Cochabamba, Bolivien, Titel
Im Schlaraffenland Boliviens

Cocaine Cochabamba

Es heißt, in Cochabamba würden die Menschen den ganzen Tag nur essen, trinken und schlafen. Im kalten Altiplano klingt das verheißungsvoll. Oben in der kargen Hochebene der Anden wirkt Cochabamba wie ein Schlaraffenland; ist für die meisten Menschen hier zugleich nah und unglaublich fern.

Wir wollen wissen, was dran ist an diesem Image und fügen Cochabamba in unsere Reiseroute ein. Die Stadt liegt mitten in einem geschützten, sonnigen und fruchtbaren Tal. Frühlingshafte Temperaturen herrschen auf einer Höhe von 2.500 bis 2.700 Metern. Schon weit vor den ersten Europäern und auch lange vor den Inkas war das Tal besiedelt. Na klar, angenehmere Lebensverhältnisse sind im Hochgebirge kaum zu finden. Im Gegensatz zur kargen Ödnis, die kaum Ackerbau zulässt, gedeiht hier ein prächtiger Garten. Tatsächlich war die Gegend um Cochabamba lange verantwortlich für die Lebensmittelversorgung der Minen von Potosi.

In der Stadt reiht sich ein Restaurant an das andere. Bars, Klubs und Diskotheken öffnen ihre Türen für ein feierfreudiges Publikum. Dazu kommt das ganzjährig milde Klima. Südöstlich von La Paz gelegen ist Cochabamba ein lebenswerter Ort. Auffällig ist der Reichtum der Stadt. Er offenbart sich im Detail. Während auf den Märkten anderer bolivianischer Städte Lebensmittel und Hygieneartikel angeboten werden, finden wir in Cochabamba Hundeshampoo und Schönheitsprodukte auf Naturbasis. Offenbar sind die Prioritäten hier verschoben. Das schöne Leben ist wichtig.

Blick über Cochabamba, Bolivien
Plaza de Armas, Cochabamba, Bolivien

Kokain und Unternehmergeist

Es scheint fast so, als wäre die Stadt völlig losgelöst von den kargen Verhältnissen des Landes. Der Grund dafür ist, wie sollte es anders sein, Kokain. In der nahen Provinz Chapare wird das umstrittene Koka angebaut, verarbeitet und als illegales Produkt in die USA und nach Europa verfrachtet.

„Vieles vom sichtbaren Reichtum ist durch schmutziges Geld finanziert“, erklärt uns Henry, unser Gastgeber in Cochabamba. Wir schlendern mit ihm durch die Straßen und hören seine Geschichten. Er erzählt von Freunden aus gutem Elternhaus, die ihr Studium mit Bestnoten abschlossen und nun Geld mit Kokain verdienen. Auch Henry wurde oft angeboten, ins Geschäft des schnellen Geldes einzusteigen. Während er spricht, passieren wir riesige Villen, die von hohen Zäunen beinahe komplett verdeckt werden. Treibt etwa hier, nur wenige Meter von uns entfernt, die Drogenmafia ihr Unwesen? Als wir Henry auf die prachtvollen Gebäude ansprechen, möchte er jedoch nichts von dunklen Machenschaften wissen. Er lenkt ab, erklärt nebulös, dass Kokain allgegenwärtig sei. Konkretes erfahren wir nicht. Das Geschäft mit dem weißen Gold bleibt ohne Namen, ohne Gesichter.

Henry selbst ist Informatiker und gründet gerade ein eigenes ambitioniertes Unternehmen. Er will benachteiligten Kindern mithilfe von Computertechnik etwas mehr Lebensfreude vermitteln. Dazu rüstet er Fußballtore mit Sensoren und Lautsprechern aus. Bei jedem Treffer ertönt, ausgelöst durch den zappelnden Ball im Netz, eine fröhliche Melodie.

Ebenso gemeinnützig engagiert sind Henrys Mitbewohner. Aus allen Teilen Amerikas haben sie den Weg nach Cochabamba, in das großzügige, jedoch fast gänzlich unmöblierte WG-Haus gefunden, in dem auch wir ein paar Tage zur internationalen Atmosphäre beitragen. Die meisten Mitbewohner lernen wir bei einer Open-Air-Veranstaltung von Performing Life kennen. Die Organisation versucht Kinder und Jugendliche durch Musik- und Kleinkunstprojekte von der Straße zu holen. Seth, Teil der WG, organisiert den Auftritt. Wir sehen Jongleure, Einradfahrer, Feuerspucker und den Auftritt einer Hip-Hop-Crew ganz am Anfang einer potenziellen Rapkarriere.

