Das Wat Pa Tam Wua Waldkloster liegt im Norden Thailands in der Provinz Mae Hong Son, etwa 70 Kilometer westlich von Pai. Die hier lebenden neun Mönche betreiben ein internationales Zentrum für buddhistische Praktiken und führen Interessierte in die buddhistische Lehre ein. Dabei geht es vor allem um das Erlernen von Achtsamkeit, dem Bewusstsein des Augenblicks, einem Grundprinzip des Buddhismusˈ. Von der hier praktizierten Vipassana Meditation heißt es, dass Siddhartha Gautama, der spätere Buddha, mit ihr zur Erleuchtung fand.
Grundsätzliche Regeln bestimmen das Leben im Kloster. Dazu gehören Geschlechtertrennung, das Einhalten der täglichen Routine, Abstinenz von Alkohol, Tabak, Sex und allen anderen Drogen, kein Töten, Stehlen und Lügen, sowie das Tragen weißer Kleidung. Wer sich darauf einlässt, lebt für einige Tage bescheiden und in einfachen Verhältnissen – entweder im Schlafsaal oder in privaten Hütten. Mit Frühstück und Mittagessen gewährt der Klosteralltag zwei Mahlzeiten, von denen die letzte bereits vormittags um 11 Uhr serviert wird. Die buddhistische Lehre, Dhamma genannt, steht über allem. Der Aufenthalt im Kloster ist kostenfrei und zeitlich unbegrenzt. Es wird lediglich um eine Spende am Tag der Abreise gebeten.
Bereits vor ein paar Jahren waren wir in einem Vipassana Zentrum in Nepal und haben dort einen zehntägigen Schweigemeditationskurs absolviert. Aufgrund dieser Vorerfahrung hatten wir etwas Ähnliches auch im Pa Tam Wua Waldkloster erwartet. Doch unterscheidet sich der Alltag in beiden Einrichtungen wesentlich. Im Vipassana Zentrum wird täglich elf Stunden sitzend meditiert. Alle Teilnehmer beginnen zusammen an einem festgelegten Termin und sind nicht nur zum Schweigen, sondern grundsätzlich zum Verzicht jeglicher Kommunikation verpflichtet. Das bedeutet, keinen Augenkontakt, kein Schreiben oder Lesen, kein Internet, keine elektronischen Geräte im Allgemeinen. Selbst der Pass muss vor dem Kursbeginn abgegeben werden, als symbolisches Zeichen dafür, dass man bereit ist das Selbst für die nächsten Tage aufzugeben.
Im Pa Tam Wua Waldkloster geht es weit entspannter zu. Täglich wird drei Stunden gemeinsam meditiert und das sowohl im Gehen, Sitzen und Liegen. Dazu stehen zwei weitere Stunden selbstständige Meditation im Tagesablauf. Doch selbst die Mönche beschreiben diese Zeit augenzwinkernd als Schlafmeditation. Im Pa Tam Wua Waldkloster darf gesprochen werden, auch zwischen den Geschlechtern. Niemand kassiert das Smartphone oder den Reisepass. Auf dem Klostergelände gibt es sogar ein kleines Geschäft, das neben heilenden Steinen und Gebetsketten auch Instantnudeln, Chips und Schokoriegel an jene verkauft, die auch am Nachmittag noch hungrig sind. Hier gibt es sogar Wifi.
Der Alltag im Pa Tam Wua Waldkloster ist zwischen fünf Uhr morgens und zehn Uhr abends nach einer immer gleichen Routine geregelt.
- 05:00 selbstständige Meditation in der eigenen Hütte oder im Schlafsaal
- 06:30 Reisgabe an die Mönche
- 07:00 Frühstück
- 08:00 Meditation in der Dhamma Hall (20 Minuten buddhistische Lehre, 40 Minuten Gehmeditation, 35 Minuten Sitzmeditation, 20 Minuten Liegemeditation)
- 10:30 Mittagsgabe an die Mönche
- 11:00 Mittagessen
- 13:00 Meditation in der Dhamma Hall (20 Minuten buddhistische Lehre, 40 Minuten Gehmeditation, 35 Minuten Sitzmeditation, 20 Minuten Liegemeditation)
- 16:00 einstündiges Säubern der Klosteranlage (vor allem Laub fegen)
- 18:00 einstündiges Chanting und halbstündige Meditation im Sitzen in der Dhamma Hall
- 20:00 selbstständige Meditation in der eigenen Hütte oder im Schlafsaal
- 22:00 Nachtruhe
Meditation im Waldkloster: Tag 1
Morten
Beim ersten Tageslicht stehe ich schweigend zwischen Litschi- und Mangobäumen und betrachte das Spiel der aufsteigenden Nebelwolken entlang der umliegenden Karstfelsen. Im Essensraum wird bereits Reis auf Metallteller für die Mönche gefüllt. Pünktlich fünf vor halb sieben sitzen wir auf den harten Fliesen, Männer und Frauen getrennt. Glockenschläge rufen die Mönche herbei. Ein Hund stimmt heulend mit ein. Neun geschorene Köpfe über neun braunen Roben nähern sich erhabenen Schrittes. Die Körper fleischig bis ungesund mager.
Wir geben den Mönchen Reis, sie geben uns den Segen. Gutes Karma ist heute einfach zu erlangen. Unser Frühstück besteht wenig später aus Reis und fadem Kürbiscurry. Für Gewürze sind wir hier zu friedliebend. Kein Feuer im Gemüt, kein Feuer im Essen.
Vor der ersten Meditation gibt’s eine Lektion in buddhistischer Lehre. Alles ist vergänglich, selbst Eiscreme und Liebe. Beides ist bedauerlich. Dann schlendern wir in einer langen Reihe durch den Garten: Gehmeditation. Ein Mönch spielt mit seinem Handy, ich mit meinen Gedanken. Der Garten ist groß, vermutlich 3-4 Fußballfelder. Er wirkt noch viel größer, wenn man ihn langsam schleichend umrundet. Mindfulness, Achtsamkeit, nennen das die Mönche. Mein Geist ist noch nicht bereit dafür, wandert mit meinen Augen von links nach rechts, von den Papayabäumen zum Springbrunnen und in alle erdenklichen Ecken.
