Wohnen in Auroville heißt wohnen mitten in der Natur. Sie breitet sich bereits vor der Türschwelle aus, der Blick geht ins Grüne. Man atmet Sonne, Erde, Gräser und Blüten – der Duft des Waldes durchströmt Körper und Seele. Der Ruf des Wechselkuckucks ersetzt den morgendlichen Wecker und fast alle unsere Tage hier beginnen wir mit einem zufriedenen Lächeln.
Die Wände unseres Schlafzimmers sind nicht viel mehr als ein durchgängiges, luftiges Panorama-Fenster. Ein stabiles Moskitonetz ersetzt das Glas. Über dem Boden befindet sich eine Klappe für Frau Katze, die während eines abendlichen Regens auch von einer grünen Natter genutzt wird, die sich nun um die hölzernen Gitterstäbe windet und auf das Ende des Regengusses wartet. Draußen vor dem Fenster liegt ein wilder Garten. So wie in Discipline ähneln sich die Wohnungen in Auroville. Innen und Außen gehen ineinander über. Die Natur durchdringt alles.
Aurovilles Communities
Wer in Auroville aufwacht, befindet sich direkt in der Natur, meist in materieller Einfachheit und umgeben von Gleichgesinnten. Die etwa 100 Siedlungen, hier nennt man sie Communities, sind oft sehr unterschiedliche Zellen im großen Ganzen Namens Auroville. Manche von ihnen umfassen nur eine Handvoll einfacher Hütten aus Holz und Bambus und ebenso viele Bewohner im Wald, andere zeichnen sich durch prächtige Bauten, abgrenzende Zäune und Hecken aus, die perfekte Kulissen für bürgerliche Vorstädte abgäben, wieder anderen bestehen aus einem einzigen mehrstöckigen Haus für rund 20 Parteien.
Große und kleine Siedlungen, jede von ihnen einzigartig, sind weit auf dem Gebiet Aurovilles verstreut. Verschiedene Gemeinschaften verfolgen dabei verschiedene Lebensmodelle, setzen auf verschiedene Prinzipien; ganz nach den individuellen Wünschen ihrer Bewohner. Die einen kochen in einer Gemeinschaftsküche und teilen Lebensmittel untereinander, die anderen streben in ihrer Siedlung nach absoluter Ruhe und erlauben sich selbst das Musikhören oder Filmschauen nur über Kopfhörer.
Wieder andere veranstalten ein wöchentliches Gemeinschaftspicknick oder arbeiten zusammen an Kunstprojekten. Jeder Bewohner Aurovilles sucht sich die Community, in die er am besten passt. Dabei sind Wechsel nicht ausgeschlossen, solange es am neuen Domizil verfügbaren Wohnraum gibt. Hier in Auroville leben sie alle an einem freien Ort, an dem sich jeder selbst verwirklichen kann. Möglichkeiten gibt es zur Genüge.
Jeden Morgen schwingen wir uns aufs Rad, kämpfen uns die sandige Piste bis zur Hauptstraße empor und weiter in Richtung Matrimandir. Dabei sind wir nicht allein. Auch in Auroville gibt es sie, die Rush Hour. Früh morgens, so zwischen sieben und neun Uhr, knattern die Mopeds der Aurovillianer über die erdigen Straßen.
Sie sind auf dem Weg in Büros, Schulen, Werkstätten und Landwirtschaftsbetriebe. Die Tage in Auroville beginnen mit dem Sonnenaufgang und enden weit nach Sonnenuntergang. Aurovillianer sind immer beschäftigt. Nach der eigenen Arbeit in den verschiedenen Betrieben und Organisationen engagieren sie sich in Ausschüssen und Projekten, veranstalten Seminare und Kurse.
