Campus, Chittagong, Bangladesch
Couchsurfing in Bangladesch 2/2

Der Campus von Chittagong

Gegen Nachmittag machen wir uns auf den Weg zur Universität außerhalb der Stadt. Der Campus ist riesig und gehört zu den schönsten des Landes. Eingebettet in einen großen Wald ist die Universität von Chittagong eine eigene kleine Stadt durchzogen von wunderbarer Natur. Auf dem weiträumigen Gelände befinden sich verstreut die Fakultäten, mehrere nach Geschlechtern getrennte Wohnheime mit je 800 bis 2.000 Bewohnern, Kantinen, Sportplätze, Restaurants und Teestände, Wohnungen für Dozenten und Professoren.

Die Gänge der Juristischen Fakultät sind leer, niemand befindet sich in den Lehrräumen. Im Auditorium, eingerichtet wie ein Gerichtssaal, ragen mehrere Stuhlreihen wie in einer Arena übereinander empor. Unten auf der Bühne befinden sich die erhobenen Sitzplätze für die Richter, die Staatsanwaltschaft, die Verteidiger. Hier werden nicht nur Gerichtsverfahren improvisiert, sondern auch Prüfungen praxisnah abgenommen.

Fahad, der Schelm, lässt es sich nicht nehmen zu unserer Unterhaltung ein bisschen Quatsch auf dem Richterstuhl zu machen. Doch schon nach kurzer Zeit ist ihm das nicht mehr so geheuer. Der Respekt vor der Institution und dem potenziellen Amt sind enorm. Nicht auszudenken, wenn er sich bei seinem Schabernack erwischen ließe.

Ein Jurastudium gilt in Bangladesch als eines der höchsten Privilegien. Es ermöglicht den Weg zu Ansehen, Reichtum und Einfluss. An der Universität in Chittagong bewerben sich jedes Jahr etwa 20.000 Collegeabsolventen auf 120 Plätze. Hasan hat es mit viel Fleiß und Bestnoten bis hierher geschafft. Er gehört zu den besten Studenten. Anders wäre ein Studium für ihn nicht möglich.

Chittagong, Bangladesch
Studentenwohnheim auf dem Campus der Universität Chittagong
Chittagong, Bangladesch
auf dem Campus der Universität Chittagong

Wer es sich dagegen leisten kann und keine Zulassung für die staatliche Universität erhält, wählt den Weg über private Hochschulen. Hier werden Studienplätze eingekauft. Zwei Millionen Taka, etwas mehr als 21.000 €, kostet das vierjährige Studium – eine wahnsinnige Summe in Bangladesch.

Doch mit entsprechendem Geschick ist die Investition gut angelegt. Zwar erhalten Anwälte in Bangladesch ein recht geringes Einstiegsgehalt, aber mit zunehmender Berufserfahrung und erfolgreich bestrittenen Gerichtsverfahren sind die Gehaltsgrenzen nach oben offen. Als Anwalt in Bangladesch kann man schweinereich werden.

Für die Richterlaufbahn gelten andere Bedingungen. Hier ist das Einstiegsgehalt bereits hoch angesetzt, dagegen sind die Aufstiegschancen überschaubar. Als Richter in Bangladesch lebt man durchaus wohlhabend, verkehrt aber noch in einigermaßen nachvollziehbaren finanziellen Bahnen.

Karriere in Bangladesch

Noch liegen zwei Studienjahre vor Hasan und Fahad, doch schon bald müssen sie sich für eine Laufbahn entscheiden. Fahad wird Anwalt werden, ein guter, davon ist er überzeugt. Er will Geld verdienen, richtig viel Geld, will reich und von hübschen Frauen umgeben sein. Fahad will das machen, worauf er Lust hat und nicht das, was ihm gesagt wird. Fahad will Macht.

Und doch kratz ihn der Anzug am Hals, stört ihn das steife Gehabe in vornehmer Gesellschaft. Er würde, so sagt es Fahad selbst, einen Tong – einen kleinen Straßenteestand – immer einem Restaurant vorziehen.

