Ipanema, Rio de Janeiro, Brasilien, Titel
Ein Leben in Flip-Flops

Rio de Janeiro, die fabelhafte Stadt


10. April 2021
Brasilien
Schreibe etwas

Cariocas gehen mit stolzgeschwellter Brust durch die Straßen ihrer Stadt. Lebensfreude schwingt mit jedem Schritt; entlang feiner Sandstrände, über geschwungene Hügel und durch den nahen Regenwald. Rio de Janeiro, die cidade maravilhosa, zieht ihre Einwohner und Neuankömmlinge jeden Tag in den Bann.

Selbst abseits der Klischees ist Rio zauberhaft. Mit unserem Gastgeber Diogo durchstreifen wir die Viertel Lapa und Santa Teresa im Zentrum der Metropole. Die nimmermüde Stadt gibt sich hier unerwartet ruhig, beinahe bescheiden. Statt Großstadtlärm hängt Kleinstadtcharme in den engen Gassen. Wir schlendern über Kopfsteinpflaster vorbei an Cafés und Restaurants bis hinauf zu einem Aussichtspunkt. Der Blick führt über die Bucht und die fabelhafte Stadt, die für ein paar Tage unser Zuhause sein wird. Der Zuckerhut, die Skyline – hundertfach gesehen. Das Panorama ist uns bestens vertraut, obwohl wir zum ersten Mal hier stehen.

Von der Bucht strömt Seewind durch die Gassen. Er kühlt uns an den heißen Nachmittagen, die mit tropischen 40 °C andernfalls kaum auszuhalten wären. Wenige Menschen sind in Lapa unterwegs. Ganz in der Nähe wohnt Diogo in einer Studenten-WG. Wir teilen uns ein winziges Zimmer mit ihm und seinem Mitbewohner Mauricio, das wir nachts zu viert fast vollständig ausfüllen.

Dann ist es so heiß, dass selbst der Ventilator mit klappernder Kraft keine Linderung verschafft. Doch schlimm ist das nicht, denn wir schlafen sowieso kaum. Stattdessen lernen wir von Diogo alles, was es über Rio de Janeiro zu wissen gibt: ein Leben in Boardshorts und Bikini, ein Leben im Strandlook mit zerzaustem Haar und Sonnenbrille, ein Leben im Rhythmus der Samba, zu dem man hier in Flip-Flops tanzt, ein Leben für den Karneval.

Blick auf Rio de Janeiro
Praca Cinelandia, Rio de Janeiro, Brasilien
Arcos de Lapa und Kathedrale, Rio de Janeiro
Mural in Lapa, Rio de Janeiro

Hang Loose – Lebensfreude in Rio de Janeiro

Diogo, der selbst ein Jahr in England lebte, liebt Rio de Janeiro und hadert doch mit seiner Stadt. Die entspannte Grundhaltung, das Hang Loose, vieler Cariocas nervt ihn und viel lieber würde er in São Paulo leben; in der Stadt, deren Bewohner sich nicht einfach treiben lassen, sondern anpacken. Für die meisten Cariocas ist diese Vorstellung unverständlich. Sie weigern sich sogar, auch nur ein Wort mit einem arbeitswütigen Paulistas zu wechseln. So vergehen Stunden um Stunden, in denen wir dem Lebensgefühl der Cariocas näher kommen. Warum Stress und Eile, wenn der Strand vor der Tür liegt und ganzjährig Sommer herrscht?

Die ruhigen, charmanten Gassen Lapas verwandeln sich an vier Abenden der Woche zu Rios Ausgehviertel. Tausende Cariocas und Touristen erwecken die Nacht zum Leben. Bars öffnen ihre Türen, fahrende Händler verkaufen Snacks und Getränke, Kleinkünstler unterhalten Schaulustige. Auf der Straße steppt ein junger Mann in beschlagenen Lackschuhen über eine Holzplatte. Nicht weit entfernt gießt ein Beatboxer urbane Musik über klassische Geigentöne. Am anderen Ende der Straße sitzen Männer auf dem Gehweg, trinken Bier und schlagen muntere Rhythmen auf den Trommeln zwischen ihren Beinen. Daneben dröhnen Samba, Bossa nova, Funk und Reggae aus den Bars und Klubs. Auch MPB, Musica Popular Brasileira – brasilianische Pop-Musik, die trotz ihres Namens nicht besonders populär ist, klingt immer wieder an.

