Rocket, Schaufelraddampfer, Bangladesch
Eine Rakete auf dem Wasser

Die Rocket – mit dem Raddampfer durch Bangladesch


27. Januar 2019
Bangladesch
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Heiß brennt die Sonne an diesem Nachmittag über Dhaka. Der Asphalt kocht auf den Straßen der Hauptstadt Bangladeschs. Auch am Sadarghat, dem geschäftigen Flusshafen mitten in der Stadt, sorgt nicht einmal die kleinste Brise für ein wenig Abkühlung. Die schmutzige Brühe des Burigangas fließt hier als breiter Strom mitten durch die Millionenmetropole. Dutzende Schiffe dümpeln auf seinem schwarzen Wasser hin und her. Vom mächtigen Petroleumtanker bis zum winzigen Ruderboot ist alles vertreten. Am Hafen befinden wir uns auf einem der Anleger, einem eisernen Ponton, der sich im Wellengang der vorbeifahrenden Schiffe leicht auf und ab bewegt. Von hier wollen wir den wasserreichen Süden Bangladeschs mit der Rocket, einem Schaufelraddampfer aus kolonialer Zeit, bereisen. Unser Ziel ist die kleine Stadt Barishal. Doch noch ist vom antiken Schiff nichts zu sehen.

Aus einem schaukelnden Boot heraus verkaufen zwei Männer Kaffee, Kekse und lauwarme Erfrischungsgetränke. Mit ausgestreckten Armen reichen sie die Waren hinauf auf den Ponton. Vor allem die Tagelöhner am Sadarghat, die Schar der Träger, gehören zu ihren Kunden. Hier gönnen sie sich eine kurze Pause, erfrischen sich mit süßem Milchtee, rauchen Zigaretten.

Nur wenige Schritte entfernt sind etwa ein Dutzend Frachtschiffe Reling an Reling vertäut. Eifrig werden sie von schmächtigen Männer in karierten Hemden beladen. Die Träger balancieren kiloschwere Holzkisten und Säcke voller Lebensmittel auf ihren Köpfen, laufen im Eilschritt über schmale, steile Planken und verschwinden im Bauch der Schiffe. Immer und immer wieder schultern sie neue Lasten in der drückenden Hitze.

Um ihre Köpfe winden sie ein Stück Stoff, das sie vor der gleißenden Sonne und aufwirbelndem Staub schützt. Diesen traditionellen Schal nennen sie Gamsa. Das leichte, schnell trocknende Baumwolltuch ist überall im Land zu finden. Es schützt nicht nur vor Sonne und Staub, sondern dient auch als Handtuch, Schweißband, Gürtel oder Tragetasche.

Sadarghat, Dhaka, Bangladesch
unbändiger Schiffsverkehr in Dhaka
Sadarghat, Dhaka, Bangladesch
winzige Ruderboote liegen am Ufer des Sadarghat
Sadarghat, Dhaka, Bangladesch
dutzende Steuermänner setzen unermüdlich von einem Ufer zum anderen über
Sadarghat, Dhaka, Bangladesch
am Ufer des Sadarghat
Sadarghat, Dhaka, Bangladesch
am Sadarghat werden die Fähren beladen

Die 20 Millionen Einwohner der Metropole schwitzen in tropischer Glut und mit ihr schwitzen die Arbeiter, die Händler, die Passagiere und auch wir. Sadarghat ist einer der größten inländischen Häfen Asiens. Jährlich werden in Dhaka etwa 53 Millionen Tonnen Waren umgeschlagen, während 22 Millionen Passagiere von hier über das Wasser an- und abreisen. Hinter dem Hafen beginnt ein Labyrinth aus schmalen Gassen, Märkten, Wohnhäusern. Fahrradrikschas, Träger und Passanten drängen sich vorbei an Garküchen und Teeverkäufern. Obst, Gemüse und sonnengetrocknete Früchte liegen in prall gefüllten Säcken, die von vollbärtigen Bengalen angepriesen werden. Süß duftende Ananas stapeln sich bis unters Dach der Lkws und warten darauf entladen zu werden.