Nach der Gehmeditation folgt die Meditation im Sitzen, folgt die Meditation im Liegen. Alles begleitet von malerischen Baustellengeräuschen – Hämmern und Bohren. Um 11 Uhr essen wir Mittag. Es ist die letzte Mahlzeit des Tages. Sie besteht aus Reis und einem faden Auberginencurry, dazu Bananen und Melonenscheiben.
Aus allen Richtungen branden Gespräche an meine Ohren. Ich bin dagegen stumm. Stumm beim Essen, stumm während der Nachmittagsmeditation, stumm in den Freistunden. Ein Anstecker an meiner Brust hilft mir. Auf ihm steht: „Silent and Happy“. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Stattdessen fühle ich mich ausgeschlossen, weil ich mir selbst verbiete an Gesprächen teilzunehmen.
Viel zu früh sitze ich am Abend in der Dhamma Hall, der zu allen Seiten offenen Meditationshalle, und betrachte meine Umgebung. Vor mir eine leere Reihe, hinter mir eine leere Reihe. Ich bin verschwitzt und ahnungslos. Weiß gekleidete Körper setzen sich nur langsam und ganz gemächlich in meine Nähe. Schräg vor mir hocken zwei abgewrackte Typen. Es sind Russen, die so aussehen, als hätten sie 20 Jahre Rock`n`Roll hinter sich – allerdings nur den abgefuckten Teil, ohne die künstlerische Kreativität. Ich kann sie nicht leiden. Sie quatschen über irgendetwas, das ich nicht verstehe und weil das so ist, mag ich sie noch weniger.
Ich wollte eine Schweigemeditation und bekomme das. Was denken sich die beiden? Rücksichtslos! Aber sie reden weiter, ungeachtet meines bösen Blicks in ihrem Rücken. Nach elendig langen Minuten, in denen ich mich in meine miese Laune hineinsteigere, wird irgendwo erneut die Glocke geschlagen und wieder stimmt der Klosterhund jaulend in den metallenen Klang ein.
Die beiden Laberköppe verstummen – nicht. Dafür schwebt eine Gruppe Mönche ein. Sie platzieren sich auf einem Podest am hinteren Ende der Dhamma Hall, dort, wo eine Gruppe goldglänzender Buddhastatuen über alle Anwesenden wacht.
Dann ein kurzer Moment der Stille, bis einer der Mönche in ein Mikrofon brummt: „Open the English book on Page 52 for evening chanting.“ Die ersten Worte auf dem Papier sind eine Zumutung. Pali, die alte mittelindische Schriftsprache, in fett gedruckten Buchstaben. Die erste Zeile stehe ich noch durch, doch auf wenige Worte Pali, deren Aussprache ich einigermaßen hinbekomme, folgt ein Wust in Thai. Silben, so phonetisch undeutsch, dass ich nicht mit ihnen umgehen kann. Dazu eine Melodie, die als solche nicht zu erkennen ist.
Ich höre den Mönch über die Lautsprecher und ich höre Tanja. Die quirlige, aufgeregte junge Thai, die uns bereits beim Einzug ins Kloster in Empfang nahm, presst irgendwo hinter mir mit voller Kraft und zwei Oktaven über dem Mönch die Worte aus ihrem zierlichen Körper. Alle anderen Teilnehmer nehme ich nur über ein gemurmeltes Grundrauschen wahr. Es sind ungefähr 50 Personen, hauptsächlich weiblich, westlich, jung. Dazu ein paar Männer ebenfalls aus dem Westen in verschieden Stufen ihres Lebens.
Auf den Thaigesang folgt die englische Übersetzung. Wir lobpreisen Buddha, the Exalted One, den Erhabenen. Nun gleicht der Singsang einem Dorfrap. Von einer Melodie ist nichts mehr übrig. Buddhistische Lieder klingen erbärmlich, wenn sie ins Englische übersetzt werden. Die uralte Melodie funktioniert einfach nicht. Dem Mönch ist es egal, Tanja auch, alle anderen murmeln noch leiser als zuvor. Ich versuche gar nicht erst mitzumachen. Eine Stunde halte ich aus, übe mich im meditativen Grundsatz, dass alles vergänglich ist.
Meditation im Waldkloster: Tag 1
Rochssare
Dass dieser Vipassana Kurs anders wird, merke ich direkt am ersten Tag. Morgens als ich, etwas verunsichert und die anderen beobachtend, darauf warte, was nun bei der Reisgabe an die Mönche passieren wird, klatscht ein Mann neben mir pausenlos Mücken. Vom Grundsatz kein anderes Lebewesen im Kloster zu töten, scheint er nichts gehört zu haben.
Nach der Gabe für die Mönche werden wir kurz und schmerzlos zum Frühstück entlassen. Manche Männer scheinen hier schon zu lange zu sein. Wie der eine Typ mich die ganze Zeit ekelhaft anstarrt. Mal paar Tage keinen weggesteckt und manche Typen verlieren komplett die Kontrolle.
Es geht zur Gehmeditation. Ziel ist es, seine Umgebung zwar noch mit geöffneten Augen wahrzunehmen, sich aber nicht mehr um sie zu scheren. Das kann ich gut.
Was ich nicht gut kann ist Gruppenzwang, aber den gibt es hier auch. Die Gehwege der Klosteranlage werden mehrmals täglich penibel gefegt und sind extrem sauber. Ich würde wahrscheinlich von ihnen essen. Dennoch bilden sich nach der barfuß Gehmeditation lange Schlangen an den Wasserhähnen. Die Füße werden gründlich gewaschen und geschrubbt. Da kann man natürlich nicht als Einzige dran vorbeilaufen.
