Abends sind wir wieder in Ashkans und Hamids Zweizimmerwohnung. Omid, Hadi und Sanjay sind noch immer da. Die Jungs verbringen so viel Zeit wie möglich in der Wohnung ihrer Freunde – tagelang. In der lebendigen WG schwingt auch immer etwas Klassenfahrtatmosphäre mit. Gemeinsam schneiden wir Tomaten, Gurken und Zwiebeln in winzige Würfel. Dazu hacken wir Petersilie und geben alles für einen Salad-e Schirasi, einen Salat nach der Art von Schiras, in eine Schüssel. Es ist die klassische Salatvariante im Iran, die Ashkan nun mit etwas Zitrone abschmeckt. Überall im Land wird Salad-e Schirasi mit Vorliebe gegessen und ist so verbreitet, wie Kartoffelsalat in Deutschland.
Dann trifft Mansood ein. Der schlaksige junge Mann, ein weiterer Freund Ashkans, grüßt uns schüchtern und zaubert zur allgemeinen Freude eine Flasche Wein aus seinem Rucksack. Schiras und Wein, das ist so eine Geschichte. Lange glaubte man an folgendes Märchen: Da zieht ein Kreuzritter durch den Nahen Osten, hört vom wundervollen Wein in Schiras und macht sich auf, ein Raubritter zu werden. Er stiehlt die Rebe vom Anbaugebiet in der Nähe der Stadt und entführt sie ins französische Rhonetal, wo sie zu einer Edelrebe kultiviert wird und Weltruhm erlangt.
Heute neigen wir dazu Legenden überprüfen zu wollen. Uns interessieren keine guten Geschichten, sondern harte Fakten, geschaffen im Labor und mit Gentests untermauert. Solche Fakten besagen, dass die Edelrebe Schiras schon immer in Frankreich angesiedelt war und aus der Kreuzung zweier altfranzösischer Weinreben hervor ging.
Wenn Schiras so auch seines gleichnamigen Weines beraubt ist, so besitzt der Iran doch immer noch eine lange Weintradition, die bis in altpersische Königreiche zurückreicht. Tatsächlich hat die Erfolgsgeschichte des Weines im antiken Persien ihren Ursprung. Einer Sage zufolge lagert der König Dschamschid etwa 2.500 Jahre vor unserer Zeitrechnung Trauben in seinem Keller. Als diese gären, denkt man zunächst, sie seien von bösen Geistern besessen und vergiftet. Wie es die Geschichte will, leidet die Frau des Königs an Migräne und in einem melodramatischen Anflug kostet sie vom Saft der Trauben, um sich durch Selbstmord von ihrem Unbehagen zu befreien. Doch die Tragödie wendet sich zum Guten. Der Wein verhilft der Königin nicht nur über ihre Kopfschmerzen hinweg, sondern versetzt sie auch in vorzügliche Stimmung. Seit diesem Tag wird dem Wein in Persien gehuldigt, der in den Wogen der Geschichte schließlich ins antike Griechenland und ins Römische Reich schwappt.
Über Jahrhunderte ist Schiras berühmt für seine Weine. Die Stadt genießt den Ruf, die besten Weine im Nahen Osten zu produzieren. Selbst mit der muslimischen Machtübernahme im siebten Jahrhundert und dem damit einhergehenden Weinverbot, bleibt Schiras eine wichtige Produktionsstätte. Sogar persische Nationalikonen, wie der im 14. Jahrhundert lebende Lyriker Hafez, huldigen dem Wein in theatralischen Worten.
„…‚Schenke‘, rief ich, Arzt der Liebe, gib mir Wein!‘
Nur Wein allein kann mich retten, kann vertreiben alle Angst und Herzenspein!…“
Zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert berichten europäische Reisende immer wieder von der hervorragenden Qualität des Traubensaftes, den sie hier kosten dürfen. Letztendlich jedoch, nach der islamischen Revolution 1979, kommt der staatliche Weinanbau im Iran zum Erliegen. Auf den Rebflächen des Landes werden nun vor allem Tafeltrauben und Rosinen produziert. Dass das nichts Gutes für die iranischen Weine der Gegenwart bedeutet, ist nicht überraschend.
