Parvati Tal, Himachal Pradesh, Indien, Titel
Die Crème de la Crème der indischen Marihuanabauern

Kasol, Malana und das Parvati Tal


6. August 2020
Indien
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Gigantische Berggipfel umgeben das Parvati Tal im Herzen des indischen Bundesstaates Himachal Pradesh. Alte Kiefernwälder wachsen entlang aufragender Felsen, die sich aus der nordindischen Tiefebene erheben und schließlich die majestätische Gebirgskette des Himalajas formen. Gletscher bedecken die über sechstausend Meter hohen Bergkämme, die das Parvati Tal von den Tälern Spiti und Kinnaur trennt. Himachal Pradesh ist eine Bergregion und hier sind wir mitten drin in einer abgelegenen Welt, in der sich malerische Dörfer an die Hänge schmiegen.

Der gleichnamige Fluss windet sich gurgelnd und schäumend durch die schmale Schlucht, die sich im aufsteigenden Morgennebel in ein schaurig schönes Kleid hüllt. Sadhus, Indiens Bettelmönche, meditieren an heißen Quellen. Wanderer genießen eindrucksvolle Routen durch die Berge, doch für viele Besucher ist das Parvati Tal vor allem eines: Indiens Kifferparadies.

Überall im Tal wächst Marihuana. Egal ob in Tosh, Nagaru oder Grahan, jedes Dorf hat eigene Plantagen. Hier ernten die einheimischen Bauern Blüten und Blätter und reiben sie in stundenlanger Handarbeit zum weltbesten Haschisch, das sich in seinem feinen, aromatischen Geschmack und der farblichen Schattierung von Dorf zu Dorf unterscheidet.

In jahrhundertealter Tradition leben die Menschen von und mit dem Cannabis, was sich im spirituellen Indien schnell herumgesprochen hat. Rucksackreisende aus aller Herren Länder ziehen ins Parvati Tal, um hier einem Rausch von höchster Güte nachzuhängen.

Parvati Fluss, Himachal Pradesh, Indien
die Parvati windet sich rauschend durch das gleichnamige Tal
Morgennebel im Parvatital, Himachal Pradesh, Indien
langsam kriecht der Morgennebel durch das kiefernbestandene Tal
Morgennebel im Parvatital, Himachal Pradesh, Indien

Kasol – Klein Israel

Die Siedlung Kasol ist das Herz des Parvati Tals. Am Ufer des grauen, rauschenden Stroms stehen sich bunt gestrichene, klobige Betonbauten mit mehreren Stockwerken gegenüber. In der zauberhaften Umgebung wirkt Kasol wie eine nie fertiggestellte Baustelle. Staubige Gassen, unverputzte Häuser, rostendes Wellblech: Kasol ist keine Schönheit und dennoch eine Legende. Wer im Norden Indiens unterwegs ist, kommt nicht an diesem Namen vorbei. „Hier ist es, wo die Magie passiert“, schwärmen die einen. „Ein völlig heruntergekommener Ort voller kiffender Möchtegern-Hippies“, sagen die anderen. Beide haben recht.

Charas – so wird Haschisch in Indien genannt – ist in Kasol allgegenwärtig. Sein würzig duftender Rauch dringt aus Teestuben auf die Straße, verteilt sich in Restaurants, wabert über die Balkone und Terrassen der rustikalen Gasthäuser. An einer Ecke warnen fett gedruckte Buchstaben auf einem Schild: „DRUGS KILLS“, mit freundlichen Grüßen der örtlichen Polizei. Kasol übt vor allem auf junge Israelis, die nach ihrem Militärdienst die Welt erkunden, eine enorme Faszination aus. Sie kommen so zahlreich, dass Cafés und Restaurants Menükarten auf Hebräisch aushängen. Hier gibt es ein größeres Angebot für Falafel als für tibetische Momos und Thukpa. Die Einheimischen nennen Kasol deshalb auch „Klein Israel“.

Seit zwei Tagen sind wir in Kasol. Es ist Anfang Dezember und eisige Luft liegt in den Bergen. Hier scheint das ganz Jahr über die Sonne und doch wird es im Winter bitterkalt. Darauf sind wir nicht eingestellt. Gerade kommen wir aus Tamil Nadu, im tropischen Süden Indiens, wo wir in T-Shirts und Flip Flops gelebt haben. Kasol zwingt uns in alle unsere Kleider und so sitzen wir im Zwiebellook in einem Café und frieren vor uns hin. Unsere Hände umklammern dampfende Teegläser, Zigarettenrauch steigt zur Decke auf.

