Naqsh-e Jahan, Isfahan, Iran
Isfahan ist die halbe Welt 2/3

Isfahan und die Prachtbauten des Königs


11. Februar 2018
Iran
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Am nächsten Morgen weckt uns P mit Kräuteromelette und Chai, dann machen wir uns auf ins nahe Isfahan. Umgeben von Stahlindustrie und einem Atomkraftwerk empfängt die drittgrößte iranische Stadt ihre Besucher nicht mit offenen Armen. Dennoch ist sie das bedeutendste touristische Reiseziel des Landes.

Persische Gärten, islamische Architektur und altes Kunsthandwerk zeugen heute noch von der einstigen Grandezza der Stadt. Im 16. Jahrhundert, unter der Herrschaft der Safawiden, heißt es „Isfahan nesf-e jahan“ – „Isfahan ist die halbe Welt“.

Und auch wenn sich die halbe Welt zur Hauptverkehrszeit in ein Chaos aus ineinander rutschenden Blechlawinen stürzt, die sich durch die Straßen zwängen, so verspricht die Stadt doch viel Herrlichkeit.

Wir stecken natürlich im Stau, als wir die Stadtgrenze erreichen. Es scheint als seien alle 1,8 Millionen Einwohner auf einmal unterwegs. Aus den Lautsprechern im Auto klingen melancholische Melodien. P stimmt in den zittrigen Gesang Zach Condons, dem Sänger der US-amerikanischen Folkband Beirut, ein.

Nachdem wir uns endlich aus dem stockenden Verkehr lösen können, halten wir an einem begrünten Platz. Die belebten Straßen führen den Verkehr um ihn herum. Genauso wie ein reißender Fluss seine Wassermasse um einen Felsen im Flussbett führt.

Die Taubentürme von Isfahan

Zwischen den Bäumen auf dem Platz, von denen manche jetzt im Winter ihre Blätter vollständig verloren haben, erhebt sich einer von mehr als 700 Taubentürmen, die sich in und um Isfahan befinden. Dicke Mauern ragen etwa zehn Meter in die Höhe, eine Tür führt ins Innere, Fenster suchen wir vergeblich.

Dafür befindet sich auf dem Flachdach eine in mehrere Richtungen geöffnete Kuppel. Durch schmale Einfluglöcher flattern die Tauben hier ein und aus. In den vergangenen Jahrhunderten existierten etwa 3.000 dieser mächtigen Bauten und jeder einzelne bot Platz für 14.000 Vögel – 42 Millionen Tiere insgesamt!

das Innere eines Taubenturm in Isfahan, Iran
das Innere eines Taubenturm in Isfahan

Die Exkremente der Tauben dienten den Bauern um Isfahan als Düngemittel, den sie auf ihren berühmten Wassermelonenfeldern einsetzten. Dank chemischer Errungenschaften sind die Taubentürme mittlerweile obsolet. Dennoch fliegen hin und wieder ein paar Vögel durch die schmalen Öffnungen ins Innere und nisten in ihren alten Behausungen.

Drinnen wirkt der Taubenturm noch mächtiger, uneinnehmbarer als von außen. Tausende Löcher reihen sich entlang der Wände. Jede dieser kleinen Wohnhöhlen bietet Platz für eine Taube. Winzige steinerne Vorsprünge dienen als Start- und Landeplätze. Mehrere Schichten Staub, Daunen und Exkremente liegen überall verteilt. Ein paar Vögel flattern in unserer Nähe auf, wirbeln ihren eigenen Unrat in die Luft.

Wir steigen die Treppen zu den höhergelegenen Behausungen empor. Was für ein Durcheinander hier geherrscht haben mag, als tausende Tauben in wildem Chaos hin und her flogen und Bauern stundenlang Vogelscheiße von den Wänden kratzten. Als wir das obere Ende des Turmes erreichen, steigen wir durch eine schmale Türöffnung hinaus auf eine Terrasse.

