Auf unserer 12-tägigen Wanderung zum Basislager des Mount Everest sind wir mittlerweile auf über 5.000 Höhenmetern angelangt. Die Luft wird immer dünner, die Kälte immer eisiger, frostiger, packender. Die Reste des Basislagers am Mount Everest sind ein trauriges Überbleibsel des gewaltigen Erdbebens vom April 2015, das Nepal so stark erschütterte wir kein anderes Beben der letzten 80 Jahre. Auf dem Khumbugletscher liegen nur noch ein paar Stofffetzen und eilig zurückgelassene Überreste. Dahinter ragt der Kala Pattar, der höchste Punkt der Wanderung zum Basislager empor. Sein Gipfel bietet eine der spektakulärsten Aussichten im Himalaja. Ihn zu erklimmen, ist der Höhepunkt dieser Wanderung: Nie zuvor waren wir in derartiger Höhe unterwegs.
Everest Base Camp Trek: Tag 9
Start: Gorak Shep (5.160 m NN) • Ziel: Kala Pattar (5.545 m NN) und Periche (4.270 m NN) • Distanz: 13 km • Gehzeit: 6:40 h • Aufstieg: 385 m • Abstieg: 1.090 m
So hoch haben wir noch nie geschlafen. Nach einer Nacht auf fast 5.200 Metern fühle ich mich kraftlos und ausgelaugt. Lethargie und Kopfschmerz, Kälte und Schwindel, Kurzatmigkeit – die Symptome der Höhe nagen an mir. Der anstrengende gestrige Tag und vor allem der andauernde Sauerstoffmangel machen mir zu schaffen.
Erwähnte ich die bereits die unerträgliche Kälte?
Doch heute geht es endlich wieder hinab bis auf beinahe angenehme 4.270 Höhenmeter.
Vorher erklimmen wir jedoch noch den Aussichtspunkt Kala Pattar, mit 5.545 Metern der höchste Punkt unserer Wanderung. Das Panorama von dort oben gilt als eines der besten weltweit, nicht zuletzt aufgrund der hervorragenden Sicht auf den Mount Everest. Ist doch sonst, engumstanden von anderen Riesen, nur seine Spitze zu erkennen.
Die meisten Wanderer machen sich bereits um 4 Uhr morgens auf den Weg, um den Sonnenaufgang auf dem Aussichtspunkt zu erleben und vor allem um sich einer wolkenfreien Sicht sicher zu sein. Wir lassen uns jedoch Zeit; möchten nicht nur den Menschenmengen entkommen, sondern auch der Kälte vor Sonnenaufgang.
Erst gegen 7.30 Uhr brechen wir auf. Der Weg scheint einfach, führt er doch nur schnurstracks eine karg bewachsene Erhebung, den Kala Pattar, 400 Meter hinauf.
Doch nach nicht einmal 5 Minuten habe ich es mir bereits, schwer nach Luft ringend, auf einem Stein gemütlich gemacht. Meine Kraftreserven sind aufgebraucht. Ich quäle mich Schritt für Schritt den Berg hoch. Je höher wir kommen, desto schwerer fällt mir die kleinste Bewegung. Hier oben liegt der Sauerstoffgehalt in der Luft nur noch bei etwa 50% des Sauerstoffgehalts auf Höhe des Meeresspiegels. Blei hängt an jedem meiner Muskeln. Jeder Schritt kostet Überwindung. Bald sind wir aus dem Schatten der Berge hinein in die Sonnenstrahlen des frühen Morgens gestiegen. Pausenlos kommen uns Wanderer entgegen, die in aller Frühe diesen Aufstieg gewagt haben.
Der Sauerstoffmangel macht jetzt nicht mehr nur meinem Körper zu schaffen. Auch mein Kopf macht nicht mehr mit. Ich fühle mich, als hätte ich einen Schnaps zu viel getrunken. Ich rede immer mehr unzusammenhängendes, wirres Zeug und lache selbst am lautesten über meine schlechten Witze. Natürlich nur, soweit es mir meine Kurzatmigkeit erlaubt. Ich möchte nur noch so schnell wie möglich nach oben, um so schnell wie möglich wieder hinab zu können.
Ich konzentriere mich auf den bildhübschen Pumori, der jetzt dramatisch hinter der mich quälenden Steigung hervorragt und zähle meine Schritte. Nach 30 Minischritten eine kleine Atempause. Mir kommen zwei Männer entgegen, die eine weinende Frau stützend nach unten begleiten. Erschöpfung pur.
Auch mir wird mit jedem meiner kleinen, schweren Schritte bewusst, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Die Zeichen des Sauerstoffmangels hier oben sind bei mir nicht zu verkennen. Doch irgendwie schaffe ich auch das letzte, das steilste Stück bis hinauf auf den Kalar Pattar.
