In Teheran atmen wir den Dreck der Stadt. Volle Dröhnung Feinstaub. Die Straßen sind verstopft, die Abgase der Autos giftig, die Häuser unansehnlich. Dennoch reizt uns die Stadt. Im riesigen Basarviertel, dem größten und wichtigsten Markt des Landes, treiben wir in einer gewaltigen Menge durch die unendlich scheinenden Gassen, spülen durch die Perserteppichabteilung und landen auf dem turbulenten Vorplatz des Marktgebäudes mit seinen mobilen Händlern und Snackverkäufern.
Direkt neben dem großen Markt in Teheran befindet sich ein Gebäudekomplex, der weithin als Golestan Palast bekannt ist. Errichtet in den Übergangsjahren vom 18. zum 19. Jahrhundert, war er bis zur Islamischen Revolution 1979 offizielle Residenz der herrschenden Monarchen. Hier regelte die Herrscherdynastie der Kadscharen die Geschicke des Landes, bevor die Pahlavis unter König Reza als letzte persische Königsfamilie übernahmen. Die Pahlavis, royale Machthaber in der konstitutionellen Monarchie im Iran, waren es auch, die viele Gebäude des Komplexes für ein neues Stadtviertel abreißen ließen. Doch auch wenn die Palastanlage einst um einiges größer war, so ist das Gelände noch immer beeindruckend genug, um von der UNESCO seit 2013 als Weltkulturerbe gelistet zu werden. Die Gebäude, von verschiedenen Herrschern über die Jahre hinzugefügt, beherbergen nun mehrere Museen.
Trotz eines für Paläste recht jugendlichen Alters ist der Golestan Palast mit etwas mehr als 200 Jahren eines der ältesten historischen Monumente Teherans. Richtig einordnen lässt sich der Gebäudekomplex jedoch nicht, ist er doch stark von europäischen Baustilen geprägt und wurde immer wieder neu gestaltet und ergänzt.
Als wir das Gelände betreten, trabt gerade eine Schulklasse an uns vorbei, die Zehnjährigen sind aber erst wirklich begeistert, als sie uns zu Gesicht bekommen. Laut durcheinander schreiend stürmen sie auf uns zu. Ein Wortregen aus „Hello, how are you?“ und „What is your name?“ prasselt auf uns nieder. Wir wissen gar nicht, wem wir zuerst antworten sollen, was bei den gleich bleibenden Fragen aber auch kein wirkliches Problem ist. Die Lehrer der etwa 30 Kinder geben sich große Mühe ihre Schüler zur Ruhe zu bringen. Doch es gelingt erst, als wir bereits einige Meter weiter gegangen und unsere Aufmerksamkeit auf die Gebäude gelenkt haben.
Die Außenwände des Palastes sind ein Meisterwerk aus Farben und dekorativen Motiven. Riesige Kachelmotive zeigen stilvolle Blumenmuster. Sie referieren auf den Namen des Palastes, denn Golestan (persisch: گلستان) bedeutet nichts anderes als Ort der Blumen. Daneben zieren Vogeldarstellungen und Jagdszenen die Wände ebenso wie kunstvolle Landschaftsdarstellungen und Stadtbilder. Auch das Wappentier der Kadscharen – ein Löwe, der ein Schwert über seinem Kopf hält, mit der dahinter aufgehenden Sonne – ist ein immer wiederkehrendes Motiv. Doch die vollbrachte Handwerkskunst hat nicht mehr den Glanz früherer Zeiten. Noch in Ardabil bewunderten wir die Schönheit der Dekorationskunst der Safawiden aus der Zeit zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert. Mit gebrochenen, verschiedenfarbigen Scherben bannten sie grandiose Muster an die Wände ihrer Moscheen und Gebäude.
Hier im Golestan Palast sind Motive und Darstellungen dagegen nicht mehr aus Einzelteilen zusammengesetzt, sondern lediglich auf die gekachelten Wände gemalt. Doch unsere Bewunderung beeinträchtigt das nur geringfügig.
