Kurz hinter Olympos stehen wir am Straßenrand und schauen bedenklich in den mit grauen Wolken verhangenen Himmel. Der Verkehr ist spärlich und alles spricht dafür, dass wir bald klatschnass sein werden. Die ersten Tropfen fallen bereits auf den Asphalt. Doch alles geht gut. Es sind zwei Rentnerinnen aus Deutschland, die uns nur Sekunden vor einem heftigen Platzregen in ihren Mietwagen winken. Zusammen fahren wir bis zur Straßenkreuzung nach Antalya und haben hier ebenfalls unerhörtes Glück. Gerade als wir mitten im Regen unsere Rucksäcke aus dem Kofferraum befördern, halten zwei Männer und winken uns eilig zu sich. Wir packen also unser Gepäck ohne Umweg von einem Kofferraum in den anderen und sind schon wieder unterwegs. Noch 70 km bis nach Antalya.
Unsere Mitfahrgelegenheit ist speziell. Wirkt Emre, der Fahrer, zumindest in seinem Äußeren noch unauffällig, so ist der Beifahrer ganz offensichtlich charismatischer Natur. Er trägt einen Cowboyhut, einen alten, löchrigen Baumwollponcho, ein Jeanshemd mit passender Jeanshose und einen bunt geschmückten Wanderstock, den er niemals aus der Hand legt. Als wäre das nicht schon auffällig genug, stellt er sich auch noch als Dschingis Khan vor. Zu seinen Füßen sitzt ein Rauhaardackel.
Wir kommen nur langsam voran, denn mehr als einmal halten wir für die Länge eines Joints. Die Stimmung wird ausgelassen. Unsere beiden neuen Freunde, etwas außerhalb der Realität, feiern sich nun gegenseitig und brechen sekündlich in lautes, ansteckendes Gelächter aus.
Wir setzen die Fahrt fort, doch plötzlich macht sich Aufregung breit. Schnell wird der Blinker gesetzt und wir halten am Straßenrand. Dem armen Rauhaardackel im Fußraum bekommt die Fahrt offensichtlich nicht besonders und so erbricht er sich kläglich zu den Füßen seines Herrchens mit dem Wanderstock.
Wir besichtigen spontan die nahegelegenen Ruinen der antiken lykischen Hafenstadt Phaselis – vor allem, um hier das Auto zu säubern. Doch wie es so ist, wenn Marihuana im Spiel ist, zieht sich unser Aufenthalt in die Länge. Dschingis versucht zunächst die Laune seines sichtlich betrübten, vierbeinigen Begleiters zu bessern und schlendert dann zwischen den alten Stadtmauern hin und her, bricht ab und an in wildes Gelächter aus. Wir erfahren, dass er aus einer Schamanenfamilie stammt und einiges Wissen über Kräuter und Pflanzen mit auf den Weg bekommen hat.
Nach etwa einer Stunde in den Ruinen der einst wohlhabenden Stadt setzen wir unseren Weg fort, doch kommen wir nicht besonders weit. Bereits nach wenigen Kilometern halten wir erneut am Straßenrand. Wieder liegt Erbrochenes im Fußraum – im Umfang doppelt so groß wie sein Verursacher.
So geht es auch noch ein drittes Mal. Der Dackel ist am Ende völlig fertig und verstört. Nach einer dreistündigen Fahrt erreichen wir endlich Antalya.
Am historischen Hafen von Antalya stehen die Angler entlang der Kaimauer. Bewegungslos, wortlos, fest verankert in der Kulisse der kleinen Marina. Friedlich ist es hier – trotz der unzähligen Touristen-Piraten-Schiffe, die mit Pappmaschee und ein wenig Farbe Ahnungslosen spannende Abenteuer auf hoher See vorgaukeln. Wir sind bereits seit ein paar Tagen in Antalya und schlafen auf Buraks Wohnzimmercouch. Zusammen mit unserem Gastgeber, seines Zeichens Student für Lebensmitteltechnik, haben wir es uns zur Gewohnheit gemacht, jeden Abend hinunter zum Hafen zu schlendern.