Oben plumpse ich erschöpft und lächelnd zwischen flatternden Gebetsfahnen auf einen Stein. Bis auf ein paar wenige Wanderer haben wir die kleine Aussichtplattform, sonst vollgepackt mit Touristen, ganz für uns alleine. Ein nur schwer in Worte zu fassendes 360 Grad Panorama auf die namhaften, gigantischen Himalaja-Riesen umgibt uns. Die komplette Südseite des Everest steht im Mittelpunkt, daneben ragen Nuptse (7.861 m), Ama Dablam (6.812 m), Kantega (6.782 m), Taboche (6.542 m), Cholatse (6.440 m) und viele andere Gipfel in den Himmel.
Gletscherseen spiegeln den Himmel in schmutzigem grau oder eisigem blau. Bedrohlich hängen meterdicke Eisschichten an den Hängen der Berge oder türmen sich eindrucksvoll auf ihren Gipfeln. Der Khumbu Icefall, ein beeindruckender Gletscherfall und Teil des massigen Khumbugletschers, liegt in seiner weißen, eiskalten Pracht vor uns. Er bildet die erste Gefahrenzone beim Aufstieg auf den Mount Everest. Seine vielen, tiefen Gletscherspalten müssen waghalsig mit Leitern überquert werden. Wer hier in den Tod stürzt, der bleibt auch hier. Eine Bergung ist unmöglich.
Über eine Stunde genießen wir den unfassbaren Blick und entdecken sogar eine kleine Maus, die hier an den Proviantresten eines Wanderers knabbert. Wir staunen nicht schlecht in dieser Höhe überhaupt auf ein Lebewesen zu treffen.
Der Rückweg ist mein heimlicher Höhepunkt des Tages. Mit jedem Schritt fühle ich mich befreiter, beschwingter, erleichterter. Sauerstoff und mit ihm meine Lebensgeister kehren in meinen Körper zurück. Meine Beine fliegen beinahe den Berg hinunter.
In Gorak Shep machen wir nur eine kurze Pause. Die Eisschicht in den Wasserbottichen ist nicht mehr ganz so dick und leicht zu durchbrechen. Wir machen uns frisch und wandern anschließend entlang der Moräne des Khumbugletschers weiter bis nach Lobuche. Trotz des relativ einfachen Abstieges kommen wir nur langsam voran. Die letzten Tage haben an unseren Kraftreserven gezerrt. Wir nutzen jede Möglichkeit zu einer Pause. In Lobuche gönnen wir uns Tee und eine heiße Schokolade, nur um wenig später in Doughla Mittag zu essen und nach einer weiteren einstündigen Wanderung unser Tagesziel Pheriche zu erreichen. Als die Sonne hinter dem kleinen Dorf unter geht, sitzen wir noch immer vor unserem Gasthaus. Wir erstaunen uns selbst: Eigentlich ist es hier auf 4.200 Metern noch ganz angenehm warm.
Everest Base Camp Trek: Tag 10
Start: Pheriche (4.240 m NN) • Ziel: Phortse (3.810 m NN) • Distanz: 12 km • Gehzeit: 4:15 h • Aufstieg: 100 m • Abstieg: 460 m
Wir verlassen Pheriche im Morgengrauen. Die Gipfelspitze des Kantega leuchtet bereits im feurigen Glanz der Sonne, doch hier unten im Tal ist es noch immer bitter kalt. Mit Mützen und Halstüchern versuchen wir unsere Gesichter vor der eisigen Luft zu schützen, doch es gelingt nicht. Im Schatten der Berge hat die Kälte der Nacht eine letzte Zuflucht vor dem beginnenden Tag.
Unser Weg führt uns aus Pheriche heraus in südlicher Richtung. Das Tal senkt sich und in gemächlichem Auf und Ab verlieren wir kontinuierlich an Höhe. Nach einer Stunde kriecht die Sonne endlich über die Bergrücken und schickt ihre warmen Strahlen hinab auf unsere noch immer frierenden Körper. Das wohlige Gefühl der Wärme motiviert uns, lässt uns schneller das Tal hinab schlendern. Zu unserer Linken ragen der felsige Daumen des Ama Dablam und die vereisten Hänge des Kantega und Thamserku in die Höhe. Dann begegnen wir den ersten Bäumen unterhalb der Baumgrenze.