Im Inneren der Gebäude, in den Eingangs- und Empfangshallen, prangen wundervolle Spiegelmosaike an den Wänden und Decken, die die Räume um ein Vielfaches größer wirken lassen. Es glitzert und funkelt aus allen Ecken. Der Prunk vergangener Jahrhunderte ist noch immer spürbar.
Wir wandern entlang der schönen Mauern und Wände, kommen vorbei an rankenden Blumen und farbenfrohen Vogelmotiven, bis wir auf einem Absatz in einer der hinteren Ecken des Geländes einem älteren Herrn begegnen. Über eine Zeitung gebeugt, scheint er tief in seine Lektüre versunken zu sein. Immer wieder führt er einen kurzen Bleistift über die Zeilen, um dann ein paar Notizen in einen A4-Schreibblock zu übertragen.
Als wir uns nähern, blickt der Mann ruckartig auf. Kluge, braune Augen leuchten uns aus tiefen Höhlen entgegen. Ob wir deutsch sprechen könnten? Ja! – Ob wir fünf Minuten Zeit hätten ihm zu helfen? Warum nicht!?
Und schon hängen auch unsere Köpfe über der Zeitung, die sich nun als eine Ausgabe des Spiegels aus den ersten Jahren dieses Jahrtausends herausstellt. Unser neuer Freund ist eifrig dabei Deutsch zu lernen. Immer und immer wieder liest er die gleichen Artikel, markiert Worte, schreibt Übersetzungen und Synonyme an den Rand. Nur ein paar Sätze machen ihm Sorgen, deren Bedeutung er sich einfach nicht erschließen kann. Die Tücken der deutschen Sprache sind für ihn weder Kasus noch Genus, sondern Metaphorik und Anschaulichkeit. Sprachliche Bilder, die nichts mit dem Inhalt des Textes zu tun haben und deren Verständnis trotzdem unerlässlich ist.
Am Abend sind wir zurück bei Ahad. Unser Gastgeber hat Freunde und Couchsurfer eingeladen und so lassen wir uns zunächst Reis, Gemüse und Kebab schmecken, bevor frisch gebrautes Bier auf den Tisch kommt. Neben einer Handvoll Iraner machen wir es uns mit einigen Europäern gemütlich. Dank Ahads kleiner Instrumentensammlung haben wir eine ziemlich gute Zeit. Bald schon sind wir eine eingespielte Band. Mit Gitarre, Rasseln und Mundtrommel lassen wir es krachen. Nur die Blockflöte bringt ein paar schiefe Töne in unser musikalisches Meisterwerk. Aber was will man von einer Blockflöte auch anderes erwarten.
Wir musizieren bis weit nach Mitternacht und Ahad lässt es sich nicht nehmen, auf den Schultern eines Freundes gestützt, das Tanzbein zu schwingen.
Hier in Teheran bekommen wir nur selten den Eindruck in einem der isoliertesten und dogmatischsten Länder der Welt zu sein. Die Menschen, denen wir begegnen sind offen, freundlich und liberal. Die Hauptstadt ist das Zentrum der Kreativen, das Wohnzimmer der Künstler. Hier toben sie sich aus – wenn auch gezwungener Maßen hinter verschlossenen Türen und im Untergrund. Wir besuchen die Fotoausstellung eines schwulen Fotografen, essen die besten Burger und Pommes der Stadt, treffen bärtige Studenten mit hippen Brillengestellen in coolen Cafés und Teehäusern. Wir unterhalten uns viel, aber erstaunlich wenig über Religion. Die meisten Teheraner, mit denen wir ins Gespräch kommen, bezeichnen sich selbst als unreligiös, manche sogar ganz bewusst als Atheisten. Das Kopftuch ist allen lästig, aber unumgänglich. Trotzdem wollen sie uns von ihrem Land erzählen, von den Menschen, die weder Krieg noch Streit und auch kein religiöses Säbelrasseln mitmachen wollen. Dennoch verzweifeln viele unserer Gesprächspartner über die Zustände in ihrem Land. Fluchtgedanken werden mehr als einmal geäußert.