Wenig später sitzen wir in einer Kneipe und stürzen zu viele Shots in unsere Kehlen. Die Calle grande für umgerechnet 1,50 Euro wird uns zum Verhängnis. Es sind sechs nicht näher definierte 4 cl Schnäpse, die in einer festgelegten Reihenfolge getrunken werden. In den Farben des Regenbogens leuchten die Flüssigkeiten in den Gläsern. Hübsch anzusehen sind sie, doch jeder Schnaps ist furchtbarer als der Vorherige. Am Ende des Abends landen wir in einer Gay-Disco. Cochabamba ist tatsächlich die wohl lebenswerteste Stadt Boliviens.

Cochabamba, Bolivien
junge Menschen in einer Bar, Cochabamba, Bolivien
Blick über Cochabamba, Bolivien

Du sollst nicht in Christo urinieren

Diesen Status verdankt sie vielleicht auch dem riesigen Christo de la Concordia, einer 32 Meter hohen Jesus-Statue, die schützend ihre Arme über der Stadt ausbreitet. Dieser Christo ist sogar höher als sein Kollege in Rio de Janeiro und weltweit der zweithöchste seiner Art. Er kann von innen bestiegen werden und wer schon immer wissen wollte, was so alles im Sohn Gottes vor sich geht, gewinnt hier spannende Einblicke. Über eine mörderisch steile Treppe, für die himmlischer Beistand unabdingbar scheint, gelangen wir bis hinauf in die Jesus-Brust. Durch kleine Löcher im Leib Christi überblicken wir die gesamte Stadt. Im Körper des Erlösers, aus Beton und Stahl geformt, lesen wir ein Schild: Urinieren im Inneren des Christo ist verboten. Ich halte kurz inne. Wer pinkelt denn in Jesus rein? Dazu kommt die Metaebene: Was ist die größere Gotteslästerung? Der Akt oder das Verbot, das den Akt voraussetzt?

Am Abend sitzen wir erneut mit Henry zusammen. Er lehrt uns das bolivianische Würfelspiel Cacho. Eine Mischung aus Kniffel und Poker, das bei jeder Gelegenheit als Trinkspiel interpretiert werden kann. Nicht weit von uns entfernt liegen Gérman aus Chile und Nacho aus Uruguay auf zwei Matratzen im Wohnzimmer – völlig betrunken. Wir schauen uns verwundert an, doch Henry bleibt unbeeindruckt. Er ist bereits an den Anblick der beiden gewöhnt, wie er sagt. So manche durchfeierte Nacht wird von den Freunden bis in die späten Nachmittagsstunden des folgenden Tages hinausgezögert. So geht es zu in Cochabamba.

Christo de la Concordia, Cochabamba
Inneres des Christo de la Concordia, Cochabamba
Blick aus dem Körper des Christo de la Concordia, Cochabamba
Christo de la Concordia, Cochabamba

Fiesta de la Virgen de Urkupiña in Cochabamba

Einen Grund zum Feiern gibt es immer. Der kulturelle und religiöse Höhepunkt ist die Fiesta de la Virgen de Urkupiña, zu Ehren der Schutzpatronin der Stadt. Jedes Jahr zieht dieses Fest landesweit Tausende Besucher an. Traditionell pilgern die Bewohner Cochabambas am 15. August in die 12 Kilometer entfernte Nachbarstadt Quillacollo zum Schrein der Jungfrau von Urkupiña. Folklore-Tanzgruppen in bunten Trachten kommen aus dem ganzen Land zusammen. Wir sehen Tänzer aus Santa Cruz, Sucre, Potosi, Tarija, La Paz und der Region Beni. Ganz Bolivien ist hier vertreten.

Flankiert wird die Parade von unzähligen Schaulustigen, die grölend und jauchzend den verschiedenen Gruppen zujubeln. Die wackeligen Tribünen wanken bedrohlich unter dem ständigen Auf und Ab der Masse, die bei jedem neuen Kostüm laut aufschreit und heftig Beifall applaudiert. Je länger die Parade dauert, desto alkoholseliger wird das Publikum. Immer häufiger drängen sich Zuschauer in die Aufführung und tanzen, mal mehr, mal weniger im Takt, mit den bereits ebenfalls angetrunkenen Tänzern und Musikern. Am Ende erkennen wir kaum, wer offiziell zum Umzug gehört und wer nicht. Alle tanzen durcheinander, drehen sich im Kreis, strecken die Arme auseinander, feiern gemeinsam auf der Straße ein riesiges Fest.

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Parade, Fiesta de la Virgen de Urkupiña, Cochabamba
Parade, Fiesta de la Virgen de Urkupiña, Cochabamba
Parade, Fiesta de la Virgen de Urkupiña, Cochabamba

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