Per Anhalter durch Rajasthan, Indien, Titel
Stippvisite im Weiler

Per Anhalter durch Rajasthan


31. Oktober 2020
Indien
2 Kommentare

Rajasthan. Im Land der Könige sitzen wir auf dem Beifahrersitz in Erics schicker Limousine. Der graue Asphalt zieht vor uns her. Draußen ist Wüste, drinnen ist es wohl temperiert. Ledersitze. Bose Soundsystem. Klasse. Wer so eine Ausstattung in sein Auto steckt, hat auch in Indien ein paar Dinge richtig gemacht. Die Geschäfte laufen gut. Eric spricht fünf Sprachen, hat in China und Andorra gearbeitet. Jetzt ist er zurück in Indien und schachert mit der Politik um Aufträge und Korruptionssummen. „It`s good, if you know how to play with the government. If you play big you are big.“, sagt er. Er könnte auch sagen „fake it till you make it“. In Indien kennt die Fantasie keine Grenzen.

Eric gehört zu einer neuen gesellschaftlichen Schicht in Indien. Er ist einer, der es geschafft hat, der in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu Reichtum gekommen ist. Er ist jemand, der stolz auf die Entwicklung seines Landes ist. Eric schwärmt davon, dass in Indien niemand hungern muss, weil so viele Tempel gratis Essen austeilen, vergisst aber, dass die Tempel nur deshalb Essen austeilen, weil so viele Menschen hungern. Eric ist jemand, der von der medizinischen Versorgung und staatlichen Bildung Indiens schwärmt, weil sie für alle frei zugänglich ist. Er erwähnt aber nicht die katastrophalen Zustände in überfüllten Krankenhäusern und Schulen. Für Eric ist Indien eine Erfolgsgeschichte.

Getrieben von der IT-Branche und dem Bau-Boom, der noch immer überall im Land Zementfabriken wie Pilze aus dem Boden schießen lässt, hat der wachsende indische Mittelstand viel Geld erwirtschaftet. „Jetzt gibt es auch in Indien eine Schar Neureicher“, erklärt Eric und schiebt gleich hinterher, was diese mit ihrem Vermögen anstellt: „Sie verprassen alles mit Glücksspiel und Prostitution, kaufen junge Frauen aus Butan, Pakistan und Afghanistan.“ Angeblich vermittelt sogar die Taliban in diesem Menschenhandel. Uns ist nicht ganz klar, ob in Erics Worten Abscheu mitschwingt. Auch verstehen wir nicht, wo sein Platz im Dunstkreis des Geldes ist. Ist sein Reichtum alt oder neu?

Per Anhalter durch Rajasthan, Indien,
unterwegs in Indien
Per Anhalter durch Rajasthan, Indien,
Eric bringt uns durch Rajasthan

Ein Weiler am Straßenrand

An einer Kreuzung der Fernstraße trennen sich unsere Wege. Eric braust davon und wir stehen kurz vor Sonnenuntergang mitten im Nirgendwo. Trockene, abgeerntete Felder umgeben die Straße. Ein Feldweg führt zu einem Hain, in dem eine Handvoll Häuser stehen. Als wir auf dem kleinen Dorfplatz ankommen, haben wir schon einen ganzen Mikrokosmos an Emotionen ausgelöst. Erstaunen, Aufregung, Angst – alles dabei. Es sind vor allem Jungen und Mädchen, die uns mal neugierig, mal skeptisch aus der Ferne inspizieren. Mit großen Kinderaugen linsen sie hinter Türen und Hausecken hervor.

Dann steht ein ziemlich breiter Typ vor uns. Kraft im Kubik. Ein Turban sitzt auf seinem Kopf, verdeckt das dunkle Haar. Ein borstiger Bart sprießt um Kinn und Wangen. Der Dorfvorsteher. Wir erklären, dass wir einen Schlafplatz suchen, dass wir ein Zelt dabei haben und ob es vielleicht möglich wäre hier… Der Typ versteht kein Wort. Auch die wenigen Brocken Hindi, die den Weg bis in unser Gedächtnis geschafft haben, helfen nicht weiter. Wir probieren es mit Gesten. Mittlerweile hat sich eine kleine Gruppe um uns versammelt. Da sind junge Männer und Mütter mit Kindern. Selbst ein paar Alte stehen auf wackeligen Beinen dazwischen, um zu sehen, wer in ihrer Dorfmitte aufgeschlagen ist. Neugierig, aber ratlos werden wir betrachtet.

