Freunde treffen, Bier trinken, herumalbern. Das gehört neuerdings wieder mehr denn je zu unserem Alltag. Nette Menschen, kalter Gerstensaft, heiße Grillkohle – das Leben wie es sein sollte. Unbefangenes Plaudern. Schon in den letzten Monaten in Südamerika hatten wir oft von diesen Momenten geträumt. Allerdings gibt es einen Unterschied. Damals malten wir uns aus, was wir von unseren Reisen erzählen würden. Tatsächlich steht jedoch eine ganz andere Frage im Mittelpunkt des Interesses:
„Wie ist es nach so langer Zeit wieder in Deutschland zu sein?“
Diese Frage bekommen wir auffällig oft zu hören und wie wir uns auch drehen und wenden, wir kommen nicht an ihr vorbei. Irgendwie klingt sie groß, mächtig und irgendwie haben wir darauf nie eine Antwort gefunden. Wie ist es wieder hier zu sein? Es ist einfach – oh, nein, es ist gar nicht einfach.
Wie ist es wieder hier zu sein? In der Frage steckt Veränderung. Ich verstehe sie als eine Erwartungshaltung an den Wiederkehrenden, dass er etwas zurückbringt. Kein Souvenir, sondern eine Idee, etwas Essenzielles, etwas Übertragbares. Dem Reisenden wird eine Neubewertung abverlangt. Man erwartet von ihm, dass er alles auf den Prüfstand stellt. Ja, es ist schön wieder hier zu sein, soll er sagen oder aber das Gegenteil. Hauptsache eine eindeutige Einschätzung. Meine erste Reaktion auf diese Frage ist aber stets ein Achselzucken. Wieder in Deutschland zu sein ist halt so, als wäre man wieder in Deutschland.
Na klar ist in den letzten zwei Jahren viel Ungewöhnliches passiert. Wir haben viel gelernt, mit jeder Begegnung unseren Horizont erweitert. Jeder Tag war ein Blick über den eigenen Tellerrand. Doch was bedeutet das für die Rückkehr nach Deutschland? Zurück zu kommen heißt ja irgendwie auch nach Hause zu kommen. Wir betreten also einen Ort, den wir bestens kennen. Einen Ort, der sich kaum ändert und auch in unserer Abwesenheit stets so bleibt, wie er immer gewesen ist. Heimat bleibt ja auch nur deshalb Heimat, weil es sich einer Veränderung widersetzt. Wir sind wieder hier und alles ist so, wie wir es einst zurückgelassen haben.
Ist das merkwürdig? Keinesfalls. Es erschwert jedoch die Antwort auf die oben gestellte Frage ungemein. Noch bevor wir ernsthaft darüber nachdenken wie es ist wieder zurück zu sein, ist es schon zu spät. Ehe wir uns versehen, stecken wir wieder in der Routine. Veränderungen – Fehlanzeige. Neubewertungen – unmöglich. Wir sind Teil der deutschen Kultur. Wir sind es immer gewesen und so fühlen wir uns nicht einmal während unserer Rückkehr nach langer Zeit außen vor. Damals, am Tag unserer Ankunft in Deutschland, waren wir unruhig. Aber nicht, weil wir wieder in Deutschland waren, sondern weil ein langes Abenteuer unwiderruflich zu Ende ging. Seitdem sind wir jedoch wieder mittendrin in der Gesellschaft – ich freue mich nicht besonders darüber, bedauere es aber auch nicht. Wir sind einfach nur zurück.
Es gibt die schönen Seiten der Rückkehr. Was für ein überwältigendes Gefühl die Familie das erste Mal nach zwei Jahren wieder in den Armen zu halten. Überhaupt ihre Stimmen zu hören, in ihrer Mitte zu sein. Dazu die Freunde: Bis spät in der Nacht sitzen wir am Küchentisch, trinken Wein und Bier, sprechen über Wichtiges und Belangloses. Zum ersten Mal seit langem spüren wir wieder eine enge Bindung zu unseren Mitmenschen. Wir sind uns vertraut. Der Freundeskreis hat sich erweitert, denn die ersten Kinder wurden geboren. Wir betrachten Hochzeitsfotos – und sind traurig, dass wir nicht dabei sein konnten. Es sind besondere, lange vermisste Momente, die wir in diesen Stunden teilen.
