Loitz, Mann mit Schild, Titel
Wir für euch, ihr für uns – ein Aufruf

Unser Jahr in Loitz


19. Dezember 2020
Deutschland
Schreibe etwas

Dieses Jahr 2020 war merkwürdig. Wisst ihr noch, wie es begann, damals, vor unendlich langer Zeit im Januar. Wisst ihr noch, welche Pläne ihr hattet, was ihr erreichen wolltet, welche Sorgen und Freuden euch durch den Tag begleitet haben? Und dann war die Welt plötzlich anders. Nicht direkt schlecht, aber auf keinen Fall so, wie wir es uns vorgestellt hätten.

Reisen wurde für viele zur Einbahnstraße – zurück nach Hause. Da waren wir erst freiwillig, dann mit Verfügung. Und obwohl die Einschränkung der Reisemöglichkeit nun eines der geringsten Probleme ist, entwickelte sich daraus trotzdem keine vollständig angenehme Erzählung.

Nun ist 2020 in wenigen Tagen zu Ende. Nächstes Jahr wird besser, das ist schon beinahe ein Versprechen. Auch wir planen weiter, soweit es möglich ist. Unsere aktuelle Situation hilft allerdings nicht besonders. Rochssare sitzt in Indien, Morten an der Ostsee und gemeinsam wissen wir nicht, wie lange dieser Istzustand anhalten wird. Das ist auch so eine unvorhergesehene Folge der zurückliegenden Ereignisse.

Doch es gibt einen Silberschweif am Horizont. Seit ein paar Monaten ist ein Projekt präsent, dass sich „Dein Jahr in Loitz“ nennt und so ziemlich das Spannendste ist, was gerade passiert.

Aber der Reihe nach. Wo? Was? Wie?

Dein Jahr in Loitz, Blick aus dem Dachgeschoss
Loitz in Vorpommern

Loitz, eine Kleinstadt in Vorpommern, irgendwo im Dreieck Greifswald – Grimmen – Demmin steht vor Herausforderungen: Strukturwandel, demografischer Wandel, überhaupt Wandel. Alles ist anders, als es einmal war. In der Provinz ist das meist keine gute Entwicklung. Leerstand. Abwanderung.

Im Rahmen des Wettbewerbs „Zukunftsstadt“ erhebt sich Loitz (sprich Löötz) gegen das Schicksal mit einer Menge engagierter Menschen und inspirierender Ideen. Eine davon wird in einem leer stehenden Gebäude mitten in der Stadt umgesetzt. Dein Jahr in Loitz! Wohn- und Arbeitsraum auf Zeit.

Kreativen, Handwerkern und Kulturschaffenden soll für ein Jahr Raum zur Verfügung gestellt werden, der für und mit den Menschen vor Ort gestaltet wird. Die Aufgabe: Leben in die Bude bringen. Das Ganze ist ein Experiment, frei von Vorgaben, allein bedingt durch die eigenen Ideen und Wünsche und das Zusammenspiel in der Gemeinde.

Zwei Personen, die sich als Tandem bewerben, erhalten im April 2021 die Chance, etwas Verrücktes in Loitz zu starten und Morten, der ja sowieso gerade in der Nähe am Wasser lebt, ist einer von ihnen. Er hat es bis in die letzte Runde geschafft und bewirbt sich nun mit Fabienne aus Berlin darum, in Loitz gestalten zu dürfen.

Diese Konstellation ist reizvoll, denn Fabienne und Morten kennen sich eigentlich nicht. Beide haben sich eigenständig beworben und erst während des mehrstufigen Bewerbungsprozesses kennengelernt.

Dein Jahr in Loitz, Gebäude
unscheinbare Fassade, jede Menge Engagement

Ein Haus voller Möglichkeiten

Mitten in Loitz, an der Hauptverkehrsader gelegen, befindet sich das Haus. Ein Friseursalon ist im Erdgeschoss. Er trägt den Namen „Chic“ und das ist lustig, weil sonst nichts am Haus chic ist. Im Gegenteil: Der Rest ist verwaist, wartet auf neues Leben, wartet hoffentlich auf Morten und Fabienne.

Hier kam es in den ersten Tagen des Novembers zum Showdown: Ortsbegehung. Dass da einiges auf die Bewerber:innen zukommen würde, war klar, aber das es dann so sein würde, irgendwie auch nicht.

