Uriger Dschungel, wilde Tiere, ungewohnte Geräusche; wir sind auf Abenteuerkurs im Osten Paraguays. Um uns herum raschelt, knistert und knackt es in den Bäumen und auf der Erde. In zahlreichen Flüssen gurgelt das Wasser. Hier im Atlantischen Regelwald des Naturreservats Mbaracayú befinden wir uns in der Heimat der Jaguare, Pumas und Tapire. Mehr als 400 Vogelarten schwirren unter den gewaltigen Baumkronen.
Undurchdringliches Grün umgibt uns. Links und rechts eines schmalen Pfades sprießt die Vegetation nicht nur, sie wuchert, ergötzt sich selbst an ihrer Kraft. Es ist kaum möglich, mehr als ein paar Meter in den Wald hinein zu schauen. Hoch aufragende Farne, Gräser und Büsche versperren die Sicht. Lianen ranken um riesige Stämme, hängen von den Kronen der Bäume herab und bieten Gelegenheit herumzualbern. Die Luft steht schwül im Unterholz. Schweißnass klebt unsere Kleidung am Körper. Immer wieder halten wir inne, versuchen leise einen Bewohner des Dschungels zu erblicken; sei es auch nur für einen kurzen Augenblick. Doch im Spiel aus Licht und Schatten gelingt es uns nicht, ein Tier zwischen den Dutzenden grünen Schattierungen des Waldes auszumachen. Stattdessen surren Mücken in grenzenloser Anzahl um unsere Köpfe. Außer ihnen bekommen wir lediglich pelzige Raupen zu Gesicht, die von uns unbeeindruckt die Stämme hinauf marschieren.
Auch wenn wir kaum etwas entdecken, gedeiht das Leben in so vielfältiger Pracht, dass die WWF das Naturreservat Mbaracayú zu einem der 100 wichtigsten Biodiversitätsgebiete der Welt erklärte. Mittendrin steht eine Lodge. Bungalows, weiche Matratzen, heiße Duschen. Abenteuer ist hier nicht an spartanische Bescheidenheit gebunden. Wir hätten es schlechter treffen können, erst recht, weil wir die einzigen Gäste sind. Allein das Zirpen der Grillen und die Rufe der Vögel dringen in den Abendstunden aus dem Wald zu uns. In der Dämmerung kommen Affenrufe dazu und eine summende Geräuschkulisse Tausender Insekten. Bis spät in die Nacht sitzen wir auf einer Terrasse und lauschen in den Urwald hinein.
Die Jaguare im Naturreservat Mbaracayú
Gemeinsam mit Eugenio, einem Ranger im Naturreservat sind wir mit dem Kajak unterwegs. Wir paddeln vorbei an tief hängenden Ästen und Gestrüpp, das weit über die Flussufer hinaus reicht. Immer wieder ziehen wir die Köpfe ein, drücken Äste und Zweige aus dem Weg, weichen Wurzeln im Flusslauf aus. Schließlich verweigert ein umgestürzter Baum unsere Weiterfahrt und zwingt uns umzukehren. Eugenio zeigt uns Tapirspuren am schlammigen Flussufer und Vögel im nahen Geäst. Er erzählt auch von den Tieren im Dschungel, von den bisher unbekannten und vermuteten Arten und denen, die schon bekannt sind; von Kaimanen im Fluss, von Tukanen in den Bäumen und von Jaguaren auf der Erde. Letztere werden im Reservat gechippt, um ihr Bewegungsverhalten zu beobachtet.
Es ist eine stressige Arbeit für Mensch und Tier. Wenn ein Jaguar gefangen werden soll, so erzählt es Eugenio, ist große Vorsicht geboten. Die Tiere sind nicht nur ausgesprochen scheu, sondern können auch sehr aggressiv sein, wenn sie in die Enge getrieben werden. Die Jaguar-Jagd im Naturreservat Mbaracayú beginnt mit einem Schaf. Es wird als Köder mit einem Sender versehen und auf einer Lichtung im Wald angebunden. Sobald der Jaguar das Schaf angreift, schlägt der Sender Alarm und die Forscher, die sich in einiger Entfernung aufhalten, eilen zur Lichtung. Der beim Fressen aufgeschreckte Jaguar flüchtet in den Dschungel; verfolgt von speziell ausgebildeten Jagdhunden.
Im Idealfall für die Forscher wird der Jaguar in die Enge und auf einen Baum getrieben. Nun ist es ein Leichtes, das Tier mit einem Betäubungspfeil ruhig zu stellen, den Chip anzubringen und anschließend Daten zu erheben.
Einer der im Naturreservat lebenden Jaguare gilt seit seiner Beobachtung als Legende. Er tötete nicht nur das Köderschaf, sondern bei der anschließenden Hatz auch drei Jagdhunde, die mit jeweils 20.000 US-Dollars für das Aufspüren von Jaguaren ausgebildet wurden.
