Islamabad, Pakistan
Der symmetrische Stolz und die hübsche Langeweile

Islamabad, Pakistans moderner Hochsicherheitstrakt


15. Januar 2017
Pakistan
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Wir erreichen Islamabad nach einer unbequemen Nacht. Von der Polizei eskortiert, wechseln wir im zwanzig Minuten Takt das Fahrzeug. An Schlaf ist so nicht zu denken. Im Morgengrauen, wenige Kilometer vor Islamabad, geht unserem Polizeigefährt zu allem Überfluss auch noch das Benzin aus. In der Vorstadt bleiben wir stehen und nach einigem hilflosen Beratschlagen der Beamten setzen sie uns in ein Taxi und wir tauchen ein in die Hauptstadt des Landes.

In Islamabad verlassen wir gefühlt Pakistan. Vom chaotischen Verkehr, der uns bis hierher begleitete, ist nicht mehr viel übrig. Die Straßen sind breit und sauber, Parks und Grünflächen lockern die Betonödnis auf, wildes Marihuana wächst entlang ganzer Straßenzüge in der Stadt. Die umherziehenden Eselkarren sind verschwunden. Stattdessen finden wir westliche Cafés, Fast Food-Ketten und Restaurants – ein Einfluss der vielen ausländischen Diplomaten und Expats.

Islamabad ist geprägt von Ordnung und Regelmäßigkeit. Als sich die pakistanische Regierung in den 1950er Jahren dazu entschließt Karatschi als Hauptstadt abzulösen, wird in wenigen Jahren eine Planstadt aus dem Boden gestampft – Islamabad.

Die Stadt vom Reißbrett ist unterteilt in Sektoren, gerade Linien, rechte Winkel. Breite Alleen führen kilometerlang in eine Richtung. Der mehrspurige Kaschmir Highway durchschneidet die Stadt exakt in der Mitte. Adressen sind kryptisch: Man wohnt in G-11/3 st.110 #112 oder F-7/4 st. 28 #20. Jeder Sektor ist um einen eigenen Markt angeordnet, in dem alles Wichtige erledigt wird: einkaufen, essen, Haare schneiden. Islamabad ist der symmetrische Stolz des Landes.

Straßenszene im Sektor G9, Islamabad
Straßenszene im Sektor G9
gerade Linien, rechte Winkel - die Straßen in Islamabad
gerade Linien, rechte Winkel – die Straßen in Islamabad

Ein richtiges Stadtzentrum gibt es dagegen nicht. Wer ausgehen möchte, den verschlägt es in die bessergestellten Sektoren F-7 und F-6. Der Khosar Market ist fest in ausländischer Hand. Kaffeehausketten und teure Restaurants reihen sich hier aneinander, ein privater Sicherheitsservice und Videokameras überwachen den Parkplatz davor. Taschenkontrollen sollen vor Terroristen schützen. Es heißt sogar, dass in einem der Lokale Pakistanis nicht willkommen sind, sie seien schlecht für das Geschäft. Stattdessen schlürfen hellhäutige Diplomaten und Anzugträger an ihren Frapucchinos, während nicht einmal hundert Meter entfernt Bettler auf der Straße sitzen.

Doch nicht nur Expats begegnen uns in Islamabad. Wir treffen Studenten, angehende Grafiker, Webdesigner und Kommunisten. Eines Abends sitzen wir in einer dunklen Dreizimmerwohnung. In Pakistan herrscht Energienotstand. Elektrizität gibt es nur für zwei Stunden am Stück, dann wird der Strom per Dekret für eine Stunde abgeschaltet. Lichter gehen aus, Computerbildschirme erlöschen, das Wi-Fi-Signal verschwindet: Zeit für Gespräche. Mit Murad, Politikdoktorand an der Militärakademie, und Muhammad, einem jungen Grafikstudenten, werden wir politisch. Die beiden Studenten in ihren beginnenden Dreißigern nehmen dabei kein Blatt vor den Mund. Die Regierung sei vom Militär gelenkt, das Land versinke in Korruption auf allen Ebenen, Kontrollinstanzen gäbe es keine. Probleme werden mit Geld gelöst. Wer kein Geld hat, der hat Probleme.

