Das Wat Pa Tam Wua Waldkloster liegt im Norden Thailands in der Provinz Mae Hong Son, etwa 70 Kilometer westlich von Pai. Die hier lebenden neun Mönche betreiben ein internationales Zentrum für buddhistische Praktiken und führen Interessierte in die buddhistische Lehre ein. Dabei geht es vor allem um das Erlernen der Achtsamkeit, dem Bewusstsein des Augenblicks, einem Grundprinzip des Buddhismusˈ. Von der hier praktizierten Vipassana Meditation heißt es, dass Siddhartha Gautama, der spätere Buddha, mit ihr zur Erleuchtung fand.
Im Tam Wua Waldkloster geht es entspannt zu. Täglich wird drei Stunden gemeinsam meditiert und das sowohl im Gehen, Sitzen und Liegen. Dazu stehen zwei weitere Stunden selbstständige Meditation im Tagesablauf. Doch selbst die Mönche beschreiben diese Zeit augenzwinkernd als Schlafmeditation. Wer will, kann sich im Tam Wua Waldkloster der Schweigemeditation widmen, grundsätzlich darf aber gesprochen werden, auch zwischen den Geschlechtern. Sogar die digitale Welt ist hier verfügbar. In einem kleinen Geschäft auf dem Klostergelände gibt es neben heilenden Steinen und Gebetsketten, Instantnudeln, Chips und Schokoriegeln auch Wifi.
Der Alltag im Tam Wua Waldkloster ist zwischen fünf Uhr morgens und zehn Uhr abends nach einer immer gleichen Routine geregelt.
- 05:00 selbstständige Meditation in der eigenen Hütte oder im Schlafsaal
- 06:30 Reisgabe an die Mönche
- 07:00 Frühstück
- 08:00 Meditation in der Dhamma Hall (20 Minuten buddhistische Lehre, 40 Minuten Gehmeditation, 35 Minuten Sitzmeditation, 20 Minuten Liegemeditation)
- 10:30 Mittagsgabe an die Mönche
- 11:00 Mittagessen
- 13:00 Meditation in der Dhamma Hall (20 Minuten buddhistische Lehre, 40 Minuten Gehmeditation, 35 Minuten Sitzmeditation, 20 Minuten Liegemeditation)
- 16:00 einstündiges Säubern der Klosteranlage (vor allem Laub fegen)
- 18:00 einstündiger Abendgesang und halbstündige Meditation im Sitzen in der Dhamma Hall
- 20:00 selbstständige Meditation in der eigenen Hütte oder im Schlafsaal
- 22:00 Nachtruhe
Meditation im Waldkloster: Tag 6
Morten
Das mit der Meditation ist für mich keine einfache Sache. Ständig steige ich in das Gedankenkarussel, das durch meinen Kopf dreht. Auch die tagtägliche Lehre hilft mir nicht weiter. Es gibt keine Entwicklung, kein sich steigerndes Training. Anders als in Vipassana Zentren, in denen die Teilnehmer gemeinsam einen Kurs beginnen, kommen hier im Tam Wua Waldkloster jeden Tag Neuankömmlinge an.
Die Mönche sind darauf eingestellt. Ihre Lehren wiederholen sich in einem gleichbleibenden Rhythmus. Spätestens nach drei Tagen beginnen sie ihre Einführungen in die Meditation, ihre Hinweise und Beispiele, mit denen sie über den Umgang von Begierden und Verlangen erzählen von neuem. Immer wieder reden sie von Eiscreme, Schokolade und schönen Frauen. Ganz offensichtlich stetig wiederkehrende Problemfelder.
Am sechsten Tag bin ich bereits davon gelangweilt. Selbst ihre Witze, die schon am ersten Tag nur für ein höfliches Schmunzeln reichten, wiederholen sich immer und immer wieder. Der Abt, ein kleiner, kugeliger Mann, der sehr gerne, sehr viel redet, ohne dabei besonders viel zu sagen, tut sich besonders hervor. Seine Bemerkungen, mit denen er sich selbst am meisten zum Lachen bringt, sind so unbedacht wie unterschwellig rassistisch.
