Mitten in der staubigen, hektischen Altstadt Amritsars erhebt sich der elegante Harmandir Sahib. Ein weiter Platz breitet sich vor ihm aus. Aus den schmalen Gassen kommend, bietet er Raum zum Atmen und lenkt die Aufmerksamkeit auf das palastähnliche Gebäude. Menschen strömen ein und aus. Sie tragen Turbane, Schals, Kopftücher. Männer mit langen Bärten und ernsten Blicken betreten das weiße Gemäuer. In seinem Inneren befindet sich das höchste Heiligtum der Sikhs, das in der Welt als der Goldene Tempel bekannt ist.
Amritsar, 1577 vom Guru Ram Das gegründet, ist sowohl politisches, religiöses als auch geografisches Zentrum des Sikhismus. Etwa die Hälfte der Stadtbewohner gehört der Religionsgemeinschaft an, die weltweit rund dreißig Millionen Mitglieder zählt. Für sie ist der Goldene Tempel so wichtig wie Mekka für Moslems oder der Vatikan für Katholiken.
Je näher wir dem Harmandir Sahib kommen, desto greifbarer wird die besondere Aura, die hier herrscht. Plötzlich begegnen sich die Menschen mit einer Extraportion Respekt. Das Drängeln und Schubsen, die Rufe, das Hupen, selbst der penetrante Geruch bleibt in den umliegenden Altstadtgassen zurück. Niemand raucht, nicht einmal der starke Duft der handgedrehten Bidis liegt in der Luft. In den nahen Restaurants wird ausschließlich vegetarische Küche angeboten. Das gilt auch für Pizza Hut und Subway. Alkohol ist in einem weiten Radius um den Tempel herum verboten.
Wer vor das weiße Gebäude tritt, hat ein erwartungsvolles Leuchten in den Augen. Darin spiegeln sich Vorfreude und Ehrfurcht. Der Gurdwara, so nennen die Sikhs ihre Tempel, darf nur barfuß und mit bedecktem Kopf betreten werden. In einer mit Wasser gefüllten Mulde werden die vom indischen Leben eingestaubten Füße gesäubert. Hinter dem Eingang öffnet sich ein riesiger Innenhof. Dort führt ein breiter, marmorner Rundgang um ein ausladendes Wasserbecken. Karpfen tummeln sich darin. Plötzlich ist es ganz ruhig. Die Hektik, der Lärm und Schmutz der Stadt bleiben vor den Mauern zurück. Über dem Harmandir Sahib liegt eine friedliche Atmosphäre die ganz im Gegensatz zum rücksichtslos intensiven indischen Alltag steht.
Tempelwächter und Selfies
Tempelwächter flankieren die Eingänge, die den Harmandir Sahib zu allen Himmelsrichtungen öffnen. Sie gehören zur Sikh-Bruderschaft der Khalsa, die im Tempel beheimatet ist. Ihre selbstsicheren Blicke schweifen über die Anlage. Geschmückt mit blauen Turbanen, orangenen Kleidern und bewaffnet mit einem Speer wirken sie wie stolze Krieger einer vergangenen Zeit. Ab und an patrouillieren sie um das Wasserbecken. Ein leichter Windstoß lässt ihre langen Kleider wallen. Ein Dolch, der Kirpan, hängt um ihre Schultern. Er ist eines der wichtigsten Symbole der Sikhs. Mit ihm verteidigen sie die Armen und Schwachen.
Die Besucher des Harmandir Sahib verteilen sich um das Wasserbecken. Jeder ist im Gurdwara willkommen; ganz unabhängig von Religion, Herkunft oder sozialem Stand. Schon am frühen Morgen sind Hunderte gekommen: nicht nur Sikhs, sondern auch Hindus und Moslems. Ausländische Gäste sind ebenfalls gern gesehen.