Wenn ihr unsere Abenteuer und Geschichten gerne auf Papier lesen wollt, dann schaut doch mal hier:
In unserem Buch Per Anhalter nach Indien erzählen wir von unserem packenden Roadtrip durch die Türkei, den Iran und Pakistan. Wir berichten von überwältigender Gastfreundschaft und Herzlichkeit, feiern illegale Partys im Iran, werden von Sandstürmen heimgesucht, treffen die Mafia, Studenten, Soldaten und Prediger. Per Anhalter erkunden wir den Nahen Osten bis zum indischen Subkontinent und lassen dabei keine Mitfahrgelegenheit aus. Unvoreingenommen und wissbegierig lassen wir uns durch teils kaum bereiste Gegenden in Richtung Asien treiben.
2018 Malik, Taschenbuch, 320 Seiten
Die Misere des Landes hängt eng mit dem größten politischen Widersacher, den USA und ihrem imperialistischen Wertesystem, zusammen. Der Iran verdankt die letzten 60 Jahre seiner Geschichte nämlich vorrangig den Bestrebungen US-amerikanischer Außenpolitik; sowohl der offiziellen als auch der geheimen.
Es sind die frühen 1950er Jahre, als sich die CIA im Keller der US-amerikanischen Botschaft in Teheran an die Ausführung ihres allerersten Staatsstreichs macht. Noch vor Lumumba im Kongo (1960), Sukarno in Indonesien (Mitte der 1960er) und Allende in Chile (1973) übte sich der Auslandsgeheimdienst der USA im Putschen und Entmachten von demokratisch gewählten Regierungen im Iran.
Bestimmt waren alle Akteure ein bisschen aufgeregt. So ein allererster Putsch ist ja auch etwas Besonderes. Im Iran, bereits seit 1906 eine konstitutionelle Monarchie mit eigener Verfassung, herrschen sowohl der König als auch ein gewähltes Parlament. Nun, in den beginnenden 1950ern, bekleidet Mohammad Mossadegh das Amt des Premierministers. In seiner Position als Volksvertreter versucht Mossadegh einen gerechteren Vertrag mit der Anglo-iranischen Ölgesellschaft APOC auszuhandeln, die sich an den reichen Ölfeldern des Landes bedient. Als die Briten das iranische Angebot ablehnen, verstaatlicht Mossadegh die Ölgesellschaft und weist britische Diplomaten aus dem Land aus, denen er korrekter Weise unterstellt, einen Umsturz zu planen.
Mit diesem Akt erlangt Mossadegh internationale Berühmtheit. Das Time Magazine ernennt ihn zum Mann des Jahres 1951 für seinen beispielhaften Einsatz gegen die koloniale Unterdrückung von Entwicklungsländern.
Nur die Briten sind not amused und wollen „ihr“ Öl zurück. Sie errichten eine Seeblockade, fordern einen internationalen Boykott für iranisches Öl und geben sich große Mühe Mossadegh in Misskredit zu bringen. Schließlich gelingt es dem britischen Premierminister Churchill 1953 die USA, unter Präsident Eisenhower, davon zu überzeugen, dass Mossadegh nicht länger in seinem Amt bleiben solle. Was folgt ist die CIA-Operation Ajax.
Aus besagtem Keller unter der amerikanischen Botschaft in Teheran heraus macht die CIA 1953 Stimmung gegen Mossadegh. Zunächst umgarnt sie König Mohammad Reza Pahlavi, der bereits 1941 seinem Vater Reza Pahlavi auf den Thron folgte. Die Beweggründe des Königs sind nur noch schwer zu rekonstruieren, aber letztendlich erreicht die CIA ihr Ziel: Der Monarch spricht sich für eine Entmachtung Mossadeghs aus. Doch es bedarf weiterer zwei Millionen US-Dollar, die an Kleriker, Offiziere, Zeitungsverleger, Bazaris und Schlägertrupps gezahlt werden, um den Coup durchzuziehen.