Hasan ist anderer Natur. Ihn reizt keine schnelle Karriere. Überhaupt will er nach dem Studium erst einmal heiraten, bevor er Geld verdient. Er will eine Frau finden, die ihn mag und nicht sein Bankkonto. Außerdem wird Hasan die Robe eines Richters tragen. Das musste er seiner Mutter zu Beginn des Studiums versprechen. Für sie wäre es unerträglich, wenn ihr Sohn als Anwalt einmal einen Kriminellen verteidigen müsste. Das wäre doch Haram, Sünde.

Chittagong, Bangladesch
mit Hasan und Fahad vor der juristischen Fakultät

In der nahegelegenen Cafeteria geben uns Hasan und Fahad einen kleinen Einblick in das studentische Leben auf dem Campus. Sie erzählen vom sportlichen Wettstreit zwischen verschiedenen Wohnheimen, von politischen Machtkämpfen studentischer Organisationen und von der Hierarchie der Kommilitonen untereinander. Je höher die Semesterzahl eines Studenten, desto großer ist der ihm entgegenzubringende Respekt. Gleichzeitig haben an der Universität Chittagong die jüngeren Semester das Recht sich von den älteren Semestern einladen zu lassen. Hier in der Cafeteria zahlen also nicht wir unseren Cha, den süßen Milchtee, sondern der ältere Student am Nachbartisch, den Fahad mit breitem Grinsen darum bittet.

Draußen auf dem Campus prangen Graffitis auf weiß getünchten Wänden. Parolen mit studentisch-radikalem Einschlag, revolutionär bis reaktionär. Es grüßt die Socialist Student Front.

Hasan und Fahad sind der Auseinandersetzung mit den politischen Strömungen auf dem Campus überdrüssig. Hier und da geraten immer wieder ein paar Studenten aufgrund unterschiedlicher Ansichten aneinander, was dann oft lästig sei. Unsere beiden Freunde interessieren sich kaum für Politik, denn Politiker, da sind beide einer Meinung, sind egoistisch und korrupt. Sie handeln nur in ihrem eigenen Interesse und nicht für das Land.

Chittagong, Bangladesch
Frei übersetzt: „Sein ein Ehrenmann oder der miesere Stinkstiefel.“
Chittagong, Bangladesch
es grüßt die sozialistische Studentenfront

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Der Hogwartsexpress von Chittagong

Mit zwei CNGs fahren wir über den weitläufigen Campus. Kommen von einer Fakultät zur nächsten, rollen an den hübsch im Wald gelegenen Wohnhäusern der Dozenten vorbei, bis wir am Rand des Campusˈ vor einem Gleis aussteigen. Die Universität von Chittagong ist neben Hogwarts wahrscheinlich die einzige Bildungseinrichtung mit einem eigenen Endbahnhof. Von hier fährt ein Studentenzug zurück nach Chittagong. Wir brauchen keine Fahrkarten und die Platzwahl ist wortwörtlich frei. Obwohl es noch ein paar unbelegte Sitze in den Wagons gibt, klettern bereits die ersten Wagemutigen auf das Dach.

Hasan und Fahad führen uns bis an den Anfang des Zuges. Also nicht zum ersten Wagon, sondern noch weiter bis zur Lokomotive. Hier seien die besten Plätze, versichert Fahad. Ganz nah drängen sich die Studenten vor dem Dampfkessel vorne auf der Lok. Für uns rutschen sie noch ein bisschen enger zusammen, überlassen uns die Plätze in ihrer Mitte direkt über den Gleisen.

Unsere Beine baumeln von der Lok herunter. Das ohrenbetäubende Horn der Eisenbahn dröhnt direkt hinter uns – einmal, zweimal, dreimal. Dann setzt sich der Zug mit einem kräftigen Ruck in Bewegung. Erst langsam, kaum mehr als Schrittgeschwindigkeit, rattern wir über die Schienen. Doch schon bald schiebt sich der Zug immer schneller voran. Fahad und Hasan beginnen zu singen. Andere Studenten stimmen mit ein. Wir werden eins mit dem fahrenden Zug. Die Freiheit des Augenblicks, die Freiheit der Bewegung ergreift uns. Wind weht durchs Haar, Kinder winken entlang der Gleise, gemeinsames Lachen wir nur vom immer wiederkehrenden mächtigen Dröhnen des Signalhorns übertönt.