Meditation im Waldkloster: Tag 6
Rochssare
Es ist neblig, den ganzen Vormittag. Seit gestern ist ein grantiger, rüstiger Opa hier. Dass er den Schweige-Anstecker trägt amüsiert mich. Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen, Schiebermütze und langsamen Gang ist er der Einzige, der bei der Gehmeditation nicht merkwürdig aussieht. Ich mag den Garten. Es wachsen Litschis, Mangos, Papayas, Jackfrüchte, Kokosnüsse, Zitronen, Pampelmusen und noch zwei weitere Obstsorten, die ich nicht kenne. Nur ist mir persönlich der Garten zu sehr gepflegt. Eine Heerschar an Arbeitern ist Tag für Tag mit der Gartenarbeit beschäftigt.
Eine Fliege hat heute meine Morgenmeditation zerstört. Nach dem Mittagessen konnte ich mich bei der Meditation wieder nicht wachhalten. Schaffe ich es nicht, den aufkommenden Gedanken sofort aus der Vogelperspektive zu beobachten, verliert sich mein Geist in ihm und ich schlafe sofort ein.
Wie manche Menschen sind. Liegt dieses junge, pummelige Mädchen IM Stapel der Sitzkissen, während alle um sie herum, auch für sie ersichtlich, während der Arbeitszeit aufräumen, und schießt die ganze Zeit Selfies von sich. Heute Nachmittag kommt eine ältere, stark geschminkte blonde Frau ins Kloster. Im knappen Basketballtrikot und offensichtlich ohne Hose zieht sie ihren Rollkoffer hinter sich her und ruft mir schon von weitem „Reception! Reception!“ entgegen. Als sei das hier ein Hotel.
Erst denke ich, sie muss glauben ich bin verrückt. In meinen weißen Klamotten, einem Plastikanstecker auf meiner Brust, fege ich gerade Laub im Garten zusammen. Würde ich mich so sehen, käme ich mir selbst vor wie die Irre aus einem japanischen Horrorfilm. Ich zeige ihr den Tisch, über dem Information steht und mache ihr deutlich, dass sie hier warten muss. Anders als üblich, darf sie nicht direkt an der Meditation teilnehmen. Stattdessen wird ihr ganz verstört von einer Mitarbeiterin sofort weiße Kleidung gereicht.
Die Abendmeditation war wieder extrem gut. Wie immer gehe ich nach der Meditation als Letzte zu den Kissen, damit ich vermeide, dass der penetrante Typ mich anfasst oder anstarrt, da er meistens hinter den Stapeln steht und die Kissen ordnet und dabei immer wie zufällig meine Hand streicht, wenn ich mein Kissen auf den Stapel lege. Ich bringe meine Kissen also extra erst zurück, als ich ihn nicht mehr bei den Kissenstapeln sehe. Doch dann drehe ich mich um, und der Typ steht plötzlich genau hinter mir und starrt mich ausdruckslos an. Ich fühle mich mittlerweile echt nur noch auf der Flucht.
Meditation im Waldkloster: Tag 7
Morten
Mark ist da. Und Mark pennt. Der junge Mann aus Chicago schafft es tatsächlich bei jeder Meditation einzuschlafen. Es ist beeindruckend! Während der Sitzmeditation schnarcht er im Stuhl neben mir und auch während der Liegemeditation ist er bereits nach wenigen Augenblicken aus dem Bewusstsein getreten. Mark bleibt zwei Tage, bevor er das Kloster gut erholt verlässt. So funktioniert das mit der Meditation natürlich auch.
Überhaupt bin ich von der Vielzahl der Gestalten fasziniert, die hier im Kloster für wenige Tage ihre Wege kreuzen. Da ist der Muay Thai Kämpfer aus Leeds, der sich durch Meditation auf einen bevorstehenden Kampf in Chiang Mai vorbereitet. Da sind Psychotherapeuten, Musiker und Chemiedoktoranden. Vom Abiturienten bis zum greisen Rentner sind hier alle Altersgruppen vertreten. Auch der Siegeszug der digitalen Welt spiegelt sich im Teilnehmerfeld wieder. Betreiber von Onlineshops sind hier, Bitcoinhändler, Webdesigner. Die Digitalisierung bringt sie um die Welt, auf dass sie sich alle in diesem Waldkloster wiederfinden.
Meditation im Waldkloster: Tag 7
Rochssare
Erster Morgen seit Langem ohne Nebel. 35 Minuten Meditation im Zimmer.