Oft gibt es kein Durchkommen. Es bedarf nur eines Trägers, der in den vollgestopften Gassen seine Sackkarre belädt und nichts geht mehr. Am Sadarghat liegen währenddessen hunderte kleine Ruderboote am Ufer. Steuermänner führen die wackeligen Nussschalen über das Wasser. Unermüdlich transportieren sie die Menschen der Stadt zwischen den Ufern hin und her. Eine Überfahrt kostet fünf Taka, gerade einmal fünf Cent. Auf dem Fluss ist das Gedränge kaum geringer als in den Gassen an Land. Hier kreuzen Passagierfähren, Frachter und rostende Kähne, die so tief im Wasser liegen, dass mir bei ihrem Anblick angst und bange um die Sicherheit der Mannschaft wird.

Bauschutt und Verpackungsmüll, festgetreten von Millionen Schritten, bilden das Ufer. Zerfetzte Plastiktüten tanzen über den Boden, pinke Schutzpolster importierter Früchte leuchten schwach unter einer dichten Staubschicht. Styropor und Stofffetzen liegen unter nicht mehr identifizierbarem, halb kompostiertem Unrat begraben. Dhaka gehört zu den schmutzigsten Städte der Welt und hier am Buriganga wird das Ausmaß sichtbar.

Die Rocket – wahnsinnig schnell und immer unterwegs

Damals, in einer Zeit als die Kolonialisierung der Welt im westlichen Teil Europas Wohlstand und Macht verspricht, erzählt man sich auf dem alten Kontinent große Geschichten aus dem fernen Osten. Sie handeln von Reichtum, Abenteuer und Glück, von exotischen Gerüchen, ungewöhnlichen Speisen, feinen Stoffen und all dem Geld, das man dort machen kann.

Dhaka gehört zu diesen Sehnsuchtsorten, weit entfernt auf dem indischen Subkontinent. Unter der Herrschaft der Moguln entsteht hier bereits im 17. Jahrhundert der Hafen Sadarghat. Er ist schon damals ein wichtiger Handelsplatz, umringt von wuseligen Straßenmärkten.

Sadarghat, Dhaka, Bangladesch
mit Gamsas, traditionellen Schals, polstern die Träger ihre Köpfe

Es ist das Venedig des Ostens, berichten die europäischen Kaufleute, die mit den Nawabs, den muslimischen Fürsten von Dhaka, Geschäfte machen. Portugiesen, Franzosen, Niederländer und Engländer lassen sich in der Stadt nieder. Sie bauen Villen und Lagerhäuser und exportierten wertvolle Stoffe wie Musselin und Seide, aber auch Jute und Reis. Vom Sadarghat verschiffen sie ihre Waren über hunderte Flüsse bis in den Golf von Bengalen, nach Asien und Europa.

Das Hafenviertel von Dhaka wird schon bald zum Zentrum der Stadt. Aristokraten errichten ihre Paläste entlang des Ufers. Später ziehen Delegierte der britischen Kolonialmacht hier in schmucke Büros. Sie lassen prächtige Schaufelraddampfer bauen, die bald unter dem Beinamen Rocket bekannt sein werden. Rasant schieben sie sich durch die Fluten der weit verzweigten Wasserwege in Bangladesch. Die Schiffe transportieren jede erdenkliche Fracht und manchmal auch den Vizekönig von Indien, wenn er von Kalkutta anreist, um in den Palästen am Ufer auf Bällen zu tanzen und Partys zu feiern.

Packliste

Packliste

Unsere Ausrüstung muss einiges aushalten. Seit über 7,5 Jahren sind wir dauerhaft unterwegs und strapazieren unser Hab und Gut im täglichen Einsatz. Einiges hat bei uns nur kurze Zeit überlebt, doch anderes bewährt sich mittlerweile seit Jahren und wir sind von der Qualität überzeugt. Unsere Empfehlungen könnt ihr hier nachlesen.