Vor den Klubs regeln fein gekleidete Schränke aus Fleisch und Blut den Einlass. Nur ein paar Meter weiter liegen halb nackte, vom Crack betäubte Gestalten auf dem immer noch heißen Asphalt. Betrunkene Europäer in kurzen Hosen und verschwitzten T-Shirts starren mit silbrigem Blick hübschen Brasilianerinnen in aufregenden Kleidern hinterher. Rio ist ein Schmelztiegel und so ist es auch Lapa – nichts, was es hier nicht zu sehen gibt. Von zwei älteren Damen lassen wir uns Caipirinha in große Becher schütten und schlendern bis zur Escadaria do Selarón.

Nachtleben in Lapa, Rio de Janeiro
Mural und schlafende Person auf Bürgersteig in Lapa, Rio de Janeiro

Escadaria do Selarón – bunte Bilder im Rausch

Diese Treppe, vom chilenischen Künstler Jorge Selarón entworfen, ist über und über mit bunten Kacheln aus aller Welt besetzt. Tagsüber ein Kaleidoskop globaler Schauplätze, ist sie nachts Treffpunkt der Schlaflosen. Drogendealer beanspruchen die Stufen für sich. Marihuanarauch schwebt ungestört über den Köpfen der meist jugendlichen Besucher. An der Escadaria do Selarón ist ihr Rausch sicher, denn gegen ein bisschen schmutziges Geld drückt die Polizei regelmäßig beiden Augen zu.

Am nächsten Morgen stehen wir schon früh am unteren Ende der Treppe. Ein paar Betrunkene taumeln noch immer auf ihr herum, während wir Stück für Stück, Stufe für Stufe die vielen Kacheln betrachten. Aus aller Herren Länder finden wir Keramikstücke. Deutschland ist dabei auffällig oft vertreten: Hamburg, Bremen, Rügen, Rostock, Essen; alles wesentlich für uns. Die mehr als 200 Stufen der Treppe sind ein Sammelsurium von Erinnerungsstücken, Kitsch und Liebesschwüren an jeden hier verewigten Ort. Wir brauchen lange, um auch nur die ersten 10 Stufen zu erklimmen.

Der Künstler Selarón, den wir in seinem Atelier auf halber Höhe der Treppe antreffen, widmet dieses Projekt dem brasilianischen Volk, wie er sagt. Grün, gelb und blau, die Farben der brasilianischen Flagge bestimmen seine Arbeit. Ein bisschen kauzig wirkt er mit seinem gezwirbelten, buschigen Schnauzbart und dem eindringlichen Blick, mit dem er die Besucher seines Studios beobachtet. Mehr als ein „Hola“ kommt nicht aus ihm heraus. Typische Künstleraura denke ich; irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn.

Vielleicht ist das zu kurz gegriffen. Nur wenige Tage nachdem wir Rio verlassen, wird Jorge Selarón mit Verbrennungen tot auf der Escadaria do Selarón gefunden werden. Die Polizei wird mitteilen, dass sie ein Verbrechen nicht ausschließen kann, während Selaróns Freunde angeben werden, dass er zuletzt an Depressionen litt und Drohbriefe erhalten habe. Viele Spekulationen werden kursieren, die erst enden, als die Polizei Selaróns Tod zum Selbstmord erklären wird.

Doch all das ist Teil einer vergangenen Zukunft. Wir erreichen an einem sonnigen Vormittag das obere Ende der Treppe. Mehr als eine Stunde haben wir die vielen verschiedenen Kacheln bestaunt und schon beim Abstieg entdecken wir mit jedem Schritt neue Platten mit Bildern und Zeichnungen, die uns zuvor nicht aufgefallen waren. Es ist, als ob die Treppe atmet und dabei immer wieder neue Bilder an ihre Oberfläche befördert.

Nachtleben an der Escadaria do Selarón, Rio de Janeiro
Escadaria do Selarón, Rio de Janeiro
Escadaria do Selarón, Rio de Janeiro

Cristo, Erlöser einer Stadt

Ganz in der Nähe findet jedes Wochenende die Feira do Rio Antigo statt. Ein Markt, der von antikem Schrott bis zu kleinen Schätzen alles hat. Designer und Sammler treffen aufeinander, bestaunen Brauchbares und Nutzloses. Silberbesteck wechselt hier ebenso die Besitzer wie hängende Frösche aus Stoff, deren Bäuche Krimskrams aufbewahren können. Straßenmusiker und Kleinkünstler verwandeln die Feira do Rio Antigo außerdem in einen kleinen Zirkus, der uns in den Abendstunden auf Rios verrückte Nächte einstimmt.