Leben in internationaler Gemeinschaft
Die Stadt der Zukunft ist international im allerbesten Sinn. Tamil, Französisch und Englisch sind immer wieder gehörte Sprachen. Die vielen hier vertretenen Nationen haben ihre Spezialitäten mitgebracht. In der Auroville Bakery gibt es ausgezeichnete Croissants, hervorragendes Krustenbrot und im Winter sogar Lebkuchen. Nebenan bei Farm Fresh, stehen in Auroville hergestellte Marmeladen, Cashewbutter und Senf in den Regalen. Aromatisierte Bio-Spagetti konkurrieren in verschiedenen Farben und Geschmacksrichtungen – von Ragi über Spinat und Spirulina bis zu Tomate-Basilikum ist alles dabei. Aurovilles Pizzeria Tanto ist so erfolgreich, dass selbst Tamilen aus den umliegenden Dörfern beginnen kommerziell Pizza zu backen. In der Sunfarm wird Milch zu leckerem Mozzarella und vielen anderen Käsesorten verarbeitet.
Das Leben hier ist bunt und bietet darüber hinaus eine Menge kultureller und körperlicher Aktivitäten an – von Salsa und Tango über Capoeira bis hin zu Frisbee, Fußball und Badminton. Fast jeden Abend organisieren Aurovillianer irgendwo eine Tanzvorführung, eine Theateraufführung oder eine Musikveranstaltung, von traditionell bis sehr modern.
In drei Kinosälen werden vor allem internationale Programmtitel gezeigt. Eine Radiostation sendet Neuigkeiten durch den Wald, erzählt vom aktuellen Geschehen. Mehrere Bibliotheken befinden sich hier – Schwerpunkte: Kapitalismuskritik, Architektur, Spiritualität. Kultur ist in Auroville dabei immer kostenlos. Vieles teilen die Bewohner der Stadt der Zukunft untereinander. Im Free Store wird tadellose Kleidung aus zweiter Hand weitergereicht und in der Auroville Library of Things können sämtliche Dinge von Haushaltsgegenständen über Spielwaren bis zu Werkzeugen und Campingausrüstung geliehen werden.
Einmal in der Woche organisieren Tahir und seine Freunde im African Pavillon eine Trommelnacht. Jeder ist eingeladen – Aurovillianer, freiwillige Helfer, Tagestouristen – und so sitzen wir als bunter Haufen, von dem nicht klar ist, wie er so überhaupt zustande kommen konnte, um ein Lagerfeuer und lauschen der improvisierten Fusion aus afrikanischen Rhythmen, indischen Melodien und dem einen oder anderen brasilianischen und koreanischen Einfluss.
Die Musik ist energetisch. Erst zuckt es in den Füßen, dann am ganzen Körper und schon bald tanzen viele, die nicht selbst ein Instrument spielen, um das prasselnde Feuer unter einem sternenklaren Himmel. Kulturelle Differenzen machen die Sache spannend. Da sind die hippiesken Europäer in Baumwollkleidern, wahlweise barfuß oder in Birkenstock, die wie in Trance von einem Bein auf das andere fallen und daneben die indischen Touristen mit ihren Selfie-Kameras, dem Blitzlichtgewitter über dem Feuerschein, der kreischenden Vergnügtheit einer spontan getanzten Choreografie und den verzweifelten Anrufen bei Papa, weil das Internetguthaben gerade jetzt aufgebraucht ist und man dringend neues benötigt, um die Trommelnacht live auf Facebook oder Instagram zu zeigen.
versteckte Party im Wald
Nicht weit vom Rathaus versorgen sich Jugendliche selbst. Youth Centre nennen sie ihre Siedlung. Hier wohnen sie in Baumhäusern, organisieren einen Wochenmarkt und jeden Samstagabend eine Pizzanacht, wo sie am selbst gebauten Steinofen zu all-you-can-eat laden. Hier steht ein Kickertisch, im Kühlschrank lagert Bier und aus einer kleinen Hütte wummert ein Remix nach dem anderen aus den mannshohen Lautsprechern.