Aus den Palästen von einst sind nun Museen geworden. Die Villen und Herrenhäuser stehen noch immer am Ufer des Flusses. Doch ihre Grandeur ist verblasst. Heruntergekommen fügen sie sich ins launische Stadtbild, sind gezeichnet vom tropischen Regen und der alles zersetzenden Zeit.

Auch die Rockets sind mittlerweile altes Eisen. Heute befahren nur noch vier Raddampfer aus der Kolonialzeit den Buriganga und das verzweigte Delta des Meghna weiter südlich. Knapp einhundert Jahre haben sie bereits auf dem Buckel und sind mit Abstand die ältesten Schiffe auf den 700 Flüssen des Landes. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts treiben Dampfmaschinen die Rockets an, machen sie zu den schnellsten Schiffen auf dem Buriganga – wahre Raketen auf dem Wasser.

Auf dem Ponton ist es noch immer extrem heiß. In der Menge um uns herum wartet auch Arif, ein junger Fotografiestudent aus Dhaka. Er spricht uns an, fragt nach unserem Ziel und es stellt sich heraus, dass wir für ein gutes Stück gemeinsam reisen werden. Wir wollen Bangladesch erkunden, Arif ist auf der Suche nach Fotomotiven, und die rollen bald über die Wellen des Flusses heran.

Sadarghat, Dhaka, Bangladesch
Steuermann und Passagiere überqueren die dunkle Brühe des Burigangas im Zentrum Dhakas

Unterwegs mit der Rocket

Ein rostender, orangefarbener Koloss, 60 Meter lang und 8 Meter hoch, nähert sich über den Buriganga – die Rocket. Der verbeulte Metallkörper über dem niedrigen Kiel hat die besten Tage fürwahr hinter sich. Zwei Schaufelräder, eines an jeder Seite des Rumpfes, bewegen das Schiff langsam in unsere Richtung. Der Anblick ist charmant morbide, erinnert an eine längst vergangene Zeit in einem weit entfernten Land. Huckleberry Finn tritt aus meinen Gedanken an den Kai.

Noch bis 1995 fuhren die Rockets allein mit Dampfkraft. Heute werden sie von Dieselmotoren angetrieben. Die Lepcha, so heißt die Rocket, die nun vor uns anlegt, kreuzt bereits seit 1938 die Wasserläufe in Bangladesch. Ihre Route führt von Dhaka ins 354 Kilometer entfernte Morrelganj in die Nähe des Sundarban Nationalparks. Die Fahrt dauert etwa 28 Stunden.

Die einst so schnellen Rockets sind langsam unterwegs. Zudem haftet ihnen ein fragwürdiger Ruf an. Die alten Schiffe sind im Dauereinsatz und gelten als nicht gerade sicher. Nichts Ungewöhnliches ist es, wenn eine Rocket auf einer Sandbank auf Grund läuft und dabei beschädigt wird. Immer wieder machen deshalb Gerüchte die Runde, dass die Rockets bald endgültig verschrottet werden. Doch noch pflügen sie durch die Flüsse des Südens. Es fehlt schlicht an adäquatem Ersatz auf den vielbefahrenen Wasserwegen, auf denen selbst moderne Fähren kentern, weil sie völlig überladen sind.

Anders als die Raddampfer auf dem berühmten Mississippi oder auf der Elbe und dem Rhein sind die Rockets in Bangladesch nicht nur Touristenattraktionen. Sie sind bis heute wichtige Transportmittel geblieben; unverzichtbar für viele Gemeinden im wasserreichen Süden des Landes.

