Boote auf dem Dal See, Srinagar, Kaschmir
Auf den Spuren von James und Terry (Pressereise)

Srinagar, Kaschmir und die Hausboote


5. Juli 2015
Indien
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Zeitmaschine an: 19. Jahrhundert.

James und Terry sitzen in ihrem schwülen Büro der East India Company. Das Kontor ist voll, die Arbeit für den heutigen Tag getan. In kurzer Zeit haben die beiden Geschäftsmänner ein kleines Vermögen auf dem fernen Kontinent erwirtschaftet. Indien sollte ihnen Glück bringen und es brachte ihnen mehr, als sie zu hoffen gewagt hatten. Dennoch: James und Terry leiden. Seit Wochen sind die beiden lethargisch, träge, motivationslos – erdrückt vom heißen, feuchten Klima Indiens, ermüdet vom nicht enden wollenden Monsun.

Die weißen Leinenhemden kleben schweißgetränkt an ihren Körpern, das nassgeschwitzte Haar fällt in klebrigen Strähnen über die Stirn. Immer wieder wischt sich erst der eine, dann der andere mit einem seidenen Taschentuch über das Gesicht.

„Was können wir nur tun?“, brummt Terry und reißt James damit aus einem Traum an das wolkenverhangene London und eine kühle Kutschfahrt entlang der Themse. James öffnet die Augen. Vor ihm, auf dem massiven, dunklen Holztisch, den er von den heimischen London Docks nach Indien verschiffen ließ, stapeln sich Handelsbriefe, Lagerlisten und sonstige Korrespondenzen. Sein schummriger Blick bleibt auf dem Kopf einer Depesche hängen. Kaschmir steht dort geschrieben: Kaschmir.

Hatten die Freunde im Klubhaus nicht von dieser nördlichsten aller indischen Provinzen erzählt? Von dem beschwerlichen Weg, aber auch von den guten Geschäften und vor allem dem milden, europäischen Klima? Kaschmir!

Der Plan ist gefasst, die Vorbereitungen nach kurzer Zeit abgeschlossen. James und Terry fliehen vor der Hitze und reisen nach Kaschmir. In Srinagar, einem Jahrhunderte alten Handelsplatz und Verkehrsknotenpunkt zwischen Vorder-, Zentral- und Südasien, wollen die beiden Freunde neue Geschäfte abschließen, ein zweites Standbein aufbauen und vor allem endlich aufhören zu schwitzen.

Mit britischer Zuversicht erreichen James und Terry nach tagelanger Reise ihr Ziel. Doch stoßen die Gesandten ihrer Majestät Queen Elisabeth I hier auf ungeahnte Schwierigkeiten. Die lokale Gesetzgebung in Kaschmir hat auf die vielen ausländischen Handlungsreisenden, Geschäftsmänner und Invasoren jeglicher Art reagiert. „Grund und Boden nur für Kaschmiri“, lautet die Parole. Wer nicht aus der Gegend stammt, darf weder ein Grundstück kaufen noch mieten.

Schlechte Neuigkeiten für James und Terry als sie am Ufer des weitläufigen Dal Sees sitzend auf das spiegelglatte Wasser schauen. Doch befreit vom schwülen Klima hecken die beiden Freunde eine kongeniale Idee aus. Wenn nicht auf dem Land, dann eben auf dem Wasser, denken sie sich. Ein Hausboot ist die Lösung ihrer Probleme.

Geräumig soll es sein, charmant und natürlich richtig britisch. Schwere Kronleuchter muss es haben und dicke Polstermöbel, weiche Teppiche, reich verzierte Möbel, Deckenvertäfelungen aus Walnussholz und eine Veranda.

Hausboot Srinagar
kolonialer Charme im Hausboot auf dem Dal See

Zeitmaschine an: Gegenwart.

