Dicke Schweißperlen rollen träge über meine Stirn, verfangen sich in meinen Brauen und suchen ihren Weg entlang meiner Schläfen. Als wir die Grenze zwischen Iran und Pakistan überschreiten, sind wir bereits von der Reise gezeichnet. Um uns herum tobt ein heftiger Sturm. Kleine Sandkörner peitschen unsere Körper. Jeder Versuch, uns vor ihnen zu schützen, scheitert. Der Sand ist zu fein, dringt durch jede kleine Öffnung, erschwert das Atmen, knirscht zwischen den Zähnen. Staub und Sand kleben an unserer Kleidung, in unseren Haaren, auf unserer Haut. Ich wische mit dem Handrücken über mein Gesicht und feiner, nasser Sand bleibt auf ihm zurück. Wir sind mitten in Belutschistan, einer Region, die seit Jahrzehnten von Unruhen, Rebellion, Unabhängigkeitsbewegung und Terrorismus gezeichnet ist. Sicherheit ist hier ein seltenes Gut.
So kommt es, dass wir bereits vom iranischen Zahedan, 100 Kilometer vor der pakistanischen Grenze, vom Militär eskortiert werden. Mehrmals wechseln wir das Fahrzeug. Auf den Ladeflächen verschiedener Pick-Ups rasen wir durch die Wüste. Immer begleitet von jungen Soldaten in Camouflage und ihren HK G3 Sturmgewehren im Anschlag.
Unsere Fahrt endet zunächst an einem niedrigen Zaun, kaum einen Meter hoch, der den Iran von seinem Nachbarn Pakistan trennt. Die Tinte des Ausreisestempels in unseren Pässen ist noch nicht ganz getrocknet, da betreten wir durch eine kleine Pforte Terrorgebiet – zumindest sagt das unser Auswärtiges Amt. Hier herrschen die Taliban, hier kommt es regelmäßig zu gewalttätigen Übergriffen und Entführungen. Doch die pakistanischen Grenzbeamten sind auffällig entspannt. Keine Wichtigtuerei; keine zur Schau gestellte Ernsthaftigkeit wie bei den iranischen Kollegen.
Dafür, dass wir hier in realer Gefahr sind entführt zu werden, ist die Stimmung recht gelöst. Wir erledigen die Einreiseprozedur und werden fünfhundert Meter weiter querfeldein zur Polizeistation des Grenzortes Taftan geschickt. Niemand begleitet uns, niemand sorgt sich um unsere Sicherheit. Alles halb so schlimm?
Die Polizeistation in Taftan
In der Polizeistation sitzen wir im Dunkeln. Taftan, an das iranische Elektrizitätsnetz angeschlossen, ist vom wütenden Sandsturm lahmgelegt, der irgendwo im Nachbarland mehrere Strommasten umgeknickt hat. Allein durch die offene Tür dringt etwas Licht in das dunkle Büro des diensthabenden Kommandanten. Jede Menge Staub und Sand wirbelt herein. Das dicke Registerbuch, in das wir uns eintragen, ist mit feinem Sand überzogen, genauso wie alles andere im Zimmer auch.
Heute gibt es kein Weiterkommen. Eine Eskorte, für Reisende durch Belutschistan unabdingbar, steht nicht zur Verfügung und so verbringen wir den Rest des Tages in der Polizeistation. Der Stromausfall hat weitreichende Folgen für uns. Das Computernetz der einzigen Bank im Ort fällt aus. Wir haben weder Geld für eine Unterkunft noch für die allerkleinste Mahlzeit. Stattdessen verbringen wir die Nacht bei Kerzenschein in einem Büro der Polizeiwache. Im schummrigen Licht machen wir es uns mit unseren Isomatten auf dem staubigen Boden gemütlich. Es dauert nicht lange, bis sich der Kommandant zu uns gesellt und uns freundlich zum Abendessen einlädt. Während der Mahlzeit, die wir auf dem Boden sitzend zu uns nehmen, gibt sich unser Gegenüber große Mühe, unsere Unbekümmertheit zu bewahren. Im lustigen Akzent des Subkontinents stimmt er uns auf sein Land ein. Ja, wir sind in Pakistan. Nein, das Kopftuch ist hier, anders als im Iran, keine Pflicht mehr. Ja, in Belutschistan kam es bereits zu Entführungen und tödlichen Angriffen. Nein, wir brauchen uns nicht zu sorgen – heute Nacht können wir ganz unbeschwert schlafen. Wir sind sicher.
