Heiß ist es in Sultanahmet, Istanbuls Altstadt. Zwischen Hagia Sofia und der Blauen Moschee strömen die Touristenmassen unter der gleißenden Mittagssonne hin und her, quetschen sich aus ihren Reisebussen, zücken wahlweise ihre Spiegelreflexkameras oder Smartphones. Tüchtige Verkäufer schlängeln sich durch die Menge und bieten allerhand unnötige Produkte an, mit denen sie den Weg zum Topkapi Palast versperren.
Das Gewusel nimmt kein Ende, aus allen Richtungen kommen neue Touristen herbei. Sie sprechen Englisch, Russisch, Deutsch. Ab und an gesellen sich ein paar Spanier und Italiener dazu. Dazwischen steht ein Sultan in seidenem Gewand. Sein großer goldener Turban leuchtet unter einem strahlend blauen Himmel. Der Gesang des Muezzins schallt über den Dächern der Stadt.
Ich wische mir den Schweiß vom Gesicht und setze mich auf eine der vielen Bänke vor der Blauen Moschee. Die Hitze drückt meine Augenlider nieder. Doch nur für einen Augenblick, dann schrecke ich wieder hoch. Die Touristen sind verschwunden, der Muezzin verstummt. Nur der Sultan steht noch immer da, wo ich ihn zuletzt gesehen habe und winkt mir eifrig zu.
Er stellt sich als Murat III, Sultan des Osmanischen Reiches, vor. Murat ist ein netter Typ. Seine freundlichen Augen leuchten hingebungsvoll, sein Lächeln ist milde und sanftmütig, der dunkle Rauschebart reicht ihm bis auf die Brust. Wir plaudern ein bisschen über dies und das und verstehen uns so gut, dass er mich in seinen Palast einlädt. Der Weg ist nicht weit. Hinter der Hagia Sofia breitet sich das großflächige Areal seines Herrschaftssitzes aus. Mehrere Gebäude und große Gärten prägen die Anlage des Topkapi Palastes. Diener laufen geschäftig durch die Säulengänge. Die Wachen blicken misstrauisch auf mich herab, wagen aber im Angesicht ihres Herrschers keine einzige Bemerkung. Murat zwinkert mir zu und schmunzelt: „Sultan zu sein, hat Vorteile.“
Als wir in den zweiten Innenhof treten, eilt eine ehrwürdige Gestalt in zügigen Schritten auf uns zu. Der Großwesir, ein Mann edler Erscheinung, verbeugt sich knapp und beginnt staatsmännisch auf meinen neuen Freund einzureden. Doch Murat bleibt gelassen, bedeutet seinem ersten Staatsdiener mit einer gebieterischen Bewegung zu gehen. Der Mann, eben noch voller Tatendrang, schleicht ein bisschen bedröppelt davon.
Murat verdreht die Augen. „Es ist immer das Gleiche“, sagt er, „ständig will er irgendwelche Anordnungen von mir. Warum habe ich denn einen Großwesir, wenn ich sowieso alles alleine machen muss? Das ergibt doch keinen Sinn.“ Ich zucke mit den Achseln, staatsmännische Verantwortung hatte ich bisher noch nicht zu bewältigen. Dennoch werfe ich ein, dass ein Sultan sich nicht alles aus der Hand nehmen lassen sollte. Denn wozu braucht man anderenfalls einen Sultan?
Daraufhin nimmt mich Murat an die Hand. Beinahe forsch zieht er mich hinter sich her und zusammen eilen wir dem Großwesir nach. Bald darauf stehen wir vor einer reich verzierten Halle, doch anstatt durch das Haupttor, betreten wir das Gebäude über einen kleinen Nebeneingang, setzen uns hinter ein hölzernes Gitter und beobachten die Versammlung in der Mitte der Halle. Gerade spricht der Großwesir zu den übrigen Anwesenden. „Der Großwesir und die Minister. Sie beraten über den Zustand meines Reiches, reden über Finanzen und Wirtschaft, Krieg und Frieden.“, gähnt Murat in mein Ohr. „Außerdem haben sie keine Ahnung, dass ich hier bin.“, fügt er mit einem leisen Lachen hinzu.