Kasol, Himachal Pradesh, Indien
Kasol am Hang im Parvati Tal
Kasol, Himachal Pradesh, Indien
Kasol, Himachal Pradesh, Indien
im idyllischen Parvati Tal ist Kasol ein eher unansehnliches Dorf

Wir reisen mit Aseem, einem jungen Architekten, der auf verblüffende Weise aussieht wie die 2015er Version von Samy Deluxe. Mit dem deutschen Rapper teilt er auch die Vorliebe für Cannabis. Aseem ist ein Autodidakt und Profi, wenn es um indisches Haschisch geht. Und er hat Prinzipien. Es ist besser nicht zu rauchen, als das schlechte Zeug zu rauchen, von dem es auch in Indien mehr als genug gibt.

Eine Handvoll Rastazöpfe wippen durch die Gassen. Die Saison ist schon lange vorbei und Kasol befindet sich in einer schläfrigen Eintönigkeit. Die wenigen Besucher im Ort harren mit Wollmützen und um die Schultern geworfenen Tüchern in der Kälte aus. Ihre Wertsachen – Blättchen, Tips und Charas – tragen sie in Leinentaschen mit sich herum.

Uns gegenüber im Café sitzt ein alter Mann. Nur noch wenige, gelbliche Zähnen blinken aus seinem Mund. Weiße, strohige Haare ragen unter einer bestickten Kappe hervor. Über der geöffneten Daunenjacke liegt ein grobes, kariertes Tuch, das Hals und Schultern bedeckt. In der rechten Hand hält er ein Schillum, eine trichterförmige Tonpfeife, die in Indien seit Jahrhunderten zum Haschischrauchen verwendet wird.

Wir sehen ihn nicht zum ersten Mal. Schon gestern war der Alte da. Gleicher Platz, gleiche Kleidung, gleiches Schillum. Für die Einheimischen im Parvati Tal ist der Haschischgenuss Teil des Alltags. Männer und Frauen rauchen gleichermaßen und vor allem die Älteren scheinen diese Tradition zu zelebrieren.

Kasol, Himachal Pradesh, Indien
Kasol, Himachal Pradesh, Indien
Kasol in den Bergen
Kasol, Himachal Pradesh, Indien
in einfachen Restaurants und Teestuben wärmen wir uns an heißem Chai

Cannabis gehört seit über zweitausend Jahren zum Kulturgut auf dem indischen Subkontinent. Vor allem hier im Himalaja ist die Pflanze ein wertvoller Rohstoff. Aus ihren Fasern werden Kleider und Seile hergestellt, ihre Samen gegessen, die Blüten geraucht. Cannabis ist zugleich Medizin und religiöses Heilmittel. Selbst Shiva, der Gott aller Götter, ist stets mit einem Beutelchen Charas unterwegs.

Im Hier und Jetzt ist der Cannabiskonsum auch in Indien per Gesetz verboten, doch die Traditionen und Bräuche in den Tälern des Himalajas bleiben bestehen. Marihuana gehört zur Identität.

Der Alte starrt mit dem Schillum in der Hand in den Raum. Aseem spricht ihn an: „Namaste, uncle-ji. Sag mal, weißt du, wo wir was zu rauchen herbekommen?“ Der Alte schweigt. Wir sind uns nicht sicher, ob er die Ansprache mitbekommen hat. Doch dann dreht er leicht den Kopf: „Was willst du?“ Seine Stimme ist kaum hörbar, kratzig. „Das Beste!“ „Dann geh nach Malana“, erwidert der Alte und deutet hinauf in die Berge.

Wenn Kasol die Legende ist, dann ist Malana der Mythos. Das winzige Dorf, abgelegen in einem Seitental und nur zu Fuß zu erreichen, ist für sein handgeriebenes Haschisch weltberühmt. Das weiche, elastische Malana Cream gehört in den Coffeeshops von Amsterdam zu den teuersten Haschischsorten – das Beste vom Beste, die Crème de la Crème, ein Gramm für etwa zwanzig Euro. Im Parvati Tal wird nicht in diesen Kleinstmengen gerechnet. Indiens Dealer nutzen die historische Maßeinheit Tola. Etwas mehr als elf Gramm Malana Cream kosten hier knapp fünfzehn Euro – eine enorme Summe in Indien und ein Schnäppchen für den kiffenden Besucherzirkus, der hier jedes Jahr Einzug hält.