Auch der Alltag ist entspannt. Es ist so viel einfacher in einem Supermarkt einzukaufen, wenn man weiß, was es zu kaufen gibt. Es ist so viel unkomplizierter Gespräche zu führen, wenn man nicht nach Vokabeln und grammatischen Strukturen grübeln muss. Es ist so viel leichter sich in einer Gesellschaft zu bewegen, wenn man alle Verhaltensweisen verinnerlicht hat.
Aber dann kommen die Nebenwirkungen dieser Rückkehr. Plötzlich treten Probleme auf, die vorher nicht existierten. Verwaltungskram, Behördengänge, Versicherungen, Steuernummern, Papiere ausfüllen, Unterlagen nachreichen, Bürokratie, fantasielose Beamte, Korinthenkacker – Menschen, Regeln und DIN-Bestimmungen, die vor allem eines bewirken: Sie vergeuden Lebenszeit. Dabei geht es doch genau darum. Lebenszeit. Was stelle ich mit meiner Zeit an? Wie lebe ich?
Plötzlich müssen wir uns rechtfertigen. Ein gesellschaftskonformer Lebensentwurf wird verlangt. Die Berufsbezeichnung „Reisender“ ist nicht mehr zulässig. Etwas Stetes ist zwingend erforderlich. Die deutsche Gesetzgebung ist vor allem Eines: statisch. Doch nicht nur die Rechtsprechung verlangt Klarheit von uns. Es scheint ein gesellschaftlicher Konsens zu sein, dass Adresse und Beruf allgemeiner Anerkennung bedürfen. Häufiger Wohnungswechsel, unklare Arbeitsbetätigungen – mit derlei Angaben ernten wir überwiegend schräge, von Unverständnis zeugende Blicke.
Und dann gibt es doch ein paar Dinge, die neu für uns sind. Da sitzen auf einmal mehrere Personen an einem Tisch und niemand spricht. Stattdessen starren alle auf die Minidisplays ihrer Telefone. Games of Thrones findet mehr Aufmerksamkeit als Fracking. Am Hamburger Hauptbahnhof betteln Kinder.
Doch zurück zur Ausgangsfrage. Wie ist es wieder in Deutschland zu sein? Nun, es hat gewisse Vorzüge, bringt aber auch Nachteile mit sich. Eigentlich ist die Frage auch nicht richtig formuliert. Es geht gar nicht darum, wie wir uns nach der Rückkehr in unser Heimatland fühlen, denn es ist nicht viel anders als vor der Abreise. Die Frage müsste eher lauten: Wie ist es in Deutschland zu sein? Die Antwort darauf bleibt jedem selbst überlassen. Niemand muss zwei Jahre fort, um sich hier wohl zu fühlen. Niemand muss weggehen, um zu merken, dass es woanders vielleicht schöner ist. Aber jeder kann sich fragen: Wie ist es für mich in Deutschland zu sein?
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Aus dem hohen Norden Deutschlands hinaus in die Welt: 2011 zieht es Morten und Rochssare für zwei Jahre per Anhalter und mit Couchsurfing auf den südamerikanischen Kontinent. Genauso geht es nun weiter. Jetzt jedoch in die andere Richtung. Seit 2014 trampen die beiden auf dem Landweg von Deutschland nach Indien und weiter nach Südostasien. Es gibt noch viel zu entdecken.
Von ihren Abenteuern und Begegnungen erzählen sie in ihren Büchern „Per Anhalter durch Südamerika“ und „Per Anhalter nach Indien“, jeweils erschienen in der National Geographic Reihe bei Malik.
Danke dafür.