James und Terry waren erfolgreich. Nicht nur als Geschäftsmänner für die East India Company, sondern auch mit ihrer schwimmenden Wohnidee. Heute liegen in Srinagar Hunderte Hausboote am Ufer des einundzwanzig Quadratkilometer großen Dal Sees, mitten in der Stadt. Es sind längst nicht mehr britische Geschäftsmänner, die hier dem heißen indischen Sommer entfliehen. Der Gedanke einmal von der Terrasse eines Hausbootes auf die schneebedeckten Berge des Vorderen Himalajas zu schauen, dabei Kashmiri Khawa, einen goldfarbenen Tee, zubereitet mit Safran, Zimt und Mandeln, zu trinken und in orientalisch-kolonialem Ambiente ein paar Tage die Seele baumeln zu lassen, begeistert uns.

Hausboote auf dem Dal See in Srinagar
Hausboote am Ufer des Dal Sees
Das Ufer des Dal Sees in Srinagar
Das Ufer des Dal Sees

Per Anhalter nach Srinagar

Doch unser Weg nach Kaschmir, unser Weg nach Srinagar, ist lang und sehr beschwerlich. Wir verlassen das kleine Bergstädtchen Chamba, berühmt für seine mehr als tausend Jahre alten hinduistischen Tempel. Am Ufer des Flusses Ravi gelegen, verschlägt es kaum ausländische Touristen hierher, weshalb wir von allen Seiten wie eine Rarität ungeniert beobachtet werden. Als wir mit unseren Rucksäcken in der Morgensonne am Straßenrand stehen, vergisst die Belegschaft einer nahen Tankstelle minutenlang ihre Arbeit. Stattdessen reihen sie sich vor uns auf, um uns genauer zu beobachten.

1.000-jähriger Hindutempel
1.000-jähriger Manimahesh Tempel

„Where are you from?“

„Where are you going?“

„Getting a lift for free? Nobody will give you a lift for free!”

Wir hören die immer gleichen Fragen und Aussagen. Mittlerweile haben wir es aufgegeben zu erklären, dass wir von Deutschland per Anhalter gekommen sind und dass es durchaus möglich ist, auch hier eine Mitfahrgelegenheit zu bekommen.

Tatsächlich hält nach etwa einer Stunde ein Kleinwagen am Straßenrand. Wir steigen ein und zusammen mit dem freundlichen Fahrer machen wir uns auf den Weg in Richtung Dalhousie. Wir verfallen schnell in ein Gespräch über den Lauf der Welt, über das Leid der Leistungsgesellschaft und mögliche Auswege.

Unser Fahrer schwört auf Yoga und Atemübungen. Seiner Meinung nach lassen sich alle Probleme des Alltags wortwörtlich wegatmen. Mit der richtigen Atmung gegen die Unzulänglichkeiten der Welt; eine Theorie, die ich mir nur zu gerne aneignen möchte. In Banikhet, kurz vor Dalhousie, trennen sich unsere Wege. Wir wollen weiter hinab in die nordwestliche Ebene. Unser Fahrer hat eine Besprechung in der Schule seiner Tochter. Wir steigen aus.

Hitchhiking2India
unsere Mitfahrgelegenheit nach Banikhet

Mittlerweile steht die Sonne in ihrem Zenit. Es ist heiß, die Straße staubig. Laut hupender Verkehr stört die Mittagsruhe. Wir warten im Schatten eines Baumes, kurz hinter der Ortsgrenze. Der Verkehr ist mäßig und bisher sind wir nicht besonders weit gekommen. Doch wir haben Glück. Elektrisch regulierte Fensterscheiben eines weißen Mittelklassewagens senken sich. Im Inneren sitzt ein Mann in gelbem Shirt und drei Mädchen in rot-weißer Schuluniform.

Es ist Wochenende und die Internatsschülerinnen sind mit ihrem Fahrer auf dem Weg nach Jammu – auf dem Weg zurück in ihre Elternhäuser. Trotz der etwas ungemütlichen Platzsituation rutschen die Mädchen gerne für uns zusammen und gemeinsam verbringen wir die nächsten 180 Kilometer in freundschaftlicher Unbekümmertheit.

Rajika, 14 Jahre alt, lernt mit ihren Mitschülerinnen in Dalhousie in einer der besten Privatschulen Indiens. Für ihre Ausbildung zogen ihre Eltern, die einst ins Vereinigte Königreich auswanderten, zurück in die alte Heimat. Mit charmantem britischem Akzent berichtet das auffällig wohlerzogene Mädchen von ihrem baldigen Klassenausflug: eine Woche Paris.