Nach dem Frühstück sitze ich im Gemeinschaftsraum am Tisch und lese ein Buch. Kommt der penetrante Typ und setzt sich mit einer Tasse Kaffee an den Nebentisch genau mir gegenüber. In der Ganzen Halle gibt es Platz für über 100 Menschen und es sitzen vielleicht 5 Leute hier. Er starrt mich unverhohlen an, dabei seinen Kaffee genießend. Meine Hand hält das Buch, ich konzentriere mich auf meine Atmung und das buddhistische Mantra, lese weiter. Bud-dho. Bud-dho. Ich bleibe super ruhig. Kein nervöses Umhergerutsche, keine nervöse Mimik. Ich spüre eine Viertelstunde seine ekligen Blicke auf mir und bleibe super cool, lese einfach weiter. Dann haut er endlich ab.
Mittagessen. Der Typ lauert mir auf. Er ist fertig mit Essen und beobachtet mich aus den Augenwinkeln. Ich sehe das. Er wartet nur darauf, dass ich aufstehe. Ich lasse mir extra Zeit, warte und warte. Doch er hört nicht auf, mich zu beobachten. Kaum stehe ich auf, um mein Geschirr zu waschen, steht er auch auf, geht wenige Zentimeter hinter mir her. Schnell, schon in Panik, schaue ich nach einem Platz an den Waschbecken, der ihm wenigstes nicht die Möglichkeit bietet, neben oder mir gegenüber zu stehen. Natürlich stellt er sich an den freien Platz, der am nächsten an mir dran ist. Ich haue so schnell wie möglich ab.
Kurz bevor der Unterricht wieder beginnt, sitze ich im Aufenthaltsraum. Der Typ betritt wie zufällig kurz nach mir den Raum, läuft vor meinem Tisch entlang, ein Glas Wasser in der Hand, lehnt sich mit dem Rücken an einen Pfeiler, dreht sein Gesicht zu mir, grinst mich ekelhaft an und nippt dabei ganz langsam an seinem Glas. Wie in so einem Psychofilm. Es reicht. Ich bin mittlerweile total gestresst, habe Angst im Dunkeln den ganzen Weg durch diese riesige Gartenanlage zu meiner Hütte zu laufen, fühle mich permanent beobachtet und verfolgt.
Nach der Nachmittagsmeditation pfeife ich endlich auf meinen Schweigevorsatz und erzähle Morten von der ganzen Situation, fange dabei total an zu heulen und merke jetzt erst, wie mich das alles gestresst hat. Nicht nur, weil ich das Gefühl habe, darüber sprechen zu müssen, sondern auch, damit jemand ein Auge auf mich und diesen Typen hat. Doch nicht nur meinen Schweigevorsatz breche ich. Ich trinke sogar Kaffee und eine heiße Schokolade direkt danach. Ich breche am siebten Tag also nicht nur mein Schweigen und gebe mir Koffein, sondern auch eine extra Portion Zucker, wahrscheinlich Milchpulver und etliche Zusatzstoffe. Außerdem produziere ich Plastikmüll.
Die Zusatzstoffe und Geschmacksverstärker werden wohl auch der Grund dafür sein, dass ich am Abend totalen Kohldampf habe. Die ganze Woche habe ich niemals Hunger gehabt, obwohl wir die letzte Mahlzeit des Tages um 11 Uhr einnehmen. Doch jetzt knurrt mein Magen. Natürlich ist die Abendmeditation schwierig, obwohl sie immer meine Lieblingsmediation war. Aber das liegt sehr wahrscheinlich daran, dass ich mit Morten gesprochen und kurzzeitig nicht mehr geschwiegen habe. Was das Schweigen für einen riesigen Unterschied macht und dabei hilft, ganz bei sich und für sich zu sein.
Stromausfall bei der Abendmeditation. Morten nimmt mir meine Kissen ab, und legt sie auf den Stapel zurück, da der Typ wieder hinter den Kissen steht und die Kissen annimmt und bisher die Situation immer ausgenutzt hat um dabei wie zufällig meine Hand oder meinen Arm zu streichen.
Meditation im Waldkloster: Tag 8
Morten
Mittlerweile ist die Gehmeditation neben dem Essen zu meiner Lieblingsbeschäftigung im Kloster geworden. Die Spaziergänge werden immer mehr zum Gefühl. Ich fühle meinen Körper, das sanfte Wiegen des Gewichtes von einem Bein auf das andere. Die Steinchen und Stöckchen unter den Fußsohlen, den heißen Beton, das weiche Gras, der gelegentlich aufkommende leichte Windhauch, der so schwach ist, das er nicht einmal die Schweißperlen auf meiner Stirn zu trocken vermag.