Draußen, im Innenhof der Polizeistation, versammeln sich ein paar Männer – Polizisten und Dorfbewohner. Lebhafte Gespräche dringen durch die Dunkelheit und ab und an klingt offenherziges Lachen zu uns herüber.
Am nächsten Morgen steigen wir in einen rostigen Geländewagen – das erste von vielen pakistanischen Militär- und Polizeifahrzeugen auf dem Weg durch Belutschistan. Eskortiert werden wir von drei bewaffneten Levies: Mitglieder einer paramilitärischen Einheit aus einheimischen Wehrpflichtigen, Offizieren, Soldaten und Polizisten. Nur wenige Kilometer trennen uns hier vom Territorium der Taliban in Afghanistan. Die Levies patrouillieren entlang der einzigen asphaltierten Straße, haben stets die Wüste und alles, was sich in ihr bewegt, im Blick. Sie konfrontieren täglich die Gefahr und riskieren im Notfall ihr Leben.
Unsere drei Bewacher dienen schon lange in dieser Gegend. Weiße Bartstoppeln sprießen auf der wettergegerbten Haut ihrer Gesichter. Die Augen liegen in tiefen Höhlen. Die ganze Erscheinung der Männer lässt das harte Leben in Pakistans größtem Bundesstaat erahnen.
Seit der Gründung Pakistans 1947 schwelen immer wieder Konflikte in Belutschistan. Obwohl sich die Region gegen eine Fusion mit dem neuen Staat ausspricht, annektiert das pakistanische Militär 1948 das Gebiet. Unruhen und gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Separatisten und Militär gehören seitdem zum Leben in der ärmsten und unterentwickeltsten Provinz des Landes.
Mit den Levies durch Belutschistan
Die ersten von etwa sechshundert Kilometern durch die Wüste sind eine Katastrophe. Die Löcher, die sich hier auf der Straße aneinanderreihen, sind so tief, dass unser Fahrzeug alle paar Meter zu springen beginnt. Das Fahrzeug ist zu klein für uns und unsere Begleiter, sodass vor allem der Levie im Kofferraum unter den Stößen leidet, denen wir ausgesetzt sind.
Etwa eine Stunde reisen wir so durch Belutschistans Wildnis, bis wir an einer kleinen Hütte halten. Mitten im Nichts, umgeben von Sand, Staub und Wind, tauchen immer wieder kleine Baracken, Hütten und Unterstände am Straßenrand auf. Überall die gleiche Einrichtung: ein Raum, eine Pritsche, ein Stuhl, ein schweres Maschinengewehr und ein dickes Register. Von hier wird die Straße quer durch Belutschistan überwacht. Ein Wachposten folgt auf den nächsten und jedes Mal heißt es für uns Pässe vorzeigen und im Register unterschreiben. Unsere Fahrt wird genauestens dokumentiert. Oft wechseln wir bei diesen Kontrollen auch das Fahrzeug, sodass wir im Laufe der Zeit immer mehr Levies kennenlernen.
Von Beruf Soldat, aber keine Berufssoldaten. Statt einer Uniform tragen die Levies ihr Shalwar Kamiz, die traditionelle Kleidung Belutschistans. Weite Pumphosen und ein langärmeliges Oberteil, das bis zu den Knien reicht. Gegen Wind und Sand schützen sie sich mit Decken und Tüchern, die sie um Kopf und Körper schlingen.