Hitchhiking2India
mit Rajika und ihren Freunden in Jammu

Viel zu schnell erreichen wir Jammu und verlassen die reizenden Mädchen und ihren herzlichen Fahrer beinahe wehmütig. In der 650.000 Einwohner zählenden Stadt stecken wir dann erstmal fest. Wir wollen weiter in Richtung Srinagar, doch die Sonne neigt sich bereits dem Horizont und wie wir bald feststellen, stehen wir an einer fürs Trampen völlig ungeeigneten Stelle mitten in der Stadt. Doch auf die Hilfsbereitschaft der Inder ist Verlass: Mit zwei PKWs schaffen wir es hinaus aus Jammu und stehen kurz vor Sonnenuntergang an der Schnellstraße nach Udhampur, auf dem Weg nach Srinagar. Es ist ein Militäroffizier außer Dienst mit seinem Sohn, der uns noch am selben Abend bis nach Udhampur bringt. In energisch-zackigem Ton werden wir ausgefragt. Wo kommen wir her und wo gehen wir hin? Die militärische Erziehung des Älteren macht auch vor Privatgesprächen nicht halt.

Trampen in Jammu, Indien
warten in Jammu

In Udhampur finden wir nur mit einiger Schwierigkeit eine Unterkunft. Irgendwo in der Stadt wird am folgenden Tag irgendeine wichtige Prüfung abgenommen. Alle Hotels und Gasthäuser sind ausgebucht; Prüflinge haben sich eingemietet. Erst in einem dunklen, heruntergekommen Teil Udhampurs finden wir ein dunkles, heruntergekommenes Hotelzimmer.

Am nächsten Morgen stehen wir erneut am Straßenrand und es dauert gar nicht lange, als uns Manoj, ein Mann um die 50 Jahre, fröhlich in seinen Wagen bittet. Die Straße bis nach Srinagar ist in einem miserablen Zustand. Staubig, kurvig, übersät mit Schlaglöchern. Eine Blechlawine drückt sich entlang der steilen Hänge durch die Berge. Schwer beladene Lkws, die mit den Haarnadelkurven entlang der Strecke kaum zurechtkommen, stauen den Verkehr oft kilometerlang. Es braucht Zeit, um diese Umstände zu überwinden und so freut sich unser Fahrer, dass er bis nach Srinagar Gesellschaft hat. Manoj sorgt dafür, dass im Inneren des Autos keine Minute Stille herrscht. Ununterbrochen sprudelt es aus ihm heraus – stundenlang.

Von Udhampur nach Srinagar sind es lediglich 230 Kilometer, doch wir werden für die Strecke satte 15 Stunden brauchen. Bereits nach wenigen Minuten gemeinsamer Fahrt stecken wir im ersten Stau. Zwei Stunden bewegen wir uns nicht einen Zentimeter von der Stelle. Dabei ist die Ursache der Verzögerung nicht auszumachen. Kein Unfall, keine Baustelle, kein Erdrutsch, der bereinigt werden müsste.

Es ist die Fahrkunst der Inder selbst, die für heilloses Durcheinander sorgt. Entlang der kurvigen Straße drücken sich immer wieder mehrere Autos nebeneinander über die einspurige Fahrbahn. Oft quetschen sich Motorradfahrer dazwischen. Es wird gedrängelt, gehupt und jede (Un-)Möglichkeit zum Überholen genutzt. Rücksichtnahme ist kein Bestandteil indischer Verkehrsregeln. Das gilt auch für den Gegenverkehr. Irgendwann schleichen wir hinter einem der tonnenschweren LKW durch die Landschaft. Rußige Abgaswolken wabern aus dem klapprigen Monster. Ab und an wagt Manoj ein blindes Überholmanöver. Wir fahren nur nach Gefühl. Dass es nicht im Minutentakt zu tödlichen Unfällen kommt, ist eines der großen Wunder Indiens.

Als sei das Chaos nicht schon groß genug, zwängen sich immer wieder riesige Schaf- und Ziegenherden zwischen den Autos hindurch. Die Tiere werden von ihren Hirten zu neuen Weidegründen getrieben und verengen die ohnehin schon schmale Straße weiter.