Zumindest scheint unser Anliegen klar. „Mandir, Mandir“, hören wir die Dorfbewohner sagen, die dabei zur Schnellstraße deuten. Sie weisen uns den Weg zum nächsten Tempel. Doch als wir das Dorf schon verlassen haben und gerade den Asphalt der Straße erreichen, holen uns zwei junge Männer ein. „Mandir nahi! Monkey, monkey“, rufen sie kopfschüttelnd. Offenbar ist der Tempel doch keine gute Idee. Auf Affen, die in Indien oft diebisch und manchmal aggressiv sind, verzichten wir gern und kehren gemeinsam zurück zu den Häusern.

Weiler in Rajasthan, Indien
ein abgelegener Weiler zwischen den Feldern Rajasthans

Fremde Freunde in Rajasthan

Die Dorfgemeinschaft steht noch genauso zusammen, wie wir sie verlassen haben. Doch nun zeigt uns der Dorfvorsteher erst einen Zeltplatz unter einem ausladenden Baum und dann das Toilettenhäuschen eines Nachbarn, das wir benützen dürfen. Dankbar errichten wir unser Zelt und werden dabei von mindestens einem Dutzend Augenpaaren beobachtet. Als der letzte Hering im staubigen Boden steckt, laden wir unsere neuen Freunde ein, näher zu kommen.

Die Kleinsten sind die Mutigsten. Sie schleichen ums Zelt, berühren die Plane und huschen mit leuchtenden Augen hinein. Da sitzen sie nun und lachen vor Freude. Es dauert nicht lange, da wollen auch die Erwachsenen einen Blick riskieren. Selbst eine Greisin beugt sich, soweit es ihre Knochen erlauben, ins Innere des Zeltes.

Am frühen Morgen liegt der Dorfplatz in friedlicher Ruhe. Wir packen zusammen, während um uns Fenster und Türen geöffnet werden. Ein neuer Tag beginnt. Strahlende Gesichter begrüßen uns. Die Aufregung über unsere Anwesenheit ist freundlicher Akzeptanz gewichen. Eine junge Frau in grünem Sari bringt uns dampfenden Chai und dann stehen wir wieder an der Schnellstraße.

Weiler und Dorfgemeinschaft in Rajasthan, Indien
zelten auf dem Dorfplatz
Weiler und Dorfgemeinschaft in Rajasthan, Indien
fast die gesamte Dorfbevölkerung

Am Morgen ist der Verkehr so gering wie am Abend zuvor. Lediglich ein alter Bauer stiefelt über die Felder. Auf seinem Kopf balanciert ein zusammengeknülltes Tuch zum Schutz vor der Sonne. Er spricht uns an, fragt nach unserer Herkunft und erzählt von Merkels Staatsbesuch wenige Tage zuvor.

Anderthalb Stunden warten wir, bis uns Sharu in seinem Lkw mitnimmt. Sharu ist ein lustiger Typ, er lacht viel und am liebsten über seine eigenen Witze. Er spricht ein ausgezeichnetes, vulgäres Englisch. In seiner Welt ist alles bloody und je länger wir gemeinsam auf den Straßen Rajasthans unterwegs sind, desto echauffierter redet Sharu. „Bloddy idiots driving without bloody rules.”, schreit er in das Grölen des Motors hinein. “In India everything is bloody, the roads, the traffic, even the horn is bloody.” Und wie zum Beweis schickt er ein markerschütterndes Dröhnen über die Straße, mit dem er Mopedfahrer links und rechts an den Fahrbahnrand drängt.

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Per Anhalter durch Rajasthan, Indien,
im Morgengrauen am Straßenrand
Per Anhalter, Rajasthan, Indien,
schnell steigt die Sonne über verlassene Straßen

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  • Peter Cermak
    2. November 2020

    Sorry, ich lese Eure Berichte liebend gerne nur gehöre ich zu denen, die über jeden Rechtschreibfehler stolpern und ihn nicht sein lassen können.
    Im aktuellen Artikel steht zwei mal statt uns und.
    Arbeite nämlich als Lektor.


    • Morten & Rochssare
      5. November 2020

      Vielen Dank für den Hinweis.