Auch unsere Gläser in Ashkans Wohnzimmer sind nur dem Namen nach mit Wein gefüllt. Die leuchtend rote Flüssigkeit, hergestellt in irgendeinem Hinterzimmer der Stadt, schmeckt nach alkoholisiertem Zuckerwasser, süß und klebrig. Ein Glas genügt für jeden – mehr gibt die Flasche auch nicht her.
Wie gern ich jetzt doch Hafez wäre und Schiras` edlen Tropfen in meinem Glas schwenken würde. Doch nicht nur ich bin ein, zugegebener Maßen trinkfreudiger Anhänger des altpersischen Dichters. Ganz Iran liegt dem Poeten zu Füßen. Es heißt in jedem Haushalt des Landes finden sich mit Sicherheit zwei Dinge: der Koran und eine Ausgabe der Werke des in Schiras geborenen Schriftstellers. Hafez dichtete natürlich über die Liebe, tragisch und unerwidert, über Trennung, Sehnsucht und Schicksal, aber auch über die Schönheit, den Genuss des Lebens und religiöse Scheinheiligkeit.
Die Worte des Poeten, wenn in ihrer Wahl über die Jahrhunderte auch etwas angestaubt, sind noch immer aktuell, tragen noch immer Bedeutung in sich. Einige seiner Verse sind sogar als Sprichworte in die iranische Sprache eingegangen. Hafez` berühmtestes Werk ist der Gedichtband „Diwan“, der nach seinem Tod in etwa 1.000 Abschriften in Europa und im Orient verbreitet wurde.
1812 übersetzt der österreichische Diplomat und Orientalist Joseph von Hammer-Purgstall den Diwan in die deutsche Sprache und erweckt damit leidenschaftliches Interesse von keinem Geringeren als Johann Wolfgang von Goethe. Der deutsche Nationaldichter ist derart inspiriert, dass er bereits zwei Jahre später mit der Arbeit an dem Gedichtband „West-östlicher Divan“ beginnt, das 1819 veröffentlich wird. Goethe selbst beschreibt seine Beziehung zu Hafez als die von „Zwillingsbrüdern im Geiste“ und wendet sich in seinem West-östlichen Divan direkt an den bewunderten Kollegen.
„Du bist der Freuden echte Dichterquelle
Und ungezählt entfließt dir Well’ auf Welle.
Zum Küssen stets bereiter Mund,
Ein Brustgesang, der lieblich fließet,
Zum Trinken stets gereizter Schlund,
Ein gutes Herz, das sich ergießet.Und mag die ganze Welt versinken,
Hafis mit dir, mit dir allein
Will ich wetteifern! Lust und Pein
Sei uns, den Zwillingen, gemein!
Wie du zu lieben und zu trinken,
Das soll mein Stolz, mein Leben sein.“
Nun sind wir also schon zu dritt und ich muss mir die köstliche imaginäre Weinflasche nicht nur mit Hafez, sondern auch noch mit Goethe teilen.
Die Stadt Schiras, als Zentrum der iranischen Kultur, ist stolz auf ihren berühmten, um 1315 geborenen Sohn Hafez. In einfachen Verhältnissen aufgewachsen, gewinnt er als Hofdichter und Koranlehrer schnell Berühmtheit, die weit über die Stadtgrenzen hinaus reicht. Mit etwa 70 Jahren stirbt der Dichter, doch sein Werk überdauert die Jahrhunderte.