Doch irgendwann verlassen wir die Berge und fahren hinein ins Kaschmirtal. Srinagar und der weitläufige Dal See liegen vor uns. Dahinter erheben sich zu drei Seiten die beeindruckenden Berge des Himalajas.

Ziegenherde auf dem Weg zur Sommerweide
Ziegenherde auf dem Weg zur Sommerweide

Srinagar in Kashmir

Das Hausboot „Chicago“ ist unsere Basis in Srinagar. Ganz leicht wankt das Boot im Takt der Wellen auf und ab. Ganz leicht versinkt jeder Schritt in den dicken Teppichen der hölzernen Kajüten. Ganz leicht fallen wir auf weiche Betten und mit uns fällt der Ballast einer anstrengenden Reise durch die Berge.

Srinagar ist damals wie heute eine Handelsstadt. Srinagar ist lebendig und geschäftig und alles andere als indisch. In den Straßen der Altstadt erinnern wir uns mehr an Pakistan; an Rawalpindi, Karatschi oder Lahore, als an irgendein Indien, das uns jemals vorgestellt wurde. Frauen verschleiern sich mit der Burka, Männer tragen lange Bärte, der Muezzin ruft zum Gebet. Die muslimische Gemeinschaft stellt in Srinagar, in Kaschmir allgemein, den überwiegenden Teil der Bevölkerung – ein Grund für mitunter gewalttätige Auseinandersetzungen mit den hinduistischen Autoritäten in der Vergangenheit.

Hausboot "Chicago" auf dem Dal See
Hausboot „Chicago“ auf dem Dal See
Koloniales Ambiente auf dem Hausboot
Koloniales Ambiente

Der Kaschmirkonflikt

Seit der Unabhängigkeit Indiens 1947 herrscht ein Territorialkonflikt um das Gebiet des ehemaligen Fürstenstaats Jammu und Kaschmir. Indien, Pakistan und auch die Volksrepublik China erheben Anspruch und halten jeweils Gebiete der Region unter Kontrolle. Gleichzeitig strebt Kaschmir nach Unabhängigkeit.

Die Provinz ist ein politischer Spielball. Vor allem Pakistan und Indien stehen sich hier als erbitterte Feinde im geopolitischen Tauziehen gegenüber. Ihre Unnachgiebigkeit mündete bereits in mehrere Kriege und blutige Auseinandersetzungen, denen wohl etwa 70.000 Menschen zum Opfer fielen. Die Bevölkerung, seit dem zehnten Jahrhundert muslimisch geprägt, sitzt zwischen den Stühlen. Sie wollen weder Teil Indiens noch Pakistans sein und hoffen auf Unabhängigkeit, die ihnen jedoch niemand zugestehen will.

Islamistische Terrorgruppen hocken in den Bergen, die angeblich von Pakistan unterstützt werden und immer wieder gezielt für Unruhe sorgen. Die indische Regierung reagiert mit militärischer Präsenz im Kaschmirtal, mit Straßenkontrollen, Ausgangssperren, Einschränkungen der Pressefreiheit. Etwa 500.000 Soldaten sollen hier stationiert sein. Willkür und Härte gegen die Zivilbevölkerung bestimmen seit den 1990er Jahren immer wieder das Leben der Menschen. Folter, Vergewaltigungen, Hinrichtungen: Die Vorwürfe gegen indische Soldaten sind massiv.

Obwohl seit 1948 eine UN-Resolution die Durchführung einer Volksabstimmung über die Zukunft Kaschmirs fordert, weigert sich die indische Regierung bis heute, diese umzusetzen. Stattdessen sperrt sie das Internet, schaltet nationale Telekommunikationsnetze in der Region ab, setzte Regionalpolitiker unter Hausarrest.

Straßenszene in Srinagars Altstadt
Straßenszene in Srinagars Altstadt
Auf dem Markt in Srinagar
Auf dem Markt in Srinagar

Kaschmir ist spannungsgeladen. Doch das war nicht immer so. Einst hatte die Region einen legendären Ruf. Britische Offiziere schwärmten ebenso von der Schönheit und Reinheit der Gegend wie die Weltenbummler, die entlang des Hippie-Trails seit den 1960er-Jahren hier vorbei kamen. Kaschmir gilt ihnen als Paradies.