Junge Frauen tragen Hotpants und enge Kleider, ihr männliches Gegenüber kurze Hosen und freie Oberkörper. Hier treffen sich die jungen Aurovillianer am Wochenende und hier erfährt man mit ein bisschen Glück von der nächsten legendären Party im Green Belt.
Etwa einmal im Monat krachen Bässe irgendwo durch den Wald Aurovilles. Weit abgelegen von irgendeiner Siedlung wird unter freiem Himmel zu elektronischer Musik getanzt. Aus allen Richtungen kommen die Partygäste. Allein die Musik führt sie durch das Dickicht, denn die Veranstaltungsorte sind oft so versteckt, dass jede Wegbeschreibung in die Irre führen muss.
Auch wir schlängeln uns auf Motorrädern über schmale Pfade, stoppen immer wieder, schalten die Motoren aus, lauschen den Bässen, wägen die Richtung des Weges ab. Vermeintliche Abkürzungen entpuppen sich oft als Sackgassen und so lernen wir häufig erst einmal die Umgebung kennen, bevor wir die Party tatsächlich erreichen.
Hier feiern die Aurovillianer ausgelassen bis in den Sonnenaufgang hinein. Dabei sind es nicht nur die Jugendlichen, sondern auch die Älteren, all jene, die Lust verspüren sich an Tanz, Musik und allem anderen zu berauschen. Das entspricht nicht immer dem offiziellen Auroville-Kodex. Zigaretten, Alkohol und alle anderen Drogen gelten in der Stadt der Zukunft als nicht willkommen und können in Auroville auch nicht erworben werden. Aber kann sich tatsächlich jemand einen Rave im Wald nüchtern vorstellen?
Neben den Aurovillianern vergnügen sich hier auch die Gäste und Helfer aus aller Welt und die einheimische Jugend aus den nahen Dörfern und Pondicherry, die ebenfalls immer wieder Wind von den Veranstaltungen bekommen. Gerade für sie sind die Partys im Wald der pure Wahnsinn.
Laute Musik bis in den Morgengrauen, Alkohol, leicht bekleidete Frauen, ungezwungener Tanz – all das, was sie aus ihrem eigenen, konservativen Umfeld nicht kennen, nicht kennen können, spielt sich nun vor ihren Augen ab. Manchmal entwickeln sich daraus unschöne Szenen, wenn sich der eine oder andere etwas zu viel Mut angetrunken hat und nicht mehr weiß, sich zu benehmen. Die Probleme kultureller Differenzen sind dabei oft schwer auszuhalten.
Etwas gediegener geht es dagegen im Well Café zu. In einem großen Innenhof werden hier nicht nur ausgezeichnete Falafel serviert, sondern auch regelmäßige, offizielle Partys – ohne Alkohol – veranstaltet, die allerdings um Punkt Mitternacht enden. Das Well Café gehört zum festen Bestandteil des Kulturprogramms in Auroville. Hierher gelangt nicht nur die Jugend, hier treffen sich alle Generationen aus Auroville. Es wird getanzt und gelacht, gegessen und entspannt erzählt.
Die Freude am Experiementieren
Auroville ist heute ein guter Ort zum Leben, auch und gerade weil die Aurovillianer experimentierfreudig sind. Sie haben hier schon früh Solartechnologien eingesetzt, um die vielen kleinen, im Wald verstreuten Gemeinschaften mit Strom zu versorgen. Ökologische Landwirtschaft ist keine Nische, sondern selbstverständlich.
Die Aurovillianer betreiben kostenfreie Kindergärten und Schulen nach alternativen Bildungs- und Erziehungsmethoden, die auch von den Bewohnern der angrenzenden Dörfer besucht werden. Unschooling heißt ein System, das eigentlich keines ist, denn es folgt nicht einer festgeschriebenen Regel. Die Kinder lernen, was sie wollen, wann sie es wollen und mit wem sie es wollen und sind dabei auch noch erfolgreich. Sie lernen Selbstständigkeit und Verantwortung für sich und andere und sind viel motivierter, aufmerksamer, wissbegieriger, weil sie weder genötigt, noch gelangweilt werden.
