Colca Canyon, Titel
Wandern unter Schluchtenkönigen und Götterboten

Colca Canyon und die Kondore


13. März 2021
Peru
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Über Jahrmillionen zaubert der Rio Colca eine Schlucht in die andine Landschaft. Knapp 100 Kilometer von Arequipa entfernt gleich die große Nummer vorweg: Mit einer Tiefe von rund 3.300 Metern schluckt der Colca Canyon den Grand Canyon fast zwei Mal in der Höhe. Es ist ein steinernes Ausrufezeichen der Natur, das die nordamerikanische Filmkulisse zum Möchtegernsuperlativ herabwürdigt. Ok, es ist ein Trick dabei. Der Colca Canyon ist umgeben von Gipfeln, die weit über die eigentliche Schlucht hinaus ragen. Nur mit ihrer Hilfe gerät er so beeindruckend. Die tiefste Schlucht der Welt ist der Colca Canyon trotzdem nicht. Der Cotahausi Canyon gleich nebenan ist etwa 60 Meter tiefer.

Messrekorde sind relativ; immer abhängig von der Perspektive. Vom tatsächlichen Rand des Colca Canyons bis hinab zum Flussbett sind es nur noch 1.200 Meter. Das ist immer noch gewaltig und reicht für beeindruckende Blicke in die Tiefe.

Colca Canyon, Peru

Cruz del Condor

An eben diesem Rand beginnt unsere dreitägige Wanderung durch den Canyon. Wir sind am Cruz del Condor, einem Aussichtspunkt auf die Könige der Anden. Irgendwo in der Nähe nisten die Kondore auf Felsvorsprüngen und Plattformen. Getragen von der Thermik schweben die gewaltigen Greifvögel in weiten Kreisen durch die Schlucht. Überall sind die Kondore im Hochgebirge des südamerikanischen Kontinents vertreten. Von den Hängen Venezuelas, wo sie zugegebenermaßen kaum noch vorkommen, bis hinunter nach Feuerland gleiten sie zwischen Gipfeln und Schluchten umher. Die Kondore sind Teil indigener Legenden und Geschichten. Von den Andenvölkern werden sie als Boten der Götter und Beschützer der Reisenden verehrt.

Im Hochgebirge beruhigt ein so ehrfürchtiger Bewacher. An seiner Spannweite von bis zu drei Metern kommt kaum ein Unheil vorbei. Die männlichen Kondore machen besonderen Eindruck. Sie schmücken sich mit einer weißen Halskrause, mit der sie auch dann noch deutlich zu erkennen sind, wenn sie in den warmen Aufwinden weit in die Höhe hinaufsteigen. Ein wulstiger Kamm bedeckt den nackten, rotbraunen Kopf, der im eleganten Schwebeflug die Richtung anzeigt.

Bis zu sieben Kilometer Flughöhe erreicht der Andenkondor. Damit steigt er locker über die höchsten Gipfel Südamerikas. Überhaupt ist er ein effizienter Gleiter. Ohne einen Flügelschlag legt der Andenkondor bis zu 170 Kilometer zurück. Noch so ein Superlativ.

Es ist aber nicht allein der Greifvogel, der uns am Cruz del Condor den Atem verschlägt. Hunderte Touristen stehen eng aneinander geschmiegt an der Schlucht. Im Minutentakt schwenken Kameras synchron von links nach rechts, von oben nach unten. Sie alle zielen auf die vielleicht anmutigsten Aasgeier der Evolution. Gleichklingende „Aaahhh“s und „Oohhhh“s begleiten die Bewegungen der Objektive. Ein Kondor fliegt so hoch über die Köpfe der Touristen hinweg, dass die Annahme, es sei ein Kondor, nur deshalb korrekt ist, weil wir alle anderen Vögel in dieser Höhe gar nicht mehr wahrnehmen könnten.

Andenkondor, Cruz del Condor, Peru

Abstieg in den Colca Canyon

Während der Kondor immer höher steigt, beginnen wir mit dem Abstieg zu dem in der Tiefe ebenfalls kaum auszumachenden Rio Colca. An der steil abfallenden Felswand führt ein schmaler Pfad hinab. Hier oben ist die Schlucht karg. Dürres Gestrüpp krallt sich ins Gestein. Kakteen ragen aus dem staubigen Boden. In der Ferne glitzern die schneebedeckten Berge der Cordillera Volcánica.

Sie, also die Gipfel im Süden Perus und in Bolivien, gelten für die Quechua, die indigene Bevölkerung der Region, als Wohnsitz der Apus. Diese Berggötter sind es, die über das Wasser der Flüsse und Quellen regieren. Gerade im trockenen Hochgebirge sind ihr Wohlwollen und die damit verbundene Wasserversorgung elementar. Bereits die Priester der Inkas brachten den Gipfeln und Vulkanen Opfer; oft Lamas, aber auch Menschen.

In unserem Rücken liegt der Ampato, der zweithöchste Vulkan des Landes. An seinem Gipfel wurde 1995 der tiefgefrorene, mumifizierte Körper eines Mädchens gefunden. Als Juanita wurde er zur archäologischen Sensation und ist nun in einem Museum in Arequipa ausgestellt. Die etwa 14-Jährige war todgeweiht Teil eines Opferrituals, was damals eine ziemliche Ehre gewesen sein muss. Andere Zeit.