Mittagessen: Essensgabe an die Mönche. Minutenlang krabbeln wir auf Knien vor den Mönchen rum. Sie packen alles in ihre überdimensionalen Schalen, sind dabei aber extrem bescheiden. Hauptsächlich nehmen sie sich Reis, denn davon gibt es reichlich. Jetzt weiß ich übrigens, was mit Buddha Bowls gemeint ist. Doch bevor es nun zum Essen geht, verfällt der Abt in einen nicht enden wollenden Redefluss. Er redet und redet. Erst ewig auf Thai, dann gibt’s Anekdoten in schlechtem Englisch. Über eine halbe Stunde erzählt der Abt irgendwelche Geschichten, die nur er selbst und die ganz Gläubigen lustig finden. Die anderen Mönche meditieren, um das aushalten zu können und auch ich sehe keinen anderen Ausweg.
Als er endlich verstummt, gehen wir zum Mittagsbuffet. Ich mache im Kopf eine Notiz an mich selbst: Sich den Nachtisch nach dem Essen nehmen zu wollen, ist keine gute Idee. War natürlich alles schon weg. Ich todesblicke alle, die tellerweise Wassermelone vor sich liegen haben. Nein Quatsch! Ich bin natürlich tiefenentspannt. Wir sind hier schließlich bei der Meditation.
Die Mönche erzählen davon, dass in der Welt da draußen Freude und Glück immer nur in äußeren Dinge gesucht werde. Familie, Freunde, das neueste Smartphone, die nächste Party. Hier im Kloster predigen sie einen anderen Ansatz. Das Glück, so sagen sie, kommt von Innen oder gar nicht. Es bedarf keiner äußeren Umstände.
Zwischen 16 und 17 Uhr soll gemeinschaftlich gearbeitet werden. Ich sitze irgendwo und schneide Gemüsereste in mundgerechte Stücke für die Fische in den beiden großen Teichen der Anlage. Da kommt schon wieder dieser Typ, der mich beim Frühstück so angestarrt hat – so ein drahtiger, grauer Westler Mitte 40 – stellt sich einfach neben mich und beobachtet mich minutenlang grinsend.
Zur Abendmeditation betreten die neun Mönche so lautlos und anmutig die Halle von hinten, dass man sie zunächst gar nicht bemerkt, obwohl es so still ist. Langsam schreiten sie nach vorne, verbeugen sich vor den Buddhastatuen. Mit dem Rücken zu uns setzen sie sich auf das Podest. Der Abendgesang beginnt. Einer der Mönche singt in ein Mikrofon, ich murmele die für mich bedeutungslosen, im Gesangbuch der Einfachheit halber in einzelne Silben getrennten Laute unsicher mit. Die Melodie ist einfach, gleichbleibend, monoton. Der Mönch pausiert immer wieder mitten im Lied wie ein Rockstar auf der Bühne, überprüft vielleicht, ob wir Schüler auch brav mitsingen.
Das Singen gilt als Vorstufe zur Vipassana Meditation. Der Geist beruhigt sich, die Gedanken verstummen. Danach folgt die Meditation im Sitzen.
Ich bin im Schlafsaal einquartiert. Die jungen Frauen sind dort allesamt mit ihren Handys beschäftigt, obwohl der Abend zur Meditation im Zimmer genutzt werden soll. Auch ich meditiere nicht weiter. Stattdessen nehme ich mir vor, die nächsten zehn Tage nicht nur zu schweigen und vegan zu leben, sondern auch auf Koffein und zusätzlichen Zucker zu verzichten und keinen Müll zu produzieren. Das heißt, keinen Nachtisch für mich und keinen in kleinen Plastiktütchen portionierten Kaffee am Nachmittag.
Meditation im Waldkloster: Tag 2
Morten
Noch habe ich kein Wort gesprochen, beschließe aber, dass dieser Zustand nicht mehr lange tragbar ist. Dafür ist es hier zu gesellig, als dass ich mir eiserne Disziplin auferlegen möchte. Ich spreche Worte. Die Rock`n`Roll-Russen von gestern Abend sind heute witzige Gesprächspartner. Onlinehypnotiseure, Lebemänner, gewiss auch Scharlatane, aber unterhaltsam. Ich mag sie.
Sprechen ist ein zweischneidiges Schwert. Manchmal ist es einfach besser nichts zu sagen und wer nicht spricht, ist häufig auch vom Zuhören befreit. Aber hier und jetzt will ich kommunizieren. Der Anstecker sitzt noch immer auf meiner Brust, aber ich beachte ihn nicht mehr. Es dauert nicht lange und unsere Wege trennen sich.
Von den Mönchen lernen wir heute, dass es besser ist, ein einfaches Leben zu führen, als ein anstrengendes. Woher haben die nur diese Erkenntnisse. Ich schweife ab. Nur kurz komme ich zurück, als der referierende Mönch die Schlussfolgerung zieht, dass ein einfaches Leben ein fröhliches Leben wäre, per se. Mich würde interessieren, ob diejenigen, die überall auf der Welt am Existenzminimum und darunter herumkrebsen das auch so sehen. Kann ja nicht jeder ein Mönch in brauner Kutte sein, der von der Gesellschaft angebetet und mit Gaben überhäuft wird.
Wieder wandeln wir durch den Garten. Pui, der Klosterhund, begleitet uns, hebt sein Bein am Sockel einer Buddhastatue. Respekt, das erfordert Mut. Wahrscheinlich hat er das in einem früheren Leben schon einmal gemacht, weshalb er nun als Hund wiedergeboren wurde. Pui scheißt auf sein Karma.
Ich denke an den Alltag der Mönche. Der ist eigentlich ganz entspannt. Viel Meditation gehört dazu. Slow Life und die ehrfürchtige Anerkennung aller anderen. Mönche stehen weit oben im thailändischen Gesellschaftsgefüge. So richtig viel müssen sie nicht selbst machen. Man trocknet ihnen sogar die Füße. Eine angesehene Aufgabe für jeden Normalsterblichen in Thailand.