Als offensichtlich Fremde, werden wir schon bald von einer Gruppe junger indischer Männer angesprochen. „Snap“, „Snap shot“, „You, snap shot“ – Unsere Gegenüber sind Sprachpuristen. Sie halten sich nicht mit höflichen Formulierungen auf. Innerhalb weniger Sekunden sind wir umringt von Pilotensonnenbrillen und bunten Hemden. Handykameras sind auf uns gerichtet und Dutzende Selfies verschwinden in internen Speichern. Das wirkt befremdlich, fordernd. Doch dann schieben die jungen Männer ein breites, über und über strahlendes Lächeln hinterher, dem wir nichts entgegensetzen können.
Es bleiben nicht die einzigen Fotos. Eltern drücken uns Babys in die Arme, stellen ihre oft widerwilligen Kleinkinder in unsere Mitte, holen Freunde und Bekannte dazu, damit auch sie Bilder mit uns knipsen können. Ob wir zustimmen oder nicht, ist dabei oft egal. So exotisch Indien auf uns wirkt, so exotisch wirken wir auf die Inder. Natürlich. Reisen ist keine Einbahnstraße.
So viel unaufgeforderte Aufmerksamkeit sind wir allerdings nicht gewohnt. In Indien herrschen andere Verhaltensregeln und das Konzept der Privatsphäre ist im überbevölkerten Land schon lange überholt. Und doch: Ein Lächeln ist immer dabei und auch das typisch indische Kopfwackeln, das wir noch nicht richtig deuten können, gehört dazu. Indiens Ellenbogengesellschaft wird vom Herz bestimmt. Ohne es zu begreifen, ist das die erste Lektion, die uns das Land nahe bringt.
Wir spazieren auf Gummiläufern um das große Wasserbecken. Sie schützen die nackten Fußsohlen vor dem vom Sonnenlicht aufgeheizten Marmor. Während der Mittagsstunden ist es ausgesprochen heiß. Lächelnde Menschen sitzen in den schattenspendenden Arkaden um das Wasserbecken. Mit ihren leuchtenden Saris, bunten Turbanen und Hemden setzen sie Farbkleckse in das monotone Weiß der Tempelanlage. Jemand zeichnet mit Pinsel und Farbe feine Linien auf getünchte Wände. Sie verbinden sich zu Schriftzeichen, die ich nicht verstehe und dennoch erfreue ich mich an ihren leichten geschwungenen Formen. Es gibt nicht viel zu tun außer die Reflexion des Goldenen Tempels, der sich aus der Mitte des Wasserbeckens erhebt, mit seinem glänzenden Original zu vergleichen. Beide sind wunderschön, über und über mit Blattgold verziert.
Das Granth Sahib im Goldenen Tempel
Eine nie endende Menschenschlange wartet auf der schmalen Brücke zum Goldenen Tempel, um einen Blick auf das kostbare Innere, das heilige Buch Granth Sahib zu erhaschen. In ihm sind die Schriften der ersten Gurus und die wichtigsten Glaubenssätze des Sikhismus niedergeschrieben. Das Buch zitiert auch aus anderen Religionen und ist offen für die Erkenntnisse der Welt. Für die in ihm enthaltene Weisheit wird das Granth Sahib seit 1708 als Guru verehrt und gilt der Sikhgemeinde als gesellschaftlicher und moralischer Kompass.
Im Inneren des Goldenen Tempels werden pausenlos Verse und Hymnen aus dem Buch vorgetragen und von Musikern mit leichten Melodien untermalt. Über Lautsprecher gelangt die Musik, die Gurbani Kirtan, von den frühen Morgenstunden bis spät in die Nacht hinaus in die Außenbereiche. Wohlwollende, warme Rhythmen wiegen durch die Luft. Es sind die Ragas der klassischen indischen Musik, die der ohnehin friedlichen Stimmung noch mehr Ruhe verleihen. Im Klang der Musik gehen die Stunden dahin, verlieren sich unbemerkt wie sanfte Wolken am Himmel.