Mossadegh wird im zweiten Umsturzversuch aus dem Amt getrieben, unter Hausarrest gestellt und später inhaftiert. Derweil ernennt König Mohammad Reza den Abgeordneten Fazlollah Zahedi zum neuen Premierminister. Die Ölverträge zwischen den Briten und Vertretern der iranischen Regierung werden neu ausgehandelt. Am Ende fallen die wichtigsten iranischen Ölfelder an die Briten zurück. Diese müssen nun allerdings 40 Prozent ihrer Gewinne an die USA als Aufwandsentschädigung abtreten.
Auch nach dem Putsch gegen Mossadegh nehmen die USA weiterhin großen Einfluss auf die iranische Politik; nicht nur zum Vorteil der iranischen Bevölkerung. Ebenso wie sein Vater Reza Pahlavi versucht sich Mohammad Reza zunächst als Reformer. In den beginnenden 1960er Jahren verspricht er eine Landreform und eine Gewinnbeteiligungen für Arbeiter und Angestellte von Unternehmen. Gleichzeitig setzt er sich für das Frauenwahlrecht ein und bekämpft den Analphabetismus im Land, wofür er 1964 für den Friedensnobelpreis nominiert wird.
Jedoch regt sich Widerstand, der vor allem von den Klerikern geführt wird. Sie werfen dem König vor, eine Regierung gegen den Islam zu führen. Dabei ist es ein gewisser Ruhollah Khomeini, der besonders stark gegen König Mohammad Reza wettert und deshalb 1964 ins Exil verbannt wird. Jener Khomeini wird Jahre später maßgeblich das Schicksal des Irans mitbestimmen.
Doch mit der Verbannung Khomeinis ins Exil ist König Mohammad Reza noch lange nicht fertig mit seinen Kritikern. Der Reformer nimmt über die Jahre tyrannische Züge an. Die Opposition, vor allem linke und religiös-fundamentalistische Parteien und Gruppierungen, werden systematisch der Verschwörung verdächtigt und ihre Mitglieder verhaftet, gefoltert und hingerichtet. Eine Unschuldsvermutung gibt es nicht mehr. Wer nicht für die Regierung ist, muss gegen sie sein. Amnesty International schätzt, dass sich 1977 einige Tausend politische Gefangene im Iran befinden.
Trotz zunächst erfolgreicher Wirtschafts- und Sozialreformen wächst der Unmut in der Bevölkerung. Inflation, eine beginnende Wirtschaftskrise und die eiserne Hand des Monarchen sorgen für soziale Spannungen. Die Menschen im Land lehnen sich gegen den König auf. Islamisten, Kommunisten und die Bürger der Mittelschicht verleihen ihrer Unzufriedenheit auf der Straße Ausdruck. Doch eint sie nichts weiter als die Abdankung des Königs. Als dies endlich geschieht, flieht Mohammad Reza 1979 ins Ausland und findet in den USA Zuflucht. Doch damit erhitzen sich die Gemüter im Iran weiter. Die fundamentalistische Opposition verlangt die Auslieferung des ehemaligen Königs und, um eine bessere Verhandlungsposition zu schaffen, stürmen iranische Studenten die US-amerikanische Botschaft in Teheran. Sie nehmen 52 Diplomaten für 444 Tage als Geiseln.
Es ist eine chaotische Zeit aus dessen Durcheinander der Iran als Islamische Republik hervor geht. Die ehemalige US-Botschaft gibt es nicht mehr. Das Gebäude ist heute ein Mahnmal des Antiamerikanismus. Die Außenmauern des Geländes sind auf jedem freien Zentimeter mit Botschaften gegen den Imperialismus versehen. Da ist vom „Great Satan“ die Rede und die Freiheitsstatue grüßt mit einem knochigen Totenkopflächeln in die Runde.
Dennoch ist Antiamerikanismus im Iran eher etwas für die regierenden Kleriker. In der Bevölkerung hält sich die Verteufelung des Westens in Grenzen. Zwar gehört es beinahe zum guten Ton die USA für ihre politischen Machenschaften zu kritisieren, aber dennoch ist die sogenannte freie Welt das erklärte Ziel der meisten Iraner.