Kasol, Himachal Pradesh, Indien
Parvati Tal, Himachal Pradesh, Indien
Parvati Tal, Himachal Pradesh, Indien
malerisches Parvati Tal

Geschichten aus Malana

Fünf Stunden sind es von Kasol nach Malana. Fünf Stunden zu Fuß über die Berge, acht Kilometer Luftlinie, eintausend Meter Höhenunterschied. Ich habe gar keine Lust. Doch Aseems Augen leuchten. Er kennt Malana. „Ist das Zeug wirklich so gut?“, will ich wissen. „Ich meine, ernsthaft, wenn es nur ein bisschen besser ist, lohnt sich der Weg überhaupt?“ „Es ist das Beste, was ich je in meine Lunge gesogen habe, und das war schon eine verfluchte Menge!“, grinst Aseem und sieht dabei noch ein bisschen mehr aus wie die Wickeda MC.

Wir bestellen eine neue Runde Chai. Draußen fallen Sonnenstrahlen bis auf das unruhige Wasser des Flusses, doch hier im dunklen Café ist es noch immer kalt. Malana, so erzählt Aseem, liegt an einem Steilhang, umgeben von Dutzenden Marihuanaplantagen. Traditionell stellen die Bewohner Körbe, Seile oder Schuhe aus den Fasern der langstieligen Pflanze her, nutzen ihr Öl und rauchen natürlich Charas. Dann, es muss so in den 1980ern gewesen sein, kommen die ersten Touristen nach Malana, ergötzen sich am Haschisch und eröffnen den Bewohnern Malanas mit dem Drogenhandel ein neues Einkommensfeld. Malana Cream wird zu einer internationalen Marke.

Das Malana heute nicht von Hippies und Kiffern überrannt wird, liegt an zwei Dingen. Das Dorf befindet sich noch immer weit abgeschieden in den Bergen. Es führt keine befahrbare Straße nach Malana. Wer die Siedlung erreichen will, muss zu Fuß mindestens fünf Kilometer über steile Pfade entlang der Hänge laufen.

Auch die Menschen in Malana sind eigen. „Sie glauben, dass sie Nachfahren der Armee Alexanders des Großen sind. Kannst du dir das vorstellen?“, fragt Aseem. „Nee, eigentlich kann ich das nicht. Waren die denn hier?“ Ja, waren sie, zumindest in der Nähe. Im vierten Jahrhundert vor Christus besiegt das makedonische Heer im Punjab den indischen König Porus. Der Legende nach lassen sich ein paar verwundete Soldaten auf der Heimreise im Parvati Tal nieder. Sie sind die Urahnen Malanas, auf die sich die Dorfgemeinschaft beruft.

Parvati Tal, Himachal Pradesh, Indien
Parvati Tal, Himachal Pradesh, Indien
Parvati Tal, Himachal Pradesh, Indien

Die Menschen in Malana sehen sich bis heute nicht als Inder, sondern als Arier. Sie halten sich für besonders, weshalb sie Abstand zu allen anderen einfordern, die nicht aus ihrem Dorf kommen. “Die sind wirklich streng, wenn es um Berührungen geht.”, lässt uns Aseem wissen. „Für alles, was du berührst, musst die Strafe zahlen, selbst wenn du ihre Häuser anfasst. Und denk gar nicht daran in die Nähe ihres Tempels zu gehen, Mann, das wird teuer.“

In der Erntesaison schleppen die Bewohner Malanas nicht nur Kartoffeln und Mais, sondern auch schwere Marihuanabündel von den Plantagen in ihr Dorf. Jeder Haushalt ist mit der Produktion von Haschisch beschäftigt. Frauen und Männer jeden Alters sitzen auf Balkonen und vor Hauseingängen und reiben die Blüten der Pflanze, bis daraus eine weiche, ölige, beinahe schwarze und süßlich riechende Masse wird.