So wie viele andere Gebäude in Loitz, ist auch dieses Haus ein typisches Feldstadthaus. Vorne die Straße, hinten Hof mit Stall und Schuppen. Dahinter ein Garten. Dahinter das Feld. In einer Zeit, in der „Selbstversorger“ noch kein hippes Schlagwort urbaner Nachhaltigkeitskultur, sondern auf dem Land gelebter Alltag war, war hier immer etwas los. Hühner, Schweine, vielleicht sogar eine Kuh. Kohlen und Geräte im Schuppen. Kartoffellager.

Diese Zeit ist vorbei. Neues muss her. Der Stall steht leer, der Schuppen ist baufällig. Ranken erklimmen das Mauerwerk, reichen bis zum Dach. Es ist ein hübsches, grünes Kleid und schadet der Substanz. Aber keine Angst, die anderen Wände sind vollkommen in Ordnung. Von außen.

Dein Jahr in Loitz, Fassade
Ranken im Hinterhof
Dein Jahr in Loitz, Hinterhof

Innen sieht es hier und da abenteuerlich aus. Im Erdgeschoss, in Nachbarschaft zum Friseur, befindet sich ein zweigeteilter Raum. Hier saß mal ein Computerfachmann in seinem Computerfachgeschäft und auch eine lokale Politikerin der kleinsten Oppositionspartei hatte hier schon ihr Büro.

Beide sind weg. Was noch da ist, ist der Kachelofen. Die Kohlen kommen aus dem Schuppen. Wir kennen das noch von früher. Angenehme Wärme. Aus dem Flur führt eine Treppe nach oben. Sie knarrt ein bisschen. Erster Stock. Wohnraum. Wenn es so sein soll, gründen Fabienne und Morten hier im April 2021 eine WG. Noch ist Fantasie gefragt, um ein gemütliches Wohnen zu erkennen. Holzfachwerk ist freigelegt. Charmante Note im Chaos.

Die Küche ist ein Lost Place. Hier stimmt gar nichts mit dem überein, was eine Küche üblicherweise ausmacht. Abgerissene Tapete, aufgebrochene Wände, Reste von Aluminiumverkleidung, die wohl mal Dämmschutz war. Immerhin: Der Blick in den Hof ist ausgesprochen nett. Hier könnten wir stehen, mit Kaffee in der Hand und die Köpfe voller Pläne und Möglichkeiten. Noch weiter oben, das Dachgeschoss mit herrlicher Aussicht und missmutiger Brandschutzverordnung. Ein Ort zum entspannten Rumhängen.

Dein Jahr in Loitz, Küche
potenziell eine Küche
Dein Jahr in Loitz, Hinterhof
Blick in den Hinterhof

Im gesamten Haus ist noch nichts fertig und das ist überhaupt das Beste. Lediglich der unverstellte Raum ist da. Es gibt keine unnötige Wand, die den Weg blockiert. Es gibt keine vorgedachte Idee, die Eventualitäten ausschließt. Hier ist alles möglich.

Noch ist das Haus eine kolossale Bruchbude. Wunderbar fordernd. Davor auf dem Bürgersteig treffen sich Morten und Fabienne. Im Anblick des Gebäudes gibt es keinen Raum für halbe Sachen. „Bist du dabei?“ fragt jemand. „Klar!“ lautet die Antwort. So wird aus zwei Einzelbewerbungen eine Tandembewerbung. Fabienne und Morten sind nun „Fabienne und Morten“ – Codename Großstadtgöre und Küstenkind!

Die beiden wollen etwas entstehen lassen. Gemeinsam. Miteinander. Seit ein paar Tagen trägt die abgerockte Fassade des Hauses ein leuchtend gelbes Schild. „Zukunftswerkstatt“ steht darauf geschrieben und das ist es, was hier gesehen soll.