So durchqueren wir die schmalen, verwinkelten Gassen der charmanten Altstadt Kaleiçi. Orangenbäume und blühende Büsche in den kleinen Gärten zieren den historischen Stadtkern. Restaurants, Hotels, Pensionen und Souvenirgeschäfte reihen sich aneinander. Teppiche hängen schwer und bunt an den Häuserwänden, Juweliere und Kunsthandwerker präsentieren ihr Angebot.
Im Licht der einbrechenden Dämmerung wirkt die mediterrane Gelassenheit der Altstadt ganz besonders auf uns. Dennoch ist es nicht so, dass wir uns extra vornehmen am Abend hierher zu kommen. Meistens schaffen wir es aber einfach nicht vor 15 Uhr aus dem Haus. Zu zeitlos ist unser Aufenthalt, zu gelassen, man könnte sogar meinen zu leichtlebig, unser neuer Freund Burak.
Zur Uni geht er, wenn überhaupt, nur zu Prüfungsterminen. Für Prüfungen lernt er, wenn überhaupt, in der Nacht davor. Stattdessen ist er vom Leben angetan. Wir verbringen Stunden damit über den Zustand der Welt zu philosophieren – über Krieg und Frieden, Glauben und Religion, Freiheit und Ideologie, Kunst und Kultur, Wodka und Marihuana. Dazu gesellt sich Oscar, ebenfalls Couchsurfer, aus Australien. Zu viert sitzen wir, vertieft in allerlei Grundsatzfragen, auf einer Mauer im Park Karaalioğlu und schauen hinaus aufs Meer, bis die hereinbrechende Nacht uns die Aussicht raubt.
Die Straßen, Restaurants, Bars und Cafés sind überschaubar. Die Saison ist vorbei und Antalya, das Tor zu den langgezogenen Stränden der Türkischen Riviera oder den historischen Stätten der Lykischen Halbinsel, verfällt in einen Winterschlaf. Wimmelt es in den Sommermonaten nur so vor Besuchern, bleiben sie nun beinahe vollkommen aus. Es ist sterbenslangweilig in der Stadt. Ein Umstand, den Burak fast täglich mit frustriertem Kopfschütteln quittiert.
Doch nach drei Wochen auf dem Lykischen Weg kommt uns dieses aufgezwungene Nichtstun gerade recht. Wenn wir uns nicht über Europäische Außenpolitik und innenpolitische Unzulänglichkeiten austauschen, verbringen wir die Zeit vor allem mit Essen, Schlafen und der kleinen Straßenkatze, die seit etwa zwei Wochen regelmäßig auf ihrer Futtersuche durch Buraks Studenten-WG streunt. Seit wir jedoch da sind, wohnt auch die Katze dauerhaft im Wohnzimmer und weicht nicht mehr von unserer Seite. Langsam erholen sich unsere geschundenen Körper wieder und auch der Besuch eines Hamams, eines türkischen Bads, trägt seinen Teil dazu bei.
Wir lassen uns im Sefi Hamam, einem Badehaus aus dem 13. Jahrhundert, verwöhnen. Es gehört zu den ältesten und bekanntesten in Antalya. Wir buchen das volle Programm und werden zunächst in die Sauna geführt. Ein halb unterirdisch gelegener Raum, der noch immer nach antikem Vorbild durch Heißwasserrohre beheizt wird. Wir schwitzen, lassen uns Abrubbeln und Einseifen und genießen jeden Moment. Ich merke förmlich, wie sich die Verspannung der letzten Tage löst und verspreche meinen Schultern, meinem Nacken und meinem Rücken vorerst auf übermotivierte Wanderungen zu verzichten.
Wie neu geboren spazieren wir anschließend durch die Altstadt, bis wir an der historischen Stadtmauer ankommen. Vor einem massiven Uhrenturm machen wir halt. Direkt dahinter befindet sich das Yivli Minare, ein 38 Meter hohes Minarett aus dem frühen 13. Jahrhundert.