Rocket, Schaufelraddampfer, Sadarghat, Dhaka, Bangladesch
die Rocket nähert sich dem Anleger
Rocket, Schaufelraddampfer, Sadarghat, Dhaka, Bangladesch
die Rocket – altes Eisen im Dauereinsatz

Klassengesellschaft auf der Lepcha

Enge Treppen führen im metallener Körper der Rocket hinauf in das obere der zwei Stockwerke. Hier, im vorderen Teil des Schiffes, befinden sich die Kajüten der ersten Klasse – nicht mehr als abgewohnte, seit langem renovierungsbedürftige Kammern. Die Ausstattung ist rudimentär: zwei schmale Betten, ein stumpfer Spiegel, ein Waschbecken. An den fleckigen, vergilbten Wänden, die vielleicht im letzten Jahrtausend einmal weiß waren, brummen zwei Ventilatoren. Dazwischen hängt eine millimeterdick verstaubte Klimaanlage.

Früher war das alles einmal schick. Zur Zeit der britischen Kolonialherrschaft war die Kabinenausstattung der Rockets auf dem neusten Stand; mehr noch, sie war luxuriös. Ein Waschbecken im eigenen Zimmer? Beinahe dekadent! Der Standard hat sich verändert, die Rockets sind gleich geblieben. Damals wie heute sind die Betten mit makellos weißen Laken bezogen und das ist immerhin bis heute ein Luxus auf dem indischen Subkontinent.

Rocket, Schaufelraddampfer, Bangladesch
unsere Luxuskabine der ersten Klasse auf der Lepcha

Wir teilen die acht Kabinen der ersten Klasse mit Arif und seinen Kommilitonen, die sich ebenfalls hier eingebucht haben. Zwischen den Kabinen befindet sich ein breiter, dunkler Korridor, der ausgestattet mit einer schlichten Tafel als Essbereich dient. Ein Steward in steifer Uniform serviert uns süßen Chai. Arif und seine Freunde finden das kolossal, wir dagegen kolonial. Es ist das schlechte Gewissen der weißen Haut.

Im Stockwerk unter uns befindet sich die Deckklasse. Sie bietet nichts als den blanken Metallboden. Wer sich hier einquartiert, reist extrem günstig, muss dafür alles selbst mitbringen. Männer, Frauen, Kinder sitzen auf ausgebreiteten Bastmatten. Zwischen ihnen liegen vollgestopfte Säcke und Taschen, Gepäck und Proviant. Träger schleppen Warenlieferungen für die Dörfer am Fluss herein. Bis die gesamte Fracht verladen ist, dauert es Stunden.

An einem Kiosk im hinteren Teil der Deckklasse werden Gebäck und Chips, Bananen, Milchtee und Softdrinks verkauft. Zwei Lautsprecher stehen auf der Theke, beschallen das Deck lautstark mit den Melodien des Landes – bengalische Volksmusik und Klassik. Die Ektara, ein einsaitiges Zupfinstrument, ist immer wieder zu hören. Ein junger Mann mit weißem T-Shirt und roter Gamsa lehnt schläfrig hinter dem Tresen.

Rocket, Schaufelraddampfer, Bangladesch
Kiosk und Disko unter Deck

Buriganga, die stinkende Brühe

Die Sonne rutscht bereits hinter den Horizont, als die Lepcha endlich ablegt. Zurück auf dem Oberdeck bereitet sich die Crew auf das Abendgebet vor. In verschiedenen Ecken liegen kleine Gebetsteppiche, auf denen sich die Mannschaft nacheinander gen Mekka verbeugt. Selbst im Maschinenraum werden die religiösen Pflichten erfüllt.

An sechs Abenden in der Woche macht sich die Lepcha oder eines ihrer Schwesterschiffe auf den Weg nach Süden. Langsam schiebt sie sich durch das dunkle Wasser des Burigangas, verlässt Sadarghat und die quirlige Menge am Pier, schiebt sich an der bescheidenen Silhouette Dhakas vorbei. Draußen auf dem Außendeck der ersten Klasse weht eine beständige Brise die Ausdünstungen der Metropole herüber.