Von hier reicht unser Blick bis weit in die von Bäumen gesäumte Allee Chahar Bagh. Im Jahr 1597 angelegt, führte diese breite, fünf Kilometer lange Prachtstraße an vielen Palästen und Herrenhäusern vorbei und auch heute sind einige Sehenswürdigkeiten der Stadt noch immer in ihrer Nähe angeordnet.

Isfahans historischer Boulevard Chahar Bagh
Isfahans historischer Boulevard Chahar Bagh

Jolfa, das christliche Viertel in Isfahan

Vom Taubenturm folgen wir der Chahar Bagh in Richtung Norden. P verabschiedet sich in die Bibliothek. Er arbeitet an seinem Universitätsabschluss in Psychologie. Wir hingegen biegen nach links ab und betreten Jolfa, das armenische Viertel Isfahans.

Schah Abbas I, der ruhmreiche König der Safawiden, siedelt hier nach einem Feldzug gegen die Osmanen im 17. Jahrhundert eine Kolonie armenischer Christen aus der rund 1.000 Kilometer entfernten Stadt Jolfa an. Er wollte sich ihre Fähigkeiten als Händler, Geschäftsmänner und Künstler zunutze machen und versprach ihnen im Gegenzug religiöse Freiheit.

In ihrer Blütezeit lebten hier, südwestlich des Stadtzentrums, mehr als 42.000 Christen. Heute sind noch etwa 5.000 von ihnen übrig. In den schmalen Gassen mit den blockähnlichen Häusern des Viertels begegnen uns kaum Menschen. Viel Christliches ist auch nicht zu erblicken, bis wir vor der Vank Kathedrale stehen.

In der Mitte des 17. Jahrhunderts erbaut, ist sie die erste armenische Kirche in Isfahan und stilprägend für viele weitere Kirchen im Iran. Das Äußere der Kathedrale wirkt zunächst wenig beeindruckend. Kastenförmig erhebt sie sich inmitten eines befriedeten Hofes. Der Eingang wird von einem doppelten Bogen überspannt. Auf dem Gebäude thront eine Kuppel, deren Spitze ein filigranes Kreuz ziert – hier verschmelzen islamische und christliche Elemente miteinander.

Vank Kathedrale im Stadtteil Jolfa in Isfahan, Iran
Vank Kathedrale im Stadtteil Jolfa in Isfahan

So schlicht die Kathedrale von außen erscheint, so fabulös ist ihr Inneres. Eine Explosion leuchtender Farben umgibt uns. Vom Boden bis zur Decke, über Bögen und Kuppeln, spannt sich ein buntes, mit goldenem Schimmer durchzogenes Bildermeer. Leuchtendes Rot neben kräftigem Blau und sattem Grün.

Christliche Darstellungen und islamische Muster treffen hier aufeinander. Die biblische Schöpfungsgeschichte und die Vertreibung des Menschen aus dem Paradies werden großflächig thematisiert. Pflanzenmotive über dem Eingang haben ihren Ursprung in persischen Miniaturzeichnungen. Szenen aus dem Leben Jesus Christus und Darstellungen armenischer Märtyrer vervollständigen die Kollektion beeindruckender Wandgemälde.

Unterhalb des Altars befinden sich Fliesen mit islamischen Arabesken. Es ist gar nicht so leicht einen Überblick über all die Formen, Fresken und Illustrationen zu gewinnen, deren Anfertigung 15 Jahre in Anspruch nahm. Wir sind von den Farben überwältigt.

bemalte Kuppel der Vank Kathedrale, Isfahan, Iran
die bemalte Kuppel der Vank Kathedrale
strahlende Wandgemälde in derVank Kathedrale, Isfahan, Iran
strahlende Farben in der Vank Kathedrale

Doch der religiöse Farbzauber hält nur für kurze Zeit. In den trüben Wintergassen Isfahans verschwimmen die leuchtenden Bilder im Geist. Was bleibt sind Grau und Beige in sämtlichen Schattierungen. Isfahan ist eine verwaschene Stadt unter einem dunklen, wolkenverhangenen Himmel.