Eine schwarze Limousine braust die Auffahrt zum Kloster hoch. Governor steht in silbernen Lettern auf dem Heck. In unserem Gänsemarsch erreichen wir das Kloster, als aus dem Kofferraum große Lebensmittelkörbe geladen werden. Riesige Ananas und Pakete voller Kekse liegen oben auf. Der Abt empfängt einen Mann im Anzug mit seligem Lächeln. So geht es beinahe jeden Tag. Immer wieder werden Spenden herbeigebracht, die der Abt mit einem Segensspruch entgegennimmt. Es ist ein wichtiger Teil seiner Tagesroutine.
Meditation im Waldkloster: Tag 8
Rochssare
Ich habe richtig schlecht geschlafen. Der Kaffee hat mich total fertig gemacht. Ich lag die halbe Nacht wach, es hat gewittert und geblitzt ohne Ende. Irgendwann gebe ich mich auch noch dem Gedanken hin, wie ich aus dem Fenster gucke und der Typ im strömenden Regen genau davor steht, seine grinsende Fratze kurz vom Blitzlicht erhellt. Ich habe zu viele Horrorfilme in meinem Leben geguckt. Ich muss damit aufhören. Morgens meditiere ich im Dauerregen in meinem Zimmer. Bei der Reisgabe sitz der Typ wieder genau mir gegenüber auf der anderen Seite der Halle und glotzt mich an.
Bei der Meditation nach dem Frühstück läuft irgendein Typ, der sich nur mal umgucken will die ganze Zeit durch die Reihen und macht Fotos von den Meditierenden mit seinem Handy. Ich kann mich nicht konzentrieren und schaue mich um. Vielen anderen geht es genauso. Es wird an Füßen und Zehen gepuhlt, im Gesicht gekratzt, auf Handys gestarrt. Nach dem Mittagessen kommt der penetrante Typ und will mir das Geschirr abnehmen, das ich gerade in die Küche trage. Ich ignoriere ihn und gehe einfach weiter.
Die Meditation nach dem Mittagessen ist immer am schwersten. Bei der Liegemeditation versuche ich gar nicht wachzubleiben. Ich habe in der letzten Nacht so wenig geschlafen, dass mir ein 20-minütiges Nickerchen bestimmt gut tut.
Packliste
Unsere Ausrüstung muss einiges aushalten. Seit über 7,5 Jahren sind wir dauerhaft unterwegs und strapazieren unser Hab und Gut im täglichen Einsatz. Einiges hat bei uns nur kurze Zeit überlebt, doch anderes bewährt sich mittlerweile seit Jahren und wir sind von der Qualität überzeugt. Unsere Empfehlungen könnt ihr hier nachlesen.Jetzt übers Wochenende sind ca. 30 einheimische Frauen aus den umliegenden Dörfern im Kloster. Dementsprechend furchtbar ist die Gehmeditation. Die Frauen gehen nicht nur EXTREM langsam, sondern machen auch noch diese ganz kleinen Minischritte; der eine Fuß schafft es gerade mal auf die halbe Länge des anderen. Und das bei gefühlter Schuhgröße 34. Die Frau vor mir übertreibt es natürlich wieder. Bevor sie die vier Stufen aus der Dhamma Hall zum Weg geschafft haben, ist zu ihrer Vorderfrau schon ein Abstand von ungefähr 40 Metern entstanden. Dann bleibt sie auch noch ständig stehen um Selfies zu machen. Es gibt keine größere Herausforderung für mich, als mich in Geduld zu üben.
Bei der Abendmeditation sitze ich wie ein Stein, total ruhig und ignoriere sogar die Mücke, die mich auf die Stirn sticht. Der Mond, es ist fast Vollmond, leuchtet zwischen den beiden dunklen Silhouetten der Berge. Nur ein paar Wolkenschlieren verdecken sein Gesicht.
Meditation im Waldkloster: Tag 9
Morten
Es ist der Vortag des Visakha Bucha, des höchsten buddhistischen Feiertages. Und alle Thais im Kloster sind in heller Aufregung. Vor allem Tanja strahlt wie ein Honigkuchenpferd und ist noch aufgedrehter, als sie es sowieso schon ist.
Ein Kamerateam taucht auf, jemand hält eine Rede, uniformierte Militärs knien vor dem wie immer seligen Abt nieder. Uns erzählen die Mönche, dass der Buddha Tag bevorstünde und wir ein besonderes Programm in Form von Meditation abhalten würden. Als ob wir bisher hier irgendetwas anderes gemacht hätten.