Damals ist eine Reise nach Indien unvollständig, wenn sie nicht zum Kaschmirtal und nach Srinagar führt. Die fantastische Lage, das milde Klima auf 1.500 Höhenmetern und der herrlich spiegelnde Dal See sind berühmt. Die Abgelegenheit berüchtigt. Es kommen so viele Besucher, dass gegen Ende der 1980er der Tourismus die allgegenwärtige Landwirtschaft als wichtigste Einnahmequelle überholt. Doch mit dem wieder auflebenden Kaschmirkonflikt, mit Attentaten und Entführungen in den 1990ern, bricht die touristische Infrastruktur komplett zusammen.

Kaschmir ist noch immer ein üppig grünes Paradies mit fruchtbaren Böden, mäandernden Flüssen und den majestätischen Berggipfeln der Pir Panjal-Kette. Mais- und Weizenfelder wechseln sich mit Obstgärten und ertragreichen Walnuss- und Mandelbaumplantagen ab. Pappeln rauschen im Wind, aus deren Holz Kricketschläger geschnitzt werden.

Atemberaubende Natur ist Schauplatz eines bewegenden Konflikts, der selbst in Phasen der Entspannung deutlich sichtbar ist. Religiöse Spannungen, militärisches Gebaren, Misstrauen und Unsicherheit gehören zum Alltag der Menschen. Darüber stehen populistische Phrasen von weit entfernten Politikern, die die Stimmung in Kaschmir immer wieder anstacheln.

Straßenszene in Srinagar
Altstadt, Srinagar
Gemüsehändler in Srinagar, Kashmir
Gemüsehändler in der Altstadt
Straßenszene in Srinagars Altstadt

Srinagars Altstadt

Srinagars Altstadt ist geprägt vom morbiden Charme kolonialer Herrlichkeit. Wie es die Geschichte will, fällt Kaschmir 1846 in britische Hände, wird zum Fürstenstaat ernannt und zum Protektorat der britischen Krone erklärt. Endlich können Terry, James und ihre Landsleute bauen. Heute siecht der einstige Stolz reicher Kaufleute vor sich hin. Die Gebäude sind sich selbst überlassen, darbend, ungeschönt. Farbe blättert von Fensterrahmen, rostendes Wellblech liegt auf den Dachbalken, in den Ecken sticht der Geruch von Ammoniak in die Nase. Ein paar Hunde streunen umher.

Allein in den Erdgeschossen lebt der Handel weiter. Gemüse- und Obstverkäufer preisen ihre Waren an: Gurken, Salat, Zitronen, Trauben. In den Kiosken nebenan gibt es allerlei Knabbereien und Zigaretten. Aus vielen Türen und Fenstern dringt das Hämmern, Feilen, Kreischen und Rattern des Handwerks hinaus auf die Straße. Schmiede und Schneider arbeiten in kleinen Ein-Mann-Manufakturen. Schwere Fleischbrocken hängen an eisernen Haken unter massiven Holzbalken. Tischler stellen die unverwechselbaren Schnitzarbeiten her, für die Kaschmir seit Jahrhunderten berühmt ist. Pferdekarren klappern über den Asphalt. Autorikschas drängeln sich hupend von einem Straßenende zum nächsten. Immer wieder werden wir mit einem freundlichen „Welcome to Kashmir“ gegrüßt.

Männer in einfarbigen Shalwar Kamiz, der weiten, traditionellen Kleidung, nicken uns freundlich lächelnd zu. Frauen verhüllen sich mit bunten Stoffen, schlendern gemeinsam durch enge, charmante Gassen, in denen unverputztes Mauerwerk in die Höhe ragt. Manche Gebäude zieren Stützbalken, die an Fachwerk erinnern. Minarette ragen über die Dächer empor.

