Salvador, Brasilien, Titel
Capoeira, Candomblé und Caipirinha

Salvador, die afrikanische Seele Brasiliens


12. Juni 2021
Brasilien
Schreibe etwas

In Salvador rollt rhythmisches Trommeln über kopfsteingepflasterte Straßen. Es ist eine kraftvolle, pulsierende Melodie. Sie windet sich durch schmale Gassen, gleitet durch die Luft und dirigiert unsere Schritte.

Der verlockende Klang führt uns an knallig bunten Kolonialbauten vorbei und zu einer Menschentraube auf einem kleinen Platz. Sechs weiß gekleidete Musiker wirbeln auf ihren Percussions. Sie rufen, springen, lachen, tanzen mit ihren Trommeln. Hundertfaches Klicken von Dutzenden Spiegelreflexkameras spornt die Musiker noch weiter an. Sie posieren mit ihren Instrumenten über den Köpfen, tanzen wilder, spielen schnellere Rhythmen. Schaulustige verfallen in schwingende Bewegungen, lassen sich von der Musik anstecken. Der Trommelklang ist die Einstiegsdroge in eine Stadt, die im eigenen Rhythmus lebt.

Wir sind in Salvador da Bahia, einer Küstenstadt im Nordosten des Brasiliens. Vom türkis-blauen Wasser des Atlantiks umspült, herrscht hier ganzjährig Sommer. Salvador war die erste Hauptstadt des Landes und in der Vergangenheit ein florierendes Handelszentrum für afrikanische Sklaven. Bis heute ist die Stadt stark vom kolonialen Erbe geprägt und gilt als die afrikanische Seele Brasiliens. In Pelourinho, dem historischen Zentrum, reihen sich historische Gebäude aneinander. Der Stadtkern gleicht einem Tuschkasten. Grün, blau, rot und gelb strahlen die Häuser im Licht der Nachmittagssonne. Frauen mit über der Stirn verknoteten Kopftüchern und ausladenden, hellen Kleidern flanieren durch die Gassen. Sie sind begehrte Fotomotive und sich ihrer Rolle als Aushängeschilder der brasilianisch-afrikanischen Kultur wohl bewusst.

Salvador da Bahia, Brasilien
die Altstadt von Salvador

Restaurants, Klamottenläden, Folkloreshows: Alle werben mit der afrikanischen Identität. Daneben verkaufen Straßenkünstler Gemälde und Kunsthandwerk, deren Motive klischeehafte Vorstellungen widerspiegeln. Frauen mit großen Rundungen vor der Silhouette Salvadors sind darauf zu sehen. Sie balancieren tönerne Krüge auf ihren Köpfen oder tänzeln beschwingt hin und her. Salvador verkauft sein Image an Touristen, denn sie sind es, die der Stadt Geld bringen. Und obwohl in der Altstadt die Verkäufer, die Frauen in ihren Kostümen und die Kolonialbauten in farbenfrohem Glanz etwas unwirklich erscheinen, verführt uns dieses Ambiente zu leichtfüßigen Schritten.

Während unserer Spaziergänge durch Salvador begegnen wir immer wieder dem Schriftzug Olodum. Er prangt auf wehenden Flaggen, in Schaufenstern und auf den T-Shirts der Touristen. Olodum; überall und immer wieder. Es ist der Name der Musikgruppe, die uns mit ihren Trommelrhythmen auf dem kleinen Platz begeisterte. Gegründet als karnevalistische Combo, ist sie heute die bekannteste Band Salvadors. Sogar international steht sie im Fokus, seit sie gemeinsam mit Michael Jackson zum Titel They don´t care about us vor der Kamera stand. Heute ist nicht nur die Band berühmt, sondern auch der Balkon, auf dem sich Jackson singend, tanzend und vom Ventilator mit viel Gegenwind versehen präsentierte. Jeder, der das Minigefühl King of Pop erleben möchte, darf für einen kleinen Obolus den Balkon betreten und mit schwarzem Hut und Hand im Schritt den Hauch einer Weltkarriere spüren.

Olodum, Musikgruppe
Die Musiker der Combo Olodum gehören zu den wichtigsten Gruppe in Salvador
koloniale Gebäude in Salvador
traditionelles Kostüm in Salvador

Capoeira, der verbotene Kampf

Ein paar Straßen weiter, ein anderer Platz. Zwei Männer mit freiem Oberkörper stehen sich leicht nach vorn gebeugt gegenüber. Der eine glatzköpfig und in die Jahre gekommen. Der andere jung und muskulös. Beide lassen einander nicht aus den Augen. Die Männer bewegen sich im Wiegeschritt zum Rhythmus, den drei Musiker mit Trommeln und dem Berimbau, einem traditionellen Musikbogen, vorgeben. Dann ein Fußtritt in Richtung des Kahlkopfes, Ausweichbewegung, Gegenangriff. Die Männer schlagen Rad und Salto, drehen sich um die eigene Achse, tauchen unter den Attacken des Gegenübers hindurch und starten eigene Angriffe. Immer wieder: Angriff, Fußtritt, Ausweichbewegung. Immer im beständigen Wiegeschritt zur Musik. Halb Tanz, halb Kampfsport und Akrobatik. Wir sehen die Capoeira, ein afro-brasilianisches, identitätsstiftendes Kulturgut.

