jahre residieren hier die Fürsten Mewars, die Maharanas, wenn sie sich nicht gerade auf dem See herum trieben. Der Stadtpalast wurde von mehrere Herrschergenerationen erweitert und ist heute der größte hoheitliche Gebäudekomplex in ganz Rajasthan.

Hinter den gusseisernen Kanonen und den Eingangstoren sind zwei Statuen ins Mauerwerk eingelassen. Sie zeigen den Gott Ganesh, den Bewacher der Tore, und Lakshmi, die Göttin des Wohlstandes. Natürlich! Wen sollten reiche Fürsten auch sonst anbeten? „Bitte lasst niemanden herein, der meinen Wohlstand gefährdet.“ Offenbar war lange Zeit auf die Unterstützung der Götter Verlass.

Die Fürsten von Mewar verstehen sich selbst als Nachkommen der Sonne, als Gesandte des Himmels auf Erden. Der gigantische Palast reflektiert ihren übernatürlichen Status. Mehrere Innenhöfe liegen zwischen den herrschaftlichen Gemächern, die mit Spiegelwänden, Buntglasfenstern und Wandgemälden geschmückt sind. Immer wieder öffnen sich fantastische Ausblicke auf den Pichola See. Weit über der Stadt lebt die Aristokratie hier in sagenhaftem Überfluss, während sich die einfache Bevölkerung in den engen, dunklen Gassen von einem Tag zum nächsten schleppt.

Stadtpalast, Udaipur, Rajasthan
Stadtpalast, Udaipur, Rajasthan
Blick vom Stadtpalast über Udaipur
Stadtpalast, Udaipur, Rajasthan
ein Zimmer im Stadtpalast mit gemütlichem Ausmaß
Stadtpalast in Udaipur, Rajasthan
der gewaltige Stadtpalast ist über Jahrhunderte Sitz der Fürsten von Mewar

Südlich des Stadtpalastes erheben sich die Machla Magra Hügel. Stufen führen hinauf zum Karni Mata Tempel. Karni Mata gilt im fünfzehnten Jahrhundert als Heilige und Kriegerin. In ganz Rajasthan wird sie verehrt. Ihr ist der Rattentempel in Deshnok gewidmet, aber auch in Udaipur erweisen ihr die Gläubigen Respekt. Am Tempel weht ein lauer Wind über die Hügelkuppe. Wir lehnen am Geländer, schauen hinab auf den Palast und die stickigen Gassen der Stadt. Langsam senkt sich die Sonne. Das Licht des späten Nachmittags taucht Udaipur in sanfte Farben.

Als die Dämmerung hereinbricht, stehen wir wieder am Ufer des Pichola Sees. Ein brennendes Orange bedeckt den Himmel. Das Wasser färbt sich schwarz. Die Palastinseln leuchten in künstlichem Licht. Dann geht der Tag in die Nacht über und am See hüllt sich Udaipur in eine nostalgische Fantasie über längst vergangene Jahre.

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Pichola See, Udaipur, Rajasthan
Blick über Udaipur und den Pichola See
Pichola See, Udaipur, Rajasthan
am Ufer des Pichola Sees
Sonnenuntergang über Udaipur, Rajasthan
Gruppe junger Menschen in Udaipur
unterwegs in Udaipur

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