Zwischen zwei Levies geht die Fahrt auf der Ladefläche eines Pick-Ups weiter. Rechts von mir ein junger Mann mit schwarzem Kopftuch und brauner Cordjacke. Links von mir eine Gestalt, dessen Gesicht hinter einer tief heruntergezogenen Kapuze und einem über Mund und Nase gezogenen Tuch verschwindet. Lediglich ein dunkles Augenpaar funkelt mich finster an. Um uns tobt noch immer derselbe Sandsturm vom Vortag, der wieder an Stärke zugenommen hat. Er lässt mich kaum atmen. Feiner Staub weht in mein Gesicht, verklebt meine Augen.
Zusammen harren wir auf der Ladefläche aus, ducken uns so gut es geht vor dem Wind, bis dieser endlich nachlässt und den Blick in die weite Wüste frei gibt. Sand und grauer Stein erstrecken sich bis zum Horizont, wo ein grauer, wolkenverhangener Himmel das Ende des Nichts begründet. Riesige Sandwehen versperren unsere Fahrbahn, denen wir in ständigem Zickzackkurs ausweichen. Ein paar Dromedare schaukeln nur wenige Meter neben der Straße durch die Wüste.
Grenzgebiet zur Taliban
Auf der Ladefläche lächelt mir der Levie in der Cordjacke aufmunternd zu. In gebrochenem Englisch erkundigt er sich nach meinem Wohlbefinden, bevor er nach rechts auf die Berg- und Hügelkette in einiger Entfernung weist. Dort drüben liegt Afghanistan. Hinter den Hügeln, keine fünfzig Kilometer entfernt, herrschen die Taliban, die auch immer wieder in pakistanisches Territorium eindringt. Dann sprechen wir über Familie, Frauen und Kinder. Terror und Alltag liegen in Belutschistan nah beieinander.
Die Levies selbst sind immer wieder Opfer terroristischer Übergriffe. Zuletzt sterben im Januar 2014 sechs Levies bei einem Schusswechsel, als sie einen spanischen Radfahrer durch Belutschistan eskortieren, fünf weitere Levies und der Spanier selbst werden verletzt.
Dennoch, die Gelassenheit und Freundlichkeit mit der die Levies uns gegenübertreten, erstaunt mich. Wir sind mit den Gedanken stets bei all den Schrecken, die uns hier zustoßen könnten. Doch unsere Begleiter freuen sich über unseren Besuch und im Nu werden wir Facebookfreunde.
Gegen 15 Uhr erreichen wir die kleine Wüstenstadt Dalbandin und werden in einem Hotel einquartiert, das wir bis zum nächsten Morgen nicht mehr verlassen dürfen. Da uns immer noch die finanziellen Mittel fehlen, werden wir nach kurzer Beratung zwischen den Levies und dem Management freundlich vom Hotelbesitzer eingeladen. Selbst ein Abendessen lässt er uns aufs Zimmer bringen.
Zwei Levies patrouillieren regelmäßig über den Flur unserer Etage. Im Zimmer machen wir es uns so gemütlich wie möglich. Durch die staubigen Fenster schauen wir hinaus in eine verschleierte Welt. Staub liegt auf der Straße, Staub weht durch die Luft, Staub klebt auf der Kleidung der Menschen, die vor unserem Hotel ihr Leben führen.
Plötzlich klopft es energisch an unsere Zimmertür. Aggressives Rufen fordert uns zum Handeln auf. Wenige Sekunden später stürmen drei Männer in zivil unser Zimmer, die sich kurz angebunden und schlecht gelaunt als Polizisten ausgeben. Überrumpelt von den Eindringlingen, wissen wir gar nicht wie uns geschieht. Das wir nicht schnell genug unser Bett frei räumen und den Beamten einen Sitzplatz anbieten, quittieren sie mit einer immer knurriger werdenden Laune. Hier scheint jemand wenig erfreut über unseren Besuch zu sein. Barsch werden unsere Daten wieder einmal aufgenommen.
Als unsere „Gäste“ bereits wieder verschwunden sind, prasseln Regentropfen gegen die Scheiben unserer Fensterfront. Schmutzige Schlieren rinnen an ihnen hinab. Dunkle Wolken hängen über Dalbandin. War die Stadt zuvor vom Sand braun gefärbt, ist sie nun durch und durch grau.