Hafez` Grabmal zieht jährlich tausende Besucher an. Darunter viele heimliche Liebespaare, die sich vor Hafez` steinernem Sarkophag die ewige Treue schwören. Eingebettet in einen charmanten Garten, in dem Orangenbäume und Zypressen wachsen, befindet sich das marmorne Grab des Dichters. Trotz der Nähe zu einer der Hauptverkehrsstraßen der Stadt herrscht im Garten friedliche Stille. Ein achteckiger, fein gearbeiteter Pavillon schützt Grab und Besucher vor den Unannehmlichkeiten des Wetters. Die Unterseite seiner Kuppel ist mit einem beeindruckenden Mosaik aus gebrochenen Kacheln verziert. Auf dem Grabstein, der das Grabmal verschließt, ist ein Gedichtvers Hafez` eingraviert. Immer wieder nähern sich Besucher dem Pavillon und halten ehrfürchtig vor dem Grab inne. Sie rezitieren Strophen aus dem Werk des Poeten und legen Blumen als Respektbekundung ab. Das Mausoleum ist eine regelrechte Pilgerstätte.
Bei Sonnenuntergang ist Hafez` Grabmal besonders beliebt. Wenn die Nacht herein bricht und der Garten nur spärlich beleuchtet ist, klingen Gedichte des Lyrikers über knackende Lautsprecher durch die Anlage. Liebespaare genießen die romantische Atmosphäre. Sie sitzen in den verwinkelten, versteckten Ecken des Gartens und säuseln sich unentdeckt gemeinsame Zukunftspläne in die Ohren.
Draußen vor dem Eingang des Gartens sitzt ein Mann auf einem schmalen Klapphocker. Er hält eine Schachtel in der Hand, in der sich gefaltete bunte Zettel eng aneinander reihen. Jeder ist mit einem der unzähligen Zitate des großen Poeten bedruckt. Daneben sitzt ein Sittich, der mit einem Faden an das Handgelenk des Mannes gebunden ist. Mensch und Tier bieten ein beliebtes Spiel mit der Zukunft an; eine literarische Form des Glückskekses. Wer sich darauf einlässt, sieht zu, wie der Mann seinen Vogel ganz nah über die Schachtel bewegt. Gleich einem Orakel pickt dieser mit seinem Schnabel einen Zettel und damit auch ein zukunftsweisendes Zitat heraus.
Doch der Iran kennt mehr als nur einen Poeten. Ein weiteres Grabmal eines hochverehrten Dichters ist das Mausoleum des Sa`di. Der altpersische Lyriker wurde im 13. Jahrhundert in Schiras geboren und widmete sich in seinem Werk exzessiv der Schönheit der Gärten. Obwohl weit weniger berühmt als Hafez, zählt auch Sa`di zu den ganz Großen der persischen Dichtung. Seine Werke trugen maßgeblich dazu bei, dass die persische Sprache und Kultur auch in Zeiten der Belagerung und Unterdrückung überdauerte und bis heute lebendig ist.
Sa`dis Grab befindet sich natürlich in einem großzügigen Garten. Zypressen, Palmen und Orangenbäume flankieren die gepflasterten Wege und spenden Schatten über einladenden Sitzbänken. Ein breiter Pfad führt an Beeten vorbei, in denen Stiefmütterchen gepflanzt sind. Er endet vor einer hohen, türkisfarbenen Kuppel und dem Eingangsbereich zum Mausoleum. In seinem Inneren befindet sich der Sarkophag des Sa`di, dessen Grabmalplatte ebenfalls mit Versen des Dichters geschmückt ist.
Mit uns besuchen nur eine Handvoll Menschen das Mausoleum. Es ist wesentlich ruhiger als die Pilgerstätte, die Hafez` Grabmal darstellt. Doch auch hier spüren wir die tiefe Ehrerbietung, wenn Besucher die Verse des Dichters auswendig vortragen.