„Aber komm, ich zeige dir etwas wirklich Interessantes.“, flüstert Murat, nimmt mich erneut am Arm und zusammen verschwinden wir kurze Zeit später in einem anderen Gebäude.
Ein schattiger, mit bunten Fliesen und Malereien verzierter Gang liegt vor uns. Wir begegnen ein paar Dienern, die gerade riesige Stapel schmutzigen Geschirrs auf ihren Armen balancieren, bei meinem Anblick aber vor Schreck alles fallen lassen. Ein lautes Klirren schallt durch den Korridor. Murat lacht und entschuldigt den Vorfall. „Hier sieht man niemals ein fremdes Gesicht wie deines. Dieser Teil des Topkapi Palastes ist absolutes Tabu für Jedermann, der nicht meine persönliche Erlaubnis besitzt. Willkommen in meinem Harem.“
Das ist er also, der Harem des Sultans. Die Privatgemächer Murats und seiner Frauen und Kinder. Wir schlendern ein wenig durch die mit Vorhängen, Polstern und Kissen geschmückten Räume. Vergoldete Zimmerdecken leuchten von oben herab, dicke Teppiche dämpfen unsere Schritte, detaillierte aus Gold und Silber gearbeitete Lampen und Gefäße dekorieren die Gemächer. Überall schimmern Juwelen und Diamanten. Chinesisches Porzellan und Europäischen Uhren – kleine Accessoires im Luxusleben meines Freundes Murat. Eunuchen wedeln mit riesigen Fächern etwas frische Luft herbei, Bedienstete servieren uns Çay und Granatäpfel. Als wir uns in einem der Gemächer auf einen dicken, mit Goldfäden bestickten Diwan setzen, bleiben wir nicht lange allein. Etwa ein Dutzend wunderschöner Frauen gesellt sich augenblicklich zu uns. Noch ein Vorteil, Sultan zu sein, denke ich und als hätte Murat meine Gedanken gelesen, zwinkert er mir gleich mehrfach zu.
Bis zu 300 Konkubinen leben in Murats Harem. Sie kommen als allen Teilen des Osmanischen Reiches, sind Geschenke ausländischer Fürsten oder schlicht Handelsware. Im Harem erhalten die jungen Frauen eine umfassende Ausbildung, die vor allem darauf abzielt, ihre ohnehin schon außerordentliche Schönheit noch weiter anzureichern. Musik, Tanz, Lesen, Schreiben und höfische Etikette gehören ebenso zum Lehrstoff wie die Kunst des Make-Ups. Murat ist mit seinen Frauen offensichtlich sehr zufrieden.
Um unser Wohlbefinden noch zu steigern, reicht man uns zwei Opiumpfeifen. Mein Freund Murat ist als großer Raucher bekannt und schon bald hängen dichte Rauchschwaden über unseren Köpfen. Debil grinsend starre ich vor mich hin. Ich bin berauscht, ohne genau zu wissen ob es an den Haremsdamen oder der Droge liegt.
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Doch dann schwebt eine weitere Person in den Raum. Elegant, anmutig und von erhabenem Körperbau tritt eine junge Dame mit strengem Gesicht an uns heran. Die anderen Frauen, eben noch albern kichernd, fliehen eilig in den angrenzenden Park.
Murat zögert nicht lange und stellt mir seine Favoritin, seine Hauptfrau Safiye, vor. Hinter der Schönen versteckt sich ein kleiner Junge, vielleicht fünf Jahre alt, und blickt schüchtern zu uns herüber. Plötzlich strahlt Murat über das ganze Gesicht. „Mehmet, mein Sohn.“, ruft er freudig und Mehmet strahlt mit breitem Lächeln zurück. „Er wird einmal mein Nachfolger.“, erklärt mir Murat euphorisch, “Vorausgesetzt, er kann sich gegen seine 111 Geschwister durchsetzen. Aber daran haben ich eigentlich keinen Zweifel.“ Dann nimmt mich Murat beiseite und erklärt mir die traditionelle Amtsübernahme eines Sultans. Zunächst geht es recht gleichberechtigt zu. Eine Erbfolge gibt es nicht. Jeder Sohn des Sultans hat das Recht seinem Vater im Amt zu folgen. Was dann kommt ist allerdings ein Shootout. Da es nur einen Sultan geben kann, attackieren sich die Brüder gegenseitig. Auch Murat ließ einst seine fünf Brüder mit einer Bogensehne erdrosseln – Business as usual.