Zwei Stunden nachdem wir Pheriche verlassen haben, erreichen wir Pangboche. Der Weg durch das kleine Dorf führt über Treppen und grobe Stufen immer weiter hinab und schließlich, den Ort verlassend, bis nach Tengboche. Da wir jedoch nicht denselben Weg nach Namche Bazaar zurücklaufen wollen, den wir gekommen sind, entscheiden wir uns für eine alternative Route und erklimmen einen Pfad ins obere Pangboche und weiter den Hang hinauf. Unter uns fließt der Imja Khola durchs Tal, während vor uns die mächtige Wand des Kongde Ri im Sonnenlicht glitzert.
Packliste
Unsere Ausrüstung muss einiges aushalten. Seit über 7,5 Jahren sind wir dauerhaft unterwegs und strapazieren unser Hab und Gut im täglichen Einsatz. Einiges hat bei uns nur kurze Zeit überlebt, doch anderes bewährt sich mittlerweile seit Jahren und wir sind von der Qualität überzeugt. Unsere Empfehlungen könnt ihr hier nachlesen.Der schmale Pfad schlängelt sich leicht den felsigen Hang hinauf, Wacholdersträucher säumen den Weg. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tales erblicken wir die Orte Debuche und Tengboche, die wir vor wenigen Tagen auf dem Weg zum Everest Base Camp durchquerten.
Immer weiter wandern wir um den Bergkamm herum. Steinerne steile Treppen führen mal hinauf und mal hinab. Doch schließlich erreichen wir die Kartoffelfelder und verstreuten Häuser von Phortse. Die Siedlung liegt auf einem leicht geneigten Hang irgendwo zwischen Tal und Berggipfel. Unter ihr fließen der Dudh Kosi und der Imja Khola zusammen, weit über ihr zeigt die Spitze des eisigen Taboche in den Himmel.
Vor einem tibetischen Gasthaus, das wir gerade beziehen, sitzen zwei Mönche aus dem winzigen, dorfeigenen Kloster. Sie weihen Haus und Familie für ein glückliches und gesegnetes kommendes Jahr mit einer Puja-Zeremonie. Butterlampen, Wachsfiguren, Reisig und trockene Nadeln, Reis – alles landet in einem kleinen Feuer, löst sich in Rauch auf, dringt in unsere Augen und verflüchtigt sich in der Mittagssonne.
Wenig später ziehen dichten Wolken ins Tal und hüllen Phortse in einen unheimlichen Schleier. Kaum ein Bewohner des Dorfes ist zu entdecken und lediglich ein paar Kinder laufen im Nebelbrei um die Wette.
Mit den Wolken zieht auch die Kälte in den Ort. Es dauert nicht lange und wir sitzen wie so oft um einen wärmenden Ofen und spielen Karten. Die beiden Mönche sind noch immer da und lassen sich heißen Tee servieren. Sie bleiben bis zum Abend und schleichen dann gemächlich zurück in ihr Kloster.
Everest Base Camp Trek: Tag 11
Start: Phortse (3.810 m NN) • Ziel: Namche Bazaar (3.420 m NN) • Distanz: 11 km • Gehzeit: 3:55 h • Aufstieg: 300 m • Abstieg: 700 m
Wie so oft in den Bergen ist der Morgen die schönste Zeit des Tages. Die Wolkenwand von gestern ist verschwunden, die Luft klar und die ersten Sonnenstrahlen tauchen die Umgebung in ein sanftes, wärmendes Licht.
Wir verlassen Phortse und schlendern einen steilen Pfad hinab nach Phortse Tenga am Dudh Kosi. Der Morgen ist kühl, aber nicht besonders kalt und wir kommen schnell voran. Angepasst an die extreme Höhe fallen uns unsere Schritte aus den Bergen herab immer leichter.
In Phortse Tenga überqueren wir den Fluss, nur um auf der anderen Seite wieder einen Hang zu erklimmen. Fühlen wir uns während des Abstiegs noch beschwingt und voller Tatendrang, so ändert sich dies mit jedem Meter, den wir auf dem schmalen Pfad wieder hinauf steigen. Der Weg scheint unendlich; der Aufstieg ewig. Der letzte Anstieg des Treks verlangt uns noch einmal alles ab. Keuchend schleppen wir uns vorwärts. Von den mächtigen Berggipfels des Thamserku (6.623 m) bis Taboche (6.542 m) umgibt uns ein beeindruckendes Panorama; doch gelingt es uns nur selten, den Geist dafür zu schärfen. Wir sind körperlich am Ende. Kraftlos schleppen wir uns anderthalb Stunden den Berg hinauf, nur um am Scheitelpunkt des Weges wieder hinab ins Tal zu steigen.