Wenn ihr unsere Abenteuer und Geschichten gerne auf Papier lesen wollt, dann schaut doch mal hier:
In unserem Buch Per Anhalter nach Indien erzählen wir von unserem packenden Roadtrip durch die Türkei, den Iran und Pakistan. Wir berichten von überwältigender Gastfreundschaft und Herzlichkeit, feiern illegale Partys im Iran, werden von Sandstürmen heimgesucht, treffen die Mafia, Studenten, Soldaten und Prediger. Per Anhalter erkunden wir den Nahen Osten bis zum indischen Subkontinent und lassen dabei keine Mitfahrgelegenheit aus. Unvoreingenommen und wissbegierig lassen wir uns durch teils kaum bereiste Gegenden in Richtung Asien treiben.
2018 Malik, Taschenbuch, 320 Seiten
Sa`dis leidenschaftliche Hingabe an den Garten können wir in Schiras nur zu gut nachvollziehen, denn die Stadt ist nicht nur berühmt für hervorragende Lyriker, sondern auch für ihre Gärten. In einem Land, das zu weiten Teilen aus Wüste besteht, gelten prächtige Gärten natürlicher Weise als etwas ganz besonderes. Seit jeher sind sie wichtiger Bestandteil der persischen Kultur. Dabei lassen sich Gärten im Iran nicht unbedingt mit dem vergleichen, was wir in Mitteleuropa gewohnt sind. Holzzäune, Gemüsebeete und Gartenlauben sucht man hier vergebens.
Persische Gärten werden dagegen zelebriert. Sie sind Symbole des Lebens in einer kargen Landschaft. Sie offenbaren Farben und Düfte, Frische und Frohsinn. Es sind Orte des Lustwandelns, der Leichtigkeit, des Vergessens, des Philosophierens, der Liebe.
Einer dieser Gärten ist der, zur Zeit der königlichen Kadscharenfamilie in der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert angelegte, Bagh-e Eram, der Garten des Paradieses. Wie der Dolat Abad Garten in Yazd befindet sich auch der Bagh-e Eram auf der Liste der UNESCO-Weltkulturerbestätten.
Stolze Zypressen stehen um den weitläufigen Garten Spalier. Kieselsteinwege führen vorbei an ausladenden Palmen, Nadelbäume formen Alleen, in deren Mitte schmale Wasserläufe fließen. Orangenhaine stehen in voller Pracht und verstecken leuchtende Früchte in ihren dunkelgrünen Blätterkronen. Gestutzte Hecken umrahmen Blumenbeete. Granatapfelbäume und Rosengärten wechseln sich mit satten Grünflächen ab. Zwischen all der Schönheit gedeihen medizinische Pflanzen. Im Wasserbecken des Steingartens genießt eine Schildkröte die warmen Sonnenstrahlen.
Vor allem junge Schirasis schlendern gerne durch den Garten. Auf den Pfaden, die in entlegene Ecken und blickgeschützte Bereiche führen, erfreuen sich viele Liebespaare an etwas Privatsphäre, die ihnen anderenorts nur selten zuteil wird. Schüchtern suchen sie die Abgeschiedenheit der verwinkelten Anlage. Frauen, deren Kopftücher nicht einmal die Hälfte ihrer Haarpracht bedecken, schwatzen vergnügt auf einer Bank hinter hohen, ausladenden Büschen. Künstliche Wasserläufe durchziehen den Garten, die sich hier und da in einen Springbrunnen ergießen. Symmetrie und Parallelität gehören zu den wichtigsten Kennzeichen persischer Gärten.
Das Zentrum des Gartens bildet ein großes, palmenumstandenes Wasserbecken, vor dem ein mehrstöckiger Palast in die Höhe ragt. Hier residierten die Kadscharen, wenn sie ein paar Stunden oder auch Tage in ihrem Garten verbrachten. Ausladende Terrassen, Bögen und fantasievolle Wandbilder, welche die Könige mit ihrem Gefolge in paradiesischer Umgebung zeigen, schmücken die Fassade. Familien schießen Erinnerungsfotos. Eine Schulklasse stürmt lärmend heran und wird umgehend von den Lehrern und vom Wachpersonal zur Ruhe ermahnt.