Meditation im Waldkloster: Tag 2
Rochssare
Ich stelle mir den Wecker, um von 5-6 Uhr zu meditieren, stehe aber nicht auf. Im Schlafsaal, natürlich schlafen noch alle, traue ich mich nicht zu snoozen. Und ohne Aufwärmzeit um 5 Uhr aus dem Bett zu springen, schaffe ich bei aller Liebe nicht.
Bei der morgendlichen Reisübergabe sitze ich heute neben einer ganz frommen jungen Frau. Allein während wir den Mönchen Reis überreichen, betet sie fünf Mal; führt ihre rituellen Verbeugungen aus. Sogar als alle Mönche schon an ihr vorbei sind und der Reis auf ihrem Teller längst in den bauchigen Bettelschalen verteilt ist, hört sie damit nicht auf. Auch beim Frühstück macht sie weiter. Sie betet VOR JEDEM Bissen, den sie zu sich nimmt. Dann isst sie auch noch eine Banane direkt aus der Schale heraus mit einem Löffel. Als hätte sie Angst vor Penissen. Sie macht mich verrückt. Nein Quatsch! Ich bin natürlich tiefenentspannt. Wir sind hier schließlich bei der Meditation.
Ich bin fertig mit dem Frühstück. Sitze noch allein am Tisch, der Platz für zehn Personen bietet. Kommt dieser penetrante Typ, setzt sich mit seinem Teller genau mir gegenüber und fängt an zu beten. Natürlich macht er einen auf Oberbuddhist. Tage später erfahre ich, dass Morten und ein paar andere Männer im Kloster ihn nur scherzhaft „den Fundamentalisten“ nennen. Ich überprüfe direkt, ob mein Schweige-Anstecker auch deutlich zu sehen ist. LABER MICH BLOß NICHT AN, JUNGE! Ich bleibe noch zwei Minuten sitzen, nur um nicht ängstlich und flüchtend zu wirken – manche Typen finden das ja noch besonders geil – und haue dann ab.
Diese ganzen jungen westlichen Mädchen, die bei der Gehmeditation ständig stehen bleiben, um an Blüten zu riechen. Was dieser Instagram-Hippie-Coachella-Hype so alles anrichten kann. Die wenigen Thai Omas, die hier sind, sind nicht viel besser. So technikvernarrt, wie der Rest des Landes, machen sie ständig Selfies und filmen sich während der Gehmeditation.
Weit vor mir, zwischen den Männern, läuft Morten. Er macht die Gehmeditation noch immer falsch. Wahrscheinlich hat er im Begleitbuch, das wir bekommen haben und wo alles erklärt steht, ganz von vorne bei dem großen theoretischen Teil angefangen und sogar noch die Geschichte Buddhas und des Buddhismusˈ gelesen und ist nicht zum praktischen Teil vorgedrungen.
Die Sitzmeditation ist dagegen spannend. Für viele Westler ist es bereits unmöglich, schmerzfrei eine halbe Stunde auf dem Boden zu sitzen, geschweige denn ruhig zu bleiben und zu meditieren. Während der junge Thai vor mir noch das einzige Kissen unter seinem Hintern wegzieht und nur auf einer dünnen Matte sitzt, holt sich der Europäer neben ihm fünf extra Kissen und baut sich einen kleinen bequemen Thron, ehe er sich setzt.
Ich kann mich gar nicht auf die Meditation konzentrieren. Meine Gedanken springen mal hier und mal dort hin. „Monkey Mind“ nennen das die Mönche. Bei der Meditation nach dem Mittagessen nicke ich die ganze Zeit weg. Ich glaube sogar, selbst die Mönche schlafen ein bisschen. Bei der Liegemeditation versuchen viele Teilnehmer gar nicht erst wachzubleiben. Einige Frauen haben sogar Tücher mit, um sich zuzudecken.
Heute ist übrigens eine Hütte freigeworden und ich durfte einziehen. Nach der Gruppenmeditation meditiere ich in meinem Zimmer, doch die US-Amerikanerin in der Nachbarhütte ruft über zwei Stunden lang nacheinander ihren Freund, ihre Eltern, ihre Schwester und ihre beste Freundin an. Dank Lautsprecherfunktion darf ich die Gespräche auf beiden Seiten mitverfolgen. Sie macht mich verrückt. Nein, Quatsch! Ich bin natürlich tiefenentspannt. Wir sind hier schließlich bei der Meditation.
Meditation im Waldkloster: Tag 3
Morten
Nicht alle Besucher des Waldklosters halten es lange aus. Matthijs, ein hochgeschossener Typ mit dem legendären Tattoo „Made in Holland“ auf dem Spann ist nach einer Meditation schon wieder weg. Man muss sich drauf einlassen können. Das sitzen auf dem Boden ist nur ein Aspekt. Die Bräuche, die demütige Haltung gegenüber den Mönchen ein anderer. In Europa wurde lange und blutig gekämpft, um diese Unterwürfigkeit zu überwinden. Darum fällt es hier auch nicht jedem leicht niederzuknien und die Hände vor der Brust zusammenzulegen, um den Mönchen Respekt zu erweisen. Auch ich sträube mich innerlich. Aber dann fällt mir folgende Weisheit ein: Andere Länder, andere Sitten und damit arrangiere ich mich recht gut.
Mittlerweile sind einige Teilnehmer gegangen und andere gekommen. Sergej und David heißen die Neuen, die ihre dünnen Matratzen neben mir in den Schlafsaal werfen. Nach drei Tagen gehöre ich hier langsam zum alten Eisen.
Die Mönche lehren heute buddhistische Glaubenssätze. Es gibt kein Selbst, sagen sie, kein Ich, nur eine Vorstellung davon. Das Ich sei eine Illusion. Darum sei auch das Ego nichtig. Zeit darüber nachzudenken bietet die Gehmeditation im Anschluss. Während meine Füße über heißen Beton und spitze Steinchen schleichen, jongliert mein Geist mit buddhistischer Lehre. Dann bin ich verwirrt.