Harmandir Sahib – alles für das Seelenheil
Immer wieder werden wir von Mitgliedern der Sikhgemeinde angesprochen, die uns das Tempelareal zeigen wollen. Sie alle suchen das Gespräch. Mister Singh, ein untersetzter Mann mit grauem Bart ist der Erste, der uns über die Anlage führt. Aufmerksam erklärt er uns die wechselhafte Geschichte des Harmandir Sahib, erzählt vom Frieden innerhalb der Mauern aber auch vom Angriff des indischen Militärs unter Ministerpräsidentin Indira Gandhi 1984, ihrer anschließenden Ermordung und den daraufhin folgenden Pogromen gegen die Sikhs. Mister Singh lächelt gutmütig. Uns schwirrt der Kopf. Für die Geschehnisse um Gewalt, Separatismus und unnachgiebige Politiker reicht eine Runde durch die Tempelanlage nicht aus.
Täglich marschieren freiwillige Putztruppen um das Wasserbecken. Die Helfer fegen und wischen den Boden so gründlich, dass wir davon essen könnten. Es ist ein ungewöhnlicher Kontrast zu den verdreckten Gassen nur ein paar Meter hinter den hohen Mauern des Tempels. Für die Sikhs ist es eine religiöse Pflicht, im Harmandir Sahib zu helfen. Kaum jemand ist hier angestellt, denn an Freiwilligen hat es noch nie gemangelt. Mit großer Freude machen sich die Helfer ans Werk und belohnen sich mit Karma, Glück, Zufriedenheit.
Auch Gastfreundschaft ist den Sikhs eine Selbstverständlichkeit, die sie sich seit der Religionsgründung durch Guru Nanak Dev im 15. Jahrhundert trotz aller Widerstände erhalten haben. Als neue Religion steht ihnen der Mogulkaiser Akbar, der zu jener Zeit auch über den Punjab herrscht, friedlich gegenüber. Der Sikhismus wächst, entwickelt sich im Punjab zu einer religiösen und politischen Macht die bestehende Traditionen kritisch hinterfragt. Okkultismus, Aberglaube, Askese, Kastensystem, selbst das Priesterwesen lehnen die Sikhs ab. Stattdessen stellen sie Mann und Frau gesellschaftlich gleich und protestieren damit gegen den religiösen Standard der Zeit.
Packliste
Unsere Ausrüstung muss einiges aushalten. Seit über 7,5 Jahren sind wir dauerhaft unterwegs und strapazieren unser Hab und Gut im täglichen Einsatz. Einiges hat bei uns nur kurze Zeit überlebt, doch anderes bewährt sich mittlerweile seit Jahren und wir sind von der Qualität überzeugt. Unsere Empfehlungen könnt ihr hier nachlesen.Sikh – Krieger für die Schwachen
Doch ihr Streben nach religiöser und politischer Eigenständigkeit ist gefährlich. Schon Akbars Nachfolger Jahangir setzt die Sikhs gewaltsam unter Druck, lässt ihren Anführer, Guru Arjan, wegen Gotteslästerung foltern und töten. Die Sikhs werden nun als religiöse Minderheit verfolgt und setzen sich zur Wehr. Sie führen Schlachten und entwickeln eine Haltung des Kriegertums, für die sie bis heute verehrt und gefürchtet sind.
In ihrem Selbstverständnis setzen sich die Sikhs noch immer gegen religiöse und politische Intoleranz ein. Die Sikh sind Krieger, kämpfen für die Briten im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Doch nach der Unabhängigkeit Indiens verlagert sich ihr Schlachtfeld wieder in den Punjab. Als religiöse Minderheit politisch benachteiligt, verlangen sie ihre Souveränität und werden dafür mitten ins Herz getroffen. Es folgt Gewalt und Gegengewalt in deren Folge Tausende Sikhs sterben und viele weitere aus ihrer Heimat nach Europa und in die USA fliehen.