Sie besitzen eine ausgeprägte Fantasie und sind häufig flexibler in Lösungsfindungen. Viele Auroville Kids wachsen hier mindestens zweisprachig auf. Kinder im Schulalter sind in Auroville viel selbstsicherer, weil sie nie durch schlechte Noten enttäuscht oder gar gedemütigt wurden. Bildung in Auroville ist frei von starren Lehrplänen. Schüler erhalten Raum und Zeit sich selbst zu entwickeln, anstatt einem aufgedrückten Weg zu folgen.
Dabei ist nicht alles bloßes Spiel mit Blumen. In Auroville gibt es verschiedene alternative Bildungseinrichtungen nebeneinander. Die Future School, anerkannt durch das International British Education and Examination Board, endet etwa mit einem Abschlussexamen. Die Schüler dürfen selbst entscheiden, ob sie daran teilnehmen wollen, oder nicht – und viele entscheiden sich dafür.
Auroville als gesellschaftlicher Vorreiter
Alles in Auroville ist auf die Gründungsidee der menschlichen Einheit ausgerichtet. Der Mensch in Harmonie und Einklang mit sich selbst und der Natur ist das Ziel, dem sich die Aurovillianer auf verschiedene Weisen nähern, sei es kulturell, ökologisch, sozial oder spirituell. Was man hier schaffen will, ist eine gerechte Welt im Kleinen, die irgendwann in die große Welt hinauswirken soll.
Im Umweltschutz sieht sich Auroville als Wegbereiter. Auf dem einst kargen, der Erosion ausgelieferten Land gedeiht mittlerweile ein prächtiger Wald. Eine bessere Luft, nährstoffreiche Böden, ein gestiegener Grundwasserspiegel sind Verdienste der Pioniere. Der zweiten Generation in Auroville geht es vor allem um Nachhaltigkeit und Ressourcen schonenden Verbrauch, besonders des Wassers. Dafür werden immer wieder neue Methoden und Technologien entwickelt, die auch international Anerkennung finden.
Überhaupt wird immer wieder neu probiert. Nichts bleibt hier für die Ewigkeit. Auroville hat seit seinem Bestehen verschiedene Modelle gemeinschaftlichen Lebens und Wirtschaftens erprobt. Es waren stets Gegenentwürfe zum konsumorientierten Lebensstil der westlichen Welt.
Heute gibt es die Maintenance, ein Grundeinkommen, das allen Bewohnern Aurovilles für ihren Dienst an der Gemeinschaft zusteht. Jeder bekommt das Gleiche und alle sind motiviert, denn: In Auroville macht jeder, was er machen möchte. Wer hinter einem Schreibtisch sitzt und Papiere unterschreibt, macht es aus Überzeugung – genauso wie der Landwirt, der Maiskolben erntet, der Zahnarzt in Münder schaut, oder der Handwerker sein Material testet.
In Auroville kann man kapitalkritisch Geld ablehnen oder auch sehr reich sein. Beides funktioniert. Es gibt Gruppen, die versuchen, ohne Geld auszukommen, die untereinander kein Geld tauschen und es gibt andere, die mit ihren Geschäftsideen richtig viel Geld verdienen, internationale Kunden beliefern und ihren Profit an die Gemeinschaft weitergeben. Die Wirtschaft Aurovilles ist dementsprechend schwer zu verstehen. Mehrere Systeme existieren nebeneinander.
Politik in Auroville
Es gibt keine Vorschriften über das, was der Einzelne macht, solange es der Gemeinschaft dient. So funktioniert auch Politik in Auroville. Die Hierarchie ist flach. Parteien gibt es keine; und niemand vermisst sie. Die meisten Menschen in Auroville haben nur wenig Interesse an Politik.