Chittagong, Bangladesch
Zauberschüler Bangladesch-Style

Am Abend kochen wir gemeinsam in der Studenten-WG. Es gibt Dal und Ei-Curry, Aloo Bartha – Stampfkartoffeln mit Chili und Senföl, einer Zutat die typisch ist für die Küche des Landes. Dann spielen wir Karten. Es gibt ja immer diesen einen Spieler, der diebische Freude daran hat, während eines Spiels möglichst oft zu betrügen. Fahad ist ein solcher Spieler. Enthusiastisch fiebert er jedem neuen Spielzug entgegen, legt zwei Karten ab, wo er nur eine ablegen darf, nimmt eine Karte auf, wenn er eigentlich zwei nehmen sollte und provoziert damit immer wieder wildes Geschrei bei Hasan, Milan und Fakun, den beiden anderen Mitbewohnern aus der WG.

Doch wir spielen nicht lange zu sechst. Milan und Fakun müssen in die Stadt, wo sie Tutorien für jüngere Studenten oder privaten Nachhilfeunterricht geben. Damit finanzieren sie ihr Studium. Auch Hasan unterrichtet vier Mal in der Woche und verdient damit etwa 5.000 Taka – 53 € – im Monat. Ein Freund, so berichtet er, gebe jede Woche drei Tutorien und verdiene bereits ohne Abschluss in jedem Monate beachtliche 18.000 Taka – 190 €. Hasans Vater bringt mit einem durchschnittlich bezahlten Beruf lediglich 11.000 Taka – 117 € – nach Hause.

El Clásico

Wir spielen noch eine ganze Weile mit Hasan und Fahad, bis weit nach Mitternacht der Fernseher eingeschaltet wird. Es ist Zeit für Fußball. Die Spiele der spanischen La Liga, aber auch die Premier League, werden im TV übertragen und begeistern trotz der Zeitverschiebung das ohnehin fußballverrückte Land. Ein Höhepunkt der europäischen Fußballsaison steht uns bevor: El Clásico, Barça gegen Real, Messi gegen Ronaldo. Zu sechst starren wir auf die Bildröhre, haben unsere Sympathien zu gleichen Teilen auf die Mannschaften verteilt.

Chittagong, Bangladesch
gemeinsames Abendessen in der Studenten-WG

Das Spiel hält vor allem nach der Halbzeit, was es verspricht. Viel Dramatik, viel Fußball, rote Karte für Ramos nach Foul an Messi und dann der Schlussakt: Messi erzielt in der 93. Minute sein 500. Tor für Barça und entscheidet das Spiel mit 3:2 für Blaugrana. Milan entlässt einen Freudenschrei, der wohl das ganze Haus aufweckt. Jubelnd läuft er durch die Wohnung mit einer gehässigen Bemerkung für jeden anwesenden Real-Anhänger. Messi sei der einzig Wahre, sprudelt es aus Milan hervor, ein Gott, eine Lichtgestalt, unerreicht für jeden und erst recht unerreicht für Christiano Ronaldo. Das Ergebnis gibt ihm für den Augenblick Recht.

Als wir Chittagong verlassen ist sie nicht mehr die graue Stadt, die wir in den ersten Tagen unseres Aufenthalts wahrgenommen haben. Sie ist noch immer nicht schön, trägt ihren Charme unter der schäbigen Fassade. Wenn man ihn aufspürt, scheint die Stadt jedoch in einem anderen Licht, ist plötzlich bunt, lebendig, vielfältig. Chittagong hat viel zu geben, wenn man sich auf die Stadt einlässt.

Couchsurfing in Bangladesch in zwei Teilen

Teil 1: Chittagong geht baden

Teil 2: Die Universität von Chittagong

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