Doch statt zu verbittern wendet sich die Gemeinschaft der Welt zu. „Ein Sikh muss anderen ein Vorbild sein“, sagen sie, jemand der freundlicher, hilfsbereiter aber auch erfolgreicher und wohlhabender ist. Disziplin und Reinheit, Respekt und Treue sind für die Sikhs elementar. Ihr Glaubensbekenntnis verpflichtet sie zu einem ehrlichen Leben, verbietet Betrug und Bettelei. Die Sikhs sind stolz auf ihre Nächstenliebe aber auch auf ihre Geschäftstüchtigkeit, die es ihnen ermöglicht, anderen zu helfen. Die Gurdwaras sind dabei zentrale Anlaufstellen, so auch der Harmandir Sahib in Amritsar.
Der Goldene Tempel und die Karma-Küche
Dort wo es klappert und kracht, wo es scheppert und klackt, da ist die Menschlichkeit. Im Harmandir Sahib heißt dieser Ort Langar und ist die Großküche des Tempelkomplexes. Die riesige Kantine ist eine Essensmanufaktur. Hier sitzen Küchenhelfer in kleinen Gruppen zusammen und ziehen vergnüglich Häute von Knoblauchzehen, schälen Kartoffeln, schneiden Karotten.
Morgens, mittags und abends wird hier gemeinsam gekocht und gegessen. Vegetarisch, einfach und in unfassbaren Mengen. Es ist eine der größten Küchen der Welt, in der mehr als 80.000 Mahlzeiten täglich gratis verteilt werden. Vom Bettler bis zum Millionär wird hier jeder bedient. Einheimische, Pilger und Touristen essen gemeinsam. Um die Mittagszeit ist es auch im Harmandir Sahib mit der Ruhe vorbei. Tausende Menschen strömen in den Tempel, um sich an einer warmen Mahlzeit zu laben.
Der Andrang ist groß. Messer werden gewetzt. Hunderte Freiwillige sind an der Zubereitung der Lebensmittel beteiligt; und eine Handvoll Festangestellte, die Aufgaben verteilen und vor allem den Reiskochtopf, einen gigantischen Kessel, im Blick haben. Männer und Frauen jeden Alters sitzen hier zusammen. Zwischen ihnen türmen sich Gemüseberge. Da sind der Mount Möhrenscheibe, der sich über die Kartoffelklippen erhebt und das Zwiebelgebirge mit den Knoblauchausläufern. Sanfte Chilihügel schmiegen sich daran. Vier Tonnen Gemüse werden täglich verarbeitet.
Das funktioniert, weil alle zusammenarbeiten – schneiden, hacken, walzen, kneten, zerlegen. Nicht weit von den Gemüsebergen entfernt rollen Dutzende Freiwillige kleine Teigkügelchen zu breiten Fladen die anschließend auf vier brennend heißen Eisenplatten zu Chapatis gebacken werden.
Acht Freiwillige sitzen sich dabei gegenüber. Jeder von ihnen hat bis zu zwanzig Fladenbrote gleichzeitig im Blick. Mit langen Pfannenwendern flippen sie die Chapatis auf der Platte fröhlich hin und her, bis sie goldbraun gebacken sind und im hohen Bogen auf einem Haufen auf dem Boden landen. Standventilatoren sorgen dafür, dass die Hitze der Backstationen etwas erträglicher wird. Nebenan hocken weitere Freiwillige, die rohe Chapatifladen wie Frisbees auf die freigewordenen Flächen der Eisenplatten werfen.
