Es gab diesen einen Tag im April 2020, der meinem Herz einen Stich versetzte. Damals saß ich in Shorts unter einem ratternden Ventilator in einem spärlich eingerichteten Zimmer. Es war malaysisch heiß. Tropisches Klima in Malakka. Ich hatte gerade ein Flugticket nach Deutschland gebucht und so langsam kroch in meinen Schädel, was das bedeutete.
Natürlich; diese Corona-Situation. Damals ahnte niemand, was sie mit uns anstellen würde. Dass sie einschneidend wäre, wusste ich in diesem Moment. Zurück nach Deutschland; das war keine freiwillige Entscheidung. Entsprechend war meine Stimmung: Tagelanges Fluchen im Kopf.
Und dann erst in Deutschland. Emotionale Achterbahn. Gedankenchaos. Unvorhersehbar. Und immer wieder die Frage: Was jetzt? Ich bin nicht der Einzige, der sich mit diesem seltsamen Gefühl auseinandersetzen muss. Es ist ein nerviges Ding, das sich in die Köpfe derer einnistet, die mit dem Herzen woanders sind. Damit klarkommen ist nicht leicht, denn es fühlt sich einsam an.
Zum Glück hat Uta-Caecilia Nabert ein Buch herausgebracht, das sich diesem Blues widmet. Was tun, wenn die gute Zeit einer Reise im Alltagsgrau verblasst? Wie umgehen mit dem Gefühl, weder hier noch dort zu sein?
„Das ist ja, was den Schmerz ausmacht. Alle erwarten, dass du zurückkommst“, erklärt Uta, die zwischen 2014 und 2016 auf Weltreise ging. „Alle erwarten aber auch, dass es so weitergeht wie vorher.“ Ich kenne das gut. So ähnlich ging es uns, als wir 2014 aus Südamerika zurückkehrten. Damals hatten wir einen entscheidenden Vorteil. Die nächste Reise war schon beschlossene Sache. Was für uns folgerichtig war, klang für unser Umfeld in Deutschland komplett absurd. Dabei war es die logische Konsequenz, dachten wir.
„So was muss man seinen Leuten klar machen“, erkennt auch Uta. „Da prallen oft Welten aufeinander. Du brauchst Rückgrat und den Glauben an dich. Du musst dir selbst zugestehen, dass du dich verändert hast“, sagt sie.
Privilegien auf der Reise
Das kann unangenehm werden; im Umgang mit anderen und im Umgang mit sich selbst. Plötzlich ist die unbeschwerte Zeit der Reise vorbei. Erwartungen stehen im Raum. Eigene und die der anderen. Wer reist, gewährt sich die Superkraft des Verschwindens. Sobald eine Situation unangenehm wird, kann man gehen. Einfach so, völlig ohne Probleme. Das ist ein Privileg. Zu Hause ist das anders. Wer sich entschließt zu bleiben oder anzukommen, muss den Ort mit allen Facetten akzeptieren können.
„Als ich zurückkam, habe ich überhaupt nicht darüber nachgedacht, dass das ein Problem werden könnte“, sagt Uta. „Ich habe gedacht, ich könnte genau da ansetzen und weitermachen, wo ich vor der Reise aufgehört habe.“ Doch das gelingt nicht. Der Platz, den sie einmal ausfüllte, passt nicht mehr. „Ich habe einen Schmerz gespürt, als ich zurückkam. Ich war frei und dann fühlte ich mich wie der Vogel im Käfig“. Im Kopf tobt ein Kampf zwischen Gehen und Bleiben. Auch bei mir war es so. Im Mai 2020 war ich zurück in Deutschland. Augenblicklich gab es schöne Momente. Da waren Freunde und Familie, Gesichter, die ich lange nicht gesehen, Stimmen, die ich lange nicht gehört hatte. Zugleich war auch die Unzufriedenheit da. Tausend Gedanken, die ich mit niemandem teilen konnte, weil ich dachte, nicht verstanden zu werden.