Wir sind noch nicht lange in Rio de Janeiro und doch ruhelos angesichts der vielen Sehenswürdigkeiten, die wir bestaunen wollen. Das vielleicht bekannteste Wahrzeichen der Stadt ist die Statue Cristo Redentor. Auf dem Hügel Corcavado hebt der Erlöser seine Arme schützend über die Cariocas. Dort oben ist er nicht allein, vermutlich nie. Wer zu Cristo will, kommt stets in Gesellschaft. Hunderte Menschen drängen auf die Aussichtsplattform. Für die beste Perspektive werfen sie sich mit ihren Kameras auf den Boden und kämpfen in der Masse um jeden Zentimeter. Sie schubsen, drücken und quetschen. Bewegungen ohne Körperkontakt mit anderen gibt es nicht. Es ist Wahnsinn.

Aussichtsplattform vor Cristo Redentor, Rio de Janeiro
Cristo Redentor, Rio de Janeiro

Jede Pose ahmt das 38 Meter hohe Vorbild nach. Ausgestreckte Arme schlagen in die Gesichter der Umstehenden. Es ist ein Preis, der so ähnlich bereits in der Bibel gefordert wird: „[…] wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“ Klare Anordnung, nachzulesen in Matthäus 5:39. Hier auf der Plattform gibt es die Chance, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Der nächste Schlag ist nicht weit entfernt.

Wenn die Fotografen den richtigen Winkel gefunden und so viele Menschen wie möglich aus dem Bildausschnitt verbannt sind, dann zieht wahrscheinlich eine Wolke vor die Statue und alles Drängeln, Kämpfen und Fluchen war umsonst. Das perfekte Foto mit Cristo erfordert Geduld.

Uns wird das zu stressig. Sollen sich die anderen ärgern. Wir lassen den Blick über die Stadt gleiten. Die Strände Copacabana und Ipanema liegen in unmittelbarer Nähe und auch der Pão de Açúcar, der Zuckerhut, ist greifbar nah. Natürlich ist auch diese Aussicht umkämpft, aber wenigstens bleibt uns das Auf-den-Boden-werfen erspart.

Cristo Redentor, Rio de Janeiro
typische Position der Fotografen am Cristo Redentor, Rio de Janeiro
Aussichtsplattform vor Cristo Redentor, Rio de Janeiro

Silvester in Rio de Janeiro

Gemeinsam mit Diogo machen wir uns auf den Weg nach Copacabana. Es ist der 31. Dezember und das Jahr in wenigen Stunden vorbei. Zwei Millionen Menschen tummeln sich am feinen, 4,5 Kilometer langen Sandstrand, um das neue Jahr willkommen zu heißen. Nationale und internationale Musiker spielen Konzerte, Bier und Caipirinha fließen in beachtlicher Menge. Bereits seit dem späten Nachmittag ist der gesamte Stadtteil Copacabana für den Privatverkehr gesperrt. Nur noch Busse und Taxen fahren.

Ab 21 Uhr ist Copacabana eine Fußgängerzone, vollgestopft mit fröhlichen, tanzenden und berauschten Menschen. Am Strand zeigt Diogo hinauf zu den riesigen Apartmenthäusern in Ufernähe. Die Fensterfronten der obersten Stockwerke leuchten in bunten Lichter. „Dort oben“, sagt er, „tanzen die VIPs.“ Wer einmal im elften Stock über dem Strand von Copacabana Silvester feiern möchte, braucht ungefähr 1.000 US-Dollar nur für den Eintritt.

Unten am Wasser versammeln sich Cariocas und Touristen. Mit den Rhythmen der Musiker warten wir gemeinsam auf das große Feuerwerk. Jugendliche aus den nahe gelegenen Favelas streunen lachend durch die Gegend, Familien sitzen mit Proviantkörben im Sand, trinken und schwatzen mit den Nachbarn. Die meisten Besucher sind, wie es die Tradition will, weiß gekleidet. So hoffen sie auf das Glück im kommenden Jahr.