Für mich hat sich das Kloster erledigt. Bereits seit Tagen bin ich gelangweilt. Die immer gleichen Abläufe erfüllen mich nicht mehr. Die Meditationsphasen sind zu kurz, als dass ich mich vollständig darauf einlassen kann. Die ganze Atmosphäre erinnert mich an Klassenfahrt und Jugendherberge und ich entwickle einen Lagerkoller. Ich will hier raus. Es ist allein die Aussicht auf den morgigen Buddha Tag, die mich ein wenig aufheitert. Nicht, dass ich irgendetwas erwarte, aber ein Blick in die Küche hat mir verraten, dass es ausgezeichnetes Essen geben wird.
Mit Sergej und David sitze ich am klostereigenen See. Wir schauen auf die fetten Fische, die nicht geangelt werden dürfen und teilen das gleiche Schicksal. Vereint im Leid der Langeweile. Die Hoffnung auf Essen lässt uns durchhalten. Nur noch ein Tag.
Während der Abendmeditation bin ich ganz aufgeregt. Endlich, am vorletzten Abend, durchdringe ich die Grundlagen der Meditation. Auf einmal habe ich das Gefühl alles zu verstehen. Es ist so einfach. Meditation ist nichts weiter als ein Spiel mit dem Geist. Seit Tagen quäle ich mich um Ruhe im Kopf und jetzt fällt mir die Lösung einfach in den Schoß. Meditation ist die Reflexion des Geistes, ein Betrachten des Geistes durch den Geist. Klingt das kompliziert? Ist es nicht! Ich mache mir bewusst, dass ich denke – und fertig. Schon steht der Geist still.
Meditation im Waldkloster: Tag 9
Rochssare
Zahnlose Frauen grinsen mich bei der Reisgabe am Morgen an. Sie tragen ihre bunte traditionelle Kleidung, die typisch für die Bergregion ist, ihre Bambushüte stapeln sie am Rand der Halle. Es regnet den ganzen Tag, dichte Wolken hängen tief über dem Kloster. Alles ist in Nebel gehüllt. Heute finden die ersten Feierlichkeiten zum morgigen Buddha Tag statt. In der kommenden Vollmondnacht sei Buddha geboren, gestorben und erleuchtet worden, heißt es im Buddhismus.
Viele Gäste kommen und gehen, bringen die traditionellen Essensgaben für die Mönche. Der Abt führt ständig Militärangehörige in Uniform durch die Anlage. Zu Zeiten einer Militärdiktatur finde ich das bedenklich. Das Mittagessen ist natürlich toll. Es gibt Frühlingsrollen und Reisnudeln. Auf die etlichen Nachspeisen, Muffins und Kuchen verzichte ich.
Ich sitze mit zwei Männern am Tisch. Erst als sie mir übertrieben höflich ein Glas Mineralwasser einschenken, obwohl eine Karaffe Trinkwasser vor mir steht, gucke ich sie mir genauer an. Dicke goldene Uhren, teure, weiße Kleidung. Natürlich bin ich mir nicht sicher, aber aufgrund ihres Auftretens und aus meiner Erfahrungen in anderen Ländern tippe ich auf ranghohe Angehörige des Militärs. Als Tanja, die gute Seele im Kloster, ihnen dann auch noch Kaffee bringt und sich später der Abt zum Gespräch zu ihnen an den Tisch setzt – während üblicherweise alle Klostergäste vor ihm knien – bin ich ziemlich sicher.
Das Kloster ist mittlerweile brechend voll. Zum Abendgesang kommen etwa 100 Personen. Der Abt tut mir leid, den ganzen Tag nimmt er Spenden an, manche halten ihm Videokameras direkt ins Gesicht, er muss mit jedem Hans und Franz klönen. Er freut sich sicher auch, wenn der Tag vorbei ist.
Vor ein paar Tagen ist übrigens ein größeres Tier auf meiner Terrasse gestorben. Morgens war es schon halb verflüssigt, nicht mehr zu identifizieren und übersäht mit großen roten Ameisen, die es vor dem Transport noch zersetzen (ich glaub, die pinkeln drauf oder sowas). Der Transport hat mehrere Tage gedauert. Ich habe gewartet und gehofft, dass die Ameisen ihre Arbeit gut und gründlich erledigen. Seit gestern aber findet kein Transport mehr statt. Zwei harte Brocken der Überreste kleben auf dem Boden. Die Ameisen hocken nur noch drauf. Es gibt keine Ameisenstraße mehr.