In Jolfa sind die Straßen schmal und die Fußgängerwege breit. Etwas ungewöhnlich für das Auge, aber sehr angenehm für die Füße. Häuserblöcke bilden dreistöckige Schluchten. Ihre Mauern stemmen sich gegen das Licht, funktional, glatt, mit dem Esprit von Legosteinen. Flachdächer vervollständigen die Bausteinphantasie. Ein Haus – eine Familie. Eltern, Söhne und Enkel, drei Generationen unter einem Dach.

Die Arier und der Vielvölkerstaat Iran

Wir kehren zurück auf die Chahar Bagh und wenden uns nach Norden, bis wir den Fluss Zayandeh erreichen. Sein südliches Ufer säumt eine langgestreckte Parkanlage. Auf der fleckigen Wiese neigen Bäume und Büsche trübsinnig ihre Äste. Hier und da lungern ein paar einheimische Jugendliche herum. In einer kleinen Hütte verkauft der buschigste Schnurrbart der Stadt Tee und Knabbereien.

Wir folgen dem Ufer nach Osten. Seeschwalben paddeln im flachen, klaren Wasser umher. Mehrere alte Brücken aus der Zeit der Safawiden überqueren den Zayandeh. Die längste und berühmteste ist die Pol-e Si-o-Seh, die Brücke der 33 Bögen.

Gebaut in der Jahrhundertwende zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert, führt sie mit einer Länge von knapp 300 Metern über den Fluss. Sie dient bis heute als Damm und staut das Wasser des Flusses an ihrer westlichen Flanke. Östlich der Brücke liegt das Flussbett dagegen brach. Lediglich ein paar Wasserlachen schimmern hier im kläglichen Licht des Tages.

Wir schlendern über die gepflasterte Brücke, die zu beiden Seiten von mannshohen Backsteinmauern begrenzt wird. Zum Fluss gewandt, befinden sich dutzende Nischen im Mauerwerk. Vor den Blicken der vorbeilaufenden Passanten geschützt, schaffen sie etwas Privatsphäre, die gerne von heimlichen Liebespaaren oder rauchenden Jugendlichen genutzt wird.

Stilisierte Steinlöwen bewachen die Brücke an beiden Ufern. Es heißt die Statuen seien so ausgerichtet, dass man bei Sonnenuntergang vom einen Ufer die polierten Augen der Raubtiere auf dem anderen Ufern funkeln sehen kann.

nächtlicher Blick auf die Brücke Si-o-Seh, Iran
nächtlicher Blick auf die Brücke Si-o-Seh

Auf der Brücke kommen uns vier Jugendliche entgegen, die uns fröhlich in Isfahan willkommen heißen. Als sie erfahren, dass wir aus Deutschland kommen, leuchten ihre Augen. Es ist nicht das erste Mal, dass die Nennung unseres Heimatlandes im Iran Glücksgefühle bei unseren Gesprächspartnern auslöst.

Wir hingegen wissen nie genau, wie wir auf das reagieren sollen, was nun folgt: Begeistert erklären uns die vier Jungs, dass auch sie Arier seien und wir zur selben Rasse gehörten. Dann blicken sie uns erwartungsvoll an, so als müssten auch wir in eine Jubelorgie ausbrechen.

Der dezente Hinweis, dass das mit den Ariern ja schon ziemlich lange her sei, schließlich siedelten sie vor nicht weniger als 5.000 Jahren im Gebiet des heutigen Iran, weckt wenig Interesse. Auch dass die Abstammung eines Menschen im Hinblick auf seine Qualitäten nichtssagend sei, resultiert, wenn überhaupt, nur in Schulterzucken. Iraner sind stolz auf ihre arische Herkunft.

Im Jahr 1934 benennt der monarchische Herrscher Reza Pahlavi das Königreich Persien in Iran um. Der Name leitet sich vom Mittelpersischen „Eran“ ab und bedeutet nichts anderes als Arier. Damit ehrt Reza Pahlavi nicht nur die Ahnen, sondern erkennt auch die unterschiedlichen ethnischen Gruppen im Vielvölkerstaat an.