Restaurants und Boutiquen in Sektor F7, Islamabad
Restaurants und Boutiquen in Sektor F7
Saeed Book Bank, Pakistans größte englischsprachige Buchhandlung
Saeed Book Bank, Pakistans größte englischsprachige Buchhandlung

Unweigerlich kommen wir auf Pakistans Image als Terrorstaat zu sprechen und erfahren Delikates. Der Terrorismus im Staat war lange Zeit Teil der Bildungspolitik. Von der US-amerikanischen Hilfsorganisation USAID finanziell unterstützt wurden in den 1980er Jahren Millionen ideologisch aufgeheizte Schulbücher im Land verteilt, die den Dschihad, den heiligen Krieg, propagierten. Während in deutschen Klassenzimmern mit Äpfeln und Birnen gerechnet wurde, multiplizierten pakistanische Schüler mit Bomben und Maschinengewehren. Sie sollten vorbereitet werden, als junge Männer in die nahe Sowjetunion zu ziehen, um dort als Mudschahedin das Land zu destabilisieren. Aus heutiger Sicht ging dieser Schritt für die westliche Welt gewaltig nach hinten los.

Auch Murad und Muhammad erinnern sich noch immer an damalige Aufgabenstellungen:

Wenn du zehn Bomben hast und eine zündest …

Mittlerweile sind sie und viele ihrer Kommilitonen desillusioniert. Pakistan bietet ihnen keine Möglichkeiten. Doch das Land verlassen können sie auch nicht. Der pakistanische Pass ist nicht viel Wert in der Welt, liegt im internationalen Vergleich nur vor Irak und Afghanistan – das scheint für viele von ihnen das schlimmste Schicksal zu sein.

Faisal-Moschee, das Wahrzeichen Islamabads
Faisal-Moschee, das Wahrzeichen Islamabads
die Gebetshalle der Faisal-Moschee bietet Platz für 10.000 Gläubige
Einheimische machen Fotos in der Faisal-Moschee

Wenn ihr unsere Abenteuer und Geschichten gerne auf Papier lesen wollt, dann schaut doch mal hier:

In unserem Buch Per Anhalter nach Indien erzählen wir von unserem packenden Roadtrip durch die Türkei, den Iran und Pakistan. Wir berichten von überwältigender Gastfreundschaft und Herzlichkeit, feiern illegale Partys im Iran, werden von Sandstürmen heimgesucht, treffen die Mafia, Studenten, Soldaten und Prediger. Per Anhalter erkunden wir den Nahen Osten bis zum indischen Subkontinent und lassen dabei keine Mitfahrgelegenheit aus. Unvoreingenommen und wissbegierig lassen wir uns durch teils kaum bereiste Gegenden in Richtung Asien treiben.

2018 Malik, Taschenbuch, 320 Seiten

zum Buch

Einheimische machen Fotos in der Faisal-Moschee
die Faisal-Moschee ist ein sozialer Treffpunkt
die Faisal-Moschee dient auch als sozialer Treffpunkt

Wir treffen Kamran, Geschäftsmann aus Islamabad, zum Mittagessen. Auf einer weitläufigen Wiese lassen wir uns Dal und Sabzi, gewürzte Linsen und Gemüse, schmecken. Vor uns erheben sich die Margalla Hills, eine Hügelkette, die im Norden an Islamabad grenzt. Der begeisterte Radfahrer und großer Fan des VW-Käfers zeigt uns die Belletage des Lebens in Islamabad. Wir lernen, wo es den besten Kaffee und das leckerste Essen gibt, wo wir eine ordentliche Wasserpfeife bekommen und wie wir unsere Zeit in Islamabad am besten, am entspanntesten gestalten können.

Auf Kamrans Anraten nehmen wir uns vor, durch die Margalla Hills zu wandern. Die grün bewachsene Hügelkette im Norden der Stadt ist durchzogen von mehreren Wanderwegen und verspricht eine herrliche Aussicht auf Islamabad. Hauptstädter verbringen hier ihre Wochenenden, picknicken mit der Familie oder halten ihre Körper beim Joggen fit. Wir genießen einfach die Natur, bis wir auf halber Strecke von zwei Soldaten aufgehalten werden. Es geht nicht weiter. Keine Erklärung. Nachfragen unerwünscht. Es ist nicht das erste Mal, dass wir ohne ersichtlichen Grund von den Autoritäten aufgehalten werden, natürlich immer im Namen der Sicherheit. Wir vermuten, dass irgendein General oder Politiker in einem nahen Restaurant zu Mittag isst. Derlei Triviales liegt meistens zugrunde.

mit Kamran vor den Margalla Hills, Islamabad
mit Kamran vor den Margalla Hills
Blick aufs Regierungsviertel
Blick aufs Regierungsviertel
von den Margalla Hills öffnen sich tolle Aussichten auf Islamabad

Unangenehm sind diese „Sicherheitsaktionen“ für uns vor allem durch die allgemeine, beinahe arrogante Einstellung des Sicherheitspersonals. Als wir mit unseren Rucksäcken auf einer Bank in einem der bessergestellten Sektoren sitzen, kommt plötzlich ein Typ auf uns zu und fängt selbstgefällig und kommentarlos an, unser Hab und Gut zu untersuchen. Erst auf unsere Empörung hin gibt er sich als Angestellter eines Sicherheitsdienstes aus. An seinem Aussehen ist das jedoch nicht zu erkennen.