Ich nehme mir vor, den Rest zu beseitigen, aber Wasser allein reicht nicht. Erst kämpfe ich mit den Ameisen, dann mit dem Kadaver. Was da auf meiner Terrasse klebt, muss ich mit dem Rand eines Eimers richtig vom Boden kratzen. Dann stinkt es plötzlich ganz ekelhaft nach Verwesung. Überall. Auch in der Hütte. Der Gestank geht gar nicht weg. Ich muss fast kotzen und schmiere mir Tigerbalsam unter die Nase.
Meditation im Waldkloster: Tag 10
Morten
Heute ist Visakha Bucha – der Vollmondtag im vierten Monat des buddhistischen Mondkalenders. Die buddhistische Mythologie will es so, dass Buddha, dass Siddhartha Gautama, an diesem Tag geboren wurde, Erleuchtung fand und starb.
Bereits gestern, zum allabendlichen Singen, hatte sich die Teilnehmerzahl beinahe verdreifacht. Dutzende Thais, ganze Familien kamen, die nun den Feiertag hier im Kloster verbringen. Wir sind mittlerweile knapp 100 Personen, die mit den Mönchen meditieren. Die kleinsten Zwerge sind etwa fünf oder sechse Jahre alt. Erstaunlich, wie ruhig sie sich hier verhalten. Kein Jammern, kein Aufmerksamkeitsheischen. Selbst während der Meditation sind sie still, was nicht bedeutet, dass sie meditieren. Mache ich übrigens auch nicht. Anstatt in mein Inneres, schaue ich in die Umgebung und bin damit nicht allein. Nicht einmal die Hälfte aller Teilnehmer versucht überhaupt, es den Mönchen gleich zu tun. Stattdessen wird gekratzt, gepuhlt, an Zehen gespielt. Sergej liest ein Buch, David starrt Löcher in den Hinterkopf seines Vordermannes.
Für mich hat sich das Klosterleben in wenigen Tagen von einem Meditationskurs zu einem religiösen Affentheater verwandelt. Viel Form und wenig Inhalt. Zwar schätze ich nach wie vor die angenehmen Seiten, die leichte Routine, die Meditationsversuche, das Ausklinken aus der Welt des Müssens und Machens. Aber ich bin auch zusehends genervt von der Scheinheiligkeit, die auch im Buddhismus, wie in jeder Religion, um sich greift. Mönche, die Gelassenheit predigen und denen der Ehrgeiz aus jeder Pore tropft, Thais, die sich demütig unterwerfen, weil es die Tradition verlangt, Westler, die in einer ihnen fremden Religion das Seelenheil finden wollen. Ich bin sogar davon genervt, dass ich von alldem genervt bin. Was ist denn mit meiner Gelassenheit?
Immerhin, das Essen ist heute wirklich hervorragend. Neben Reis, grünem Curry und frischem Obst gibt es sechs verschiedene selbstgemachte Süßspeisen und Lod Chong, ein Nachtisch aus Mehlnudeln und Kokosnussmilch, der mich an iranisches Faludeh erinnert. Wir hauen ordentlich rein und selbst mit den Resten könnte man das Kloster noch mindestens einen weiteren Tag ernähren. Der Buddha Tag ist ein Fest für den Gaumen.
Es regnet den ganzen Nachmittag, was der faulen Feiertagsstimmung zusätzliches Gewicht verleiht. Erst am Abend wird es noch einmal interessant. Nach der üblichen Gesangsstunde bekommt jeder eine Kerze und ein kleines Bouquet in die Hand und gemeinsam wandeln wir im Kerzenschein durch die Nacht. Dreimal umrunden wir die Dhamma Hall und gedenken dabei Buddha, seiner Lehre und dem Orden der buddhistischen Mönche. Es hat etwas Sektenhaftes, wie wir so singend mit unseren Minifackeln in einer langen Reihe um das Gebäude ziehen. Aber mir ist mittlerweile alles egal. Morgen früh sind wir hier raus.
Tatsächlich verringert sich die Teilnehmerzahl am nächsten Tag drastisch. Nicht einmal zwanzig Personen bleiben nach dem Frühstück im Kloster. Die Masse verflüchtigt sich in alle Winde und auch wir stehen am Straßenrand und loggen uns wieder ein in das Jahr 2018.