Mir fehlen die Worte und so schlürfe ich einfach an meinem Çay, bis eine weitere Frau ins Zimmer tritt. Sie ist nicht minder elegant als Safiye, allerdings bedeutend älter und mit noch strengerem Gesichtsausdruck ausgestattet. Als sie den Raum betritt, sinkt die Temperatur merklich. Plötzlich herrscht eine eisige Kälte. Murat nickt ehrerbietig den Kopf, doch Safiyes Blick wird kalt und hart. Die beiden Frauen taxieren sich einen Augenblick, dann verlässt die Ältere wortlos das Zimmer.
„Meine Mutter“, flüstert Murat. Und mit einer Kopfbewegung auf seine Frau deutend, fügt er hinzu: „Sie verstehen sich nicht besonders.“ Plötzlich wird mir klar, wer hier im Topkapi Palast das Sagen hat. Murat ist es jedenfalls nicht. Stattdessen herrscht ein erbitterter Kampf um Macht und Einfluss zwischen den beiden Frauen an seiner Seite.
Die Mutter des Sultans hat als Hüterin des Harems eine besondere Stellung im Palast inne. Ihr Einfluss ist weit größer als der aller Minister zusammen. Jede der vier möglichen Frauen des Sultans brennt darauf, irgendwann diese Position zu bekleiden. Daher buhlen sie schon lange vorher um mehr Macht und Mitbestimmung. Als letztes geht es dann darum, den eigenen Sohn in der Thronfolge nach vorne zu bringen. Dabei schrecken sie auch vor brutalen Mitteln nicht zurück. Elegante Bestien.
Murat und ich wandern weiter durch die labyrinthartigen Korridore des Harems und hinaus in den prachtvollen Garten. Ein kühler Wind streicht über mein Gesicht. Reflexartig schließe ich die Augen. Doch als ich sie wieder öffne, ist Murat verschwunden. Auch der Garten ist nicht mehr da. Stattdessen finde ich mich auf einer Bank vor der Blauen Moschee wieder. Touristenmassen strömen um mich herum. Sie sprechen Englisch, Russisch und Deutsch. Ein paar Spanier und Italiener sind auch zu hören. Die Sonne brennt heiß vom Himmel herab. Tüchtige Verkäufer bieten allerlei Unnötiges zum Verkauf an und da drüben, neben dem Springbrunnen, steht ein Typ mit Rauschebart und der traditionellen Kleidung des Sultans und zwinkert mir auffällig familiär zu.
Istanbul in vier Teilen
Teil 1: İstanbul’a hoş geldiniz
Teil 2: Der Topkapi Palast und der Harem des Herrschers
Teil 3: Frischer Fisch, Menschenmassen und Katzengejammer
Teil 4: Zwischen Çay und Heavy Metal
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Aus dem hohen Norden Deutschlands hinaus in die Welt: 2011 zieht es Morten und Rochssare für zwei Jahre per Anhalter und mit Couchsurfing auf den südamerikanischen Kontinent. Genauso geht es nun weiter. Jetzt jedoch in die andere Richtung. Seit 2014 trampen die beiden auf dem Landweg von Deutschland nach Indien und weiter nach Südostasien. Es gibt noch viel zu entdecken.
Von ihren Abenteuern und Begegnungen erzählen sie in ihren Büchern „Per Anhalter durch Südamerika“ und „Per Anhalter nach Indien“, jeweils erschienen in der National Geographic Reihe bei Malik.
Sehr schön !