Es folgt ein langer, wenn auch weniger steiler Abstieg bis nach Namche Bazaar. An der Kreuzung nach Khumjung verflacht der Weg und windet sich gerade entlang des Berges. Nach jeder Kurve erwarten wir unser Ziel und werden jedes Mal enttäuscht. Der Weg zieht sich in unerträgliche Länge. Uns fehlt die Geduld, doch bleibt uns keine andere Wahl, als unaufhörlich einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Dann endlich erreichen wir das natürliche Amphitheater in dem sich Namche Bazaar befindet. Die Pubs, Hotels, Souvenirshops und Restaurants entlang der Hauptstraße sind uns mittlerweile so vertraut, wie das Angebot an Apfelkuchen, heißem Tee und Dokumentarfilmen. In Namche ruhen wir uns aus. Die anstrengenden Tage des Everest Base Camp Treks sind vorbei.
Everest Base Camp Trek: Tag 12
Start: Namche Bazaar (3.420 m NN) • Ziel: Lukla (2.800 m NN) • Disntanz: 15 km • Gehzeit: 6:05 h • Aufstieg: 250 m • Abstieg: 950 m
Wir verabschieden uns von Namche im Wolkenschleier. Ein grauer Brei wabert durch die Luft, durch die Straßen des Dorfes und zwischen den Bäumen des Waldes. Eine Stunde folgen wir einem steilen Abstieg bis hinunter zum Dudh Kosi, wo wir über eine wackelige Brücke die Flussseite wechseln. Hier unten im Tal ist der Wolkenschleier verschwunden und die Sonne taucht den Wald in warmes Licht. Wir folgen dem Flusslauf nach Süden. Entspannt schlendern wir entlang des Dudh Kosi, als angestrengtes Keuchen durch den Wald bricht. Ein junger Typ in weißem Shirt sprintet an uns vorbei, es folgen zwei weitere Gesellen und wenig später noch mehr Läufer.
Sie gehören zum Teilnehmerfeld eines von vielen Wettkampfprogrammen auf dem Trek. Wem es also nicht reicht in eisiger Kälte und extremer Höhe zu wandern, kann auch an einem Wettrennen wie dem Everest Marathon, dem Everest Sky Race oder dem Everest Trail Race teilnehmen.
Wir freuen uns dagegen über jeden Schritt mit dem wir uns Lukla und damit dem Ende des Everest Base Camp Treks nähern. Wir begegnen Rindern und Eseln, die nun in den niedrigeren Höhen die Yaks als Lastentiere in den Bergen ersetzen. In Phakding machen wir Mittagspause, bevor wir uns auf die letzte Etappe der Wanderung begeben.
Zwischen Phakding und Lukla kommen uns immer wieder Wanderer entgegen. Ihre Ausrüstung ist glänzend, neu, fleckenfrei; ihre Gesichter frisch und voller Tatendrang. Wir dagegen sind abgekämpft, schmutzig und ausgelaugt. Zwölf Tage trennen uns von den Neuankömmlingen und weise lächeln wir uns an. Die Strapazen, die nun auf sie zukommen werden, haben wir zum Glück bereits hinter uns gebracht.
Gegen 15 Uhr erreichen wir Lukla und damit das Ende des Everest Base Camp Treks. In den zurückliegenden 12 Tagen haben wir 124 km in extremer Höhe zurückgelegt und dabei 2.695 Höhenmeter überwunden. Jetzt fühlen wir uns in Festtagsstimmung und lassen uns am Abend in einem Irish Pub mit leerer Tanzfläche und grüner Diskobeleuchtung Sherpa Kölsch (heißt tatsächlich so) schmecken. Ein würdiger Abschluss für eine atemberaubende Wanderung in Nepals Himalayagebirge.
Wanderung zum Basislager des Mount Everest in drei Teilen
Teil 1: Von Lukla nach Namche Bazaar
Teil 2: Von Namche Bazaar nach Gorak Shep
Teil 3: Von Gorak Shep nach Lukla
Wir bedanken uns bei Nepal Mother House für die Unterstützung. Alle dargestellten Meinungen sind unsere eigenen.
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Aus dem hohen Norden Deutschlands hinaus in die Welt: 2011 zieht es Morten und Rochssare für zwei Jahre per Anhalter und mit Couchsurfing auf den südamerikanischen Kontinent. Genauso geht es nun weiter. Jetzt jedoch in die andere Richtung. Seit 2014 trampen die beiden auf dem Landweg von Deutschland nach Indien und weiter nach Südostasien. Es gibt noch viel zu entdecken.
Von ihren Abenteuern und Begegnungen erzählen sie in ihren Büchern „Per Anhalter durch Südamerika“ und „Per Anhalter nach Indien“, jeweils erschienen in der National Geographic Reihe bei Malik.
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