Zuvor war es den Azaris, den Luren, den Belutschen, den Kurden, den Turkmenen und anderen Ethnien, die auf persischem Staatsgebiet lebten, nur schwer möglich sich mit ihrem Heimatland zu identifizieren. Schließlich sind sie keine Perser, und wie sonst soll man Menschen aus Persien nennen?

Erst mit der Umbenennung in Iran wurden sie auch semantisch ins Land aufgenommen. Anders als in der Türkei, das seine ethnischen Minderheiten aus dem Ländernamen ausschließt und damit zu den innerstaatlichen Konflikten mit Armeniern und Kurden, die eben keine ethnischen Türken sind, beiträgt, greift der Iran auf eine Ahnengeschichte zurück, von der sich niemand ausgeschlossen fühlen kann. Arier sind im Iran also voll ok.

Spaziergänger schlendern am Ufer am Zayandeh, Isfahan, Iran
Spaziergänger schlendern am Ufer des Zayandeh

Böser Feind, guter Feind? – Iran contra Saudi-Arabien

Iraner sprechen in der Neuzeit auch gerne über Hitler und seine „großen“ Ideen, die er mit dem arischen Volk verwirklichen wollte. Spätestens dann zieht es jedoch schmerzhaft in unseren Eingeweiden. Doch Iraner sind vor allem deshalb stolze Arier, weil sie es leid sind, als Araber bezeichnet zu werden, die sie selbst für raubeinig und unkultiviert halten.

Als eines der wenigen Länder, in denen die Schiiten die muslimische Mehrheit der Bevölkerung bilden, sind Iraner nicht besonders gut auf ihre sunnitischen Brüder auf der arabischen Halbinsel zu sprechen. Das liegt auch daran, dass der Iran ein zutiefst religiöses Image besitzt und häufig skeptisch von der westlichen Welt beäugt wird.

Die viel konservativeren und dogmatischeren Saudis dagegen genießen das Wohlwollen des Westens. Dabei stehen ihre Rechtsverletzungen denen des Irans in nichts nach, übertreffen sie sogar. Saudische Frauen unterstehen einem gesetzlichen, männlichen Vormund und besitzen nicht einmal das Recht Auto zu fahren. Überhaupt existieren weder politische, noch Freiheitsrechte.

Saudi-Arabien gilt als eines der zehn autoritärsten Staaten der Welt und landete 2012 in einer Demokratie-Wertung auf Platz 163 von 167 gelisteten Ländern. Hier werden Todesurteile gegen Männer, Frauen und Jugendliche verhängt. Folter und Misshandlungen von Gefangen sind weit verbreitet.

Es ist nicht so, dass sich der Iran von all diesen Untaten frei sprechen könnte, doch verübt sie Saudi-Arabien in einem hässlichen Ausmaß und steht doch unter dem Schutz der westlichen Mächte. Dem Iran kommt dagegen die Rolle des politischen Boxsacks zu.

Kuppel der Sheikh Lotfollah Moschee, Iran
die Kuppel der Sheikh Lotfollah Moschee

Am nördlichen Ufer steigen wir gerade die letzten Stufen der Si-o-Seh herab, als ein kleiner Junge auf uns zugestürmt kommt. Der Pudel auf seinem Kopf ist etwas zu groß, ebenso die Jacke, deren Ärmel hin und her schlackern.

Mit erwartungsvollem Blick streckt uns der Knirps seine schmutzige Handfläche entgegen. Verdutzt bleiben wir stehen. Die Szene trifft uns unerwartet, vor allem deshalb, weil wir bereits seit einem Monat Gast im Iran sind, aber erst jetzt das erste Mal vor einem Bettler stehen. Ein Passant, der gerade in unserem Rücken auftaucht, zischt dem Kleinen mit erhobenem Zeigefinger etwas entgegen. Der Junge verschwindet mit einem schüchternen Lächeln.