Zusammen mit Diogo und seinen Freunden schlendern wir barfuß über den Strand und durch die seichten Wellen des Atlantiks. Dann ist es endlich soweit. Riesige Feuerringe explodieren am Himmel, Raketen kreischen durch die Luft, gigantische Smileys erstrahlen am Nachthimmel. Krachend steigen Hunderte Sternschnuppen auf. Eine halbe Stunde begleiten staunende Begeisterungsrufe das Spektakel.

Lange nach dem Feuerwerk bin ich noch immer aufgedreht. Was für eine Vorstellung! Auch Diogo zeigt sich beeindruckt. „Jedes Jahr ist das Feuerwerk länger und prachtvoller als im vorherigen“, erklärt er. In den frühen Morgenstunden verlassen Tausende Menschen den Strand von Copacabana und wandern durch die ausladenden Straßen der Stadt. Sie strömen in die benachbarten Stadtteile Botafogo und Ipanema, um von dort mit Bussen und Taxen in entferntere Stadtviertel zu gelangen. Das neue Jahr beginnt für die meisten von ihnen mit einem ordentlichen Kater.

Silvester am Strand von Copacabana, Rio de Janeiro
Silvesterfeuerwerk in Rio de Janeiro

Barra da Tijuca und die neuen Reichen

Am nächsten Tag kommen auch wir nur langsam aus den Betten. Ein verlorener Tag, bis Diogo eine selbstverständliche wie geniale Idee durch den Kopf schießt: Wir fahren zum Strand; doch nicht etwa nach Ipanema oder Copacabana, sondern nach Barra da Tijuca. Es ist der Strand der Neureichen in Rio de Janeiro. Manager, Broker, Fußballspieler, TV-Sternchen: Sie alle leben in Barra, das erst in den 1980er-Jahren westlich des Zentrums aus dem Boden gestampft wurde. Apartmenthäuser reihen sich aneinander. Es sind riesige Hochhaussiedlungen, eingerahmt von meterhohen Mauern, Stacheldraht, elektrischen Zäunen und überwacht von unzähligen Kameras und Sicherheitspersonal. Die neuen Reichen bleiben gern unter sich.

Anders als Rios traditionell wohlhabende Familien, die in Ipanema zu Hause sind und dem dortigen Strand der Reichen und Schönen das Image verleihen, zieht es die neue Wohlstandsgeneration hinaus aus der alten Stadt und hinein in eine moderne Welt mit den größten Einkaufszentren in ganz Lateinamerika. Reichtum definiert sich hier nicht mehr über den Körperkult, sondern durch konsequenten Konsum in einer luxuriösen Scheinwelt.

Barra da Tijuca hat nichts mit dem quirligen, lebendigen Rio zu tun hat, durch das uns Diogo bisher mit viel Enthusiasmus führte. Stattdessen erinnert es mit enorm breiten Straßen an die sterile Hauptstadt Brasília. Die Bewohner Barras fahren mit ihren Autos zum Supermarkt, zum Bäcker und zur Wäscherei, zum Restaurant, ins Kino und zur Arbeit. Der Pkw ist ihr Statussymbol und erstes Fortbewegungsmittel. Fußgängerwege gibt es hier so wenig wie öffentlichen Nahverkehr.

Wenn ihr unsere Abenteuer und Geschichten gerne auf Papier lesen wollt, dann schaut doch mal hier:

In unserem Buch Per Anhalter durch Südamerika erzählen wir von unserer Reise kreuz und quer durch einen atemberaubenden Kontinent. Begleitet uns von den Gletschern Patagoniens bis an die karibischen Traumstrände Kolumbiens und Venezuelas. Treibt mit uns auf Marktbooten über den Amazonas und folgt uns hinab in die Silberminen Boliviens. Wir couchsurfen durch Studenten-WGs, teilen das Landleben der einfachen Bevölkerung und den Luxus in bewachten Wohnvierteln der Metropolen, schließen Freundschaften mit LKW-Fahrern und tauchen mit Seelöwen vor Galapagos.