Meditation im Waldkloster: Tag 10
Rochssare
Morgens 45 Minuten im halben Lotussitz im Zimmer meditiert. Diesmal war die Erfahrung ganz anders. Ich musste mich gar nicht anstrengen und war trotzdem ganz versunken und konnte frei in meinem Geist umherwandern, ohne dass ich die Aufmerksamkeit von meinem Atem wegnehmen musste. Nach dem Frühstück versuche ich es erneut, aber diesmal klappt es nicht.
Bei der Gehmeditation geht eine junge Japanerin vor mir. Auch sie hat offensichtlich eine ganz verquere Vorstellung von normalem Gehen. Ohne ihre Knie zu beugen, schleudert sie ihr gestrecktes Bein, Soldaten gleich, bei jedem Schritt, hoch in die Luft und marschiert so vor mir her.
Während der Mittagsgabe für die Mönche, bringen immer mehr Gäste weitere Essensspenden. Der Abt nimmt sich immer etwas und gibt die Gabe dann an die anderen Mönch weiter. Außer bei den weißen Umschlägen, die ihm gereicht werden. Die lässt er schnell verschwinden. Mönche dürfen eigentlich kein Geld annehmen, aber wie nah dieser Grundsatz an der Realität ist, weiß ich nicht. Ich habe gelesen, dass durch die Annahme von Geld das Mönchwesen zu einem Teufelskreis wird. Ein Mönch, der die falschen Werte lebt, wird diese an die jungen Mönche, die er ausbildet, weitergeben. Diese wiederrum geben das Gelernte ebenfalls an die nachfolgende Generation der Mönche weiter usw. usw. Die ganze Tradition des Mönchtums kann so vergiftet werden.
Im Kloster leben seit gestern drei neue Mönche. Zwei Erwachsene und ein kleiner Junge, der vielleicht im Grundschulalter sein mag. An ihm sieht man erst, wie erhaben und anmutig die anderen Mönche sind. Bei der Reisgabe grinst er frech zurück, wenn man ihn anguckt, statt demütig mit gesenktem Blick die Gaben anzunehmen. Er ist zappelig, muss ständig aufs Klo. Bei der Gehmeditation fällt es ihm schwer, den Abstand zum Vordermann einzuhalten. Manchmal flitzt er einige schnelle Schritte nach vorne, um aufzuholen, manchmal wartet er unruhig von einem Bein aufs andere hüpfend, bis sich der Abstand wieder vergrößert hat. Das ist vor allem deswegen lustig, weil der Knirps uns daran erinnert, dass wir in unseren ungeschickten Bemühungen einem Kind sehr ähnlich sind.
Zu Ehren Buddhas werden wir alle in der heutigen Vollmondnacht mit einem Plastikhalter in Lotusform, in der eine Kerze brennt, Blumen und Räucherstäbchen ausgestattet. Drei Mal umrunden wir die Dhamma Hall. Musik kommt vom Band, Mantras aus den Kehlen der Thais. Der immer gleiche Singsang der letzten Tage schwirrt mir noch so sehr im Kopf rum, dass ich jetzt viele Abschnitte auch ohne Gesangbuch mitsprechen kann. Die Männer laufen wie immer vorneweg, die Frauen hinterher. Als die Männer, angeführt von den Mönchen, ihre dritte Runde beenden, wird die Musik ausgeschaltet. Die Frauen laufen da gerade erst ihre zweite Runde.
Heute ist der letzte Abend. Morgen reisen wir ab. Ich betrachte meinen Aufenthalt hier im Tam Wua Waldkloster mit gemischten Gefühlen. Ich war gerne hier, die Klosteranlage ist wunderschön und idyllisch. Befremdlich empfand ich anfangs, den buddhistischen Ritualen beizuwohnen, morgens demütig vor den Mönchen zu knien, Mittags in der Schlange zur Essensgabe zu warten und auf Knien nach vorne zu rutschen, die buddhistischen Gebete und Gesänge zu erlernen, obwohl ich nicht religiös bin, sondern nur mehr über die Techniken der Meditation wissen wollte. Aber Meditation ist eben eng mit dem Buddhismus verknüpft. Tatsächlich ist der hautnahe Kontakt zu den Bräuchen ja auch interessant – und verwirrend zugleich.