Besonders Dhakas Gerbereien und Fabriken verseuchen den Buriganga mit ihren giftigen Abwässern. Dazu kommt der tagtägliche Dreck aus Millionen Haushalten, medizinischer Abfall, Plastik, Tierkadaver. Hinter Sadarghat ist der Buriganga eine stinkende Brühe.

Doch je weiter wir uns von der Hauptstadt Dhaka entfernen, desto flüchtiger reizt der Geruch des Wassers unsere Nasen. Der Mantel der Nacht, so scheint es, schluckt nicht nur die Umgebung, sondern auch die Gerüche des Flusses.

Rocket, Schaufelraddampfer, Bangladesch
Abwasser verschmutzt die Flüsse in Bangladesch

Ein Strahler sucht mit seinem weiten Lichtkegel das Wasser vor der Lepcha nach möglichen Gefahrenquellen ab. Treibholz etwa oder eines der kleinen Ruderboote, die im Dunkeln ohne eigene Lichtquelle auf dem Buriganga schaukeln. Fischer sitzen zu zweit in einem Boot, harren aus in der Hoffnung auf einen Fang. Wasserhyazinthen treiben über den Fluss.

Arif und die Geschichte der Rockets

An die Reling gelehnt stellt sich Arif zu uns. Eine Schirmmütze versteckt das bereits schüttere Haar. Sein Blick ist klar, freundlich, auch ein bisschen schüchtern. Darüber strecken sich dunkle Augenbrauen und berühren einander beinahe über der Nasenwurzel. Arif faszinieren die Raddampfer und der Wandel der Zeit, der an ihnen sichtbar wird.

Zu Beginn des 20. Jahrhundert, so erzählt er uns, symbolisieren die Rockets den Beginn einer neuen Epoche. Plötzlich ist die Schifffahrt rasant und unabhängig von Wind und Wetter. „Politiker, Offiziere und hohe Staatsgäste bestiegen die Rockets, um mit ihnen durch Bangladesch zu reisen.“, schildert Arif. Damals ist eine Fahrt mit den Rockets ein luxuriöses Ereignis.

Seitdem hat sich viel getan. Heute durchschneiden moderne Passagierschiffe die Flüsse, die die Rockets schon nach wenigen Kilometern weit abhängen. Auch jetzt überholen sie uns im Dreißigminutentakt. Die Rockets kommen mit ihrer Leistung von 14 Kilometern pro Stunde nicht hinterher. Hochrangige Gäste haben die einst stolzen Dampfer schon lange nicht mehr gesehen.

Rocket, Schaufelraddampfer, Bangladesch
auf dem Außendeck der ersten Klasse

Aus dem Maschinenraum dringt das Dröhnen des Motors zu uns herauf. Volle Fahrt hinein in die Nacht. Währenddessen gleicht das Unterdeck einer bunten Inselwelt. Jede Matte eine Welt für sich. Kleinkinder liegen in den Armen ihrer Mütter, hier werden Reis und Curry aus mitgebrachten Töpfen gegessen, dort in der Ecke rauchen Männer ihre Zigaretten. Gelächter schwingt sich von einem Eiland zum nächsten. Darüber vermischt sich die Musik aus den Lautsprechern mit dem ohrenbetäubenden Lärm des Motors.

Rocket, Schaufelraddampfer, Bangladesch
mit ihrem niedrigen Kiel kommt die Rocket auch durch flache Gewässer

Morgendämmerung über dem Meghna

Wir verschwinden in unsere Kabine und während die Lepcha immer weiter nach Süden zieht, wiegt sie uns mit ihren Bewegungen sacht in den Schlaf. Stunden später fällt das erste Licht des beginnenden Tages zaghaft durch das Kabinenfenster und kurz darauf stehen wir bereits wieder an der Reling.