Mittlerweile sind wir umgezogen. Wir haben Ahads kleine Wohnung gegen einen Partykeller getauscht. Mitten in Teheran ist unser neuer Host der unangefochtene Couchsurfing-König der Stadt, der selbst über sich sagt, noch nie eine Couch-Anfrage abgelehnt zu haben. Tatsächlich tummeln sich in der unterirdischen Behausung etwa zehn weitere Couchsurfer, als wir mit unserem Hab und Gut eintreffen. Hier begegnen wir auch dem Tschechen Jan wieder, den wir bereits auf Ahads kleiner Party kennenlernten. Außerdem treffen wir Niederländer, Polen, Franzosen, Koreaner und Spanier. Es scheint dass alle, die eine Couch in Teheran suchen, früher oder später in diesem Keller landen. Wer rechtzeitig ankommt, dem steht ein Schlafplatz in einem der vier Doppelstockbetten im Hinterzimmer zur Verfügung. Wir schlafen hingegen auf unseren Isomatten neben der Tischtennisplatte im großen Vorraum.
Die Wände und die Decke sind über und über mit Postern, Kalenderblättern, Fotografien und Bildern iranischer Sehenswürdigkeiten versehen. Nicht ein Millimeter, der nicht von einem Stück Papier bedeckt ist. In diesem Keller befinden wir uns überall im Iran zur gleichen Zeit.
Von unserem Gastgeber fehlt jedoch jede Spur. Erst als wir Teheran verlassen, bekommen wir ihn kurzzeitig zu Gesicht. Viel Zeit investiert er nicht (mehr) in seine Gäste, aber das ist auch nicht notwendig – immer ist jemand da, mit dem wir unsere Zeit verbringen können. Am liebsten machen wir das mit Jan, dem Tschechen und Lee, einem rothaarigen Punk aus Den Haag. Beide sind wie wir per Anhalter in den Iran gereist, und beide planen bis nach Indien zu trampen. Doch uns verbinden nicht nur eine ähnliche Reiseerfahrung, sondern auch gleicher Humor und Lebenseinstellungen. Wir sind uns vom ersten Moment an sympathisch.
Die beiden Jungs lehren uns noch etwas mehr über den Iran und über die gesellschaftlichen Eigenarten. Jan und Lee schwärmen von der vermeintlichen Unbekümmertheit und Unbefangenheit junger iranischer Frauen. Natürlich geht es um Sex, der vorehelich unter Strafe steht. Doch um auf nichts verzichten zu müssen, flirten Iranerinnen offensichtlich gerne mit Ausländern und schauen, was sich ergibt. Viele von ihnen bieten sich sogar erschreckend offen an, erklären uns die beiden jungen, vielgereisten Männer. Auch uns bleiben diese Anbiederungsversuche nicht verborgen, die gelegentlich Ähnlichkeiten mit einer Trophäenjagd aufweisen.
Doch manchmal scheinen Ausländer nicht nur als Sexobjekte verstanden zu werden. Sie verheißen Erlösung, zeigen sie doch einen möglichen Ausweg aus den stark religiösen Zwängen der iranischen Gesellschaft und der mittlerweile katastrophalen wirtschaftlichen Situation des Landes. Sowohl Frauen als auch Männer bieten sich ausländischen Touristen mit eindeutigen Absichten an, die zunächst freundschaftlich sind, dann aber immer seriöser werden. Sie handeln in der Hoffnung nach einer Liaison den Iran in Richtung eines anderen, vermeintlich besseren Landes verlassen zu können. Mit Liebe hat das wenig zu tun. Vielmehr opfern Iraner, die sich auf solche Spiele einlassen, ihre Körper und Emotionen. Traurig und verzweifelt folgen sie dem unbedingten Wunsch in die westliche Welt zu gelangen. Der innere Konflikt mit der Lebenssituation im Iran drängt viele Einheimische an ihre psychische Belastungsgrenze.