Meditation im Waldkloster: Tag 3
Rochssare
4.50 aufstehen. 45 Minuten gute Meditation im Zimmer. Unsere morgendliche Reisgabe an die Mönche ist ja irgendwie doppelt gemoppelt. Das ganze Essen, das im Kloster zubereitet wird, ist ja bereits entweder direkt gespendet oder mit Spendengeldern finanziert worden. Aber das reicht nicht. Stattdessen wird der Reis jeden Morgen in Teller gefüllt, damit wir ihn auf Knien den Mönchen Löffel für Löffel in die massigen Schalen geben.
Manch ein westlicher Schüler fällt nach der Reisgabe zurück in einen breiten Lotussitz und bei dem einen oder anderen sieht es wie wortloses Angeben aus. Seht her, wie weit ich meinen Hüftbeuger dehnen kann. Nachdem der Reis in die Schalen der Mönche gefüllt ist, geht der Abt reihum. Ein Wort zu jedem neuen Schüler. Verrückt, dass er sich die ganzen Gesichter merken und auseinander halten kann.
Momentan sind etwa 50 Schüler im Kloster. Der Abt kann ein bisschen Deutsch, ein bisschen Mandarin, ein bisschen Japanisch. Seine sprachlichen Fähigkeiten beschränken sich jedoch auf wenige Worte, nie mehr als ein Halbsatz. Dann fällt er zurück in die allgegenwärtigen, immer wiederkehrenden Phrasen „Be happy! Enjoy Thai Food“ und „Beautiful Vipassana“.
Der Unterricht am Vormittag wird von einem jungen Mönch mit modischer Hornbrille übersetzt. Er spricht davon, dass man Emotionen und Verlangen nur genau beobachten brauche, um festzustellen, dass sie ansteigen, aber auch wieder vergehen. Das Ziel der Übung ist es, nicht darauf zu reagieren. Immer wieder geht mir durch den Kopf, ob Verlangen tatsächlich so schlecht ist. Was ist denn besser, als etwas zu erreichen, was man schon immer wollte? Was kann größer sein als der folgende Genuss? Außerdem bin ich verwundert darüber, wie viele Westler im Buddhismus ihre Erfüllung finden wollen; hier auf die Knie fallen, zu Buddha beten. Wo doch im Westen die Religion so einen geringen Stellenwert hat. Wie viele Asiaten finden eigentlich Gefallen am Christentum und geben sich diesem vollends hin?
Bei der Gehmeditation ist es wieder die junge fromme Frau vom Frühstück, die meine Aufmerksamkeit erregt. Sie ist natürlich die erste in der Frauengruppe und verursacht einen Riesenstau, weil sie mindestens 500 Meter Abstand zu den Männern vor ihr halten will.
Bei der Essensgabe zum Mittagessen überreichen alle Schülerinnen nur dem Abt die Speisen. Die Männer werden auf die restlichen acht Mönche aufgeteilt. Das heißt, dass jede Speise dem Abt von drei Frauen übergeben wird. Ich kann nur spekulieren, warum. Vielleicht, weil dem Abt zugetraut wird, dem Anblick kniender Frauen am besten widerstehen zu können?
Als das Essen verteilt ist, prüft der Abt mal wieder unsere Geduld. Er redet, etwa eine halbe Stunde lang, hauptsächlich auf Thai. Dann schließt er ein paar Brocken Englisch an. Obwohl er die Sprache kaum beherrscht, gelingt es ihm minutenlang Schoten zu reißen. Er lacht viel, hebt beide Daumen in die Luft, macht die merkwürdigsten Geräusche, besitzt ein breites Repertoire an Gestik und Mimik.
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Wahrscheinlich ist er auch deswegen der Abt, weil er mit jedem reden können muss. Es kommen ja ständig Leute ins Kloster und bringen Essensspenden. Er nimmt sie alle an, hält den lieben langen Tag Pläuschchen und gibt seinen Segen. Für die übrigen Mönche dort auf dem Podest ist es wahrscheinlich genauso schlimm wie für uns; vielleicht schlimmer. Ihr Essen liegt ja schon vor ihnen in den Schalen. Wahrscheinlich sind sie genauso hungrig wie wir.
Bei der Meditation nach dem Mittagessen bin ich das erste Mal nicht eingeschlafen. Sogar bei der Liegemeditation habe ich es geschafft, wach zu bleiben. Ganz anders der kräftige Typ, der gestern angekommen ist. Bei der Meditation im Sitzen pennt er nicht nur ein, er fällt auch richtig nach hinten um, kann sich aber gerade noch so vor dem Aufprall retten. Bei der Meditation im Liegen schafft er es 20 Minuten am Stück laut zu schnarchen.
Was hier auch für Leute rumlaufen. Irgendwie ist das Kloster ein Sammelbecken für Verrückte. Ständig hebt irgendjemand Blumen auf, steckt sie sich ins Haar, tanzt mit ausgebreiteten Armen lachend im Regen. Nach zwei Tagen Meditation, sind einige schon die glücklichsten Menschen der Welt. Ich glaube, viele hier haben einfach einen an der Klatsche.
Übrigens: Wenn man ALLES mit Achtsamkeit macht, wie die Mönche es verlangen, ist man verdammt LANGSAM. Und es offenbaren sich weitere Probleme. Je mehr man mit sich und seiner Achtsamkeit beschäftigt ist, umso weniger Achtsamkeit kann man seiner Umwelt entgegenbringen. Wenn ich zum Beispiel einen schweren Topf Reis von A nach B schleppen muss und auf dem Weg hinter jemandem steckenbleibe, der total achtsam AUF SICH SELBST einen Fuß im Schneckentempo vor den anderen setzt und mich in seiner Trance gar nicht bemerkt und mir dabei fast die Arme abfallen, stehe ich der Achtsamkeit durchaus kritisch gegenüber.
Manchmal wenn ich die Leute hier reden höre, bin ich sehr froh um meinen Schweige-Anstecker. Ich wünschte, ich hätte so einen auch im Alltag.