Capoeira lehrt Toleranz, Respekt, Körperbeherrschung. Entstanden während der Sklaverei sind in den Bewegungen bis in die Gegenwart Spuren der dunklen Vergangenheit zu finden. So wird ausschließlich mit nur einem Bein angegriffen, denn das andere Bein steckte damals in einer Fußkette. War zu Beginn des 20. Jahrhunderts Capoeira noch als Gaunertum verpönt und unter Strafe verboten, so ist sie heute allgegenwärtig. Überall in der Stadt sehen wir Capoeiristas, die gern Passanten in ihr Spiel einbauen und spontanen Capoeira-Unterricht geben.

Diese artistische Ausdrucksform ist nicht das einzige Überbleibsel aus der Zeit der Sklaverei, die in Brasilien erst 1888 offiziell abgeschafft wurde. Auch die Candomblé, eine afro-brasilianische Religion, hat bis heute überlebt und gewinnt immer mehr Anhänger. In Gruppenritualen werden verschiedene Götter gehuldigt und jeder Gläubige lässt sich vom Zeremonienmeister einen persönlichen Schutzgott weissagen. Regelmäßig sollen sich die Götter der Candomblé in den Zeremonien zeigen. Sie fahren in die Körper der Gläubigen, benutzen sie als Medium, um sich der irdischen Welt zu offenbaren. Von derartigen Erzählungen neugierig geworden, wollen wir eine Candomblé-Zeremonie besuchen. Es dauert ein paar Tage, aber dann werden wir in einem der Außenbezirke Salvadors fündig.

Capoeira in Salvador
In Salvador ist die Capoeira ein gelebtes Erbe der kolonialen Vergangenheit
Streetart in Salvador, Brasilien
Altstadt in Salvador, Brasilien

Die Götter, die ich rief – Candomblé

Wir befinden uns irgendwo in einem unscheinbaren Viertel in einem unscheinbaren Haus. Ein großer Raum liegt vor uns, in dessen Mitte die Zeremonie in wenigen Augenblicken beginnt. Es sind bereits einige Anhänger:innen der Candomblé anwesend. Streng nach Geschlechtern getrennt sitzen sie auf Plastikstühlen am Rand. Helle Kleidung ist hier Pflicht, schwarze dagegen ein Tabu. Im hinteren Bereich stehen Musiker mit ihren Percussions und davor fünf thronähnliche Sessel. Sie sind für die Zeremonienmeister bestimmt. Einer von ihnen ist reichlich beleibt, trägt ein langes, bunt gefärbtes Kleid und eine ebenso farbenfrohe Kopfbedeckung. Daneben sitzt eine alte Dame, klein und hager, mit weißen, krausen Haaren und einer riesigen Brille auf der Nase. Sie trägt Unmengen Ketten um den Hals und entspricht ungewöhnlich stark meiner Vorstellung einer Voodoopriesterin. Augenscheinlich bekleidet sie eine hohe Position, denn alle Anwesenden begrüßen sie respekt- und ehrfurchtsvoll mit gesengtem Kopf und einem Kniefall.

Die Zeremonienmeister sind nicht nur religiöse, sondern auch weltliche Führer der Candomblé-Gemeinde. Sie schlichten Streit, geben Rat und entscheiden über das Wohl ihrer Schutzbefohlenen. Die Zeremonie beginnt mit einem Kreistanz der weiß gekleideten Priesterinnen. Trommelrhythmen geben den Takt vor, der von den Priesterinnen mit Rasseln und Fußstampfen aufgenommen wird. Der Dicke in der bunten Kleidung singt ein paar Worte, die von den Tänzerinnen und den Gläubigen wiederholt werden. 

Candomble-Zeremonie, Salvador, Brasilien

So geht es mehr als eine Stunde lang: Begleitet von rhythmisch-monotonen Klängen und rituellen Gesängen tanzen die Priesterinnen etliche hundert Male entlang des kleinen Kreises in der Mitte des Raumes. Wie Mantras wiederholen sich Worte und Bewegungen. Plötzlich brechen zwei Priesterinnen aus und bewegen sich entgegengesetzte Richtung im Inneren des Kreises. Mit gebückter Haltung und ausgestreckten Handflächen scheinen sie in Trance verfallen zu sein. Sie werfen sich der Länge nach auf den Boden, nur um gleich darauf wieder aufzuspringen und ihren Tanz fortzusetzen.