Wenig später treffen wir P, der uns in einer Seitengasse in ein Restaurant zum Mittagessen führt. Tatsächlich ist das Lokal eher ein Imbiss und die Speisen ausgewogen fettig. Vor uns auf dem Tisch sickert eine dicke, gelbe Speiseöllache in zerrissenes Fladenbrot mit Joghurtsoße und Koriander. Der Teller nebenan trägt leckeres Beryani, eine Spezialität der Stadt aus gehacktem Ziegenfleisch und Innereien, welches gekocht und anschließend mit Zimt und Mandelstreifen verfeinert in ein Fladenbrot geschlagen wird.

Während wir uns über das Essen beugen, erzählen wir P von dem bettelnden Jungen und seinem plötzlichen verschwinden. P lacht und verweist auf die iranische Gastfreundschaft. Selbst den Kleinsten wird bereits eingeflößt, Gästen großen Respekt entgegenzubringen. Der Passant mit dem erhobenen Zeigefinger habe den Jungen vermutlich nur daran erinnert, dass es nicht nett sei, Gäste anzubetteln.

Dann erfahren wir einmal mehr, wie wirtschaftlich schlecht es den Menschen im Iran geht. Das europäische Erdöl- und Erdgasembargo sorgt im Jahr 2012 für einen heftigen Einbruch der iranischen Wirtschaft. Plötzlich fehlt dem Land der größte Abnehmer für seine wichtigsten Exportgüter. 60 Prozent der Wirtschaftseinnahmen brechen weg – von diesem Schlag kann sich die Ökonomie bis in die Gegenwart nicht erholen.

Die Inflation im Land ist ungebrochen hoch, die Währung so wenig Wert wie seit Jahren nicht mehr. Die bereits seit dem US-amerikanischen Handelsverbot von 1995 angespannte ökonomische Situation wird drastisch verschärft. Viele Iraner aus der Mittelschicht verarmen. Mit einem einzigen Job verdienen sie schon lange nicht mehr genug, um ihre Rechnungen zu bezahlen. Mittlerweile gehen die meisten Iraner zwei oder drei Berufen nach: Sie sind zur gleichen Zeit Lehrer und Taxifahrer, Bürogehilfe oder Verkäufer. Auch die Armen werden ärmer und so gehören nun auch Bettler zum iranischen Alltag.

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Ein Platz zum Protzen in Isfahan

Nach dem Mittagessen besuchen wir mit P den Naqsh-e Jahan, den Königsplatz. Ende des 16. Jahrhunderts zum Protzen angelegt, ist er das historische Zentrum der Stadt. Um ihn herum arrangiert der persische Schah Abbas I Isfahan als neue Hauptstadt. Heute ist der Naqsh-e Jahan noch immer der größte Platz des Landes. Zwölf Fußballspiele könnten hier zeitgleich ausgetragen werden.

Damals dient der Naqsh-e Jahan jedoch dem Polospiel, dem frühen Nationalsports Persiens. Religiöse und königliche Gebäude rahmen den Platz, die unter der Regentschaft Schah Abbas` I in den Jahren zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert errichtet werden.

Paar auf dem historischen Naqsh-e Jahan, Isfahan, Iran
auf dem historischen Naqsh-e Jahan, dem Königsplatz in Isfahan

Der persische König Abbas I selbst stammt aus dem Schoß der Safawiden, einem Königsgeschlecht, das einst im 14. Jahrhundert in Ardabil, 900 Kilometer nördlich von Isfahan, gegründet wird. Nach den persischen Imperien der Achämeniden und der Sassaniden errichtet Schah Abbas das Dritte Persische Reich und verewigt sich als Schah Abbas der Große in den Geschichtsbüchern.

Unter seiner Führung gelingen militärische Siege gegen Türken und Turkmenen, aber auch Kunst und Architektur leben unter dem Herrscher auf. Der Naqsh-e Jahan ist eines der großangelegten Beispiele, mit denen Schah Abbas I seine Herrlichkeit zur Schau stellt und gehört zum Prachtvollsten, was das Persische Reich zu bieten hat. Hier empfängt der König seine Gäste, hier brechen sich Pferde und Spieler zur Belustigung der Herrscherfamilie regelmäßig die Knochen.