Richtig genießen können wir Islamabad deshalb nicht. Überall wimmelt es von Sicherheitskräften und Check Posts. Vor jedem Café und jedem Restaurant warten mindestens zwei Sicherheitskräfte, um uns gründlich zu kontrollieren. Immer wieder betonen sie, dass es unserer Sicherheit dienen würde – wir fühlen uns jedoch eher als potenziell Verdächtige. Manche ausländischen Lokale gleichen regelrechten Festungen. Wer mit dem Auto zum McDrive will, muss seine Karosse erst einmal nach Bomben untersuchen lassen. Selbst Spürhunde kommen dabei zum Einsatz.

Die Diplomatische Enklave im Osten der Stadt, in der sich fast alle Botschaften und Konsulate hinter einem hohen Sicherheitszaun befinden, sticht besonders hervor. Hierhin gelangt man nur durch mehrere Check Posts und Sicherheitskontrollen. Pro Besuch der Enklave wird nur eine Genehmigung für eine Botschaft erteilt. Ein Shuttleservice bringt die Besucher zu ihrer gewünschten Botschaft und holt sie von dort auch wieder ab. Wer eine zweite Botschaft besuchen möchte, muss sich eine neue Genehmigung ausstellen lassen. Ein Spaziergang durch die Diplomatenstadt? Ausgeschlossen!

Die Türme des Komplexes "The Centaurus"
Die Türme von „The Centaurus“ – Einkaufszentrum, Bürogebäude, 5-Sterne-Hotel und Wohngebäude
das Pakistan Monument
das Pakistan Monument
Friseursalon am Straßenrand
Friseursalon, irgendwo am Straßenrand
Zuckerrohrverkäufer
Zuckerrohrverkäufer

Auf dem Weg zur indischen Botschaft, in der wir unsere Visa für die Weiterreise beantragen müssen, sehen wir die verschiedensten Flaggen im Wind wehen: China, Kuweit, Saudi-Arabien, Finnland. Auf einer Fläche, so groß wie einundzwanzig Fußballfelder, lässt die USA gerade ihre neue Botschaft errichten. Was hier entsteht, dient ganz offensichtlich mehr als bloßem Konsularwesen.

Wir sehen einen in die Jahre gekommenen Diplomaten in hellblauem T-Shirt und neon-grüner Hose die Straße hinunter joggen – im Schritttempo gefolgt von einer schwarzen Limousine mit verdunkelten Fensterscheiben. Cafés und Bankautomaten ziehen durch unser Blickfeld. Es gibt kaum einen Grund für die Diplomaten ihren Hochsicherheitstrakt zu verlassen. Hier wird sogar gefeiert. Die kanadische und französische Botschaft unterhalten jeweils einen eigenen Club mit Live Musik und Alkoholausschank – Eintritt nur für Ausländer.

Islamabad ist komfortabel, perfekt, um ein paar Tage abzuschalten, nichts zu tun außer essen und schlafen. Doch der Stadt fehlt auch das Besondere. Für uns ist Islamabad kein Ort, der lange in Erinnerung bleibt. Daran ändern auch die innerstädtischen Marihuanapflanzen nichts, die hier überall am Straßenrand wachsen. Abwechslung bietet uns dagegen Rawalpindi. Liebevoll Pindi genannt, gilt die Stadt als hässliche Schwester Islamabads. Tatsächlich scheinen Islamabad und Rawalpindi wie Zwillinge; zweieiige, mit unterschiedlichen Vätern. Beide Städte liegen so nah beieinander, dass kaum ein Blatt Papier zwischen sie passt. Dort wo die eine Stadt endet, beginnt die nächste. Doch während Islamabad mit ihrer Aufgeräumtheit und der hübschen Langeweile aufwartet, ist Rawalpindi chaotisch, schmutzig, verrucht. Die hässliche Schwester ist die wesentlich charismatischere.

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