2016 Malik NG, Taschenbuch, 432 Seiten

zum Buch

Wir treffen Freunde. Lorenço, einer von ihnen, lässt es sich nicht nehmen, uns ausführlich die Vorteile Barras zu erklären. Seine Argumentation beruht auf der Sicherheit, die Mauern und Zäune versprechen. Da wir uns in Rios Zentrum keineswegs unsicher fühlen, überzeugt er uns nur mäßig. Dabei kennen wir weder Bandenkriminalität noch haben wir die gravierende Ungleichheit erlebt, die in Rio de Janeiro herrscht. Hier, wo Waffengewalt immer wieder ein legitimes Mittel ist, ist Sicherheit ein größerer Luxus, als wie bereit sind zuzugeben. Auch Diogo hatte uns berichtet, dass er bereits zwei Mal mit Pistolen bedroht und ausgeraubt wurde.

Zusammen sitzen wir am Strand von Barra da Tijuca. Das heißt: Eigentlich sitzen wir nicht am Strand, sondern in einer Bar in Strandnähe. An den voll besetzten Tischen um uns herum werden Muscheln geschlürft und gegen die Hitze hilft natürlich ein kühler Cocktail. Nur wenige Unerschütterliche liegen sich bei herrlichem Sonnenschein im Sand. Dieses Phänomen haben wir bereits mehrfach beobachtet. Es gibt so viel Strand in Brasilien, dass es die Brasilianer oft überhaupt nicht mehr interessiert. So trinken wir fröhlich schwatzend einen Caipirinha nach dem anderen und schauen sehnsüchtig auf die Wellen, die nur wenige Meter von uns entfernt ans Ufer branden. Es dauert, doch irgendwann erheben wir uns und wer noch nicht zu betrunken ist, springt in die wilden Fluten.

Abends sitzen wir in einem Apartment irgendwo in den oberen Stockwerken Barras. Der Blick schweift über die feine Wohngegend und trotz allen Reichtums wirkt das Viertel sterbenslangweilig. Hungrig gelangen wir in eine Pizzeria. Dort zieren riesige goldene Ringe und Ketten, Designer-Hemden mit protzigen Logos und teure Handtaschen die meisten Gäste. Zurückhaltung ist nicht die Sache der neuen Reichen. Kellner in schwarzen Hosen und weißen Hemden servieren auf enormen Blechen leckere Pizzen in Dutzenden Variationen. Selbst auf dem Nachtischbuffet liegen Schokoladenpizzen, belegt mit Erdbeeren oder Bananen, Calzone gefüllt mit Brownies und Eis, Pizzaecken mit karamellisierter Ananas und Zimt – jedes Stück unverschämt lecker.

Strand in Strandbar in Barra da Tijuca, Rio de Janeiro

Der Zuckerhut, Ipanema, Copacabana

Barra da Tijuca ist eine andere Welt. Eine Welt, die uns wenig Freude bereitet, auch wenn es vorzügliches Essen gibt. Viel lieber setzen wir unsere Reise entlang der Sehenswürdigkeiten vor. Rio de Janeiro ist so ikonisch, dass wir nicht wagen, auch nur eine einzige auszulassen. So sitzen wir in einer Seilbahn auf dem Weg zum Zuckerhut, dem kegelförmigen, 396 Meter hoch aufragenden Felsen in der Guanabarabucht vor Rio. Wie die Statue des Cristo Redentor teilen wir auch den Zuckerhut mit vielen anderen. Aber hier ist es in Ordnung. Die Kampfeslust vor dem Panorama der Stadt ist gering. Unter uns liegen der Strände von Flamengo und Botafogo mit unzähligen Jachten vor der geschützten Küste. Nebenan erkennen wir Copacabana mit den luxuriösen Hochhaussiedlungen und dem leicht geschwungenen Sandstreifen. Er streckt sich fast bis zum Strand Vermelho am Fuß des Zuckerhuts. Aus der Ferne grüßt Cristo.

Junger Mann vor dem Zuckerhut, Rio de Janeiro
Blick auf Botafogo und Cristo Redentor, Rio de Janeiro
Strände von Copacabana und Vermelho, Rio de Janeiro
Vermelho-Strand mit Blick auf den Zuckerhut, Rio de Janeiro

Rio de Janeiro ist eine Strandstadt. Leben am Meer hat eine besondere Qualität und auch wir lassen uns von der Küste und den Marotten eines Alltags in Flip-Flops verzaubern. Am Strand der Reichen und Schönen in Ipanema posieren braun gebrannte und durchtrainierte Körper. Das Ufer ist Laufsteg und Sportplatz. Hier wollen die Menschen sehen und gesehen werden. Junge Männer stählern ihre Körper an Fitnessgeräten und attraktive Frauen rekeln sich im Sand. Andere kombinieren Akrobatik mit Ballbeherrschung und spielen Fußballtennis und Beachvolleyball. Auf der Promenade rollen Menschen auf Skateboards und Fahrrädern bis spät in den Abend durch sonnenverwöhnte Tage.