Unterdessen werden die Gemüseberge in großen Blecheimern abgetragen und zu den Kochstellen gehievt. Hier brodelt es bereits in vier kindshohen Töpfen auf gasbetriebenen Feuerstellen. Ein dickbäuchiger Mann mit festem Turban und prächtigem, grau melierten Vollbart beugt sich darüber. In der Rechten hält er einen Rührlöffel, so lang wie ein Speer. Schweißtropfen stehen auf seiner Stirn. Darunter fixiert ein grimmiger Blick das herbeigeschaffte Gemüse. „Alles viel zu langsam“, beschwert er sich, „wir müssen uns beeilen“. Der Mann ist Profi. Ein Gemüsechefkoch der Anweisungen knurrt und dann zusieht, wie Karotten und Kartoffeln auf zwei kochende Töpfe aufgeteilt werden.
Nur ein paar Schritte weiter, in einem angrenzenden Raum ragen sechs weitere Hexenkessel empor. Ihre Durchmesser kann ich gerade so mit der Spannweite meiner Arme erfassen. Darin wirft milchig brauner Chai Blasen und dampft dabei wie Zaubertrank.
Neben der Küche befindet sich der Essensraum. In der großen Halle sitzen die Hungrigen im Schneidersitz auf langen Läufern. Freiwillige reichen Teller und Schüsseln, servieren aus Kübeln Curry und Linsen. Andere verteilen frisch gebackene Chapatis. Chai schwappt in riesigen Kanistern.
Das Essen ist einfach und lecker. Liebe und Zuneigung ist darin verarbeitet. Aber auch Trauer und Wut, Freude und Hoffnung, Behaglichkeit und Nervosität gehören zu den Zutaten. Jeder Helfer fügt dem Essen seine eigene Geschichte, seine eigenen Gedanken hinzu. Das Küchenpersonal wechselt ständig. Nicht nur täglich, sondern stündlich und mit ihm wandelt sich auch das Essen.
Wer der Gemeinschaft dient, dient Gott
Finanziert über Spenden werden an geschäftigen Tagen auch mal 100.000 Mahlzeiten verteilt. Jeder Sikh gibt etwa zehn Prozent seines Einkommens an die Kassen der Gurdwaras weiter. Es ist ein privat finanziertes Sozialsystem. Vom Staat erwartet in Indien sowieso niemand etwas.
Der Gemeinschaftsdienst der Sikhs ist in Amritsar ein wichtiger Bestandteil des städtischen Lebens. Denn es kommt nicht nur, wer das eigene Seelenheil verbessern möchte. Die Rikschafahrer und Tagelöhner der Stadt sind regelmäßig hier. Hunger und Armut sind groß. Wer keine Arbeit findet, kommt zum Harmandir Sahib, um wenigstens eine Mahlzeit am Tag zu ergattern. Manche Sorgen lassen sich an den alten, ausgemergelten Gesichtern derjenigen ablesen, die um die Mittagszeit in der Großküche sitzen. Sie sind in die Lücken fehlender Zähne und tiefen Augenhöhlen geschrieben, sie balancieren über die endlosen Furchen auf sonnengegerbter Haut.
Nach dem Essen gelangt das benutzte Geschirr in die Waschstraße. Auch hier engagieren sich bereits Hunderte Freiwillige. Jeder hat eine Aufgabe. Essensreste werden in einem großen Bottich entsorgt, Edelstahlteller und Schüsseln schwirren durch die Luft, landen scheppernd in für sie vorgesehene Metallkörbe, landen scheppernd auf dem steinernen Boden. Nicht alle Freiwilligen haben die notwendige Wurfgenauigkeit. Ein weiterer Helfer sortiert das eingeworfene Geschirr in den Körben und muss aufpassen, nicht selbst von heranfliegenden Tellern getroffen zu werden.
Von hier wird das schmutzige Geschirr zu den Waschbecken gebracht, wo vor lang gezogenen Wannen bereits ein dichtes Gedränge herrscht. Unter riesigen, surrenden Ventilatoren spülen Freiwillige Teller und Schüsseln, reichen sie weiter, sodass sie erneut gespült werden. Tausende Einzelteile werden so gereinigt und weil es schnell gehen muss, scheppert und klappert es hier besonders laut. Von Tempelruhe ist nichts zu spüren. Am Ende wird sauberes Geschirr an Träger übergeben, die es zum Trocknen in große Rollwagen stapeln.