Die Stadt hat keinen Bürgermeister, dennoch haben sich über die Jahre klare Strukturen herausgebildet: In den Vorstand von Auroville werden alle vier Jahre Freiwillige gewählt, ebenso ins Arbeitskomitee. Außerdem gibt es Arbeitsgruppen für alle möglichen Themen der Stadt, die selbstständig Beschlüsse fassen können. Wichtige Entscheidungen werden jedoch basisdemokratisch in einer Versammlung aller erwachsenen Aurovillianer getroffen. Natürlich dauert es ewig, bis so Entscheidungen fallen – manchmal vergehen Jahre – aber es sind stets alle Gruppen in Auroville am Prozess beteiligt.
Doch auch darüber wird diskutiert. Manchen ist der Verwaltungsapparat mit all seinen Gremien und Ausschüssen zu aufgebläht. Sie wünschen sich eine stärkere Führung, um den zähen Prozess einer Entscheidungsfindung abzukürzen und klarere Strukturen für die Kinder. In Auroville gibt es Flügelkämpfe. Hier wird auch darüber gestritten, wie die Zukunft aussehen kann.
Es sind vor allem die Pioniere aus der Anfangszeit und Alteingesessene, die den Ideen von Sri Aurobindo und La Mère treu bleiben wollen – eins zu eins. Andere sehen Auroville eher als eine Art Öko-Dorf. Sie wollen die ursprünglichen Pläne pragmatisch anpassen – entsprechend den Gegebenheiten. Wie spirituell Auroville sein soll, darüber wird debattiert. Und auch über die Frage, was denn Spiritualität genau bedeutet.
Auroville befindet sich wie immer in einem wilden Prozess. Die einen wollen den Bau der vor 50 Jahren geplanten Stadt in Form einer Galaxie für 50.000 Menschen vorantreiben, die anderen wollen ein Ideal in den Grenzen von Machbarkeit und Nachhaltigkeit aufrecht erhalten. Wie beides miteinander zu vereinen ist, darum wird immer wieder gerungen.
Individualität in Auroville
Dabei ist Auroville immer noch frei von vielen gesellschaftlichen Zwängen. Das Individuum wird hier stark gefördert. Die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit ist ein hohes Gut. Doch auch hier gibt es keine Vorschriften. Niemand muss meditieren oder den Körper beim Yoga verrenken. Wer will kann unbehelligt faul sein oder Luxus anhäufen.
Mittlerweile haben einige Aurovillianer einen zu hohen Lebensstandard für das, was in Auroville produziert wird. Innerhalb der Gemeinschaft wird auch darüber diskutiert; verbieten lässt es sich nicht. Und dennoch ist die Freiheit begrenzt. Für vieles fehlen schlicht die Kapazitäten.
Betrachtet man die demografische Struktur, fällt auf, dass es kaum jemanden in Auroville im Alter zwischen 18 und 30 Jahren gibt. Auf die vielen Kinder und Jugendlichen, jeder vierte in Auroville ist minderjährig, folgen die über Dreißigjährigen. Die Generation dazwischen verlässt Auroville beinahe geschlossen – zumindest temporär. Sie ziehen in andere Städte, häufig auch in die Heimatländer ihrer Eltern und beginnen dort ein Studium oder eine Ausbildung. Doch viele kehren wieder zurück.
Sie schätzen das Leben hier, die Freiheit tun und lassen zu können, was sie wollen, die Kreativität, die Selbstverwirklichung, das Leben im Einklang mit der Natur. Und sie wollen, dass auch ihre Kinder hier aufwachsen, zur Schule gehen, ihre Persönlichkeit entwickeln. Doch gerade die junge Generation sieht auch die Nachteile, die ein Leben in Auroville mit sich bringt. In der relativ kleinen Gemeinschaft von 2.500 Aurovillianern gibt es keine Anonymität.