Knappe Bikinis und enge Shorts sind die beliebtesten Kleidungsstücke. Oben ohne ist dagegen ein Verstoß gegen die Sitte. An Rios Stränden gibt es Verhaltensregeln: Die Kleidung muss schon vor dem ersten Fußabdruck im Sand stimmen. Umziehen am Strand ist nicht gestattet und so schlendern die Cariocas bereits im lässigen Strandoutfit durch die Straßen ihrer Stadt.

Nummerierte Wachtürme der Rettungsschwimmer gliedern den Strand und sorgen für Orientierung. An jedem Abschnitt lässt sich eine andere soziale Gruppe nieder und so reiht sich im öffentlichen Raum am Meer ein Mikrokosmos an den nächsten. Die Cariocas identifizieren sich mit einem bestimmten Sandstreifen. Da gibt es den Strand des Körperkults, den Strand der Homosexuellen, den Strand der Familien, den Strand der jungen Alternativen und ganz inoffiziell sogar einen Couchsurfing-Strand. So wie in der gesamten Stadt gibt es auch an den Stränden kein Miteinander, sondern ein Nebeneinander: alle für sich, alle fröhlich.

Copacabana hat eine ganz ähnliche Ausstrahlung wie Ipanema. Nur sind die Menschen nicht mehr ganz so schön, nicht ganz so gut gebaut, nicht ganz so braun gebrannt. Copacabanas Strand ist vor allem bei Touristen beliebt. Zwischen den internationalen Gästen tummeln sich Strandtuchverkäufer und professionelle Sandburgenbauer, die ihre Kunstwerke gegen einen kleinen Obolus zum Fotografieren freigeben. Mobile Händler verkaufen gegrillten Käse, Sonnencreme und Kaltgetränke. Das Rauschen der Wellen vermischt sich mit den Bässen aus großen Lautsprecherboxen. Der Copacabana Palace, das teuerste Hotel Rios, stammt noch aus der Zeit, als die High Society der Stadt hier über die Promenade flanierte. Sie ist mittlerweile nach Ipanema oder Barra da Tijuca abgezogen, weshalb Copacabana lokalen Glanz verloren hat. Die internationale Strahlkraft ist jedoch noch immer vorhanden und so lassen sich Stars und Sternchen aus der ganzen Welt weiterhin im Copacabana Palace nieder.

Promenade in Copacabana, Rio de Janeiro
Strand von Copacabana, Rio de Janeiro
Strand von Ipanema, Rio de Janeiro

Karnevalsbeginn in Rio de Janeiro

Am Abend putzen wir den Sand von unseren Füßen und gehen aus. Karneval steht vor der Tür. Da die Cariocas nie bis zum Beginn der fünften Jahreszeit warten können, gibt es bereits einen Monat zuvor sogenannte Vor-Karneval-Partys. In einem der Nachbarviertel Lapas machen wir uns auf den Weg zum Pedra do Sal, einem winzigen Platz, dessen Mitte ein riesiger Stein einnimmt. Umringt von Wohnhäusern und Treppen tanzen Hunderte Feiernde dicht gedrängt um eine Sambaband, die wir in der Menge gar nicht zu Gesicht bekommen. Escravos da Mauá ist eine der bekanntesten Samba Bloquos Rios. Als Gruppen ziehen sie mit tausendfachem Gefolge während des Karnevals musizierend durch die Straßen, doch schon jetzt versammeln sie Sambafreunde um sich, um mit ihnen zu tanzen, zu trinken und zu lachen. Karneval hat in ihrer Welt schon lange begonnen.

Nach dem Konzert am Pedra do Sal fahren wir zum Sambódromo, der stadiongleichen Paradestrecke. Zum Höhepunkt des Karnevals zeigen Rios Sambaschulen hier vier Tage lang ihr Können. In unterschiedlichen Klassen treten sie gegeneinander an. Den Gewinnern winken vor allem Ruhm und Ehre, denn für viele Cariocas und Mitglieder der Sambaschulen ist der Karneval keine bloße Auszeit; es ist ihr Lebensinhalt. Elf Monate proben sie Tänze, entwerfen und konstruieren Paradewagen, schreiben Festlieder, um dann während des Karnevals die Ergebnisse ihrer Arbeit zu präsentieren. In den Wochen vor Karneval haben die Sambaschulen einmal die Möglichkeit, im Sambódromo öffentlich zu proben.