Etwas Merkwürdiges geht vor. Weitere Priesterinnen treten mit flimmernden Augenlidern in den Kreis. Die Übrigen bleiben stehen und nun tanzen nur noch die Priesterinnen in der Mitte des Kreises. Sie stampfen mit den Füßen und rotieren mit angelegten Armen um die eigene Achse. Plötzlich verdreht auch ein junger Mann aus dem Publikum die Augen, Muskelzuckungen durchziehen seinen Körper. In scheinbarer Trance kippt er nach vorn. Zwei Priesterinnen fangen ihn auf, leeren seine Taschen, ziehen ihm Schuhe und Socken aus. Dann wickeln sie dem jungen Mann ein weißes Tuch um die Brust und schon tanzt er mit den anderen Priesterinnen im Kreis. Seine Bewegungen wirken ganz ähnlich und ab und an stößt er einen wilden Schrei aus. 

Ähnliches geschieht mit anderen Teilnehmern. Schon bald bewegen sich fünf Gläubige, alles junge Männer, mit geschlossenen Augen und immer wieder verkrampfenden Körpern zwischen den Priesterinnen hin und her. Zwei Stunden betrachten wir das Geschehen, bis der Vorsänger die in Trance Verfallenen aus dem Raum führt. Es ist Spektakelpause. Zeit fürs Abendessen. Jedem Anwesenden wird mit einem großen Löffel ein zäher, kaum zu identifizierender Brei in die hohle Hand gekippt. Die Konsistenz ist faserig, klebrig und wir glauben Kohl, Linsen und Sesam zu erschmecken. Danach beginnt der Tanz der Priesterinnen von Neuem. Immer und immer wieder bewegen sie sich im Kreis; oft die ganze Nacht bis in die Morgenstunden.

Candomble-Zeremonie, Salvador, Brasilien

Salvador und die brasilianischen Strände

Über die schmalen, gepflasterten Gassen Pelourinhos erreichen wir den Elevador Lacerda. Der frei stehende Fahrstuhl ist das Wahrzeichen Salvadors und verbindet seit 1873 die Ober- mit der Unterstadt. Während sich oben der historische Kern befindet, die Museen, Shows und Restaurants, ist unten in Wassernähe Salvadors Wirtschaft beheimatet. Banken und Bürogebäude prägen die Straßen. Der Hafen liegt gleich daneben. In einer piekfeinen Marina liegen Luxusjachten an den Kais.

Die Stadtstrände Salvadors liegen eingebettet in mehreren kleinen Buchten unterhalb der Brandungsmauer. Ihr feiner Sandstrand ist von Hunderten bunten Sonnenschirmen verdeckt. Darunter sitzen Brasilianer auf Plastikstühlen und trinken literweise Bier. Ab und an läuft ein Verkäufer mit Käsespießen oder Kühlboxen voller Getränke durch die Reihen. Nur mit viel Geduld finden wir noch einen Platz für unser Handtuch und sind im weiten Umkreis die Einzigen, die sich nicht im Schatten eines Schirmes verstecken. In Brasilien, so wirkt es, mögen die Menschen keine Sonne, sind dafür aber ausgesprochen gesellig. 

Elevador Lacerda, Wahrzeichen Salvadors
der Elevador Lacerda verbindet die Ober- mit der Unterstadt und ist das Wahrzeichen Salvadors
Praia do porto, Stadtstrand in Salvador, Atlantikküste

Etwas mehr Platz bieten die Strände der nahe gelegenen Insel Itaparica. Unter strahlend blauem Himmel plätschert angenehm warmes, klares Wasser ans Ufer. Wir schlürfen Caipirinha. Es sind paradiesische Bilder, die für Wochen durch unsere Köpfe wandern. Brasilien ist ein Land, gesegnet mit Tausenden Kilometern perfekter weißer Sandstrände. Sie erstrecken sich beinahe über die gesamte Ostküste des Landes. Von wild und idyllisch bis gnadenlos überfüllt ist alles dabei.

Wir schließen besonders die Strände rund um den Fischerort Itacaré ins Herz. Etwa 250 Kilometer südlich von Salvador befinden sich unzählige kleine einsame Buchten. Viele davon sind nur zu Fuß durch wuchernden atlantischen Regenwald zu erreichen. Wer will, kann hier umgeben von Hunderten Palmen in seichtem türkis-blauen Wasser den ganzen Tag für sich verbringen. Und wenn baden und sonnetanken nicht ausreichen, wird der eigene kleine Sandabschnitt zum Fußballfeld. Am Strand von Itacarezinho bin ich auch dabei. Kleinfeld unter Palmen. Brasilianischer Ballzauber gegen meinen Mut der Verzweiflung. Natürlich werde ich ausgetanzt. Aber auch mir gelingt ein Triumph: Hackentor vorbei am Gegenspieler.

Wenn dir dieser Artikel gefallen hat und du gerne mit uns auf Reisen gehst, dann unterstütze uns doch mit einem kleinen Trinkgeld. Spendiere uns ein Käffchen, Schokoladenkuchen oder ein anständiges Rambazamba – alles ist möglich.

Strand in Brasilien
einsame Bucht an der Atlantikküste
junger Mann an der Küste
Palmen und Strand
Fußball am Strand
Spaziergang durch atlantischen Regenwald

Und jetzt du!

Um uns vor Spam zu schützen, bitten wir dich die markierten Felder auszufüllen. Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.