Dein Jahr in Loitz, 1. Stock
der 1. Stock
Dein Jahr in Loitz, 1. Stock

Möglichmacher in Loitz

Noch ist alles spekulativ und gerade deshalb herrlich für den Geist. Zusammen sind wir fantasievoll. Ein Werkstattcafé gehört da schon zu den Standardideen. Gemeinsames Käffchen und Schrauben. Hier ein Reifenwechsel am Fahrrad, da eine Drehbank, handwerkeln und ein Stück Apfelkuchen im Vorbeigehen auf dem Weg in den Hinterhof. Dort ein Gemeinschaftsgarten. Hügelbeete, Zirkelgärten, Permakultur. Daneben kleine Konzerte, Lesungen, Workshops, Veranstaltungs- und Tauschkreise. Ein Ort für geselliges Beisammensein und Nachbarschaftshilfe. Feuerschale im Winter, Grillabend im Sommer.

Wir wollen ins Gespräch kommen – mit den Menschen vor Ort, mit euch, mit allen, die in Loitz vorbeischauen. Wir wollen von euch und mit euch lernen, Wissen teilen, Ressourcen nutzen, gemeinsam etwas aufbauen. Wir, das schließt selbstverständlich Rochssare mit ein, die dann in Loitz eine Anlaufstelle hat.

Unsere Ideen wachsen mit den Potenzialen. Upcycling ist noch so ein Schlagwort, das wir gern beleben wollen. Aus altem Krempel neues machen. Reparieren und umbauen mit Köpfchen. Vielleicht stellen wir eine Fahrradwaschmaschine in den Schuppen. Saubere Wäsche kombiniert mit der eigenen Ertüchtigung und dem guten Gefühl, nachhaltig zu wirken.

Gemeinsam haben wir Visionen, wollen Generationen zusammenbringen, von zwei bis 92 und gern darüber hinaus. Dabei verstehen wir „Dein Jahr in Loitz“ als ein gesellschaftliches Projekt. Wir wollen für Loitz und die Umgebung da sein. Nur unser eigenes Ding machen ist nicht unser Ding. Wir wollen Dienstleister sein; im besten Sinn. Mit Service kennen wir uns aus. Hand in Hand mit dem KulturKonsum, dem Ballsaal Tucholski, den ansässigen Vereinen und Organisationen, das ist es, worauf wir Lust haben.

Ganz nah schneidet die B 194 durchs Land und macht dabei einen Bogen um Loitz. Wem wir von der Stadt erzählen, kennt sie vor allem, weil es eine Abfahrt gibt. Das ist unbefriedigend, denn wer Zukunftsstadt ist, bietet mehr Qualität als eine Anbindung zur Bundesstraße. Loitz verdient Aufmerksamkeit und wir wollen dazu beitragen.

Dafür bringen wir unsere Freunde und Fähigkeiten mit, dafür laden wir Menschen ein. Auf direktem Weg: Couchsurfing in Loitz, die Welt zu Gast im Peenetal, dem Amazonas des Nordens. Und von dort ruckzuck auf den Acker, denn hier ist der Horizont weit und unverstellt.

Loitz ruft. Morten und Fabienne haben die wunderbare Chance Projektpioniere zu werden. Ankommen, anpacken, anstoßen. Habt ihr auch Lust, Möglichmacher:innen zu sein? Lasst uns wissen, was euch in die Provinz ziehen würde. Was braucht es für euch, um auf dem Land zu leben? Was lädt ein zu bleiben? Spielt mit uns und euren Ideen.

Damit Fabienne und Morten wirklich nach Loitz ziehen dürfen, gibt es noch eine Hürde. Die Online-Abstimmung ist der Endgegner. Gemeinsam mit den anderen Finalisten stehen Fabienne und Morten zur Wahl und ihre Chance zu gewinnen ist gar nicht schlecht. Heute ist der letzte Tag der Abstimmung. Noch bis zum 20.12., 23.59 Uhr, könnt ihr eure Stimme für Fabienne und Morten unter folgendem Link abgeben:

https://www.deinjahrinloitz.de

Edit: Herzlichen Dank für eure großartige Unterstützung! Gemeinsam habt ihr uns auf den zweiten Platz geheben. Leider hat es für den großen Wurf nicht gereicht.

Wir bleiben aber in Verbindung und wenn euch dieses fantastische Projekt „Dein Jahr in Loitz“ intessiert, dann schaut doch einfach ab April 2021 vorbei. Annika und Rolando, die dann in Loitz wohnen werden, freuen sich bestimmt auf euch.

Dein Jahr in Loitz, Blick aus dem Dachgeschoss
Blick aus dem Dachgeschoss

Und jetzt du!

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