Als wir aus dem Couchsurfing-Keller zurück auf die Straße treten, machen wir uns auf den Weg zum Nationalen Juwelenmuseum. Hinter zentimeterdicken Stahltüren, Panzerglas, Personenscannern und Sicherheitspersonal lagern Irans königliche Schätze. Vor allem die Safawiden und Kadscharen hatten es in ihren Wohnzimmern gerne prunkvoll. Bei so viel Glitzer und Glamour, bei so viel luxuriöser Dekadenz bleibt uns die Sprache weg.
Die Sammlung an Edelsteinen, Gold- und Silberarbeiten und Schmuck ist so wertvoll, dass sie seit den 1930er Jahre als Reserve für die nationale Währung in der iranischen Nationalbank lagert. Einige Ausstellungsstücke sind unbeschreiblich: riesige Kronen, enorme Diamanten, ein mit 26.733 Juwelen besetzter Thron. Ziemlich viel Bling-Bling; doch das gewaltigste, unglaublichste Stück der Sammlung ist ein 34 Kilo schwerer Globus aus dem Jahr 1869. Mehr als 51.000 Edelsteine formen Ozeane und Kontinente. Smaragde symbolisieren das Wasser und Rubine die Landmassen. Nur Iran, England und Frankreich sind mit Diamanten auf den Globus gesetzt. Es ist eine ganz hübsche Dekoration, die ich auch gerne mein Eigen nennen würde.
Teheran fasziniert uns. Die Stadt ist so ganz anders, als wir sie uns vorgestellt hatten. An jeder Ecke, so scheint es, wartet eine Geschichte darauf erzählt zu werden. Die meisten von ihnen sind keine Märchen. Teheran ist keine schöne Stadt und sie verspricht auch kein Happy End. Doch die Geschichten der Stadt sind zuversichtlich, vielschichtig, von Hoffnung beseelt und manchmal auch ein bisschen traurig. Sie spiegeln die Gesichter, die sie erzählen.
Vom Bam-e Tehran, dem Dach Teherans, genießen wir den Blick über die Stadt. Am Fuß des Berges Tochal im Elbursgebirge gelegen, bietet dieser Aussichtspunkt ein herrliches Panorama über eine Stadt, die dank der Smogwolke über ihr in ein mystisches Licht getaucht wird.
Hauptstädter kommen hier her zum Picknicken, Liebespaare suchen in versteckten Ecken etwas Abgeschiedenheit, die meisten kommen jedoch, um mit der vermutlich längsten Gondel der Welt zu fahren. Über eine Strecke von 7,5 km führt sie das Gebirge hinauf, bis sie im vierthöchsten Skigebiet der Welt auf 3.740 Höhenmetern angekommen, wieder hinab gleitet.
Wir ignorieren die Gondel, denn uns ist bereits auf 1.900 Höhenmetern ziemlich kalt. Der Wind bläst stetig und vor uns taucht Teheran zunächst in sanftes, abendliches gelb, bevor in den Straßen ein Netz aus kleinen Lichtern erleuchtet. Dann wird es Nacht über einer Stadt voller Verfehlungen und zur Schau getragenen Hässlichkeit. Es wird Nacht über einer Stadt, die nicht schön ist, aber in der man ohne Zweifel den Herzschlag des Landes spürt.
Geschichten aus Teheran in zwei Teilen
Teil 1: Helden des Alltags und der Dreck Teherans
Teil 2: Royaler Prunk und imperialistischer Putsch in Teheran
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Aus dem hohen Norden Deutschlands hinaus in die Welt: 2011 zieht es Morten und Rochssare für zwei Jahre per Anhalter und mit Couchsurfing auf den südamerikanischen Kontinent. Genauso geht es nun weiter. Jetzt jedoch in die andere Richtung. Seit 2014 trampen die beiden auf dem Landweg von Deutschland nach Indien und weiter nach Südostasien. Es gibt noch viel zu entdecken.
Von ihren Abenteuern und Begegnungen erzählen sie in ihren Büchern „Per Anhalter durch Südamerika“ und „Per Anhalter nach Indien“, jeweils erschienen in der National Geographic Reihe bei Malik.
Danke für die spannenden Beiträge. Die Bilder erinnern mich immer wieder an meine eigene Reise in den Iran. 🙂