Straßenszene in Srinagars Altstadt
Straßenszene in Srinagar
Pferdekutsche, Srinagar
Pferdekutsche, Srinagar

Wenn ihr unsere Abenteuer und Geschichten gerne auf Papier lesen wollt, dann schaut doch mal hier:

In unserem Buch Per Anhalter nach Indien erzählen wir von unserem packenden Roadtrip durch die Türkei, den Iran und Pakistan. Wir berichten von überwältigender Gastfreundschaft und Herzlichkeit, feiern illegale Partys im Iran, werden von Sandstürmen heimgesucht, treffen die Mafia, Studenten, Soldaten und Prediger. Per Anhalter erkunden wir den Nahen Osten bis zum indischen Subkontinent und lassen dabei keine Mitfahrgelegenheit aus. Unvoreingenommen und wissbegierig lassen wir uns durch teils kaum bereiste Gegenden in Richtung Asien treiben.

2018 Malik, Taschenbuch, 320 Seiten

zum Buch

Ein alter Mann winkt uns heran. Er trägt die weite traditionelle Hose und darüber Hemd, Pullunder und Weste. Ein sauber getrimmter, weißer Vollbart umrandet das Gesicht vom Kinn bis zu den Schläfen. Hundertundeine Falte ziehen über die ledrige Stirn. Er sitzt vor einem hochgezogenen Metalltor. Zwiebeln, Gurken, Kalebassen und Kartoffeln liegen in Weidenkörben um ihn herum. Mit gewaltigen, schweren Händen reicht er uns zwei Kohlrabis. Wir lächeln uns an. Jedes Wort scheint hier zu viel.

Zwischen all der Geschäftigkeit auf der Straße tauchen wir stets in Oasen der Ruhe ein. Moscheen in reich verziertem kaschmirtypischen Holzdesign, geschmückt mit allerlei bunt bemaltem, schön anzuschauendem Pappmaschee. Die schönste Moschee Srinagars ist wohl die Khanqah Shah-i-Hamadan. Die um 1400 errichtete Konstruktion aus Holz und Backstein ist eines der Wahrzeichen der Stadt.

Die bei Weitem größte Moschee Srinagars ist jedoch die Jama Masjid. Errichtet im Jahr 1672 ist der zentralasiatische Einfluss ihrer Bauherren, den Moguln, kaum zu verkennen. Viel Holz und das pagodenähnliche Dach lassen die Moschee wie das Schloss eines asiatischer Herrscher á la Dschingis Khan erscheinen. 378 Säulen, jede einzelne aus dem Stamm einer Himalaja-Zeder geschnitzt, stützen das Dach unter dem bis zu 30.000 Gläubige Platz finden. Im Innenhof ziehen Krähen zwischen den Dächern umher. Allein das leise Rauschen des Brunnens durchdringt die Stille und steht im krassen Gegensatz zum Trubel auf der Straße.

Khanqah Shah-i-Hamadan, Srinagar, Kaschmir
Khanqah Shah-i-Hamadan
Khanqah Shah-i-Hamadan, Srinagar, Kaschmir
Verzierungen aus Pappmaché schmückn das Eingangstor der Khanqah Shah-i-Hamadan Moschee
Khanqah Shah-i-Hamadan, Srinagar, Kaschmir
Jama Masjid in zentralasiatischem Stil

Der Dal See in Srinagar

Zurück am Ufer des Dal Sees liegen Dutzende Schikaras an der Uferpromenade. Die kleinen Boote gleichen den venezianischen Gondeln und warten darauf Passagiere oder Waren über den See zu befördern. Mit ihnen gelangen nicht nur Touristen zu ihren Hausbooten, sondern auch Schulkinder in ihre Klassenräume, Männer und Frauen an ihre Arbeitsplätze und wir weit hinaus auf den See.

Gleichmäßig sticht unser Steuermann mit dem herzblattförmigen Paddel in die Wasseroberfläche. Wir liegen ausgestreckt auf weichen Polstern unter einem schattenspendenden Sonnendach. Leichte Wellen erheben sich am Bug, als wir langsam durch die schmale Südspitze und weiter hinaus auf den See gleiten. Unzählige Händler schippern mit uns durch die Enge. Sie verkaufen Safran und Schmuck oder preisen Fotoshootings in traditioneller Kaschmiri-Kleidung an. Das alles sagt uns jedoch nicht zu und wir lassen uns lediglich zu einem Kaschmiri Khawa am schwimmenden Imbiss überreden.