Im Atlantischen Regenwald
Bambus wächst in beachtlicher Höhe am Ufer. Wir spazieren wieder durch den Wald des Naturreservats Mbaracayú, vorbei an moosbewachsenen Bäumen und umgekippten, vermodernden Stämmen. Leuchtend orange Fächerpilze wachsen auf ihnen. Sie sind die Boten des Verfalls, eine Stufe im Kreislauf des Ökosystems, das hier noch unberührt scheint.
Zwischen den Ästen weben Spinne Netze, die so dicht sind, dass sie als Hängematten für alles dienen, was aus den Baumkronen herabfällt. Blätter und kleine Äste verfangen sich darin und sicher auch die eine oder andere Beute.
Auf einer Lichtung sitzt ein Schmetterlingsschwarm auf dem feuchten Boden. Sobald wir näher kommen, erheben sich die Falter und segeln wie ein bunter Vorhang durch die Luft. Mit ihren blau und rot gefärbten Flügeln zucken sie unablässig hin und her, bis wir vorbei sind und sie sich wieder niederlassen. Manche Schmetterlinge nesteln mit langen Rüsseln in den Blüten des Regenwaldes.
An anderer Stelle wachsen wehrhafte Dornen aus Baumstämmen, die so spitz und hart sind, dass selbst wir uns an ihnen stechen. Über wackelige Hängebrücken kreuzen wir Flüsse. Hier dringt das Sonnenlicht ungehindert bis zu uns herab. Am gegenüberliegenden Ufer sind manche Bäume so breit, dass wir sie nicht umfassen können. Gerade deshalb umarmen wir sie. Es ist nicht nur ein Zeichen der Liebe, sondern auch eines der Bewunderung. So mächtig und energiegeladen wie dieser Wald wären auch wir gern.
Hier im Dschungel fühlen wir uns fremd und zugleich auf merkwürdige Art geborgen. Die Bäume um uns verleihen ein gutes Gefühl. Sie machen glücklich. Und weil das so ist, schwingen wir wie Tarzan an Lianen. Den Urwaldschrei sparen wir; das wäre übertreiben. Nichtsdestotrotz sind wir gern im Regenwald.
Mit dem Bus durch Paraguay
Weniger gern sitzen wir um Bus, obwohl auch das in Paraguay durchaus eine Erfahrung ist. Wir wollen nach Concepción, einer Kleinstadt mitten drin in diesem Land. Der Weg aus dem Naturreservat Mbaracayú heraus gelingt uns nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln, denn die Sackgasse im Dschungel bietet keine Gelegenheit, per Anhalter zu reisen.
Die Fahrt beginnt gegen 19 Uhr, einige Kilometer vom Naturreservat Mbaracayú entfernt. Als wir einsteigen, ist der Bus bereits voller Menschen und uns bleiben zwei Plätze in der vorletzten Reihe. Als wir uns setzen, grinsen uns die Mitreisenden auf den vorderen Reihen schelmisch an und auch der Busfahrer, der zum Kartenverkauf nach hinten kommt, hat ein breites Lachen im Gesicht. „Ojo“ – „Vorsicht“, warnt er uns, „Hier hinten wirds ganz schön ruppig“.
Der Bus prescht so schnell über den roten Sand einer holprigen Piste, wie es sein Zustand zulässt. Geschmeidig ist anders. Bereits nach fünf Minuten wissen wir, was uns der Busfahrer mit seiner wohlwollenden Warnung mitteilen wollte. Bei der ersten größeren Unebenheit springt der hintere Teil des Busses um erschreckend viele Zentimeter in die Höhe. Wir verlieren komplett den Halt, heben ein gutes Stück ab, sind über der Armlehne kurz schwerelos und landen wieder hart auf den Sitzen. Genauso ergeht es den beiden Jungs vor uns und gemeinsam lachen wir uns an.
Wenn ihr unsere Abenteuer und Geschichten gerne auf Papier lesen wollt, dann schaut doch mal hier:
In unserem Buch Per Anhalter durch Südamerika erzählen wir von unserer Reise kreuz und quer durch einen atemberaubenden Kontinent. Begleitet uns von den Gletschern Patagoniens bis an die karibischen Traumstrände Kolumbiens und Venezuelas. Treibt mit uns auf Marktbooten über den Amazonas und folgt uns hinab in die Silberminen Boliviens. Wir couchsurfen durch Studenten-WGs, teilen das Landleben der einfachen Bevölkerung und den Luxus in bewachten Wohnvierteln der Metropolen, schließen Freundschaften mit LKW-Fahrern und tauchen mit Seelöwen vor Galapagos.
2016 Malik NG, Taschenbuch, 432 Seiten
Der unerwartete Adrenalinschub wirkt wie starker Kaffee. Auch den zweiten Sprung kurze Zeit später finden wir noch amüsant. Aber dann wird uns klar, dass dieses Auf und Ab im Minutentakt für die nächsten Stunden unsere Realität sein wird. Wir krallen uns an die Armlehnen, drücken uns in die Sitze, um die Flugeinlagen zu mildern. Als wir über einen besonders großen Buckel holpern, wird es plötzlich dunkel. Innen- und Außenbeleuchtung des Busses sind hinüber. Der Motor setzt aus. Im Bus ist es so dunkel wie draußen in der Wildnis. Von vorn klingen die Geräusche des Busfahrers, der erfolglos versucht, sein Gefährt zu starten.