Zurückkommen muss man wollen. Man muss es auch wollen können. Ich konnte es nicht. Zu einer gelungenen Rückkehr gehört mehr als ein abgelaufenes Visum oder ein Virus, das die Welt in Stillstand versetzt. Was mir fehlte, war der richtige Moment, so wie ich ihn oft während der Reise erlebt hatte. Dieser eine Punkt, an dem ich dachte „Jetzt ist es richtig. Jetzt kommt der nächste Schritt“. Doch dafür muss ich mich selbst verstehen.
„Für viele ist es ein großes Problem“, mein Uta. „Das war bei mir auch so. Ich habe gesagt, ich bin ein Jahr unterwegs und komme danach zurück. Dann war ich wieder zu Hause und habe festgestellt, dass ich dafür gar nicht bereit war“, erklärt sie. „Bei meiner zweiten Reise war es anders. Da war ich in Kanada und bin durch Corona ein Jahr länger geblieben als geplant. Nach zwei Jahren im Ausland war plötzlich der perfekte Moment, um nach Hause zu gehen“. Wer zurückkehren will, macht das mit einer inneren Ruhe.
Wir waren so glücklich am anderen Ende der Welt
Wenn ich überlege, was mich an einer Reise fasziniert, dann bleibe ich in Gedanken immer an den Menschen hängen, die uns auf dem Weg begegneten. Die Herzlichkeit und Zuneigung, die ich in der Ferne fand, begleiten mich bis heute. Ich glaube, dass das der Grundstein für Glück ist: die Nähe zu anderen Menschen; das Gefühl, in einem Geflecht aus positiven Beziehungen zu hängen. Wenn dieses Geflecht stimmt, ist es egal, wo ich bin.
Das kann man so sehen, muss man aber nicht. Uta hat einen anderen Blick. „Mein Herz hängt noch immer in Neuseeland“, erklärt sie. „Alle lächeln, jeder hilft. Das ist eine Mentalität, die nicht überall gleich ist. Dort habe ich viel mehr hingepasst“.
Aber auch das mag nur ein Zerrbild sein. Unbeschwertes Reisen, unbeschwerte Momente. Rosarote Brille? Wer weiß. „Das ist vielleicht eine Gefahr für viele, die einfach eine geile Zeit haben, mit Strand, Wasser, einem seichten Kellnerjob und vielen anderen Leuten, die gut drauf sind“. So unterwegs zu sein, ist ein riesiges Privileg. Es ist aber auch nur ein Teil der Wirklichkeit im Reiseland; eine von mehreren Möglichkeiten. Zugleich ist es eine bewusste Entscheidung. „Wenn du es drauf anlegst“, weiß Uta, „könntest du zehn oder elf Jahre Working Holiday machen und in der Welt unterwegs sein“.
Wer nach so langer Zeit in die Heimat zurückkehrt, bringt Demut mit. Mich begleitet sie bis heute. Ich bin dankbar für das, was ich erfahren durfte. Dazu gehört auch die Erkenntnis, vom Leben in anderen Ländern dauerhaft geprägt zu sein; auch dann, wenn mir das Lächeln mal vergeht.
„Je mehr du reist, desto freier wirst du, weil du immer mehr erlebst, immer mehr verstehst, dass du dir selbst vertrauen kannst. Irgendwann bist du niemandem mehr etwas schuldig. Dann gehörst du nur noch der Welt. Dann bist du frei.“
Uta-Caecilia Nabert
Steh für dich ein
„Es ist wie der Blick in den Spiegel. Wenn du eigentlich nicht da sein willst, dann nimmst du negative Dinge viel stärker wahr“, sagt Uta. Andersherum funktioniert es genauso. Wer fröhlich durch die Straßen läuft, bekommt von den Mitmenschen immer etwas zurück. „Die Leute steigen voll auf das ein, was du rausträgst“, erzählt sie begeistert.
Mut spielt für Uta eine entscheidende Rolle. Konsequentes Ja und Nein gehört dazu. Sei es im Beruf oder in der Partnerschaft oder wo auch immer. „Ich weiß, was ich kann und was ich will und was ich nicht will“, ist die vielleicht wichtigste Lektion des Reisens. Unterwegs stolpern wir ständig in herausfordernde Situationen. Irgendein krasser Scheiß ist immer los und deshalb lernen wir uns auf einer Reise permanent neu kennen.
Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob Mut allein entscheidend ist. Naivität ist in meinen Augen wesentlich. Es ist eine Eigenschaft mit schlechtem Ruf, aber ohne sie käme vieles nicht zustande. Schlicht unbedarft sein. Ohne mögliche Konsequenzen zu ahnen. Es ist so einfach, in diesem Zustand etwas Neues zu beginnen. Aber auch hier kommen Uta und ich nicht zusammen. „Ich war naiv, als ich zurückgekommen bin“, erklärt sie, „Da wurde ich richtig kalt abgeduscht“.
Auch darum geht es in ihrem Buch. Kalt abgeduscht wird wohl jede Person, die sich entschließt, nach einer langen Reise zurück in die Heimat zu gehen. Darauf vorbereitet sind die wenigsten. „Stellt euch darauf ein, dass das Zurückkommen nicht so leicht wird“, rät Uta. Das ist der Preis, der bezahlt werden muss. Die relative Freiheit während einer Reise gerät zum Sturzflug in die Zwänge und Normen der Heimat. Es ist schwer, vielleicht sogar unmöglich, dem zu entgehen. Dies anzuerkennen und überhaupt zu erkennen, ist bereits eine Kunst.
„Der Weg aus dieser Misere ist, eine Entscheidung zu treffen“, meint Uta. Nicht planlos rumeiern, sondern Energie auf mittelfristige Ziele bündeln. „Eine Entscheidung treffen bedeutet auch, dich nicht mehr in Fotos und Erinnerungen zu verlieren, während du in die Uni oder zum Job gehst“. Eine Entscheidung, frei getroffen, braucht immer Zeit. Es ist ein Prozess und das ist vollkommen in Ordnung. Die Entscheidung hilft, Ruhe in einen rastlosen Kopf zu bekommen. Wer das schafft, fährt gut damit. Wer auf dem Weg Inspiration braucht, liest Utas Buch Wieder da und doch nicht hier.
Wieder da und doch nicht hier
Weltenbummler und ihr Leben nach der Reise
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Aus dem hohen Norden Deutschlands hinaus in die Welt: 2011 zieht es Morten und Rochssare für zwei Jahre per Anhalter und mit Couchsurfing auf den südamerikanischen Kontinent. Genauso geht es nun weiter. Jetzt jedoch in die andere Richtung. Seit 2014 trampen die beiden auf dem Landweg von Deutschland nach Indien und weiter nach Südostasien. Es gibt noch viel zu entdecken.
Von ihren Abenteuern und Begegnungen erzählen sie in ihren Büchern „Per Anhalter durch Südamerika“ und „Per Anhalter nach Indien“, jeweils erschienen in der National Geographic Reihe bei Malik.
Jawohl, ein Hoch auf die Naivität!
Ich bin zwar nur so halb-naiv und halb-spontan, aber wenn ich einfach planlos drauf loslaufe, dann ergeben sich oft die besten Geschichten.
Zum Thema:
Ich habe ja kein eigenes Zuhause, muss also zwischen den Reisen notgedrungen bei meinen Eltern unterkommen. Das fühlt sich immer wie ein Rückschritt an. Zum einen bin ich da unfreier, zum anderen ist es langweilig und kleinbürgerlich, und dann weiß ich ja, dass ich nur dort bin, weil ich mir keine eigene Wohnung leisten kann oder gerade nicht unterwegs sein kann.
Ich fühle mich dort auch nicht mehr „zuhause“ als an den meisten anderen Orten dieser Welt, wo ich mich nach ein oder zwei Tagen zuhause gefühlt habe.
Und natürlich ist es als Weltreisender enttäuschend, wenn man zurück kommt und erwartet, dass sich das ganze Dorf bei einem Grillfest versammelt, um den Abenteuergeschichten zu lauschen – aber dann erzählen die Leute nur von ihrem neuen Grill oder Mulinex.
Ich hbe es mittlerweile aufgegeben und nutze die Zeiten zuhause nur mehr, um zu schreiben, zu lesen, zu studieren, vielleicht mal zu arbeiten, und die nächste Reise vorzubereiten. „Zuhause“ ist komischerweise, wo ich die wenigsten sozialen Kontakte pflege.