in der Shikara über den Dal See
in der Shikara über den Dal See
Souvenirgeschäft auf dem Dal See
Souvenirgeschäft auf dem Dal See
Leben auf dem Wasser
Fotoshooting in traditioneller Kleidung
Dal See, Srinagar, Kaschmir
Fischen inmitten von Seerosen auf dem Dal See
Fischen inmitten von Seerosen auf dem Dal See

Als sich der See öffnet, kehrt Ruhe ein. Die Händler bleiben zurück und vor uns breitet sich die große, spiegelglatte Weite des Sees aus, die nur gelegentlich von Seerosenfeldern unterbrochen wird. Eisvögel tauchen ins dunkle, grün und blau schimmernde Wasser. Wir gleiten hinaus, immer weiter, bis Srinagar in der Ferne beinahe verschwindet. Auf der glatten Oberfläche des Sees spiegeln sich die Berge, deren Gipfel gerade in einer dichten Wolkendecke verschwunden sind.

Am anderen Ufer des Sees, gegenüber der Stadt, ließen die Mogulherrscher Kaschmirs im sechzehnten Jahrhundert prachtvolle Gärten anlegen, um mit ihren Frauen und Hofdamen darin zu flanieren. Terrassenförmig führen die Gärten von den Hängen der ufernahen Hügel Richtung Wasser. Kleine grüne, symmetrische Paradiese – vollkommen durchgeplant. Jede Pflanze hat ihr Gegenstück, jeder Baum sein Pendant. So entstehen Alleen, Blumengärten, Wasserläufe und Springbrunnen.

Der größte Garten ist der Nishat Bagh. Begrenzt vom Dal See auDer schönste und größte Garten ist der Nishat Bagh. Begrenzt vom Dal See auf der einen und den Bergen auf der anderen Seite haben wir einen fantastischen Blick von den Terrassen über das Wasser des Sees. Es ist ein entzückendes Panorama, das heute, an einem Sonntag, jede Menge Einheimische anzulocken scheint. Ganze Familien, Jugendgruppen und vor allem Paare bevölkern die Grünflächen, liegen im Gras, planschen in den Brunnen, richten ihre Pilotenbrillen und posieren wie Boygroups aus den 90ern für unschlagbare Handyfotos und Facebook Uploads. Sonntag ist Gartentag.

Im Shalimar Bagh herrscht ein ähnliches Bild. Die Menschen in Kaschmir sind verliebt in ihre Gärten und ganz besonders in den Shalimar Bagh. Es heißt das Jahangir, der Mogulherrscher, diesen Garten zu Ehren seiner Frau Nur Jahan, errichten ließ. Ein Paradies für die Liebe seines Lebens, in dem auch heute noch etliche Besucher dahin schmelzen.

Shalimar Bagh, ein Garten der Liebe

Wir verlassen die Gärten und kehren zurück auf unser Hausboot. Über dem Ufer des Sees geht die Sonne unter und wir genießen Kaschmiri Kahwa aus einer kolonial anmutenden Porzellantasse. Unsere Füße baumeln über dem Wasser und mit ihnen unsere tiefenentspannten Seelen.

Wir bedanken uns bei Chicago Groups of Houseboat für die Einladung. Alle dargestellten Meinungen sind unsere eigenen.

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Dal See, Srinagar, Kaschmir
Sonnenuntergang über dem Dal See

Und jetzt du!

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  • Julia Annemarie
    6. August 2015

    Hallo, ich wollte mich für den Beitrag bedanken. Ganz interessant. Außerdem habt Ihr mich dazu gebracht meinen geliebten Sommerurlaub in Südtirol (www.hotel-diana.it) gegen was mehr „Abenteuerliches“ auszutauschen.


    • Morten & Rochssare
      8. August 2015

      Halla Julia Annemarie,

      vielen Dank für dein Lob. Wir freuen uns, dass wir dich zu etwas Neuem inspirieren können. Kaschmir ist vielleicht etwas weiter weg als Südtirol, aber ganz sicher jeden zusätzlichen Reisemeter Wert. Du wirst es genießen.


      • Julia Annemarie
        11. August 2015

        Glaube ich auch. Danke 🙂