Es ist frisch, beinahe kalt. In der Dämmerung schauen wir hinaus auf den Fluss, der hier, weit im Süden Bangladeschs, mittlerweile den Namen Meghna trägt. Baumkronen neigen sich am Ufer über den Fluss, Palmen wachsen in der Nähe. Oben auf der Brücke kniet der Kapitän zum Morgengebet nieder.

Ein paar Minuten später dröhnt das Nebelhorn der Rocket über den Fluss. Die Lepcha nähert sich dem Hafen von Barishal – kaum mehr als ein mit Schutt befestigter Anleger vor dem zwei rostende Pontons vertäut sind. Es ist nicht einmal halb 6 Uhr morgens.

Die Lepcha legt an. Crewmitglieder und Arbeiter aus Barishal beginnen Fracht zu entladen. Starke Männer in Lungis und fleckigen T-Shirts tragen schwere Säcke und Kisten auf ihren Köpfen. Gemeinsam schleppen sie Möbel, Metall und Bauholz über die Gangway an Land. Lange Bärte rauschen ihnen vom Kinn bis über die Brust, sind mal leuchtend orange mit Henna gefärbt, mal dunkel mit grauen Strähnen.

Rocket, Schaufelraddampfer, Bangladesch
Crewmitglied der Lepcha beim Löschen der Fracht

Barishal und der Morgenmarkt

Am Kai in Barishal, 170 Kilometer südlich von Dhaka und doch um Welten entfernt, schlürfen alte Männer dunklen Tee unter einem winzigen Verschlag. Nicht weit entfernt befindet sich der Markt. Händler breiten ihre Waren am Ufer aus. Kürbisse, grüne Bananen, verschiedene Kräuter und Wurzeln, Okraschoten, Chilis und Kartoffeln liegen in Körben und auf Planen auf dem Boden.

Unmerklich verschwimmt die Dämmerung im klaren Licht des frühen Tages. Immer mehr Menschen strömen herbei, frühstücken Chai, frittierte Teigringe und Kekse, erledigen erste Einkäufe. In ihrem Alltag sind wir die Exoten. Immer wieder ernten wir ungläubige, manchmal skeptische Blicke, doch die allermeisten weichen bald freundlichem Lächeln. Bleiben wir an einem Marktstand stehen, tun es uns stets ein paar Einheimische gleich, um für einen kurzen Moment zu beobachten, was wir wohl als nächsten täten.

Ruderboote setzen von einem Ufer zum anderen über, bringen Menschen und Waren zum Marktplatz. Ein paar junge Männer waschen sich im Fluss. Die älteren sitzen am Ufer zusammen. So früh am Morgen herrscht eine unaufgeregte, etwas verschlafene Stimmung. Wir gönnen uns Milchtee und Puris an einem der Verschläge. Niemand ist in Eile und immer reicht die Zeit für ein Schwätzchen.

Barishal, Markt, Bangladesch
Teestube am frühen Morgen in Barishal
Barishal, Markt, Bangladesch
auf dem Morgenmarkt in Barishal bleibt stets Zeit für Albernheiten
Barishal, Markt, Bangladesch
Händler breiten ihre Waren aus
Barishal, Markt, Bangladesch
gut gelaunte Hafenarbeiter in Barishal

Beim Piratenkapitän auf der Kommandobrücke

Zurück auf der Lepcha sind die Männer noch immer mit dem Löschen der Fracht beschäftigt. Auf der Brücke nippt der Kapitän an einer Tasse Kaffee und winkt uns zu sich herauf. Der Mann ist hager, sein Oberkörper steckt in einem ausgewaschenen Hemd. Ein mit Henna leuchtend orange gefärbter Bart umspielt sein Kinn. Ein wenig dunkler, aber genauso kräftig strahlt sein Haupthaar. Es heißt, dass der natürliche Farbstoff eine kühlende Wirkung habe. Es ist nur eine von vielen Legenden auf dem Subkontinent.