Am nächsten Morgen geht es weiter in Richtung Quetta, der Hauptstadt Belutschistans. Wieder sitzen wir, eingezwängt zwischen vermummten und bewaffneten Levies, in einem Pick-Up. Wieder müssen wir uns in regelmäßigen Abständen in kleinen Hütten und Unterständen registrieren. Wieder wechseln wir nach wenigen Kilometern das Fahrzeug. Und wieder machen uns die Levies das Leben so angenehm wie möglich.
Mit ernsthaftem Blick werden wir in einer Lehmhütte empfangen. Drei Levies sitzen auf einer Decke auf dem staubigen Boden und bedeuten uns, ebenfalls Platz zu nehmen. So grimmig wie der Gesichtsausdruck der Männer ist auch das Wetter außerhalb der Hütte. Nach dem Sandsturm begleiten uns nun dunkle Wolken, die schwer über unseren Köpfen hängen. Die nächste Eskorte lässt auf sich warten.
Levies und Liebeslieder
Als wir neben den Levies auf dem Boden Platz nehmen, bekommen wir Chai in kleinen Gläsern serviert. Die eben noch reserviert wirkenden Männer entwickeln nun ein reges Interesse an uns. Lächelnd werden wir ausgefragt und unsere Reise mit staunen aufgenommen. Es dauert nicht lange und die drei Levies laden uns zum gemeinsamen Essen ein. Saif, einer der Levies, präsentiert uns stolz seinen eben zubereiteten Salat. Gurken, Tomaten, Kichererbsen, Kartoffeln, Zwiebeln – gemeinsam greifen wir tief hinein in die Schüssel bis metallisches Kratzen am Boden das Ende der Mahlzeit verkündet. Wir sind satt und zufrieden. Dann kramt Saif ein Handy hervor. Mit breitem Grinsen zeigt er uns Fotos seines zweijährigen Sohnes und erzählt von den ersten Sprechversuchen des Nachwuchses. Aus dem rauen Beschützer der Wüste ist schlagartig ein freundlicher Familienvater geworden.
Doch Saif ist nicht der einzige Levie, der uns im Gedächtnis bleibt: Wir werden von Baba Saeed eskortiert, dessen ganzes Wesen eine unbändige Fröhlichkeit ausstrahlt. Jedes seiner Worte ergänzt er mit einem warmen Lächeln. Als wir vom Regen durchnässt in einer kleinen Baracke pausieren und bei einem heißen Chai erneut auf die nächste Eskorte warten, dreht Baba Saeed eine Karaffe auf den Kopf, schlägt ein paar Takte auf dem metallenen Boden und beginnt für uns Liebeslieder auf Urdu und Belutsch zu singen.
Mitten in der verregneten Wüste Belutschistans und weit weg von allem, was uns vertraut ist, fühlen wir uns plötzlich ganz heimisch. Wären da nicht die vielen Waffen und die Patrouille vor der Tür, wir würden nichts von der schwierigen Lage um uns herum bemerken.
Dann geht es weiter durch die Wüste und in strömendem Regen erreichen wir endlich Quetta. Das Hotel, in welches uns die Levies eskortieren, ist einfach und gemütlich. Ein großes Bett, eine heiße Dusche – wir sind glücklich.
Quetta in Belutschistan
Quetta gilt als Unruheherd. Hier leben Belutschen, Paschtunen, Schiiten, Sunniten und Hazaras nicht immer friedlich miteinander. Etwa zehn verschiedene Ethnien sind in der Stadt zuhause. In den letzten Jahren kam es mehrfach zu Anschlägen und Überfällen, bei denen Dutzende Menschen ihr Leben verloren. So ist es leicht erklärt, dass die pakistanische Polizei ausländischen Touristen nicht gestattet, allein durch die Straßen zu schlendern. Auch uns ist untersagt das Hotel ohne eine Polizeieskorte zu verlassen. Soweit die Theorie.