Bei der Meditation am Nachmittag hat sich ein Typ große, pinke Blumen hinter die Ohren gesteckt, für bessere Energien. Manchmal ist meine Schmerzgrenze einfach erreicht. Ich weiß nicht, was ich von ihm und Seinesgleichen halten soll. Buddhismus, Meditation, Achtsamkeit, Yoga ist ja auch gerade einfach sehr modern, immer im Gespräch. Ist das Hippietum zur Boho-Modeerscheinung verkommen? Om murmelnde Mode-Hippies, die sich ständig Blumen in die Haare stecken. Aber mal nach dem Mittagessen mitanpacken und einen Topf abwaschen, soweit geht es dann doch wieder nicht.
Später dürfen wir dem Mönch Fragen stellen. Jemand möchte wissen, ob die Mönche auch Smartphones haben und wie sie es schaffen, nicht süchtig zu werden. Wohl die Fragen unserer Generation.
Letzte Gruppenmeditation des Tages war wieder sehr gut. Ich glaube, das liegt am Chanting vorher. Ich habe während der Meditation meine Hände nicht mehr gespürt und hatte ein bisschen Angst.
Meditation im Waldkloster: Tag 4
Morten
Die beiden Russen vom ersten Abend sind verschwunden, abgehauen nach Ko Pha Ngan – sie bräuchten jetzt Party. Was sie verpassen, ist ein Meisterstück an Menschlichkeit im Mönchsgewand. Habt ihr schon mal einen wütenden buddhistischen Mönch gesehen? Ganz großes Kino. Während der Lektion zum Buddhismus fühlt sich der vortragende Mönch vom Geflüster aus den hinteren Reihen gestört und bricht in eine Tirade aus. „I am the teacher. When I am speaking you have to be quiet”, schnaubt er. “You don`t respect the Dhamma. You will have bad Karma.” Und dann, der Schlussakkord in epischem Groll: „When you want something the next time, you will not get it!”, flucht er. Ein buddhistischer Faustschlag ins Gesicht.
Ob er dabei an sein eigenes Karma gedacht hat? Es gibt da so ein paar Dinge im Buddhismus, die man unbedingt vermeiden sollte. Dazu gehören Ego und Anhaftung. Wie weit aber ist ein buddhistischer Mönch von seinem Ego entfernt, wenn er sich selbst so wichtig nimmt? Und seit wann darf er eigentlich Schuldgefühle vermitteln? In wenigen Sätze verliert der Mönch seine gesamte Autorität, was ich ihm hoch anrechne, denn endlich, am vierten Tag, erscheint er wie ein ganz normaler Mensch.
Meditation im Waldkloster: Tag 4
Rochssare
Bin nachts um 24 Uhr total verwirrt und müde aufgewacht, in der festen Überzeugung jetzt aufstehen zu müssen. Nach paar Minuten gucke ich auf die Uhr und stelle fest, dass ich noch fast fünf Stunden schlafen kann. Überwältigendes Glücksgefühl.
Fünf Stunden später meditiere ich 40 Minuten lang. Ich beginne im Dunkeln und wenn ich die Augen öffne, ist es gerade hell geworden. Draußen umhüllen Nebelschwaden die nahen Berge und trotzdem geht die Sonne dahinter unverdeckt auf. So schön!
Es sind nur noch eine Handvoll Leute vom ersten Tag da. Komisch, dass hier so ein Kommen und Gehen ist. Wie anders es wäre, wenn alle gemeinsam anfingen und gemeinsam das Kloster verließen. Eine Frau beschwert sich in der Schlange beim Frühstück darüber, dass es jetzt an ihrem dritten Tag im Kloster das dritte Mal Reis gibt. Als würde man sich in Deutschland darüber beschweren, dass es zum Frühstück immer Brot gibt. Oder in der Jugendherberge immer kalten Hagebuttentee.
Ich frage mich, wie das für die Mönche sein muss. Manch einer ist seit 20, 30, 40 Jahren Mönch. Ihnen wird so viel Ehrerbietung entgegen gebracht. Diese Anbetung der Mönche ist noch immer verstörend für mich, bin ich doch mit dem Gedanken aufgewachsen, dass alle Menschen gleich sind.
Aber was macht das mit den Mönchen selbst? Wie verändert sich der Charakter? Gibt es deswegen hier im Kloster nur treudoofe Hunde und keine herrischen Katzen? Wie entscheiden die Mönche eigentlich, wer der Abt wird? Gibt es Machtkämpfe und Intrigen? Immerhin steht der Abt noch eine Stufe über allen anderen. Dem Obersten im Kloster dient selbst ein Mönch als Taschenträger. In der Dhamma Hall verneigen sich alle neun Mönche zunächst vor Buddha, dann verneigen sich acht Mönche vor dem Abt.
Dieser penetrante Typ hört nicht auf mich anzustarren. Ständig taucht er in meiner Nähe auf. Sitzt morgens bei der Essensgabe immer genau mir gegenüber, auf der anderen Seite der Halle und starrt mich an. Beim Abwaschen kann ich drauf wetten, dass er vor mir am selben Waschbecken stehen wird.
Habe bei der Meditation wohl die Stufe „Stable Mind“ erreicht, kann mich nun, aus der Vogelperspektive, gleichzeitig auf meinen Körper und meine Gedanken konzentrieren. Weiß jetzt nicht genau, wie es weitergeht. Dafür ertrage ich mittlerweile die Staus bei der Gehmeditation mit stoischer Ruhe. Die Meditation wirkt anscheinend.
Beim zweiten Unterricht quasseln zwei Mädchen, während der Mönch lehrt. Dieser rastet total aus und staucht die beiden mit irrem Blick zusammen. Er bemängelt den fehlenden Respekt ihm und der buddhistischen Lehre gegenüber. Und bringt den besten Spruch. Wegen der Aktion hätten die beiden nun schlechtes Karma. Das nächste Mal, wenn sie etwas erreichen wollten, würden sie deswegen scheitern. Das sag ich ab jetzt auch, wenn mir jemand dumm kommt. „Jetzt hast du schlechtes Karma und das nächste Mal, wenn du etwas unbedingt willst, wirst du es nicht erreichen.“ Und dann lache ich laut. HAHAHA!