Heute gilt der Naqsh-e Jahan als wichtiges Dokument für das gesellschaftliche und kulturelle Leben der damaligen Zeit und wird natürlich von der UNESCO als Weltkulturerbe gelistet. Mittlerweile ist der Platz die touristische Hauptattraktion Isfahans. Seine Mitte schmückt ein Wasserbecken, das von mehreren Grünflächen umgeben ist. Hier sitzen Einheimische und Stadtbesucher auf dem weichen, gepflegten Rasen, erholen sich von langen Spaziergängen durch die umliegenden Gassen, treffen Freunde und Bekannte, beobachten das Geschehen um sie herum.

Manche ältere Herren flanieren um den Platz, andere sitzen auf steinernen Bänken und vertiefen sich in ihre Tageszeitungen. Vereinzelt schlurfen Bettler umher. Meterhohe iranische Nationalflaggen wehen im Wind. Arkaden führen um den Naqsh-e Jahan, in deren Nischen sich nun Souvenirstände und Kunsthandwerker eingenistet haben. Sie verkaufen Teppiche und Schmuckdosen, Messingware, Porzellan und Keramik – traditionsreiches, edles Handwerk aus Isfahan.

Die Moschee des Schah Abbas`

An der Südseite des Platzes befindet sich die Masjed-e Shah, die Moschee des Königs, die nun, nach der Islamischen Revolution von 1979, als Imam Moschee bekannt ist. Tausende, filigran zusammengesetzte farbige Keramikscherben schmücken das Eingangsportal. Sie formen kunstvolle Mosaike, perfekte Muster in blauen Schattierungen.

Die Kanten der Bruchstücke sind kaum auszumachen, so geschickt passen die einzelnen Teile zusammen. Sie bilden Arabesken und Rankenmotive, die an den Wänden des 27 Meter hohen Eingangsportals bis weit hinauf ineinander greifen. Darüber befindet sich eine Bordüre, in der arabische Schriftzeichen den Koran zitieren.

Ein prächtiges Muqarnas, ein Stilelement der islamischen Architektur, schließt das obere Ende des reich verzierten Portals ab. Darüber ragen zwei 42 Meter hohe, türkisfarbene Minarette. Vier Jahre arbeiten die bedeutendsten Künstler ihrer Zeit, bis sie den Bau des Eingangsportals 1615 beenden. Für die Fertigstellung der Moschee mit ihrem Innenhof und den vier Iwanen, hohe, zum Hof geöffnete Hallen, benötigen sie weitere 14 Jahre.

Eingangsportal zur Moschee des Königs, Isfahan
Eingangsportal zur Moschee des Königs in Isfahan

Heute ragt die 51 Meter hohe blaue Kuppel der Moschee gewaltig über die umliegenden Gebäude empor. Ein zwölffaches Echo klingt in ihrem Inneren, mit dem sich jeder Sprecher Gehör verschaffen kann. Immer wieder singen Besucher der Moschee kurze Liedtexte und erfreuen sich und alle anderen Anwesenden an der besonderen Akustik.

Doch so prächtig die Moschee auch ist, verbindet doch eine schwierige Beziehung den König mit seinem größten Bauprojekt. Die Legende besagt, dass Abbas I während der Bauphase mit dem Fortschritt der Arbeiten nicht zufrieden ist. Mit jedem Jahr, das vergeht, sinkt seine Geduld. „Alles geht viel zu langsam!“, schreit er immer wieder seinen Architekten entgegen.

Vielleicht spürt Abbas auch, dass ihm selbst nicht mehr viel Zeit bleibt, um sein Meisterwerk in voller Pracht bewundern zu können. Als der Bau der Moschee beginnt, ist Schah Abbas bereits 52 Jahre alt. So entsinnt er Ideen, die die Arbeiten beschleunigen sollen. Eines der zeitaufwendigsten Projekte ist das Setzen der Mosaike an den Fassaden. Und hier fällt Abbas eine Lösung ein, die wir heute als Wegrationalisierung bezeichnen würden.