Sambaparty am Pedra do Sal, Rio de Janeiro

Wir sehen gleich drei Sambaschulen tanzend und musizierend die Paradestrecke ablaufen. Hunderte Tänzer und Tänzerinnen schwingen ihre Hüften zu feurigen Sambarhythmen. Sie tanzen vor und zurück, drehen sich im Kreis, springen, klatschen und singen. Auch wenn die wenigstens Kostüme tragen, ist die Show jetzt schon beeindruckend. Den Tanzenden folgen die Musiker. Auch sie strahlen eine Lebensfreude aus, die zum Karneval noch ein bisschen ansteckender ist als sonst.

Außerdem präsentiert jede Sambaschule mindestens eine attraktive und kaum bekleidete junge Frau. Sie sorgen für das erotische Extra, das Rios Karneval so faszinierend macht. Das Publikum auf den Tribünen rastet bei jeder vorbeiziehenden Gruppe komplett aus. Die Showgirls spielen mit den Menschen auf den Rängen, die in ekstatisches Johlen ausbrechen. Bereits jetzt, während der Proben, hält es die Cariocas nicht auf den Sitzen. Sie kreisen die Hüften, applaudieren und singen die Lieder ihrer liebsten Sambaschulen.

Die Stimmung könnte zum offiziellen Karneval nicht besser sein und ist es auch nicht. Die ursprünglich in den Favelas angesiedelten Sambaschulen, die auch heute noch in den ärmeren Bevölkerungsschichten verwurzelt sind, wurden zu einem gewinnbringenden Zahnrad der großen Tourismusmaschinerie. Eintrittskarten für die entscheidenden Vorführungen im Sambódromo kosten während des Karnevals 200 bis 300 US-Dollar und sind für die meisten Cariocas unerschwinglich. Rios Karneval, geboren in den Favelas, ist zum Karneval für zahlungsfähige Europäer und Nordamerikaner geworden. Den Cariocas ist es vielleicht sogar egal. Sie feiern sowieso das ganze Jahr.

Tänzerin im Sambodromo, Karneval, Rio de Janeiro
Sambodromo, Rio de Janeiro
Tänzerin im Sambodromo, Karneval, Rio de Janeiro

Niterói

Am gegenüberliegenden Ufer der Guanabarabucht blickt die Stadt Niterói schüchtern auf Rio de Janeiro. Sie ist die kleine Schwester im Schatten der großen Metropole und nicht wenige Cariocas behaupten, dass Beste an Niterói sei der Blick auf Rio. Tatsächlich ist die Aussicht auf die Bucht wunderschön. Wir wollen einen alten Bekannten treffen, den wir schon aus Brasília kennen: Oskar Niemeyer. Der Architekt der Hauptstadt entwarf auch das Museum für zeitgenössische Kunst MAC in Niterói. Wie für Niemeyer üblich, gehen hier viel freie Fläche und Beton Hand in Hand.

Aus einem kleinen See wächst eine sich öffnende Blüte aus Metall, Glas und Beton, die in ihrem Inneren das Museum beherbergt. Eine gewundene Rampe verbindet den Eingangs- mit dem Ausstellungsbereich. Niemeyers Architektur folgt weichen Rundungen statt harten Kanten. Sie ist inspiriert von den Hügel Rios und den geschwungenen Körpern am Strand von Ipanema. Niemeyer war Genussmensch. Separate Räume gibt es nicht im MAC, stattdessen teilen frei stehende Wände das Innere. Eine Fensterfront zeigt hinaus über das Wasser und bis nach Rio de Janeiro. Vielleicht haben die Cariocas recht. Die Aussicht ist fantastisch. Rio verzaubert uns auch aus der Ferne. Die fabelhafte Stadt bleibt in unseren Köpfen und wir haben keinen Zweifel, dass wir sie irgendwann wiedersehen.

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MAC in Niteroi, Brasilien
MAC in Niteroi, Brasilien
MAC in Niteroi, Brasilien

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