Ziel der Meditation ist die Erleuchtung, das Erreichen des Nirwanas. Dementsprechend schwammig sind die Anweisungen, vor allem im fortgeschrittenen Stadium. Die Methode nach Goenka, wie sie in Vipassana Zentren gelehrt wird, war wesentlich griffiger, wird hier aber auch nur als Voraussetzung, als erste Stufe der Vipassana Meditation betrachtet.
Trotzdem hätte ich mir die Strukturen eines Vipassana Zentrums auch hier im Kloster gewünscht. Eine feste Gruppe, die gemeinsam den Meditationskurs beginnt und beendet, Schweigepflicht, für einen begrenzen Zeitraum bedingungslos der Meditation verschrieben. Erst wenn der Geist gänzlich frei von Ablenkungen dazu befähigt ist, sich ganz mit sich selbst zu beschäftigen, kann meines Erachtens nach entstehen, wozu man solch einen Kurs eigentlich macht: Nur in der Einsamkeit, in der Stille drängen sich verdrängte Gedanken auf, melden sich Erinnerungen und Ereignisse, die noch nicht abgeschlossen sind, einer Erklärung bedürfen, die offenen Baustellen. Und die Frage: An welcher Stelle des Lebens man in diesen Tagen steht.
Alles andere mag für diejenigen schön sein, die einen kurzen Einblick gewinnen möchten, vielleicht auch nur einen oder zwei Tage Zeit haben; als wirklich sinnvoll erachte ich es jedoch nicht, wenn man den ganzen Tag mit anderen Menschen spricht, telefoniert, im Internet surft. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst gelingt. Vielleicht irre ich mich, aber gerade in Stille und in Einsamkeit, im Fehlen zwischenmenschlicher Kommunikation, zu dem ich auch den Augenkontakt zähle, sehe ich die Möglichkeit, für eine Zeit ganz bei sich zu sein.
Vipassana Meditation im Waldkloster Wat Pa Tam Wua in zwei Teilen
Teil 1: Tag 1-5
Teil 2: Tag 6-10
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Aus dem hohen Norden Deutschlands hinaus in die Welt: 2011 zieht es Morten und Rochssare für zwei Jahre per Anhalter und mit Couchsurfing auf den südamerikanischen Kontinent. Genauso geht es nun weiter. Jetzt jedoch in die andere Richtung. Seit 2014 trampen die beiden auf dem Landweg von Deutschland nach Indien und weiter nach Südostasien. Es gibt noch viel zu entdecken.
Von ihren Abenteuern und Begegnungen erzählen sie in ihren Büchern „Per Anhalter durch Südamerika“ und „Per Anhalter nach Indien“, jeweils erschienen in der National Geographic Reihe bei Malik.
Tja, ihr Beiden. Das war wohl nichts, euer Aufenthalt im Tempel. Wie soll das auch gelingen, wenn ihr euren Geist nicht beruhigen könnt und mit westlichem Denken, Betrachten und Bewerten euer Umfeld und die Abläufe betrachtet. Ihr habt in den 10 Tagen nicht begriffen, dass ihr kein VIPASSANA, sondern Samatha praktiziert habt! Schade. Das ist anscheinend auch vielen anderen so gegangen, wie ihr beschreibt, die diese „eigenartige Gangweise“ praktiziert haben. Die haben diese unterschiedlichen Meditationsweisen vermischt, was man tunlichst vermeiden sollte. Ihr solltet in ein paar Jahren nochmal kommen. Dann seid ihr offener für vieles und seht Dinge anders. Dann findet ihr auch bessere Worte für die Dinge die passieren. Dann werdet ihr vieles vielleicht einfach stehen lassen können, auch ohne es zu verstehen. Denn wenn ihr eure Berichte nochmal lest, werdet ihr feststellen, dass ihr eurem Kopf nicht gesagt habt, er soll euch hier in Ruhe lassen. Und ihr habt von dem 8fachen Pfad zwar gehört und jeden Tag rezidiert, aber anscheinend nichts verstanden. Schade. Denn genau einiges davon ist notwendig in das Leben daheim mitzubringen um gesund und „glücklich“ zu überleben.
Also denkt nicht, ihr habts verstanden. Denkt eher immer wieder daran zurück und bleibt neugierig. Manches eröffnet sich einem erst spät.
Ich will nur sagen: euer Bericht sagt nichts über den Alltag im Tempel und dem Leben als Mönch aus, es sagt lediglich etwas über euch aus.
In diesem Sinne: Karuna