Wenn ihr unsere Abenteuer und Geschichten gerne auf Papier lesen wollt, dann schaut doch mal hier:
In unserem Buch Per Anhalter nach Indien erzählen wir von unserem packenden Roadtrip durch die Türkei, den Iran und Pakistan. Wir berichten von überwältigender Gastfreundschaft und Herzlichkeit, feiern illegale Partys im Iran, werden von Sandstürmen heimgesucht, treffen die Mafia, Studenten, Soldaten und Prediger. Per Anhalter erkunden wir den Nahen Osten bis zum indischen Subkontinent und lassen dabei keine Mitfahrgelegenheit aus. Unvoreingenommen und wissbegierig lassen wir uns durch teils kaum bereiste Gegenden in Richtung Asien treiben.
2018 Malik, Taschenbuch, 320 Seiten
Auf der anderen Straßenseite schlendern wir über den Alten Basar. Hier werden Teppiche und Silberschmuck ebenso angeboten wie Gewürze, Tee und internationale Kleidermarken. Der Geruch von Zimt und Nelken steigt mir in die Nase. Hier und da versucht uns einer der Verkäufer in ein Gespräch zu verwickeln, doch so richtig fehlt der Elan. Auch der Basar liegt beinahe schon im Winterschlaf.
Direkt hinter der Stadtmauer ändert sich das Bild. Plötzlich werden wir aus den charmanten Gassen mit ihren Natursteinhäusern und Holzbalkonen herausgerissen und befinden uns wieder in der modernen Welt aus Glas und Beton. Entlang der Atatürk Caddesi, einem palmenbestandenen Boulevard, schlägt das Herz Antalyas. Hier trifft sich Jung und Alt, hier wird flaniert, an Eiskugeln geschleckt und in Döner gebissen.
Wir steigen in den Bus und fahren nach Osten. Unser Ziel ist der Lara Beach, einer von zwei innerstädtischen Stränden. Doch bevor wir unsere Füße im Sand vergraben, breitet sich eine großflächige Wiese aus. Unzählige Grillstellen warten hier darauf, dass auf ihnen Kebab oder Köfte zubereitet wird. Der langgezogene Strand, auf dem sich in den Sommermonaten Sonnenanbeter und Badegäste eng aneinander quetschen, gehört uns nun ganz allein.
Am Abend sind wir wieder am Hafen. Wir sitzen auf der Mole, beobachten die Angler, wie sie ohne Eile ihre Ruten auswerfen. Eine kleine Flasche Wodka kreist in unserer Mitte. Die Sonne ist bereits seit einiger Zeit hinter dem Horizont verschwunden. Jugendliche Kindsköpfe laufen kichernd umher, junge Paare schauen hinaus aufs Meer. Es ist sterbenslangweilig – Es ist wunderschön.
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Aus dem hohen Norden Deutschlands hinaus in die Welt: 2011 zieht es Morten und Rochssare für zwei Jahre per Anhalter und mit Couchsurfing auf den südamerikanischen Kontinent. Genauso geht es nun weiter. Jetzt jedoch in die andere Richtung. Seit 2014 trampen die beiden auf dem Landweg von Deutschland nach Indien und weiter nach Südostasien. Es gibt noch viel zu entdecken.
Von ihren Abenteuern und Begegnungen erzählen sie in ihren Büchern „Per Anhalter durch Südamerika“ und „Per Anhalter nach Indien“, jeweils erschienen in der National Geographic Reihe bei Malik.
Hallo Morten,
schöner Text.
Antalya ist um die Zeit wirklich ausgestorben. (Bis auf Rentner im Langzeiturlaub in Clubhotels).
Das ist auch gut so. Ich mag das lieber als die Millionen Touristen im Hochsommer.
(Phaselis ist aber sogar im Sommer ein Geheimtipps – Glück gehabt es am Weg aus Olympos zu finden).
In Antalya ist der Düden-Park noch eine Empfehlung. Das ist Naherholung für die Einheimischen.
Das ist ein kleines Wäldchen mit einem Wasserfall im Norden der Stadt: Teegärten, eine Höhle hinter dem Wasserfall und Grillstellen sind das beste Argument – und Shishas (die heißen in der Türkei eigentlich Nargile).
http://www.tuerkeireiseblog.de/tuerkische-riviera/antalya/
Ihr werde vermutlich auf eurer Reise nichtmehr so schnell in die Gegend kommen?
lg Thomas