Am nächsten Morgen erwartet uns bereits ein Beamter in zivil, der uns in einer Rikscha zum Polizeihauptquartier eskortiert. Dort angekommen führt man uns in ein Büro, in dem fünf massive, ausladende Schreibtische stehen. An den Wänden befinden sich offene Schränke, in denen Hunderte Aktenordner und Papierbündel liegen. Die Last ist so schwer, dass sich die Holzböden der einzelnen Fächer bereits nach unten biegen. Auf den Schreibtischen selbst stapeln sich weitere Protokolle, Formulare und Berichte.
Wenn ihr unsere Abenteuer und Geschichten gerne auf Papier lesen wollt, dann schaut doch mal hier:
In unserem Buch Per Anhalter nach Indien erzählen wir von unserem packenden Roadtrip durch die Türkei, den Iran und Pakistan. Wir berichten von überwältigender Gastfreundschaft und Herzlichkeit, feiern illegale Partys im Iran, werden von Sandstürmen heimgesucht, treffen die Mafia, Studenten, Soldaten und Prediger. Per Anhalter erkunden wir den Nahen Osten bis zum indischen Subkontinent und lassen dabei keine Mitfahrgelegenheit aus. Unvoreingenommen und wissbegierig lassen wir uns durch teils kaum bereiste Gegenden in Richtung Asien treiben.
2018 Malik, Taschenbuch, 320 Seiten
Ein einziger PC mit Röhrenbildschirm befindet sich in dem Büro, an dem einer der Beamten unentwegt Solitär spielt. Obwohl uns bereits am Vortag und Dutzende Kilometer von Quetta entfernt eingebläut wurde, dass wir unbedingt eine NOC (No Objection Cerfitication) für unseren Aufenthalt in der Stadt benötigen, fühlt sich nun niemand für uns verantwortlich.
Stattdessen lesen die Beamten Zeitung, unterhalten sich, empfangen Freunde und Bekannte, die gerade vorbei kommen oder lassen sich von einem Angestellten Tee servieren. Von einem Büro werden wir ins nächste und wieder zurückgeschickt. Die Bürokratie macht uns Beine. Doch irgendwann sind wir an der Reihe und halten ein Formular in den Händen, dass bestätigt, dass wir nun als Ausländer für zwei Tage in der Stadt gemeldet sind und uns nicht mehr frei ohne Polizei bewegen dürfen. Diese 48 Stunden sind das Maximum, mehr Zeit war nicht verhandelbar. Danach müssen wir weiter, raus aus Belutschistan. Niemand will uns länger in der Stadt behalten, als unbedingt notwendig.
Zurück im Hotel sind wir jedoch wieder allein. Als wir uns aufmachen wollen, um endlich unsere leeren Taschen an einem Bankautomaten mit etwas Geld zu füllen, zeigen sich die Polizeibeamten wenig interessiert, unsere Sicherheit zu gewährleisten. Mehrmals lassen wir den Portier an der Hotelrezeption die nächstgelegene Polizeiwache anrufen; erfolglos. Immer wieder werden wir ins Ungewisse vertröstet. Stundenlang warten wir in einem Kämmerchen neben der Rezeption und wärmen unsere Glieder an einer kleinen Petroleumheizung. Es ist die einzige Wärmequelle im eiskalten Hotel. Wir sind schweigsam und sehr hungrig. Eine Scheibe Toastbrot und ein Glas Tee ist alles, was wir bisher zu uns genommen haben. Hinter den milchigen Türfenstern im Eingangsbereich treibt die pakistanische Wirklichkeit die Straße hinunter.
Nach vier Stunden vergeblichen Wartens entschließen wir uns für das einzig Sinnvolle und verlassen das Hotel ohne Polizeischutz. Kälte zieht schmerzhaft in unsere Lungen, als wir Quettas Luft einatmen. Männer mit weiten Kleidern und langen Bärten kommen uns entgegen. Sie hüllen sich in dicke, naturfarbene Wolldecken. Die staubigen Pisten der Stadt sind mit Schlaglöchern übersät. Gefrorenes Wasser wartet darin auf den Frühling. Obwohl wir uns bereits seit drei Tagen im Land befinden, sehen wir hier in Quetta das erste Mal in Pakistan Frauen. Verhüllt in hellblaue afghanische Burkas, huschen sie gerade in einen Hauseingang. Dann sind es wieder nur noch Männer, denen wir auf der Straße begegnen.
