Von einer langen Reise heimzukehren, kommt immer auch einer Art Umbruch gleich.
Vielen Reisenden fällt die Heimkehr in das alte Leben schwer. Natürlich freut man sich darauf, Familie und Freunde wieder zu sehen, gutes Brot zu essen und auf Käse natürlich. Bier, Brotchips, Kräuterquark. Ich habe mich auf so vieles gefreut. Auf der Couch gammeln und Lammbock gucken, auf Konzerte gehen, einfach mal im Park fleezen oder Leitungswasser trinken. Am meisten gefreut habe ich mich auf den Frühling.
Doch ich habe auch Angst gehabt.
Angst vor unverdeckter Unfreundlichkeit, die nach all der Zeit wie eine schallende Backpfeife auf mein Gesicht niedergehen würde. Angst vor dem offen ausgelebten Frust einiger, den andere, so wie es der Zufall halt will, zu spüren bekommen. Ich habe auch Angst davor gehabt auf der Straße Menschen zu begegnen, die ruhigen Gewissens Merkel wählen. Ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren würde.
Ich weiß noch, wie ich wenige Tage nach unserer Ankunft in Deutschland mit einem bangen Gefühl in den Bus gestiegen bin. Statt Kleingeld hatte ich nur einen 50-Euro-Schein bei mir und war mir sicher, nun den Launen des Busfahrers völlig ausgeliefert zu sein.



Der heimkehrende Reisende fürchtet in der Regel den Alltag oder besser gesagt die Rückkehr in diesen besagten Alltag. Vielen fällt die Umstellung vom Reisemodus, der jeden Tag neue Erlebnisse birgt, in die Monotonie des Tagtäglichen schwer. Anfänglich denkt man noch, man könne noch lange von den Erlebnissen der Reise zehren, sie in Gedanken bei sich tragen und so das Leben hier augenzwinkernd, mit stoischer Gelassenheit und einem durchgängigen Lächeln meistern. Doch so ist es meistens nicht. Gerade die zurückliegenden Erfahrungen machen die Rückkehr in die gewohnte Umgebung schwierig. Man weiß noch zu genau, wie gelassen das Leben sein kann. Und gerade dieser Vergleich drängt den heimkehrenden Reisenden meistens wieder hinaus in die Welt.
Der Wunsch nach einem erneuten Aufbruch ist meist tief im Reiseherz des Heimkehrenden verankert. Und auch wenn dies erstmal nicht gerade vernünftig erscheint und einem von allen Seiten der Gesellschaft fragende Blicke zugeworfen werden, bleibt dieser Wunsch meist bestehen.
Auch wir haben uns mit unseren Möglichkeiten auseinandergesetzt, überlegt und abgewogen. Doch eigentlich fiel die Entscheidung sehr schnell und uns sehr leicht. Wir lassen den verunsicherten Versicherungs-Fanatiker, der in jedem von uns schlummert, einfach hinter uns und wollen wieder reisen. Für länger. Eigentlich sogar für unbestimmte Zeit. Ganz ohne Angst und Panikmacherei.
Wir machen uns frei von Unsicherheit und Grübeleien, frei von belastendem Besitz, von unnötigem Konsum. Wir wollen nicht die Arbeit über das Leben stellen, um uns dann Firlefanz zu kaufen, den wir gar nicht brauchen. In erster Linie wollen wir unser Leben genießen und Glück verspüren. Und glücklich – das waren wir die letzten zwei Jahre während unserer Reise durch Südamerika sehr.



Was braucht man zum Glücklichsein? Die letzten 24 Monate hatte ich kaum etwas. In meinem Rucksack war nur Platz für grundlegende, wichtige Dinge. Ich hatte keinen weiteren, keinen unnötigen Besitz. Kein Handy. Kein Telefon. Keinen Fernseher. Kein Auto. Und selten war ich glücklicher in meinem Leben. So abwegig es auch klingen mag. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie viel einfacher das Leben ist, wenn der eigene Besitz überschaubar bleibt. Wie viel weniger Probleme man hat, wenn man sich nur darum kümmern muss, genug zu Essen und zu Trinken für den Tag zu haben.
2011 tauschten wir Sicherheit gegen Freiheit und zogen los nach Südamerika. Sechs Monate sollte unser kleines Abenteuer dauern. Doch aus unserem Kinkerlitzchen wurde eine zweijährige Reise und brachte uns die Erkenntnis, dass wir nun kein anderes Leben mehr führen können und wollen. Der Gedanke nach Deutschland zurückzukehren belastete uns. Natürlich können wir jeden Morgen ins Büro gehen und abends wieder nach Hause kommen. Wir können uns von dem schönen Geld einlullen lassen. Es uns schön reden. Uns zur Belohnung für ein Leben, das wir so nie führen wollten, schöne Sachen kaufen, die wir eigentlich nicht brauchen. Das alles wäre ganz leicht.
Doch wir wollen nicht den leichten Weg wählen. Wir möchten uns lösen aus dem ewigen Kreislauf aus Arbeiten und Kaufen. Wir werden einfach das machen, was wir gerne machen möchten. Und zwar Weiterreisen. Natürlich haben wir uns als gewissenhafte Menschen auch Gedanken zu etwaigen Nachteilen unseres geplanten Lebensstils gemacht. Nach langen Überlegungen kommen wir zu folgendem Schluss. Alles in allem birgt unser auf den ersten Blick verrücktes Vorhaben nur genau drei mögliche Gefahren.