Gewissensfrage: Wenn beim Chanting der Mönch die englische Übersetzung der Wörter total falsch ausspricht, alle Thais aber inbrünstig seiner Version folgen, singt man dann die Wörter auch falsch mit?
Ich habe jetzt in einem Buch aus der kleinen, mit buddhistischen Lehrbüchern und spirituellen Lebensanweisungen gefüllten Bibliothek nachgelesen. Die nächste Stufe nach dem „Stable Mind“ ist das Beobachten der fünf Daseinszustände: Körper, Gefühl, Gedanken, Erinnerung und Bewusstsein. Die Frage bleibt natürlich, wer ist dann der Beobachter? Wer bin ich?
Wie ich Körper, Gedanken und Gefühle beobachten soll, verstehe ich ja. Aber wie man sein Bewusstsein aus der dritten Perspektive beobachten soll, ist dann auch im Buch nur sehr schwammig beschrieben. Der Mönch sagt, dass wenn man in einem früheren Leben viel meditiert hat, Meditation im jetzigen Leben sehr leicht fallen könne. Vielleicht ist das, laut den Weisheiten der Mönche, bei mir der Fall. Ich hab im Vipassana Kurs in Nepal schon gute Fortschritte gemacht. Und auch jetzt fällt es mir extrem leicht, obwohl ich eigentlich wenig Interesse habe. Aber vielleicht ist das genau der Grund. Wenn man etwas zu verbissen will, dann erreicht man es nicht, heißt es im Buddhismus. Zumindest, was die Meditation angeht.
In meinem Meditationstraining befinde mich nun am Ende von Stufe 3, bereite mich auf Stufe 4 vor. Die klingt in den Büchern aber in der Umsetzung sehr kompliziert. Und Stufe 5 ist dann schon Erleuchtung. Aber auf Stufe 4 bleibt man in der Regel sein Leben lang.
Nach dem Chanting und der Meditation ziehen Wolken auf. Die fettesten und schwärzesten Wolken. Ich denke auf dem Weg in meine Hütte, es sei bereits tiefste Nacht, doch dann sehe ich, dass eigentlich erst blaue Stunde ist. Wie schön die dicken schwarzen Wolken im Kontrast zum leuchtend dunkelblauen Himmel aussehen. Und das Mädchen nebenan in der Hütte sitzt auf ihrer Terrasse, hat kein Auge für den Himmel und scrollt bei Facebook.
Ich habe heute in dem Buch gelesen, dass man laut Buddha den ganzen Tag achtsam sein sollte. Bei jeglicher Tätigkeit. Auch beim Kacken. Das fand ich verstörend.
Meditation im Waldkloster: Tag 5
Morten
Zwei Fliegen tanzen auf meiner Stirn. Ihre winzig kleinen Beinchen krabbeln über meine Haut und jeder Schritt zieht wie ein Echo über meinen gesamten Kopf. Ich öffne die Augen. In der Dhamma Hall ist es mucksmäuschenstill. Wir meditieren. Naja, nicht alle. David huscht mit seinem Blick über die Reihen. Als er mich sieht, lächelt er schelmisch, macht die steife Körperhaltung des Kerls vor ihm nach. Es ist ein Farang mit grauem Bart, den wir bereits als Fundamentalisten kategorisiert haben. Kerzengerade sitzt er stundenlang in der Dhamma Hall, vollführt die tiefsten Verbeugungen und ist ganz der Streber, den niemand in der Klasse ernst nimmt.
Um 10.30 Uhr erweisen wir den Mönchen die Ehre und servieren ihnen das Mittagessen. Die ganze Nummer ist dabei sehr religiös, ernst. Die Mönche, erhaben und wichtig, sitzen auf ihrem Podest, während wir, die männlichen Teilnehmer, in einer langen Reihe zu ihren Füßen knien und sämtliches Essen durchreichen. Es fängt an mit Reis, dann folgenden verschiedene Currys, Obst, an manchen Tagen sogar süße Kekse. Die Mönche greifen zu, füllen ihre überdimensionalen Bettelschüsseln.
Manchmal spenden Dorfbewohner Lebensmittel, die wir ebenfalls von vorne nach hinten durchreichen, damit alle Mönche betrachten können, was ihnen spendiert wird. So geben wir riesige Tüten voller Bohnen, aber auch Knoblauchbündel oder Wassermelonen von einer Hand in die nächste. Doch heute bleibt es nicht dabei.
Ich sitze irgendwo im hinteren Teil der Reihe, vor mir ein feister Mönch mit weichem, jugendlichem Gesicht. Was durch die Reihe gereicht wird, sehe ich erst, wenn es mir von David, der links von mir sitzt, in die Hände gegeben wird. Die Situation ist wie immer unangenehm. Da wir minutenlang vor den Mönchen knien, um ihnen demütig das Essen zu reichen, blicke ich starr geradeaus, vorbei am rechten Knie des jungen Mönches und hinaus in den Garten.
Plötzlich drückt mir David einen Kürbis in die Hand, nicht besonders groß, nicht besonders hübsch. Ein durchschnittlicher Durchschnittskürbis. Alles andere als besonders. Ich gebe ihn an Sergej weiter, der rechts von mir sitzt. Links von mir nähert sich bereits der nächste Kürbis. Er ist ein bisschen kleiner, ein bisschen schrumpeliger als der erste. Ich gebe ihn weiter. Dann folgt ein nächster Kürbis, noch mickriger, noch verbeulter. Und wieder reiche ich ihn weiter. Es folgt ein weiterer Kürbis, noch unansehnlicher, als die vorherigen.