Colca Canyon, Peru
Colca Canyon, Peru

Wasser ist im andinen Hochgebirge ein wertvolles Gut. Nicht nur für die Region, sondern für den gesamten Kontinent spielt es eine wichtige Rolle. Nur eine Tageswanderung vom Colca Canyon entfernt, fließt Schmelzwasser eines Gletschers des Nevado Mismi ostwärts, um nach 6.992 Kilometer in Brasilien als Teil des Amazonas die Atlantikküste zu erreichen. So weit wie diese ist keine andere Quelle des mächtigen Stroms vom Delta entfernt. Es ist eine Entfernung so lang, als würden wir auf dem Landweg von Lissabon nach Alexandria spazieren wollen.

In knapp drei Stunden schlittern wir über rollende Steine und Steinchen und belasten unsere Knie beim Überwinden von mehr als 1.000 Höhenmetern auf zerstörerische Art. Je tiefer wir in den Colca Canyon hinabsteigen, desto wärmer wird es. Die Sonne heizt die umliegenden Felsen. Hier entsteht der Auftrieb, auf dem Kondore über Kilometer hinweg entlang der Schlucht schweben. Am Flussbett herrschen beinahe tropische Temperaturen. Palmen wachsen in Ufernähe. Auf jahrhundertealten Terrassen bauen die hier lebenden Menschen Felder an, so wie es bereits Generationen vor ihnen getan haben. Die schmalen, fruchtbaren Ackerflächen heben sich deutlich vom andernorts kargen Gestein ab.

Um uns zeigt sich die Natur noch archaisch. Der steinige Pfad schlängelt sich unter einem blauen Himmel im Zickzack die Schlucht hinab. Gegen Mittag erreichen wir den Rio Colca, der sich seit Millionen Jahren durch das schroffe Vulkangestein in die Tiefe arbeitet. Einfache Hütten stehen an einer Klippe über dem Fluss, der säuselnd und plätschernd an Gesteinsbrocken vorbei zieht. Irgendwo in mehr als 4.000 Metern Höhe gelegen, entspringt das Wasser seiner Quelle, aber erst hier, auf etwa 3.000 Metern über dem Meeresspiegel entwickelt sich eine ökologisch nutzbare Zone. Besonders am Fuß der Schlucht fühlt sich die Vegetation wohl, tragen Bäume und Sträucher saftig grüne Kleider.

Colca Canyon, Peru
Colca Canyon, Peru
Colca Canyon, Peru

Wandern im Colca Canyon

Die Wanderung durch die Schlucht ist ein angenehmes Auf und Ab. Vorbei an Terrassen und Kakteen, über Schutt und enge Pfade folgen wir dem Lauf des Rio Colca. Manchmal rauscht sein Wasser ganz nah. Manchmal sehen wir es nur als blaues, sich kräuselndes Band weit unter uns. So könnten wir ewig weiterlaufen. Immer weiter durch eine Landschaft, die in ihrer Nahbarkeit so schön ist. Es ist ja überhaupt das Wunder der Natur, dass sie so einfach und zugleich vollständig ist. Nichts an ihr ist überflüssig; alles ist so wie gebraucht.

Eseltreiber kommen uns entgegen. Ihre Lasttiere sind die einzigen Transportmittel im Colca Canyon. Auf ihren Rücken wird alles von Dorf zu Dorf getragen. Bauern und Hirten leben in der Schlucht, die schon lange bevor die Inkas hierher kamen, bewohnt war. Höhlen und Felsmalereien erzählen Geschichten einer bis zu siebentausend Jahre zurückreichenden Vergangenheit.

Rio Colca, Colca Canyon, Peru
Colca Canyon, Peru
Colca Canyon, Peru

Am Abend sitzen wir am Lagerfeuer, trinken Dosenbier und Wein aus Tetrapacks. Im flackernden Licht tauchen unsere Gesichter aus dem Dunkel der Nacht. Weit über uns funkelt ein weiter Sternenteppich. Aus der Schlucht heraus stört keine künstliche Lichtquelle den Blick und selbst die Milchstraße leuchtet in interstellarem Glanz.

Die Nacht bleibt kurz. Weit vor der Dämmerung machen wir uns auf den Weg hinaus aus dem Colca Canyon. Der Pfad führt in schmalen Serpentinen mehr als einen Kilometer steil bergauf. Noch vor dem Frühstück ist der Aufstieg eine Tortur. In drei anstrengenden Stunden setzen wir Schritt auf Schritt immer weiter, immer höher. Aus dem idyllischen Grün am Rand des Flusses steigen wir hinauf in die schroffen Felsen bis nach Cabanaconde, einem kleinen Ort, in dem Viehhirten auf Pferden Rinder durch die Straßen treiben.

Oberhalb des Colca Canyons ist die Landschaft wieder trocken und karg. Sie ist beinahe unwirtlich und doch atemberaubend. Die Hochgebirgsstraße schlängelt sich zwischen gewaltigen Vulkanen durch die Höhe. Auf und ab führt der Asphalt bis hinauf zum 4.910 Meter hohen Patapampa Pass. Es ist ein spektakulärer Aussichtspunkt auf die Anden. Kalt und karg mit einer gehörigen Portion Atemnot. Hier ist der Luftdruck so gering, dass nur noch 60 Prozent des Sauerstoffgehalts zur Verfügung stehen. Jede Bewegung ist anstrengend.

Ausblicke müssen genügen und so wandern wir mit den Augen von einem Gipfel zum nächsten. Auch der Ampato ragt deutlich sichtbar in die Höhe. Die Alpakas nebenan haben weniger Probleme. Sie grasen gemeinsam mit einer Handvoll Lamas im wüsten Hochland. Ihnen gehört die Weite. Wir rollen hinab in angenehmere Gefilde.

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Paar im Colca Canyon, Peru
Colca Canyon, Peru
Mirador de los Andes, Peru
Mirador de los Andes, Peru
Lamas und Alpakas in der Hochebene, Peru

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