Erste mögliche Gefahr: Nach XY Jahren des Reisens sind wir nicht mehr im besten Jobeinstiegsalter und werden vielleicht, auch aufgrund von unerklärlich großen Lücken im Lebenslauf, keinen sehr gut bezahlten Job mehr bekommen.
Konsequenz: Wir können uns nicht alle zwei Jahre das neueste Smartphone und den neusten und größten Fernseher kaufen.
Fazit: Ich muss schlucken. Aber ich glaube, wir können es überleben.
Zweite mögliche Gefahr: Da wir XY Jahre nicht in die Rentenkasse einzahlen werden, werden wir keine hohe Rente bekommen.
Konsequenz: Wenn wir alt und knatterig sind, können wir uns nicht alle zwei Jahre den neusten High-Tech-Rollator kaufen. Unsere Enkelkinder kommen uns nicht in der Erwartung besuchen, wir steckten ihnen Scheine zu. Sie kommen einfach so.
Fazit: Ich muss wieder schlucken. Aber ich glaube auch das können wir überleben (zumindest eine Zeit lang). In der Seniorenbegegnungsstätte haben wir die coolsten Storys auf Lager und die Alten hängen uns (sowieso sabbernd) an den Lippen. Wir wissen, dass wir unser Leben nicht verschwendet, sondern voll ausgekostet haben. Und das macht uns immer noch glücklich.
Dritte mögliche Gefahr: Wir können/wollen unseren Kindern nicht alle zwei Jahre das neuste I-Dingsbums, das neuste Handy, die neueste Spielekonsole kaufen.
Konsequenz: Unsere Kinder werden keine verwöhnten, konsumvernarrten Nervbalgen, die keine Ahnung davon haben, welche Werte im Leben wichtig sind. Sie stellen nicht Arbeit, Besitz, Status-Symbole und Geld über Leben, Freude, Glück und Familie und haben nicht mit Ende 30 das erste Mal einen Burn-out.
Fazit: Sehr gut.



Denn seien wir ehrlich. Es gibt wenige Orte auf der Welt, in denen man vor der Zukunft und vor den undurchschaubaren Wirren des Lebens weniger Angst haben müsste als in Deutschland. Obwohl wir große Meister darin sind uns zu fürchten, ist Verunsicherung fast nirgendwo unbegründeter.
Wir stellen uns ganz objektiv einige wichtige Fragen. Was kann uns denn überhaupt passieren? Welche Gefahren birgt das Leben hier für uns? Denn selbst wenn alles, wirklich alles schief gehen sollte: Wir werden nicht verhungern und wir werden auch nicht unter der Brücke schlafen müssen. Existenzängste sollten uns also doch eigentlich völlig fremd sein. Oder?!
Was könnte uns folglich schlimmstenfalls passieren? Wir könnten vielleicht irgendwann nicht ohne Limit shoppen, alles, was wir auf Werbeplakaten sehen, kaufen und immer den neusten, ja den heißesten Scheiß haben.
Mehr nicht.
Die Angst und die Verunsicherung, die hier so viele zu lähmen scheint, ist nicht die pure Existenzangst oder gar die Angst nicht zu überleben, seine Kinder nicht durchzubekommen. Es ist die Angst davor, nicht immer mehr und mehr konsumieren zu können.
Mehr nicht.
Eigentlich ist das irrsinnig witzig und traurig zugleich. Die ganze Angst, die ganzen Befürchtungen, der ganze Frust, der ganze Druck, die ganze Erschöpfung, die ganzen daraus resultierenden seelischen Krankheiten, die hierzulande zu viele zu quälen scheinen.
Völlig grundlos.



Man müsste sich nur vom Gedanken des unbegrenzten Konsums distanzieren. Ich möchte hiermit nicht zu einem Leben auf der faulen Haut aufrufen. Auch wir wollen uns nicht dem süßen Müßiggang vollends hingeben und auf Kosten von Vater Staat leben. Doch wir haben nun mal dieses Privileg, keine Angst ums Überleben haben zu müssen. Wir können eigentlich wesentlich mutiger und angstfreier durch unser Leben spazieren, als wir es tatsächlich tun. Man muss es nur zulassen.
Also. Worauf warten wir?

Aus dem hohen Norden Deutschlands hinaus in die Welt: 2011 zieht es Morten und Rochssare für zwei Jahre per Anhalter und mit Couchsurfing auf den südamerikanischen Kontinent. Genauso geht es nun weiter. Jetzt jedoch in die andere Richtung. Seit 2014 trampen die beiden auf dem Landweg von Deutschland nach Indien und weiter nach Südostasien. Es gibt noch viel zu entdecken.
Von ihren Abenteuern und Begegnungen erzählen sie in ihren Büchern „Per Anhalter durch Südamerika“ und „Per Anhalter nach Indien“, jeweils erschienen in der National Geographic Reihe bei Malik.
Ganz meine Meinung! Die Sicherheit ist die grösste Gefahr in unserem Leben. Denn Sicherheit tötet – und das mit Sicherheit.