Anstatt zerbrochene Kacheln zu kunstvollen Motiven zusammenzusetzen, lässt Abbas I die Fassaden im Inneren der Moschee mit quadratischen, bemalten Kacheln auskleiden. Hunderte Arbeitsstunden werden so eingespart und dutzende Arbeiter nicht mehr benötigt. Diese von Abbas I eingeführte Methode entwickelt sich in kürzester Zeit zum Standard für alle weiteren Bauprojekte im Land.

verzierte Kuppel der Masjed-e Shah, Isfahan, Iran
die verzierte Kuppel der Masjed-e Shah

Die Dekorationskunst der fein ausgearbeiteten Mosaike erreicht unter den Safawiden ihren Höhepunkt und wird noch im selben Moment von einer neuen, weniger ausgefeilten, dafür aber umso schnelleren Technik abgelöst. Der Bau der Masjid-e Shah ist ein Wendepunkt in der persischen Dekorationsarbeit.

Tiefblaue Kacheln schmücken die zweistöckigen Wände des Innenhofes der Moschee. Ihre gemalten Muster zieren die Mauernischen und die Kuppel. Ranken und Blüten verbinden sich in symmetrischen Motiven. Besonders die Kuppeldecke über der Mihrab, der islamischen Gebetsnische, ist mit ihren kunstvollen Rankenbildern ausgesprochen sehenswert.

Das Eingangsportal und die Moschee verbindet ein kurzer verwinkelter Korridor, denn während die die Moschee nach Mekka ausgerichtet ist, passt sich das Portal der Geometrie des Naqsh-e Jahan an.

An der östlichen Seite des Naqsh-e Jahan befindet sich zwischen den vielen kleinen Geschäften in den Arkaden der Eingang zu einer weiteren Moschee. Es ist die zwischen 1602 und 1619 erbaute Sheikh Lotfollah Moschee. Benannt nach dem Schwiegervater Shah Abbas` I, diente sie als Privatmoschee den Frauen des königlichen Harems.

Paar vor der Masjed-e Shah, Naqsh-e Jahan, Isfahan, Iran
vor der Masjed-e Shah

Persische Architektur in Isfahan

P macht uns gleich zu Beginn auf die fehlenden Minarette aufmerksam. „Keine Phallussymbole, keine Männer“, schlussfolgert er augenzwinkernd. Tatsächlich deutet die Abwesenheit der Minarette darauf hin, dass die Moschee nicht für die Öffentlichkeit zugänglich war. Niemals rief hier ein Muezzin die Gläubigen zum Gebet.

Die beigefarbene Kuppel auf dem Dach der Sheikh Lotfollah Moschee zieren verschnörkelte Rankenmuster, in denen ab und an ein türkisfarbener Tupfer schimmert. Die dezente Kuppel steht im Kontrast zu den typischen, blau leuchtenden Motiven des darunterliegenden Eingangsportals.

Die floralen Muster, die hier in symmetrischen Formen ineinander übergehen, gehören zu den besten bis heute erhalten Mosaiken aus der Zeit der Safawiden. Verschnörkelte Inschriften zeigen drei Suren des Korans.

Obwohl wesentlich kleiner, steht die Sheik Lotfollah Moschee der Schönheit der Masjid-e Shah in nichts nach.  Blaue, gelbe, türkisene und weiße Kacheln schmücken die Wände, bilden Blüten, Arabesken und kaleidoskopische Muster.

Sonnenstrahlen fallen durch hohe Maueröffnungen in den Raum, zaubern ein Spiel aus Licht und Schatten. Darüber wölbt sich die riesige Kuppel mit einem Durchmesser von dreizehn Metern. Blaue Ornamente auf gelbem Grund zieren die Unterseite. Das gesamte Motiv gleicht einem ausgebreiteten Pfauenschwanz: prächtig, elegant.