In den letzten Jahren brachte ein stetig wachsender Strom an Haschischtouristen immer mehr Aufmerksamkeit ins Parvati Tal und auch nach Malana. Dort greift die Polizei nun zu härteren Maßnahmen. Plantagen werden aufgespürt und konfisziert. Doch Cannabis wuchert hier an den Hängen in seinem natürlichen Umfeld überall empor. Es zu verbannen ist unmöglich.

Packliste

Packliste

Unsere Ausrüstung muss einiges aushalten. Seit über 7,5 Jahren sind wir dauerhaft unterwegs und strapazieren unser Hab und Gut im täglichen Einsatz. Einiges hat bei uns nur kurze Zeit überlebt, doch anderes bewährt sich mittlerweile seit Jahren und wir sind von der Qualität überzeugt. Unsere Empfehlungen könnt ihr hier nachlesen.

Mittlerweile haben wir das Café verlassen und schlendern durch Kasols nahe Umgebung. Gemeinsam stapfen wir über steinige Pfade entlang der Hänge. Die umliegenden Gipfel ragen steil und starr über dem schmalen Tal empor. Kiefern wachsen in loser Ordnung. Trotz Momos, Chai und Zigarette fühle ich mich matt, kraftlos. Die Kälte macht mir zu schaffen.

Am Flussufer lassen wir uns nieder. „Wie oft warst du schon in Malana?“, frage ich Aseem. „Zwei Mal.“ „Und, willst du noch mal hin?“ „Ehrlich gesagt, ist der Weg schon ziemlich weit. Und anstrengend.“ – Ich habe das Gefühl, er sagt es mir zuliebe. – „Außerdem bekommen wir hier auch ein bisschen Malana Cream. Ich verspreche es.“

Zurück in Kasol spaziert Aseem allein durch die Gassen. „Ich bin bald wieder bei euch.“, verabschiedet er sich und verschwindet hinter der nächsten Ecke. Tatsächlich treffen wir uns schon nach einer Stunde wieder. „Kommt mit, wir haben eine Verabredung.“, drängelt er.

Kasol, Himachal Pradesh, Indien
Parvati Tal, Himachal Pradesh, Indien
Parvati Tal, Himachal Pradesh, Indien

Malana Cream

Eine Viertelstunde später sitzen wir auf der Dachterrasse eines Restaurants einem jungen Mann gegenüber, der sich als Rishi vorstellt. Eine lange Narbe über dem Gesicht verleiht ihm die Visage eines Kriminellen, doch sein Ton ist freundlich, lässig.

Rishi ist Marihuanabauer aus Malana. Ab und an kommt er hinab ins Tal, besucht Freunde in Kasol, regelt Geschäftliches. Er reicht uns ein Zipper Bag. Darin, luftdicht verpackt, ist dunkles Haschisch, so breit wie ein halber Handteller. Malana Cream, ölig, dunkel, biegsam wie Kaugummi, aromatisch, potent.

Rishi zieht an einem Schillum. Aseem prüft das Haschisch, löst ein Stück und bereitet einen Joint vor. „Habt ihr in Malana viel Stress mit der Polizei?“, wollen wir wissen. Rishi lächelt. Dann erzählt er von seiner Cannabisplantage, die versteckt an den Hängen, irgendwo oberhalb Malanas gedeiht. Und er erzählt von einem zweiten, sehr viel kleineren Feld ganz in der Nähe des Dorfes. „Jedes Jahr“, so sagt er, „kommen Polizisten, beschlagnahmen das Charas vom kleinen Feld und verkaufen es weiter.“ Aber bis zur eigentlichen Plantage seien sie noch nie vorgedrungen. Ihnen reicht ein kleiner Zusatzverdienst mit dem, was sie in der Nähe Malanas konfiszieren. Solange die Beamten auf ihre Kosten kommen, ist ihnen die Durchsetzung des Cannabisverbots recht gleichgültig.

Süßlicher Rauch steigt auf. Aseem bewundert seinen Joint, bläst eine dichte Rauchwolke in die beginnende Dämmerung. Das beste Haschisch der Welt. Malana Cream – ein Kraut für die Götter.

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Parvati Tal, Himachal Pradesh, Indien
Bauernhütte am Hang
Morgennebel im Parvati Tal, Himachal Pradesh, Indien

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