Scheidet ein Helfer aus, wird er von einem neuen Freiwilligen ersetzt. Hier stehen die Menschen Schlange, um das Geschirr der Anderen zu spülen. Zwischen all den Freiwilligen helfen auch die Tempelwächter immer wieder in der Küche aus. Ihre würdevolle Haltung zeichnet sie selbst beim Spüldienst aus. Der spirituelle Beschützerdolch hängt für jedermann sichtbar an der Taille.
Am späten Nachmittag kehrt wieder Ruhe ein. Das Klappern aus der Küche ebbt ab. Die Tempelmusik klingt sacht durch die Anlage. Einige Sikhs steigen mit Turbanen und knielangen Unterhosen ins Wasserbecken. Mütter baden ihre Kinder. Sie glauben an die heilenden Kräfte des Wassers und an den damit verbundenen Zugewinn des Karmas.
Die Sonnenstrahlen hüllen den Goldenen Tempel in warmes, funkelndes Licht. Wenn es Abend wird, bestrahlen Scheinwerfer den Tempel, der dann wie ein goldener Mond über dem Wasserbecken leuchtet. Die drückende Hitze des Tages ist verschwunden. Menschen versammeln sich am Rand des Wasserbeckens und genießen die Ruhe der einfallenden Nacht.
Weit über uns leuchten die Sterne. Das heilige Buch Granth Sahib wird in einer langsamen Prozession aus dem Goldenen Tempel in ein nahes Gebäude getragen. Wie ein König, der vom Thron steigt und sich nun in seine privaten Gemächer zurückzieht. Begleitet wird es von einer sich hin und her wiegenden Menge. Jeder möchte dem Granth Sahib so nah wie möglich sein.
Früh am nächsten Morgen wird das Buch zurückgetragen. Die heilige Schrift ist wieder im Dienst. Die ersten Sonnenstrahlen fallen auf das Wasserbecken. Viele Besucher haben auf dem marmornen Rundweg die Nacht verbracht. Eingeladen von der Sikhgemeinde darf jeder Gast im Tempel übernachten. Nicht nur auf dem harten Marmorboden, sondern auch in bereitgestellten Räumen und Mehrbettzimmern.
Wir verbringen drei Tage im Harmandir Sahib, lauschen den Melodien der Musiker und dem säuselnden Stimmengewirr um das Wasserbecken, machen Fotos und werden fotografiert. Immer wieder posieren wir mit völlig Fremden für unbekannte Familienalben. Wir genießen die Ruhe, das einfache Essen, ein paar glückliche, zufriedene Stunden. Doch am Morgen des vierten Tages ist es soweit. Wir kehren zurück in die hektische, laute, bunte und verrückte Welt Indiens.
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Aus dem hohen Norden Deutschlands hinaus in die Welt: 2011 zieht es Morten und Rochssare für zwei Jahre per Anhalter und mit Couchsurfing auf den südamerikanischen Kontinent. Genauso geht es nun weiter. Jetzt jedoch in die andere Richtung. Seit 2014 trampen die beiden auf dem Landweg von Deutschland nach Indien und weiter nach Südostasien. Es gibt noch viel zu entdecken.
Von ihren Abenteuern und Begegnungen erzählen sie in ihren Büchern „Per Anhalter durch Südamerika“ und „Per Anhalter nach Indien“, jeweils erschienen in der National Geographic Reihe bei Malik.
Wow, drei Tage wart ihr da! Das ist in dieser Zeit des hektischen Sightseeings echt viel. Und genau meine Art zu reisen. Ich habe ähnliche Erfahrungen in einem wesentlich kleineren Tenpel und Ashram in Bangalore gemacht. Die Fotos… das Essen… die Freiwilligen… Und jetzt weiß ich auch noch ein bisschen mehr über Sikhismus. Danke euch!