Eselskarren rattern über die erdigen Fahrwege, hupende Motorräder drängeln sich durch den Verkehr, schwarze Abgaswolken wabern durch die Stadt. Wir stecken in einem furchtbaren Gedränge, werden von allen Seiten berührt, angestoßen. Doch dann passiert etwas Wunderbares. Ein junger Mann im Shalwar Kamiz lächelt uns im Vorbeigehen an. In fließendem Englisch fragt er nach unserem Wohlergehen, unserer Herkunft, ob uns Quetta gefalle. Wir wechseln nur ein paar Sätze, bevor wir uns in der Menge wieder aus den Augen verlieren, doch sie reichen aus, um Quetta ins Herz zu schließen. Plötzlich sehen wir nicht nur die gefährliche Stadt, sondern auch die freundlichen Gesichter und die interessierten Blicke. Wir hören das „Hello, how are you?“, und das „Welcome to Balochistan!“, das uns mal von hier und mal von dort entgegengerufen wird.
Später sitzen wir in einem Restaurant und essen Linsen und Reis. In dem kleinen Lokal mit fünf Tischen sind wir beinahe die einzigen Gäste. Lediglich am Nachbartisch sitzen drei Männer, die uns ganz offensichtlich mit großer Neugier beobachten. Einer von ihnen verschiebt sogar seinen Stuhl, um uns besser anschauen zu können. So sitzen die drei nebeneinander in einer Reihe als wären sie Theaterbesucher und wir das Schauspiel auf einer Bühne. Unser Abendessen ist ihre Attraktion zum Ende des Tages. Nur wenige Meter von uns entfernt, starren die Männer minutenlang wortlos zu uns herüber. Nur ab und an tuscheln sie untereinander; ohne jedoch den Blick von uns zu richten. Dann endlich wagt einer von ihnen, die erste Frage in unsere Richtung zu stellen und zugleich huscht ein Lächeln über die drei Gesichter aus Freude darüber, mit uns ins Gespräch zu kommen.
Zwei Tage verbringen wir in Quetta, ohne einmal von der Polizei durch die Stadt begleitet zu werden. Erst an unserem letzten Tag erscheint eine Eskorte, die uns von unserem Hotel zum Bahnhof begleitet. Obwohl es auch eine Busverbindung in unseren nächsten Zielort Karatschi gibt, die lediglich acht Stunden dauert, wollte man uns im Polizeihauptquartier keine Genehmigung dafür ausstellen. Stattdessen verlassen wir die Hauptstadt Belutschistans mit dem Zug und verlängern unseren Weg in die Megametropole Karatschi damit auf knapp 24 Stunden. Wir würden mehr vom Land zu sehen bekommen, hieß es. Diesmal eskortiert uns die pakistanische Polizei.
Wenn dir dieser Artikel gefallen hat und du gerne mit uns auf Reisen gehst, dann unterstütze uns doch mit einem kleinen Trinkgeld. Spendiere uns ein Käffchen, Schokoladenkuchen oder ein anständiges Rambazamba – alles ist möglich.
Aus dem hohen Norden Deutschlands hinaus in die Welt: 2011 zieht es Morten und Rochssare für zwei Jahre per Anhalter und mit Couchsurfing auf den südamerikanischen Kontinent. Genauso geht es nun weiter. Jetzt jedoch in die andere Richtung. Seit 2014 trampen die beiden auf dem Landweg von Deutschland nach Indien und weiter nach Südostasien. Es gibt noch viel zu entdecken.
Von ihren Abenteuern und Begegnungen erzählen sie in ihren Büchern „Per Anhalter durch Südamerika“ und „Per Anhalter nach Indien“, jeweils erschienen in der National Geographic Reihe bei Malik.