Der Bagh-e Eram ist tatsächlich ein paradiesischer Garten. Ein unerwartetes Idyll, das wir mit jedem Atemzug genießen. Die warmen Sonnenstrahlen spielen auf unseren Gesichtern und im hedonistischen Nichtstun fühlen wir uns pudelwohl. Als sich dann jedoch der Nachmittag gen Abend neigt, verlassen wir den Garten des Paradieses und machen uns auf den Weg zur heiligsten Stätte der Stadt.
Mitten in Schiras` Zentrum befindet sich das Mausoleum des „Königs des Lichts“. Es ist einem der 17 Brüder des Imam Reza – dem einzigen heiligen Imam der Schiiten, der im Iran begraben liegt – gewidmet, der an dieser Stelle im Jahr 835 ermordet wurde. Als Verwandter ersten Grades mit dem achten der zwölf heiligen schiitischen Imame, wird Sayyed Mir Ahmad, so der Name des Bruders, ebenfalls als heilig verehrt.
Seine Überreste lagern in einem atemberaubenden, riesigen Schrein, dessen Herrlichkeit nur sehr schwer in Worte zu fassen ist. Als wir die weitläufige Anlage betreten, ist die Sonne bereits hinter dem Horizont verschwunden. Über einem hell erleuchteten Innenhof, den wir durch geschlechtergetrennte Eingänge erreichen, wölbt sich ein wolkenfreier Himmel, dessen stahlblaue Färbung langsam ins Schwarze übergeht. Hier im Inneren der Anlage geht es äußert streng zu. Neben dem Hijab ist auch das Tragen eines Tschador, eines weiten Tuches, mit dem der weibliche Körper versteckt wird, Pflicht. Kameras sind tabu, denn für profane Fotographien ist der Ort einfach zu heilig. Dennoch schrecken auch Iraner nicht davor zurück mit ihren Smartphones Selfies und allerlei andere Bilder zu knipsen.
Jeden Tag pilgern hunderte Gläubige hierher, um dem Verstorbenen zu Gedenken oder um Beistand zu erbitten. Das Gelände ist so groß, dass es auch jetzt am Abend, wenn viele Gläubige aus der Stadt hierher kommen, noch immer still und bedächtig wirkt. Wir lassen uns zunächst in der Mitte des Innenhofes nieder und betrachten die bauchige, im Schein der Leuchtstrahler golden glänzende Kuppel des Schreins. Hinter der säulenumringten Vorhalle öffnen sich mehrere, mit schweren Stoffen abgehängte Eingangstore. Wachpersonal regelt den geschlechtergetrennten Einlass und achtet auf religiös-konforme Kleidung.
Exquisite, aus blauen und türkisfarbenen, zerbrochenen Kacheln zusammengesetzte Mosaike schmücken Wände und Nischen nahe der Eingänge. Es sind die üblichen, hervorragenden Ranken- und Blütenmuster, die uns auf unserem Weg durch den Iran bisher begleiteten. Koranverse sind zwischen die floralen Motive eingelassen. Es heißt, dass nur Muslime den Schrein betreten dürfen, doch scheinbar haben wir Glück und gelangen ohne Schwierigkeiten in eine der heiligsten schiitischen Stätten des Irans.
Das Innere des Schreins ist überwältigend. Auf dicken, weichen Perserteppichen sitzen Männer im Gebet vertieft. Leises Gemurmel dringt durch die Luft. Hunderte Glühlampen in riesigen, eindrucksvollen Kronleuchtern strahlen unter den Kuppeldecken. Glaskristalle hängen schwer von ihnen herab. Jede Wand, jede Nische, jeder Bogen ist mit arabesken Spiegelmustern verkleidet, lückenlos. Spiegel an Spiegel reiht sich eng aneinander. Sie reflektieren das Licht der Kronleuchter hundertfach. An das schummrige Licht der hereinbrechenden Nacht gewöhnt, blendet die Helligkeit im Schrein so intensiv, dass meine Augen schmerzen. Überall funkelt es magisch.