Was für ein Bild muss das für die Mönche sein? Eine Schrumpelparade zieht an ihnen vorbei. Jede Frucht hässlicher als die vorherige. Und es hört nicht auf. Etwa 15 Kürbisse finden so ihren Weg vorbei an den heiligen Männern und mir steigen die Tränen in die Augen. Krampfhaft versuche ich ein Lachen zu unterdrücken. Doch das Bild in meinem Kopf, die tanzenden Kürbisse, bleibt, steigert sich zu einem Witz, den man nur lustig finden kann, wenn man bereits seit fünf Tagen hier unten kniet und diesen Mönchen das Essen auf das Podest reicht, damit sie nicht selbst aufstehen müssen.
Es ist ein wenig peinlich, aber immerhin kann ich mich so weit zusammenreißen, dass nur immer und immer wieder ein leiser, gepresster Ton meinen zusammengekniffenen Lippen entweicht. Ich versuche mich in Meditation, im Aushalten von Stressmomenten, und reiche unentwegt einen Kürbis nach dem anderen weiter.
Meditation im Waldkloster: Tag 5
Rochssare
5 Uhr morgens: 40 Minuten regungslose Meditation im Schneidersitz ausgehalten.
Nach dem Frühstück habe ich einen Litschi Baum hinter meiner Hütte entdeckt, mit vielen tiefhängenden Früchten. Hab eine ganze Tüte abgepflückt und zum Mittagessen mitgenommen. Heute bei der Gehmeditation duftet es wunderbar nach frisch gemähtem Rasen. Während die Männer die Anweisung „normal gehen“ weitestgehend beachten, haben die Frauen wohl Probleme mit ihrem Selbstbildnis und mit dem, was sie als normal erachten. Ich laufe hinter einem kanadischen Mädchen, die immer so komische Ballerinasprünge macht und mich an ein Reh erinnert. Sie ist übrigens mit uns zusammen im Kloster angekommen und trägt seit heute ihren Schweige-Anstecker nicht mehr. Dafür redet sie nun wie ein Wasserfall. Beim Frühstück hat sie eine Stunde lang einen 10-Personen Tisch komplett alleine unterhalten. Augenscheinlich ohne Luft zu holen.
Ich trage meinen Schweige-Anstecker mittlerweile nur noch aus Selbstschutz.
Die Meditation nach dem Mittagessen war Katastrophe. Ich bin die ganze Zeit eingeschlafen. Es war so schlimm, dass ich mich gar nicht mehr getraut habe, die Augen zuzumachen. Nach dem Mittagessen setzt immer ein Gefühl von Traurigkeit ein, weil es so lange bis zum nächsten Essen dauert.
In der ersten Unterrichtseinheit ging es wieder um Verlangen und wie man es schafft, das Gefühl des Verlangens zu kontrollieren. Zur Veranschaulichung spricht der junge Mönch übrigens immer nur von Schokolade und schönen Frauen. Seine größten Laster, nehme ich an. Ich habe heute, nach fünf Tagen und zehn Gehmeditationen erst gemerkt, dass die Gehmeditationen morgens und nachmittags über zwei verschiedenen Strecken durch den Garten führen.
Wir sind mittlerweile etwa zehn Männer und 40 Frauen. Sehen wir von außen betrachtet eigentlich aus wie eine Sekte oder wie ein Irrenhaus? Ich frage mich immer, was Außenstehende denken, wenn sie das erste Mal ins Kloster kommen. Vieles erscheint einem ja erst komisch. Mir auch. Aber man guckt halt, wie die anderen es machen und macht es dann einfach nach. Und irgendwann gewinnt ein Gefühl von Normalität Oberhand. Einfach, weil es alle machen. Es ist der Kern vieler gesellschaftlicher Probleme, den wir hier vorleben.
Fasst mich dieser penetrante Typ doch einfach an. Abends beim Wegbringen der Kissen in der Dhamma Hall hechtet er mir echt drei Schritte hinterher, um mich an der Schulter zu packen und mir anzudeuten, dass ich meine Kissen auf einen anderen Stapel legen soll. Ich fühle mich mittlerweile echt verfolgt. Egal, wo ich bin, ist er auch. Kaum wasche ich Geschirr, ist er auch mit dem Essen fertig, kommt in die Küche, guckt sich erstmal um, wo ich bin und stellt sich zu mir. Er steht irgendwo rum, sieht mich kommen und wartet, bis ich an ihm vorbei gehe, um dann neben mir zu gehen. Ich bringe mein Geschirr zum Trocknen, steht er wieder neben mir. Er läuft 4-6 am Tag an meiner Hütte vorbei. Vielleicht geht er auch nur spazieren, aber warum hier zwischen den Hütten für die Frauen? Auf dem Klostergelände gibt es ja extra eine Spazierrunde entlang des Sees. Ich habe bestimmt irgendetwas gemacht, dass er denkt, ich bin interessiert. Wahrscheinlich ist diese ganze Psychoscheiße für ihn Flirten. Ich muss lernen deutliche Signale des Desinteresses zu geben. Dabei ignoriere ich ihn immer, gucke weg, habe ihn noch nie angelächelt oder so. Ich laufe schon immer Umwege quer über den Rasen oder durch die Dhamma Hall, weil er immer irgendwo vor meiner Hütte rumstreunert oder mir auflauert.
Gewitter während der Abendmeditation.
Vipassana Meditation im Waldkloster Wat Pa Tam Wua in zwei Teilen
Teil 1: Tag 1-5
Teil 2: Tag 6-10
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Aus dem hohen Norden Deutschlands hinaus in die Welt: 2011 zieht es Morten und Rochssare für zwei Jahre per Anhalter und mit Couchsurfing auf den südamerikanischen Kontinent. Genauso geht es nun weiter. Jetzt jedoch in die andere Richtung. Seit 2014 trampen die beiden auf dem Landweg von Deutschland nach Indien und weiter nach Südostasien. Es gibt noch viel zu entdecken.
Von ihren Abenteuern und Begegnungen erzählen sie in ihren Büchern „Per Anhalter durch Südamerika“ und „Per Anhalter nach Indien“, jeweils erschienen in der National Geographic Reihe bei Malik.
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