Der typische Klatsch, den jedes Dorf dieser Größenordnung betrifft, macht auch vor der Stadt der Zukunft nicht halt. Wird man erst einmal wahrgenommen, ist es beinahe unmöglich die angenommene Identität wieder abzulegen. Jeder spricht, nicht immer offen, über jeden. Man bleibt auf ewig das Kind von dem und dem, der Aufmüpfige, der Schüchterne, die aus der reichen Familie und so weiter.
Dazu beschäftigt viele Jugendliche in Auroville die Frage der Zugehörigkeit. Obwohl in Auroville geboren werden sie von den einheimischen Tamilen stets als Ausländer angesehen und auch in den Heimatländern ihrer Eltern sind sie fremd, passen nicht in das System, dem ihre Familien einst den Rücken kehrten.
Das gute Leben
Am Abend sitzen wir bei Dinesh, einem offenen Restaurant, umsäumt von schattenspendenden Bäumen ganz nah der Großkantine Solar Kitchen. Im angrenzenden Kiosk kaufen gerade ein paar Auroville Kids Benzin in Literflaschen für ihre Honda-Hero Maschinen. Zusammen mit Tony aus Paris und Kshitij aus Mumbai, Hannah aus London und Nimmi aus Kochi essen wir Puris und Lappa, trinken Chai.
Zigarettenrauch wabert herüber. Dinesh gehört nicht zu Auroville, hier schert sich niemand um den spirituellen Regelkodex – Rauchen gehört an den Tischen dazu. Es dauert nicht lange und Shrey, Caroline, Juhi und Dani kommen dazu. Bei Dinesh trifft man sich – beinahe täglich. Es ist der Ort für die Freiwilligen, für die Helfer, die von überall auf der Welt anreisen, um das Projekt Auroville mit ihrer Arbeit zu unterstützen und dabei viel über sich selbst lernen.
Bei Dinesh gibt es keinen aurovillianischen Standard der Lebensmittel, dafür ist das Essen günstig. Aurovillianer sitzen hier selten. Sie zieht es zum Dosa Corner am Visitor`s Centre, wo die besten Dosas, herzhafte südindische Pfannkuchen, zubereitet werden. Danach steht für sie noch ein Ausschusstreffen an, oder die Probe für eine Tanzveranstaltung, oder der regelmäßig stattfindende Spieleabend bei Freunden.
Wir hingegen machen uns auf ins Cinema Paradiso am Rathaus. Heute läuft ein russischer Independent-Film und außerdem hilft die Klimaanlage im Saal gegen die auch am späten Abend noch immer drückende Hitze Südindiens.
Auroville, die größte internationale Kommune der Welt in elf Teilen
Teil1: Die Idee einer besseren Welt
Teil 2: Auf den ersten Blick
Teil 3: Leben in der Stadt der Zukunft
Teil 4: Gesundes Essen für gesunde Körper
Teil 5: Nachhaltiger Hausbau im Wald
Teil 6: Alternative Bildung in der Schule des Lebens
Teil 7: Die Stadt der Zukunft und die Dörfer
Teil 8: Spirituelle Wahrheiten
Teil 9: Die Sache mit den Touristen
Teil 10: Die Utopie der Widersprüche
Teil 11: Was war und was kommen mag
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Aus dem hohen Norden Deutschlands hinaus in die Welt: 2011 zieht es Morten und Rochssare für zwei Jahre per Anhalter und mit Couchsurfing auf den südamerikanischen Kontinent. Genauso geht es nun weiter. Jetzt jedoch in die andere Richtung. Seit 2014 trampen die beiden auf dem Landweg von Deutschland nach Indien und weiter nach Südostasien. Es gibt noch viel zu entdecken.
Von ihren Abenteuern und Begegnungen erzählen sie in ihren Büchern „Per Anhalter durch Südamerika“ und „Per Anhalter nach Indien“, jeweils erschienen in der National Geographic Reihe bei Malik.
Danke. Sehr aufschlussreich. Und räumt diverse Klischeevorstellungen aus unseren Köpfen.