Die Reisenden sind mucksmäuschenstill, nur die beiden Jungs vor uns fangen wieder an zu lachen. Ein kurzer Hieb ihrer Mutter auf die Hinterköpfe unterbindet dies. Der Busfahrer steigt mit einem Werkzeugkoffer hinaus in die Nacht. Im Inneren des Busses strahlen die ersten Taschenlampen ziellos umher, aber niemand scheint besonders besorgt. Draußen klopft und klappert der Busfahrer und tatsächlich setzen wir die Fahrt nach einiger Zeit fort.
Aber nicht nur der Zustand des Busses und die Piste sind für uns problematisch. Schon wenige Minuten nach dieser unfreiwilligen Unterbrechung schallen aus mehreren knarrenden Handylautsprechern gleichzeitig verschiedene Lieder. Tastentonliebenden SMS-Vielschreiber sitzen ebenso im Bus wie Menschen, die aus Langeweile Klingeltöne ausprobieren. Um drei Uhr morgens erreichen wir nach acht langen Stunden durchgeschüttelt Asunción.
Unsere Rucksäcke sind vom Staub der Straße rot gefärbt und erst bei näherer Betrachtung sind wir sicher, dass es sich tatsächlich um unser Gepäck handelt. Das Busterminal in Asunción ist beinahe leer. Auf einem kleinen Fernseher an der Decke läuft eine unsinnige Unterhaltungssendung, die immer wieder vom Rauschen der Bildröhre unterbrochen wird. Ein kleiner Mann umkreist mit mehreren Thermoskannen in seinem Bauchladen unsere Sitzreihe. Ununterbrochen macht er uns auf sein Angebot aufmerksam: „Caféee, Caféee, Caféeeeeee“.
Obwohl nur wenige Menschen in der Wartehalle sitzen, gibt der kleine Mann nicht auf: „Caféee, Caféee, Caféeeeee“. Es wäre so schön, endlich die Augen schließen zu können. In der Nähe befindet sich eine christliche Buchhandlung. Ein großes Banner hängt darüber, auf dem ein Sonnenuntergang abgebildet ist. In geschwungenen Lettern prangen die Worte „Jesús es el Señor“. Eine bunte Lichterkette blinkt im Stakkatotakt um das Banner. Es ist ein Katholizismus im Partygewand und immer wieder: „Caféee, Caféee, Cafèeeee“.
Vier Stunden später steigen wir in den Bus nach Concepción. Wir sind völlig übermüdet. Kopf und Körper gewährleisten unser Überleben, mehr ist nicht drin. Dafür läuft die Fahrt zunächst gut. Eine kleine Panne zu Beginn belächeln wir mit erschöpfter Nachsichtigkeit. Selbst ein ungeordneter Buswechsel, der eine Verspätung von zwei Stunden mit sich bringt, schockt uns kaum. Doch plötzlich riecht es im Bus merkwürdig nach Fäkalien. Wir bemerken einen der beiden Busfahrer, wie er ungeduldig mehrere Minuten an die Toilettentür klopft. Vergeblich. Schließlich spricht er eine ältere Dame an, die ganz selbstverständlich eine Rolle Toilettenpapier im Behelfsklo abliefert. Der Gestank ist mittlerweile unerträglich.
Weitere zehn Minuten vergehen, bis der Bus anhält und nun der andere Fahrer nach hinten eilt. Dabei ruft er genervt: „Macht die Fenster auf; macht bloß die Fenster auf“. Weitere 45 Minuten später scheint das Malheur beseitigt. Ein älterer Mann wird aus der Toilette geleitet und in die Sitzreihe vor uns gesetzt. Die Spuren eines Missgeschicks sind noch deutlich an der Kleidung zu sehen. Eine Mischung aus Fäkalgestank und billigem Putzmittel dringt durch den Bus und verfliegt auch nicht bei geöffneten Fenstern. Nach rund 700 Kilometern und insgesamt 22 Stunden erreichen wir am frühen Abend Concepción. Eine Anzeigentafel zeigt die aktuelle Temperatur: 38 °C. Wir sind erledigt, mental und physisch. Zum Glück treffen wir Manuel, unseren Gastgeber in der Stadt, der uns mit erfrischendem Tereré empfängt und uns auf angenehme Art zurück ins Leben holt.
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Aus dem hohen Norden Deutschlands hinaus in die Welt: 2011 zieht es Morten und Rochssare für zwei Jahre per Anhalter und mit Couchsurfing auf den südamerikanischen Kontinent. Genauso geht es nun weiter. Jetzt jedoch in die andere Richtung. Seit 2014 trampen die beiden auf dem Landweg von Deutschland nach Indien und weiter nach Südostasien. Es gibt noch viel zu entdecken.
Von ihren Abenteuern und Begegnungen erzählen sie in ihren Büchern „Per Anhalter durch Südamerika“ und „Per Anhalter nach Indien“, jeweils erschienen in der National Geographic Reihe bei Malik.