Wandverzierungen in der Sheikh Lotfollah Moschee, Isfahan, Iran
Wandverzierungen in der Sheikh Lotfollah Moschee in Isfahan

Als wir die Moschee betreten, umgibt uns gleißendes Licht. Schwere Scheinwerfer strahlen in die Mitte des Raumes. Hinter einer Kamera positioniert stehen vier Männer, die angestrengt auf einen kleinen Bildschirm schauen. Im Rampenlicht findet dagegen eine Kostümparty statt.

Ein barocker Europäer wird von zwei persischen Hofdienern in feinen Gewändern begleitet. Wir befinden uns mitten im Set eines Historienfilms, doch niemand scheint Notiz von uns zu nehmen. So beobachten wir das Spiel, hören die Anweisungen des Regisseurs und verstehen doch kein Wort.

Gleich gegenüber der Sheik Lotfollah Moschee, auf der anderen Seite des Naqsh-e Jahan, befindet sich der Ali Qapu Palast an der Westseite des Königsplatzes. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts erbaut, empfing Schah Abbas I hier den nationalen Adel und ausländische Gesandte.

Heute blicken von der Fassade des 38 Meter hohen Gebäudes andere Herrscher mit strengen Augenpaaren über den Platz. Es sind die religiösen Oberhäupter des Landes, Imam Khomeini, Führer der islamischen Revolution von 1979 und sein Nachfolger Imam Khamenei, der seit Khomeinis Tod 1989 das höchste Amt im Iran bekleidet. So wie hier schauen die beiden Staatsoberhäupter überall im Iran von Bildern, Plakaten und Graffitis auf öffentliche Plätze hinab.

Das Innere des Ali Qapu Palastes hat die Wirren der Zeit nicht besonders gut überstanden. Von den Wand- und Deckengemälden ist kaum etwas übrig geblieben. Dafür bietet der Palast eine großzügige Terrasse, von der wir einen herrlichen Blick über den Naqsh-e Jahan genießen.

Gerade werden Geländer und Säulen der Terrasse renoviert. Überall liegt Staub, Putz bröckelt von den Wänden. Der königliche Aussichtspunkt ist eine Baustelle. In einer Ecke warnt ein Schild vor Einsturzgefahr. Dennoch ist das Panorama grandios. Zu unserer Rechten befindet sich die Masjid-e Shah, die aus der Entfernung noch beeindruckender wirkt. Nicht ohne Grund gehört sie zu den meistfotografierten Gebäuden der Stadt.

Blick auf die Moschee des Königs vom Ali Quapu Palast, Naqsh-e Jahan
Blick auf die Moschee des Königs vom Palast

Im obersten Stock befindet sich das Musikzimmer des Palastes. Hoch über dem Platz und dem einstigen Polofeld feierte Schah Abbas seine ganz persönlichen Partys, ließ königliche Konzerte veranstalten. Runde Nischen in Wänden und Decke sorgen für eine ausgeklügelte Akustik im Raum, erheben das Musikzimmer zu einem der besten säkularen Werke der persischen Handwerkskunst.

Isfahan ist die halbe Welt in drei Teilen

Teil 1: Das politische System im Iran

Teil 2: Die Prachtbauten des Königs

Teil 3: Kunsthandwerk und Satire

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  • Marcus
    11. Februar 2018

    Seufz, Kaffe trinken gegenüber der Vankh Kathedrale, im Abendsonnenschein die Brücken am Fluß abspazieren, dann bei Dunkelheit auf den Naqsh-e Jahan, wo sich endlos viele Familien zum gemeinsamen Fastenbrechen treffen (ich war vor zwei Jahren während des Ramadan dort) und einen neugierig und gastfreundlich einladen. Danke, dass ihr schöne Erinnerungen wieder geweckt habt! <3


    • Morten & Rochssare
      12. Februar 2018

      Wie schön, dass du mit unserem Artikel ein bisschen in Erinnerungen schwelgen konntest. Isfahan ist bildhübsch und einladend, besonders auf den alten Brücken und rund um den Königsplatz, so wie du es schon sagst. Auch wir haben unsere Zeit in Isfahan sehr genossen.