Gemeinsam schauen wir den Arbeitern zu, die unentwegt Säcke aus dem Bauch des Schiffes tragen. Von einem Steward lässt uns der Kapitän dampfenden Milchkaffee bringen, der so stark gesüßt ist, dass ich befürchte meine Lippen würden noch während des Trinkens am Tassenrand festkleben. Neben uns hockt der Steuermann auf einem Barhocker. Müde zieht er an einer Zigarette. Sein Arbeitsplatz ist überschaubar. Eine Handvoll Armaturen unterliegen seinem umherschweifenden Blick. Daneben steht ein qualmender Aschenbecher.

Der Kapitän lehnt zwischen Steuerrad und Maschinentelegraph. Er interessiert sich für unsere Religion, Ehestand und Anzahl der Kinder. Die üblichen Fragen in Bangladesch.

Rocket, Schaufelraddampfer, Bangladesch
der Kapitän der Lepcha

Draußen am Anleger trägt die Mannschaft die letzten Säcke an Land. Geschafft – Zeit für Tee und Zigaretten! Auf der Brücke klingelt das Handy des Kapitäns. Ein altes Gerät, ideal um Fensterscheiben einzuschlagen. Blechern ertönt die Titelmelodie aus Fluch der Karibik. Vergnügt richten sich die Härchen an meinen Unterarmen auf. Piratenabenteuer in Bangladesch statt in der Südsee. Ein Moment so kitschig, so inszeniert, so süßlich wie der Milchkaffe in meiner Hand.

Auch der Kapitän erfreut sich an der Melodie, wartet ein paar Takte ab, bevor er den Anruf annimmt. Während er Gespräche mit einem Unsichtbaren führt, verlassen wir die Brücke, denn wenn die Lepcha sich bald weiter stromabwärts schiebt, werden wir nicht mehr an Bord sein. Wir bleiben in Barishal.

Rocket, Schaufelraddampfer, Bangladesch
Anleger im weit verzweigten Flusssystem
Rocket, Schaufelraddampfer, Bangladesch
Passagiere und Händler am Anleger
Rocket, Schaufelraddampfer, Bangladesch
auf dem Dach der Rocket

Abschied und Albert in Barishal

Es ist kurz nach sieben Uhr, als wir am Kai stehend der Lepcha beim Ablegen zuschauen. Die einmal stolze Rocket ist übersät mit Falten und Rissen. Sie ist nicht mehr so elegant, wie sie einmal war und ganz sicher ist ihr das Luxuriöse abhandengekommen. Die Lepcha verblasst genauso, wie ihre drei Schwesterschiffe. Was ihnen bleibt, ist der nostalgische Charme und die romantische Idee der Vergangenheit.

Während sich die Schaufelräder immer schneller durch das Wasser wühlen, winken wir Arif und seinen Freunden auf dem Deck der ersten Klasse. Darüber auf der Brücke bringt der Kapitän die Lepcha auf Kurs. Bald wird er den Hebel des Maschinentelegraphen auf volle Kraft stellen und die Rocket aus unserem Sichtfeld verschwinden. Noch einmal klingt das dunkle Grölen des Nebelhorns über den Fluss.

Wenig später sitzen wir wieder unter einem Verschlag und trinken Tee. Hier lernen wir Albert kennen, ein Mitglied der christlichen Gemeinde von Barishal. Schon in Dhaka hatten wir uns über einen gemeinsamen Freund verabredet. Ein wenig aufgeregt heißt er uns willkommen in seiner Stadt und hat bereits einen Plan für unseren Aufenthalt entworfen. Wir fahren zum Strand – Wochenendurlaub mit seiner Kirchengemeinde.

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Meghna, Tropen, Bangladesch
tropisches Ufer des Meghnas im Süden von Bangladesch
Meghna, Tropen, Bangladesch
im fruchtbaren Schwemmland der Flüsse gedeihen Reis und Gemüse
Rocket, Schaufelraddampfer, Bangladesch
die Rocket, seit beinahe 100 Jahren auf den Flüssen von Bangladesch unterwegs

Und jetzt du!

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