Spiegel und Glaskristalle schicken das Licht im Raum hin und her. Von allen Seiten schimmert es. Die Atmosphäre ist eindrucksvoll, warm, erhaben, ehrfürchtig. Auch ich würde mich hier geborgen fühlen, wenn ich nicht darauf bedacht wäre, mich heimlich dem Kameraverbot zu widersetzen. Der König des Lichts liegt in einem wahrlich würdigen Schrein. Das mit Silber und Gold geschmückte Grabmal befindet sich in einer Ecke des Raumes, der so konzipiert ist, dass sich das Grabmal zur Hälfte in jeweils einem der geschlechtergetrennten Bereiche befindet. Männer und Frauen stehen auf beiden Seiten andächtig mit nach oben geöffneten Handflächen am Grabmal oder streichen ehrfürchtig über das glänzende Metall. Andere beten, in langen Reihen zusammenstehend in Richtung der heiligsten aller Stätte, Mekka.
Als wir den Schrein des Sayyed Mir Ahmad verlassen, fängt es erneut an zu regnen und wir kehren zurück in Ashkans gemütliche WG. Heute Abend haben wir zum Essen eingeladen und da wir viele Mäuler stopfen werden, entscheiden wir uns für das einfachste und schnellste aller Gerichte: Pfannkuchen.
Der Teig ist rasch zubereitet und da wir in Ermangelung eines Pfannenwenders die Pfannkuchen in der Luft drehen, bieten wir neben dem Essen auch noch beste Unterhaltung. Ashkan, Hamid, Omid, Hadi, Sanjay – sie alle wollen einmal einen Pfannkuchen durch die Küche schleudern. Natürlich endet es in einer riesigen Sauerei. Teig spritzt durch die Gegend, halb gebratene Pfannkuchen landen in der Spüle oder klatschen auf die Auslegware. Dafür ist der Applaus umso größer, wenn sich ein Pfannkuchen tatsächlich akkurat in der Luft dreht und zurück in die Pfanne fällt. Immerhin stellen sich die Jungs so gut an, dass wir alle satt werden. Dann ist es wieder Zeit für Wohnzimmergespräche, unsere liebste Beschäftigung mit unseren Gastgebern. Es ist unser letzter Abend in Schiras und ein bisschen Wehmut schwingt mit jedem Wort mit. Morgen verlassen wir nicht nur eine wunderschöne Stadt voller Kunst und Kult, sondern auch viele liebgewonnene Freunde.
Schiras in drei Teilen
Teil 1: Wohnzimmergespräche in der Stadt der schönen Künste
Teil 2: Zwischen Arg-e Karim Khan und pinker Moschee
Teil 3: Wiege des Weines, Heimat der Dichtkunst, Garten des Iran
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Aus dem hohen Norden Deutschlands hinaus in die Welt: 2011 zieht es Morten und Rochssare für zwei Jahre per Anhalter und mit Couchsurfing auf den südamerikanischen Kontinent. Genauso geht es nun weiter. Jetzt jedoch in die andere Richtung. Seit 2014 trampen die beiden auf dem Landweg von Deutschland nach Indien und weiter nach Südostasien. Es gibt noch viel zu entdecken.
Von ihren Abenteuern und Begegnungen erzählen sie in ihren Büchern „Per Anhalter durch Südamerika“ und „Per Anhalter nach Indien“, jeweils erschienen in der National Geographic Reihe bei Malik.
Gut zu wissen, dass auf dem Grabstein auf der Unterseite der Kuppel, der das Grabmal verschließt, ein Gedichtvers graviert ist. Mein Opa möchte auch, dass ein Gedichtvers seines Lieblingsdichters auf deinem Grabstein graviert wird. Er würde sich freuen, wenn dies bei den Besuchern seines Grabsteins das Interesse an dessen Werken weckt.